Iotunn
"Unsere Qualität kann nicht sinken, das darf nie passieren."
Interview
Das IOTUNN-Debüt „Access All Worlds“ ist mitten in der Pandemie eingeschlagen wie eine Bombe und nicht nur wir finden aktuell, dass der Nachfolger „Kinship“ sogar nochmal eine Schippe drauf legt. Wir haben uns daher Gitarrist Jens Nicolai Gräs geschnappt um mit ihm zu ergründen, wie man als Band so einen Senkrechtstart hinlegen kann und warum die Dänen ihr Pulver offenbar noch lange nicht verschossen haben. (Titelbild: Nikolaj Bransholm)
Hey Jens Nicolai, vielen Dank für Deine Zeit. Lass uns zu Beginn ein paar Jahre zurück gehen. Als ich das erste mal „Access All Worlds“ hörte dachte ich: „Wo zur Hölle kommen die Typen denn auf einmal her?“. Ich war ziemlich begeistert, wie es möglich ist, ein Debütalbum auf solch einem hohen Level herauszubringen – die „The Wizard Falls“ EP kannte ich damals noch nicht. Vielleicht kannst Du kurz zusammenfassen, wie es dazu kam.
Tatsächlich haben uns wirklich viele gesagt, dass unser Debütalbum ziemlich ausgereift für ein Debüt klingt oder zumindest, dass es nach einer Band klingt, die weiß was sie tut. Wenn das der Fall ist, denke ich die Antwort ist, direkt gesagt: Weil wir so viele Jahre bis zu den letztendlichen Aufnahmen und zur Produktion von „Access All Worlds“ verbracht haben. Jesper (Gräs, Gitarre, Anmerk. d. Verf.) und Bjørn (Wind Andersen, Schlagzeug, Anmerk. d. Verf.) starteten damals im Jahr 2009, sie sprangen vor und zurück zwischen allen möglichen Ausdrucksformen innerhalb der Welt der Rockmusik. Ich kam 2011 dazu und wir begannen den Metal stärker mit einzubeziehen, haben aber alle möglichen Spielarten berücksichtigt. Das einzige, was wir im Kopf hatten war: Lasst uns versuchen nicht zu viel darüber nachzudenken, sondern einfach zu schreiben, zu schreiben und nochmal zu schreiben und dabei die Daumen gedrückt zu halten, dass an irgend einem Punkt Ideen dabei herauskommen, die uns zeigen, dass wir etwas haben, was unseres ist. Natürlich wurden wir auch stark von anderen beeinflusst und stehen auf den Schultern von vielen, vielen Musikern und Bands durch die gesamte Musikgeschichte, auf der anderen Seite hatten wir das Gefühl, dass wenn wir nur immer weiter schreiben und schreiben, wir an einem Punkt ankommen würden, an dem wir etwas haben, auf dem wir weiter aufbauen können. Das passierte 2014 oder 2015, denke ich. Viele der Ideen für „Access All Worlds“ und sogar einige für „Kinship“ reichen weit zurück und wir gaben ihnen Zeit, um den Test der Zeit zu bestehen. Ich denke das ist die Antwort, warum das Endprodukt so beständig klingt: Wir haben ihm Zeit gegeben und waren sehr darauf fokussiert, nicht zu viel darüber nachzudenken oder unbedingt ein bestimmtes Ergebnis erreichen zu wollen, sondern vielmehr das Ergebnis mit der Zeit zu uns kommen zu lassen, falls das irgendwie Sinn ergibt.
Ja, absolut. Wenn Du sagst, dass Ihr so viel Zeit für „Access All Worlds“ hattet, selbst wenn Ihr noch einige ältere Ideen für „Kinship“ übrig hattet, fühlte es sich dann hektisch an, dass Ihr plötzlich innerhalb von drei Jahren einen mindestens gleichwertigen Nachfolger fertigstellen musstet? Habt Ihr Euch dadurch unter Druck gesetzt gefühlt?
Nein, den Druck haben wir erst gefühlt, als wir zu Jacob (Hansen, Mix und Mastering, Anmerk. d. Verf.) ins Studio gehen mussten um alles zu mixen und zu mastern, da man die Zeit immer ein wenig unterschätzt. Als diese Deadline näher rückte merkten wir, dass wir ein wenig hinterher hinkten, was die Aufnahmen anging. Da mussten wir uns dann wirklich zusammenreißen. Was aber den kreativen Prozess angeht, also das Schreiben der Songs und das Sicherstellen, dass alles gut genug ist um „Access All Worlds“ nachzufolgen, da hatten wir niemals Zweifel oder wurden nervös, da viele der Ideen Jahre zurück reichen und wir zu jeder Zeit daran schreiben. Wir stellen sicher, dass wir genug Zeit haben, um es reifen zu lassen. Es ist wichtig, dass man jeden Song über eine lange Zeit hören kann, damit Du nicht irgendwann an einem Punkt angelangst und denkst: „Oh, das ging jetzt aber echt schnell, dass dieser Song langweilig wurde.“ Wenn wir sie hunderte Male gehört haben und sie in Sachen Qualität mithalten können, dann denken wir, dass sie den Leuten auch gefallen werden. Einige Menschen hören unsere Sachen wirklich oft, aber ich bezweifele, dass es irgend jemanden dort draußen gibt, der sie so oft gehört hat wie wir, denn wir müssen sie uns praktisch die ganze Zeit anhören, wenn wir daran arbeiten.
Ich kann Dir sagen, dass Ihr darin wirklich extrem gut seid, Eure Songs werden definitiv nicht schnell langweilig.
Danke Dir!
Die erste Single „Mistland“ erschien bereits vor über einem Jahr. Ich würde sagen er ist nicht besonders repräsentativ für das gesamte Album. Habt Ihr seit dem Release von „Mistland“ an den anderen Songs noch viel verändert oder war das Album vor einem Jahr schon fast fertig?
Nein, in unserer Vision für das Album hatte „Mistland“ schon immer seinen Platz und die Reihenfolge der Tracks stand schon lange fest. Wir wussten, dass er nach dem Ende von „Kinship Elegiac“ kommen würde. Aber natürlich mussten wir uns beeilen, da wir letztes Jahr einige für unsere Verhältnisse große Gigs geplant hatten: CopenHell, Summer Breeze, und so weiter. Wir fanden, dass wir dort etwas neues präsentieren müssten, also haben wir den Prozess für „Mistland“ beschleunigt. Wir sind in unser eigenes Studio gegangen und haben dort für diesen Song einiges vorgezogen, zu dieser Zeit waren beispielsweise noch nicht alle Basslinien und Vocals für den Rest des Albums fertig aufgenommen. Das Album an sich, mit seinen acht Songs war aber schon da. Der letzte Austausch von Songs oder Änderungen an wichtigen Arrangements erfolgten bereits 2021. Wir waren also tatsächlich schon seit mehreren Jahren festgelegt, welche Songs es auf das Album schaffen würden und in welcher Reihenfolge.
Wir können also sicher sein, dass es immer genug Zeit geben wird, damit neue IOTUNN-Songs reifen können und Ihr Euer hohes Qualitätslevel halten könnt.
Es ist sehr schwierig objektive Parameter zu definieren, wie man Musik beurteilen kann. In unserer eigenen kleinen Welt, unserer „IOTUNN-Bubble“, ist das kleinste Ziel für uns selbst, dass unsere Qualität nicht sinken darf. Wenn wir das Level halten können ist das schön und alles was wir verlangen können. Wenn die Leute denken, dass wir die Messlatte höher gehängt haben, dann haben wir Glück und sind dafür sehr dankbar, aber unsere Qualität kann nicht sinken. Das darf nie passieren.
Als ich „Kinship Elegiac“ zum ersten mal hörte war mir direkt klar, dass Ihr in Sachen Qualität auf keinen Fall nachgelassen habt. Würdest Du ihn als das Herz der neuen Platte bezeichnen, obwohl er der Opener ist?
Ja, es ist kein Geheimnis, dass wir alle fünf denken, dass sich einige der besten musikalischen Inhalte des Albums in diesem Song befinden. Er ist auch ziemlich ambitioniert und definiert die Stimmung für das ganze Album, da er bereits jede Ecke die Du während der Spielzeit entdecken kannst in einem Song kombiniert. Wir hatten auch die Möglichkeit mit dem Gesang sehr sanft zu starten, um die Klangfarbe der gesamten Storyline festzulegen und dem Hörer möglichst schnell ein Verständnis für die Welt zu geben, die wir kurz darauf entfalten.
War es von Anfang an klar, dass Ihr auf dem neuen Album nicht an dem Weltraum-Konzept festhalten würdet, dass Ihr auf „Access All Worlds“ hattet?
Natürlich gibt es auch dieses Mal ein paar Weltraum-Elemente, aber es ist natürlich kein Sci-Fi-Thema wie auf „Access All Worlds“. Sehr einfach ausgedrückt könnte man sagen, dass wir auf dem ersten Album vorwärts, in die Zukunft gesprungen sind und dieses Mal rückwärts, aber es ist wichtig zu verstehen, dass das surreale Element, die Art der nicht logischen, vielleicht auch mythologischen Erzählweise bei uns im Fokus steht. Für uns fühlen sich weder „Kinship“ noch „Access All Worlds“ wie lineare Erzählungen an, angesiedelt in der Vergangenheit oder Zukunft. Natürlich gibt es eine Verbindung zu realen menschlichen Erfahrungen, realen menschlichen Emotionen, aber es gibt auch sehr viele Dinge die eher abstrakt oder metaphorisch sind, nicht sehr logisch, wie ich gerade sagte. Es geht nicht um Dich, der sich selbst als rationales Wesen hinterfragt, es ist mehr eine Einladung in eine Parallelwelt der Träume und Fantasien, in der Du aufgehen kannst, die Dich vielleicht inspiriert und die Du mit etwas verbinden kannst, was in Deinem eigenen Leben stattfindet, Deiner Realität im hier und jetzt.
Ja, das war auf beiden Alben so, also vermute ich, dass bei IOTUNN auch in Zukunft die Grundidee, Fantasiewelten zu erschaffen erhalten bleiben soll, aber die Geschichte in die Ihr das verpackt variieren kann?
Das kann ich jetzt noch nicht sagen, da wir nicht wirklich eine dogmatische Band sind. Natürlich könnten wir kreativ faul sein und einfach etwas kopieren von dem wir herausgefunden haben, dass es für uns funktioniert. Aber das ist genau so wie bei der Musik, dass für IOTUNN neue Ausdrucksformen auf diesem Album dazu gekommen sind und wiederum neue werden auf dem nächsten dazu kommen. Wir haben keine Ambitionen zu entscheiden, dass jedes Album irgendwie mit dem anderen verbunden sein soll. Als wir an „Kinship“ arbeiteten waren wir stark darauf fokussierten, so stark wie möglich zu versuchen, eine Wand zwischen „Access All Worlds“ und „Kinship“ zu bauen, um ihnen den Respekt zu geben, dass jedes Album für sich selbst stehen kann. Ich denke, wir werden dasselbe mit dem dritten Album tun, es sich in seiner eigenen Sphäre entwickeln lassen und dann schauen, welche Art von lyrischem Inhalt aus der Musik heraus entsteht.
Was ist für Dich persönlich der größte Unterschied zwischen „Access All Worlds“ und „Kinship“?
Da gibt es viele, da wir so viel verändert haben. Es ist eine andere Produktion und ein anderer Mix, ein anderes Artwork, andere lyrische Inhalte. Dieses Album fühlt sich für mich wärmer und persönlicher an. Grammatikalisch und in der Semantik der Texte gibt es einen ziemlich geradlinigen Erzähler, der Dich an die Hand nimmt und Dich in die Storyline hineinzieht. Jeder Song für sich ist außerdem viel dynamischer als auf „Access All Worlds“.
Auf beiden Alben habt Ihr Songs weit jenseits der Zehn-Minuten-Marke. Was würdest Du sagen, wie es möglich ist, dass sie am Ende wie eine Einheit, wie ein kompletter Song und nicht nur wie eine Aneinanderreihung von Fragmenten klingen?
Bei einigen der langen Songs ist das wirklich einfach, da sie eigentlich nur aus sehr wenigen unterschiedlichen musikalischen Teilen kombiniert sind, aber durch die Art des Ansatzes der Lead-Gitarre, des Schlagzeugs oder der Vocals kann man sehr viel variieren. Man halt also die gleichen paar Akkorde in drei Teilen eines Songs, kann aber einfach durch verschiedene Arrangements drei sehr unterschiedliche Teile daraus machen. Das ist ein Weg, eine Verbindung zu schaffen. Ich tendiere dazu zu glauben, dass unsere langen Songs ziemlich kohärent sind, allerdings haben einige davon viele Biegungen und Wendungen. Wie gestaltet man die Übergänge, so dass alles funktioniert und ineinanderfließt? Darauf habe ich keine wirklich gute Antwort. Man muss einfach durch den Trial-and-Error-Prozess gehen, einfach schreiben, schreiben, schreiben und dann hören, hören, hören. Jeder Übergang und jeder kleine Schritt vorwärts in jedem Song muss interessant sein und sich irgendwie richtig anfühlen. Das ist sehr zeitraubend, denn am Ende musst Du Dir den kompletten Song anhören und wenn es nicht über die kompletten zwölf Minuten funktioniert, musst Du herausfinden, wo die Schwachstellen sind. Das kann man analysieren, aber wie analysiert man so etwas, außer einfach zuzuhören und seinem Bauchgefühl zu folgen? Es bleibt einem nichts anderes übrig.
Womit wir wieder beim Thema wären: Man muss den Songs viel Zeit zum wachsen geben.
Genau. Viele der musikalischen Teile in diesen Songs werden während des Schreibprozesses verlängert, wieder gekürzt und sehr häufig landen viele Riffs und andere Dinge gar nicht auf der Platte. Wir nehmen sie einfach aus dem Song heraus, wenn er zu lang wird oder sie einfach nicht ins Gesamtbild passen.
Derjenige, der mir empfohlen hat in „Access All Worlds“ reinzuhören war ein metal.de-Kollege, der eigentlich eher für ziemlich obskures Progressive-Zeug zuständig ist. Ist das etwas, was Ihr beispielsweise auch bei Euren Shows feststellt, dass Leute aus ganz verschiedenen Metal-Subgenres dort auftauchen und offenbar Eure Musik mögen?
Ja, definitiv. Das ist die kurze Antwort darauf. Ich denke, die Leute die uns wirklich gerne hören, die zu den Shows kommen und mit denen wir uns unterhalten haben wissen, dass wir uns eigentlich nicht um Subgenres kümmern oder darum, wie man unsere Musik nennt. Sie wissen, dass wir Zeug machen, das wir selbst gerne hören und spielen. Das ist auch der beste Weg uns selbst und unsere Zuhörer zu respektieren. Ich denke die Menschen respektieren uns dafür und daher ist es immer eine tolle Atmosphäre, wenn wir uns treffen und mit den Leuten reden. Aber definitiv, unser Publikum ist ziemlich gemischt.
Ihr habt offensichtlich auch ein paar ziemlich prominente Fans. Vor einigen Tagen habe ich ein ziemlich cooles Statement auf Eurer Facebook-Seite von Øystein von BORKNAGAR über „Kinship“ gelesen. Eine Band, die auch ein paar Gemeinsamkeiten mit IOTUNN hat, könnte man sagen, zumindest in Sachen Epik.
BORKNAGAR ist eine Band, die wir sehr lieben, vor der wir sehr viel Respekt haben und die wir wirklich oft hören. Das Øystein unsere Platte hört und solch ein Statement bringt, weil er es wollte, dafür sind wir unglaublich dankbar.
Die letzte Frage ist ziemlich simpel: Wird es eine IOTUNN-Headliner-Tour durch Europa geben und falls ja, wann?
Darauf kann ich leider nicht genauer eingehen. Wir hoffen natürlich, eine Headliner-Tour in Europa spielen zu können. Hinter den Kulissen arbeiten wir daran, etwas zusammen zu bekommen, aber für eine Band unserer Größe und den Punkt in unserer Karriere, an dem wir uns gerade befinden geht es auch darum, Dinge auszubalancieren. Wir müssen noch herausfinden, ob wir jetzt auf eine Headliner-Tour gehen sollten oder lieber ein paar gute Support Gigs für größere Bands organisieren. Etwas wird definitiv passieren, aber das kann ich noch nicht weiter kommentieren, bevor wir etwas haben, das wir offiziell ankündigen können.
Ich halte die Daumen gedrückt, das würde mich wirklich sehr freuen. Danke Dir für das Interview!
Vielen, vielen Dank!
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Stile | Epic Metal, Melodic Death Metal, Progressive Metal |
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