Ion Vein
Interview mit Gitarrist Chris Lotesto
Interview
Für mich zählen diese Amis mit zu den unterbewertetsten Formationen überhaupt und auch wenn man deren erste Werke „Beyond Tomorrow“ und „Reigning Memories“ hierzulande mittlerweile wohl mehrheitlich vergessen haben mag, war mir sofort klar, dass die sich bietende Möglichkeit Chris Lotesto, der das Unternehmen seit über 15 Jahren anführt zum Gespräch zu bitten. Nicht zuletzt deshalb, weil es, etwas überraschend zwar, dafür ohne viel Brimborium, endlich wieder neues Material von ION VEIN zu vernehmen gibt.
Im Vorfeld galt es natürlich sich das frühere Songmaterial in Erinnerung zu rufen, wobei recht schnell zu erkennen war, dass der knackige Prog Power Metal der Herrschaften nichts von seiner Faszination eingebüßt hat, wie sich auch festhalten lässt, dass sowohl „IV v 1.0“ wie auch „IV v 2.0“ diesen wohldosierten Mix aus Härte, Verspieltheit, knackigen Riffs, Melodien und Intensität aufweisen, für den man ION VEIN immer schon gemocht hat, auch wenn die Band aktuell doch einen ordentlichen Zacken heftiger loslegt.
Danke für das Lob! Ich freue mich, dass unser aktuelles Material gut ankommt, denn es hat doch einige Zeit gedauert ehe wir wieder als Band an den Start gehen konnten.
Wie schätzt Du den Status der Band hier bei uns in Mitteleuropa ein? Ich persönlich denke, dass man wohl durchaus von einem Neustart sprechen kann, da man mit dem früheren Material wohl nicht mehr allzu vertraut sein dürfte.
Das sehe ich auch so und deshalb bin ich auch dankbar dafür dieses Interview überhaupt geben zu können! Ich hoffe, dass wir uns mit unseren neuen Veröffentlichungen wieder in Erinnerung rufen können und zugleich auch neue Fans erreichen können.
Für alle die den Namen ION VEIN bis dato überhaupt nicht kennen, bitte ich um eine kurzen Abriss der Anfänge:
Kein Problem, ich werd‘ mich allerdings kurz fassen um niemanden zu langweilen, haha. Nachdem sich Mitte der 90er Jahre bei LATENT FURY (jene Band nach deren einzigem Demo ich bis heute immer wieder gefragt werde!) zerstritten hatten, gründete ich 1996 ION VEIN. Mit Russ Klimczak (Gesang), John Malufka (Gitarre), Scott Lang (Drums) und Brian Gordon (Bass) hatte ich bald die ideale Besetzung zusammen und in dieser nahmen wir den Jahren 1999 und 2003 auch unsere beiden Alben „Beyond Tomorrow“ und „Reigning Memories“ auf. Dazu gibt es auch noch einige Tribute-Sampler-Beiträge von uns aus dieser Phase, die wir für Dwell Records aufgenommen hatten, unter anderem huldigten wir OZZY, DIO, KING DIAMOND, IRON MAIDEN und QUEENSRYCHE. Speziell mit den letztgenannten ist unser Stil zu Beginn immer wieder verglichen worden, ebenso mit FATES WARNING und DREAM THEATER. Zu stilistischen Veränderungen kam es dann aber als wir uns von Scott trennten und Chuck White gegen Ende 2003 bei uns einstieg, da dessen kraftvolles Power-Groove-Drumming und auch meine Intention mich als Songschreiber ein wenig intensiver an meinen Thrash-Wurzeln zu orientieren, in eine direktere Richtung führten. Daraus resultiert auch die eher heftigere Ausrichtung unserer neuen Songs.
Nachvollziehbar, war diese Umbesetzung auch der Grund dafür, dass man in Europa schon bald nach der Veröffentlichung eures zweiten Drehers so gut wie nichts mehr von euch mitbekommen hat?
Eigentlich begann es in jener Phase zunächst richtig gut zu laufen, denn wir erhielten vom britischen Label Now & Then Records einen Vertrag, damit „Reigning Memories“ auch bei euch in Umlauf gebracht werden konnte. Wie waren regelrecht euphorisch über die sich uns bietende Chance, denn Europa war eines unsere Ziele und mit einem einigermaßen bekannten Label im Rücken dachten wir zumindest einen gehörigen Schritt nach vorne schaffen zu können. Tja, dachten wir, denn leider ging die Firma nahezu gleichzeitig mit unserem Vertragsabschluss in Konkurs und wir waren wieder am harten Boden der Realität angelangt. Aufgegeben haben wir allerdings nicht, sondern spielten viele Shows hier in Chicago und der Umgebung und schrieben auch einige neue Songs. Allerdings begann das Line-Up allmählich zu zerbröckeln, denn John stieg aus und auch die Zusammenarbeit mit Russ musste beendet werden, da wir uns musikalisch auseinandergelebt hatten. Diese Trennung fiel mir wirklich schwer, doch der Schritt dürfte der richtige gewesen ist, denn Russ zählt bis heute zu meinen besten Freunden. Die nächsten Jahre waren leider eine endlose Durststrecke für ION VEIN, denn es dauerte schlussendlich bis 2010 als sich meine Wege mit denen von Scott Featherstone (ENERTIA, ex-ATTIKA) kreuzten und ich endlich einen Sänger, den ich obendrein als solchen schon immer bewundert hatte, gefunden hatte. So kam es, dass wir schlussendlich auch neue Songs einspielen konnten, wenn auch zunächst eher kompliziert, da Scott im Upstate New York wohnt und wir in Chicago beheimatet sind. Aber schon nach den ersten „Distanz-Aufnahmen“ wussten wir, dass es um ION VEIN wieder besser bestellt war! Für die Aufnahmen half uns mit Rob Such (TWELFTH GATE / ex-SYRIS) ein Bekannter am Bass aus und seit dem letzten Jahr ist mit Rich Knight ein zweiter Gitarrist mit dabei, wenn auch nur für Konzerte.
Auf mich wirkt das aktuelle Line-Up fast wie ein „Klassentreffen“ alter Bekannter aus der Chicagoer Szene.
Das stimmt, haha. ION VEIN sind jetzt eine „Band of Brothers“! Wir kennen uns schon ewig lange und sind in den letzten Jahren auch als Freunde immer näher zusammengewachsen. Mit Rob bin ich seit dem „Powermad Festival“ 1998 in Kontakt, als er mit SYRIS dort spielte und auch Scott, Joe und die anderen ENERTIA-Mitglieder habe ich zu dieser Zeit kennengelernt. Auf Chuck wurde man damals durch sein mächtiges Spiel bei SPIRIT WEB und WINTERKILL aufmerksam und so kam es auch, dass er eines Tages Russ empfohlen wurde, als wir einen Drummer suchten.
Wann ist es denn mit den Aufnahmen zu eurer beiden EPs wirklich losgegangen, irgendwie wirkt die gesamte Band-Entwicklung durch deine Erläuterung nun doch wieder schlüssig und auch fließend.
So war es auch, man kann keinen fixen Zeitpunkt mehr für unsere Aufnahmen festhalten. Nimm‘ als Beispiel „Enough“: Die ersten Ideen dafür stammen aus der Zeit kurz nach „Reigning Memories“, doch erst 2006 haben wir die erste Version aufgenommen. Auch einige andere Fragmente stammen noch aus dieser Phase, sind aber im Laufe der Zeit immer wieder ein wenig verändert worden.
Gab es eine bestimmte Zielvorgabe beim Komponieren oder sind die Nummern im Laufe der Zeit gewachsen?
Der Fokus lag ganz klar bei der Wirkung des Songs als Gesamtheit. Es musste der Groove stimmen und auch wenn wir technische Finessen problemlos einbauen hätten können, waren wir eher bestrebt die Chose dezent zu halten. Wir brauchen ja als Musiker längst niemandem mehr etwas beweisen und von daher galt es „nur“ die bestmöglichen Songs zu kreieren, die allerdings immer noch einen gewissen Prog Metal-Anteil intus haben.
Ist das der einzige Unterschied zwischen den aktuellen Songs und dem früheren Material?
In erster Linie denke ich, dass die neuen Tracks fokussierter ausgefallen sind. Zwar ist meine Sichtweise als Songschreiber wohl ein differenziertere als die des Hörers, aber ich denke, man kann das den Tracks durchaus auch als Außenstehender anhören. Und auch den Frust der sich in den Jahren nach dem letzten Album aufgestaut hatte, kann man gewissermaßen nachvollziehen, denn die Nummern sind in Summe wohl auch eine ganze Ecke härter und heftiger ausgefallen.
Was war der Grund für die Entscheidung die beiden „IV“-EPs lediglich in digitaler Form zu veröffentlichen?
Das lag in erster Linie daran, dass wir unsere Fans nicht noch länger warten lassen wollten bis wir ihnen endlich ein Album anbieten können. So ist es wesentlich einfacher für uns sie mit neuen Songs zu versorgen. Da wir in Mortal Music auch einen kompetenten Partner für derlei Veröffentlichungen finden haben können und wir von deren Konzept überzeugt waren, haben wir uns dafür entschieden. Der Zugang zu unserer Musik ist so für die Fans einfacher und für uns ist es leichter Menschen zu erreichen, die uns erst einmal kennenlernen müssen. Außerdem bleibt man so eher im Gespräch, als wenn man immer einige Jahre vergehen lassen muss ehe ein neues Album zu haben ist.
Ja, aber es gibt ja auch auch noch jene Konsorten, denen zwar Musik auf diese Weise durchaus willkommen ist, die aber dennoch nach einem physischen Produkt verlangen. Also bitte der Herr, ab wann dürfen wir denn ION VEIN auch wieder „angreifen“?
Das ist jetzt wohl die Millionen-Frage, was? Haha. Mal im Ernst: Wenn alles klappt wird es im Laufe des Jahres zunächst einen weiteren DR (Digital Release) geben und bald darauf auch eine zwischen zehn und zwölf Songs umfassende CD.
Na bitte – geht doch! Außerdem gibt es dann auch die Chance sich am Cover nicht mit Hilfe der Tastatur zu ergötzen. Apropos: Wer war denn für das Artwork verantwortlich?
Scott Jackson von „Monsterman Graphics“. Er kommt an sich aus dem Horror-Genre, wo er schon vieles gemacht hat. Da wir von seinen Arbeiten begeistern sind, wird er wohl auch das Cover für das Album anfertigen.
Fehlt nur noch die Möglichkeit eure Songs auch auf den Bühnen zu präsentieren, oder?
Da sind wir mittendrinnen, auch wenn es nicht für eine Tournee reicht, werden wir zumindest wieder regelmäßig Wochenend-Shows hier in Chicago und entlang der Ostküste absolvieren.
Und was ist mit uns hier in Europa, wann bekommen wir die Gelegenheit uns eure Gigs anzusehen?
Du kannst mir glauben, dass wir dafür sterben würden! Sollte also jemand das hier lesen und uns in irgendeiner Form dabei helfen können nach Europa zu kommen, wären wir auf ewig zu Dank verpflichtet, denn wir würden nichts lieber als das!
Wie sah es denn zuletzt an der Live-Front aus?
Im letzten Jahr hat es leider nur zu zwei Show gereicht, dafür aber zu verdammt gelungenen. Wir hatten nämlich die Ehre für TESTAMENT zu eröffnen und einige Monate später ging ein weiterer Traum in Erfüllung als wir den Opener für SYMPHONY X geben durften. Die beiden Gigs waren für mich deshalb etwas Besonderes, weil Scott und ich ein Riesenfans von Russel Allen sind und Alex Skolnick einer meiner Lieblingsgitarristen ist, den ich als ebenso einflussreich auf mich als Musiker betrachte wie Yngwie Malmsteen, Vinnie Moore, Steve Morse, Al Di Meola, Randy Rhoads und John Petrucci. Da waren wir plötzlich nicht der Opener, sondern auch „Fanboys“ in der ersten Reihe, haha!
Da ihr wohl schon bald für Nachschub sorgen werden und auch live bei ION VEIN mehr gehen sollte, nehme ich einmal an, dass für diverse Nebenprojekte oder weitere Engagements bei anderen Bands keine Zeit bleibt?
Im Gegenteil! Ich treffe mich von Zeit zu Zeit mit meinen früheren LATENT FURY-Kollegen, da wir das 1991er Demo neu auflegen und dem Teil einige bislang unveröffentlichte Tracks hinzufügen werden. Rob und Rich basteln an einem neuen TWELFTH GATE-Album und zudem helfen sie bei ihren Kumpels von SCAR INC aus, einer Melodic Death Metal Band hier aus der Gegend. Scott hat eben die Aufnahmen für das kommende ENERTIA-Album fertig gemacht und ist auch bei WITHIN THE FIRE aus New York als Sänger mit dabei. Bleibt noch Chuck und der ist eigentlich rund um die Uhr beschäftigt. Momentan arbeitet er als Session-Drummer für die Proggies FIRE GARDEN und nebenbei hat er mit dem Keyboarder Frank Lucas auch noch eine Instrumental/Fusion-Geschichte am Laufen.
Respekt! Langweilig dürfte also keinem von Euch sein. Bestehen weitere Verbindungen zu Metal-Bands aus der Chicagoer-Szene?
Ja, wir sind ja auch mit Scott Huffman gut befreundet, der momentan nicht nur bei TWELFTH GATE singt, sondern auch sein früheres Unternehmen LORDS OF MEAT wieder aufleben hat lassen. Darüber hinaus kann ich Euch auch noch ARCHILLUSION empfehlen, eine weitere Band aus dem TWELFTH GATE-Umfeld, die momentan sehr aktiv ist. Unbedingt anchecken müsst ihr auch DIAMOND PLATE, EARTHEN, TRIALS und WITHOUT WAVES – weitere verdammt gute Bands aus unserer Ecke! Die Szene ist nämlich durchaus noch aktiv, auch wenn viele Clubs zusperren mussten und sich viele Bands aufgelöst haben. Momentan kann man zum Glück wieder mitverfolgen, dass sich die Lage für Metal-Bands wieder stark verbessert hat, was sich wohl auch positiv auf die gesamte „Community“ auswirken wird.
Bleibt nur noch der Blick in die Kristallkugel – was wird denn die Zukunft bringen?
Oberste Priorität hat auf jeden Fall das Album mit dem wir so schnell wie möglich an den Start gehen wollen und darüber hinaus soll es noch in diesem Jahr zu verstärkter Live-Aktivität hier in den Staaten kommen. Wenn es nach uns gehen würde, wären wir selbstverständlich jederzeit bereit um zu Euch rüber zu kommen, aber das bleibt wohl vorerst noch ein wenig Träumerei. Sicher ist allerdings, dass wir auch schon bald wieder die Möglichkeit bieten werden neues Material zu hören zu bekommen. Und danke nochmals für die Chance ION VEIN mit diesem Interview erneut in Erinnerung zu rufen! So eine Möglichkeit erhalten wir nicht alle Tage!
Bitte sehr und immer wieder gerne, denn auch wir bekommen ja nicht täglich dermaßen gelungene Veröffentlichungen wie “IV v 1.0” und “IV v 2.0” zu Gehör!