Puddle Of Mudd
Dem Sensenmann knapp entkommen

Interview

Erst Vollzug, dann Entzug, und nun soll alles besser werden: Wes Scantlin, ‚Master of Disaster‘ bei PUDDLE OF MUDD, zieht seinen blonden Schopf aus dem Sumpf. Jetzt schildert er ausführlich die unrühmlichen Ereignisse vergangener Jahre aus seiner Perspektive.

Die Geschichte der Band gleicht dem Mythos von Phönix, jenem Vogel, der in der Glut der Morgenröte verbrennt, um dann verjüngt in neuem Glanz wieder aus der Asche aufzusteigen. PUDDLE OF MUDD sind 2018 wieder aus der Versenkung aufgetaucht und haben unlängst ihre zweite Deutschland-Tour beendet. Nachdem Frontmann, Sänger und Gitarrist Wes Scantlin in den vergangenen Jahren nur noch durch Negativ-Schlagzeilen in Erscheinung trat, scheint sich nun das Blatt gewendet zu haben: Das Enfant terrible der Post-Grunge Ära ist seit mehr als zwölf Monaten clean und versucht nun mit klarem Kopf, PUDDLE OF MUDD wieder nach oben zu bringen.

Was warum dumm gelaufen ist, wie es derzeit um den Aufstieg aus dem Sumpf bestellt ist, was die Band plant und ob es irgendwann tatsächlich ein neues Album der US-Amerikaner gibt – all das und mehr konnte Susann Klose in einem Gespräch mit Wes Scantlin vor der Show in Hannover klären.

Rückblende: 1993 wurde POM in Kansas City gegründet, 2001 erschien in den USA nach der EP „Stuck“ (1994) und dem Debütalbum „Abrasive“ (1997) das zweite Studiowerk „Come Clean“ (2001), mit dem PUDDLE OF MUDD wahre Höhenflüge erlebten. Die CD ging weltweit millionenfach über die Verkaufstische, dreifach Platin in den USA, Platin in Großbritannien, Gold in Deutschland und der Schweiz. Mit Songs wie „Control“, „Drift & Die“, der Glanznummer „Blurry“ und dem Welthit „She Hates Me“ gehörten PUDDLE OF MUDD seinerzeit zu den angesagten Bands in Sachen Alternative Rock. Der Nachfolger „Life On Display“ (2003) erreichte jedoch nur einfachen Goldstatus in Amerika, und für die Alben „Famous“ (2007) und „Volume 4: Songs in the Key of Love & Hate“ (2009) blieb das Edelmetall gänzlich aus. 2011 veröffentlichte der Vierer die Scheibe „Re(disc)overed„, die ausschließlich Covertracks, u.a. von AC/DC, Led Zeppelin, den Rolling Stones und Elton John, beinhaltete. Der letzte Track aus eigener Feder, „Piece Of The Action“, erschien 2014, und seitdem warten die Fans vergeblich auf ein neues Album, das Scantlin in den darauffolgenden Jahren immer wieder ankündigte.

„Yeah, I know …“ bestätigt Wesley Reid Scantlin, der gut gelaunt und relaxt wirkt. „Es ist alles schief gegangen wegen der Drecksäcke, die sich in mein Leben geschlichen haben. Absahner, unterste Schublade! Erst sind sie die nettesten Menschen auf der Welt, und dann hast du plötzlich drei Bankkonten von denen du nichts weißt. Und meine Exfrau hat da gut mitgemischt und mir tonnenweise Geld geklaut.“

2008 heiratete Scantlin das Model Jessica Nicole Smith, die Ehe war allerdings nur von kurzer Dauer und wurde 2012 geschieden. „Ich konnte Hochzeiten schon von klein auf nicht leiden, war nie ein großer Fan davon,“ erinnert sich Wes. „Es war nicht richtig zu heiraten, das Mädchen war einfach zu jung. Ich weiß nicht, warum ich es getan habe.“ Warum er was getan hat, fragten sich Fans in den vergangenen Jahren allerdings oft, denn Scantlin sorgte zunehmend für jede Menge negative Schlagzeilen in immer kürzeren Abständen. Um das ganze Ausmaß der Eskapaden nachzuvollziehen, muss man jedoch ein bisschen ausholen.

2002 wurde er gemeinsam mit seiner damaligen Verlobten auf Grund von öffentlichen Handgreiflichkeiten erstmals verhaftet. 2007 sprang der damals 35-jährige in Elvis Presleys Graceland in den Pool und bekam dafür ein lebenslanges Hausverbot. Ende 2011 gab es Ärger mit den Behörden wegen nicht gezahlter Steuern, bevor Scantlin Anfang 2012 wegen Kokain-Besitz und Fahren unter Drogen ohne Führerschein angeklagt wurde. Nur knapp entkam der Sänger einer Haftstrafe, weil er sich mit einer Drogentherapie einverstanden erklärte. Doch damit nicht genug: Bereits im darauffolgenden September musste ein Flieger von Boston nach L.A. in Texas notlanden, da der betrunkene Rockstar an Bord einen Wutanfall bekam, weil die Crew ihm weitere Alkoholika verweigerte. 2013 dann drei weitere Festnahmen wegen Drogenbesitz, Fahren ohne Führerschein, angeblich häuslicher Gewalt gegen seine Exfrau und Vandalismus mit einer Kettensäge beim Nachbarn. 2014 war so gesehen eher ein ruhiges Jahr, denn nur American Express verklagte Scantlin wegen nicht gezahlter Schulden und es gab einen Ausraster bei einer Show in Dallas, wo er ein Mikrofon und Bier ins Publikum warf. 2015 lässt Scantlin dann jedoch keinen Fauxpas mehr aus: Weitere Festnahmen, weil er im Flughafen in Denver eine Runde auf dem Gepäckband drehte, sich auf dem Flughafen in Milwaukee „ungebührlich“ benahm und in Minnesota während einer Trunkenheitsfahrt vor der Polizei flüchtete. Nur zwei Wochen später erneute Verhaftung wegen Besitz und Fahren unter Einfluss von Marihuana in South Dakota. 2016 sollte ebenfalls kein gutes Jahr für Wes werden: Im Januar bricht er in sein ehemaliges Haus in Hollywood Hills ein, das zuvor im Rahmen einer Zwangsvollstreckung enteignet wurde, zerstört Teile der Einrichtung und wird wieder festgenommen. Weil er zum Gerichtstermin wegen Hausfriedensbruch nicht auftaucht, wird er ein weiteres Mal verhaftet. Und dann bekommt Scantlin es noch mit einem 30-köpfigen Sondereinsatzkommando zu tun, weil er angeblich eine Autobombe gebastelt haben soll, was die Evakuierung seiner Wohngegend zur Folge hatte.

„Es gab keine Autobombe, die ganze Sache war Bullshit!“ betont Wesley mit Nachdruck. „Ich bin kein verdammter Terrorist und lege keine Autobomben. Ich wollte meinem Auto Starthilfe geben, weil die Batterie leer war. Und es gab auch keinen Einbruch, es war nichts. Ich wusste nicht einmal, dass mein Haus versteigert werden sollte, niemand hat mich informiert. Ich spielte zu der Zeit vor Weihnachten für die Soldaten im Irak. Und wenn du hinterher nach Hause kommst und da ist ein Stacheldrahtzaun rund um dein Haus, dann bist du angepisst und wütend. Ich war aufgebracht und wurde daraufhin gleich wieder verhaftet. Ihr würdet sicher auch angepisst sein, wenn man euch verhaftet, nur weil ihr euren Besitz verteidigt oder eurem Auto Starthilfe gebt. Und vor Gericht konnte ich nicht erscheinen, weil ich auf Tour war. Aber wenn du einen Gerichtstermin verpasst, gibt es einen Haftbefehl. Es interessiert die nicht, wer du bist. Und wird einmal ein Haftbefehl gegen dich ausgestellt, dann bist du sofort für immer ein Krimineller.“

Scantlin fühlte sich vom Arm des Gesetzes in seinem Wohnort in Los Angeles regelrecht verfolgt. „Ich hatte Erfolg und wurde von der Polizei schikaniert. Wenn man ein Cop in L.A. ist, dann gilt es als Heldentat, einen Rockstar zu verhaften. Natürlich haben all diese Cops mich im Visier gehabt und natürlich wollten sie mich verhaften. Die reißen sich doch geradezu darum, wer mich festnehmen darf. Wer Wes Scantlin verhaftet, erscheint bei TMZ.“ (Anmerkung d. Verfassers: Thirty Mile Zone, kurz TMZ, ist eine US-amerikanische Nachrichtenwebseite mit zweifelhaften Methoden, berüchtigt für Skandalgeschichten). „Das ist die ganze Wahrheit,“ fährt er fort und gesteht dann doch eigene Fehler ein. „Ehrlicherweise muss ich sagen, ich hätte nicht alkoholisiert und unter Drogen Auto fahren sollen. Ich bin super happy, dass ich niemanden schwer verletzt oder gar getötet habe auf dieser langen, seltsamen Reise, durch die mich mein Leben führt.“

Zuletzt geriet Scantlin 2017 mit dem Gesetz in Konflikt, als er mit einer Luftpistole in Gepäck am Airport in L.A. in einen Flieger steigen wollte. „Sorry für die BB Guns – das war einfach ein Missgeschick,“ erzählt Wes. Ich habe sie immer dabei, falls mal jemand auf mich schießen will. Na ja, ich hatte vergessen, sie aus meinem Rucksack zu nehmen und bin so zum Flughafen gefahren.“ Was dann passierte, können wir uns inzwischen selbst ausmalen: Scantlin wurde ein weiteres Mal verhaftet, unter Anklage gestellt, doch im Gegensatz zu anderen Vorfällen belief sich die Kaution zur Freilassung diesmal auf 850.000 US-Dollar. Und es sollte noch dicker für den 1972 in Missouri geborenen Musiker kommen: Anfang Oktober wurde er innerhalb einer Woche gleich zwei Mal verurteilt. Während Scantlin im ersten Verfahren wegen Hausfriedensbruch und Vandalismus in seinem ehemaligen Wohnhaus mit einer dreijährigen Bewährungsstrafe und 40.000 $ Geldstrafe für Entschädigungen davon kommt, verhängt das Gericht im zweiten Fall mit Waffen am Flughafen 20 Tage Haft und das Verbot, den Los Angeles International Airport zu betreten; Ausnahme nur aus beruflichen Gründen.

Im Gefängnis, so sagt er, sei er leise gewesen, hätte viel geschlafen. „Ich war die ganze Zeit in einer Zelle und konnte die auch nicht verlassen.“ Ein unbequeme Erfahrung, die sein Leben nun nachhaltig verändert? „Yeah, der Knast war schon ein Schlüsselerlebnis,“ grinst Scantlin und wirkt dann eher nachdenklich. „Nein, eigentlich war es schon davor, denn ich merkte, dass mein Körper nicht mehr mitspielte. Ich habe so lange Party gemacht, wie es ging, aber irgendwann hat mein Körper total dicht gemacht. Ich hatte keine Lust mehr auf Alkohol oder Drogen, weil es mir dann echt beschissen ging. Es war der richtige Zeitpunkt damit aufzuhören. Ich hätte sterben können, war echt nah dran am Tod, vermutlich 25 bis 30 Mal. Und ich habe Glück gehabt, denn ich weiß nicht wieso, aber das Ergebnis ist: Ich bin jetzt völlig gesund! Dabei hätte ich alles verlieren können.“

Aus dem Vollzug ging es für Wesley also direkt in den Entzug. Die schlimmste Abhängigkeit war nach seinen eigenen Worten das Kokain rauchen, „wobei Alkohol auch eine ganze miese Nummer für den Körper ist. Zigaretten ebenso, damit habe ich auch aufgehört.“

Der 9.September 2017 sei der Tag gewesen, seit dem er weder Alkohol noch Drogen zu sich nimmt. Mittlerweile ist der „bad guy“ also seit mehr als einem Jahr clean. Wie fühlt es sich an, nach all den Jahren zur Abwechslung wieder nüchtern zu leben? „Es ist ein Unterschied, mein Sexleben ist anders. Ich mochte mein Sexleben, als ich noch trank,“ meint Scantlin schmunzelnd. „Nun versuche ich, meinen Rhythmus wiederzufinden,“ lächelt er. „Schwierig, wenn man immer auf Tour ist. Die Leute denken, wir legen reihenweise Frauen flach, aber so ist es nicht. Wir versuchen, so gut wie möglich zu spielen und zu singen – das beschäftigt uns auf einer Tour mehr als alles andere.“

Inzwischen kann man ihm in dieser Hinsicht wieder Glauben schenken, denn PUDDLE OF MUDD ziehen solide und ohne Entgleisungen ihre zahlreichen Konzerte durch. Vor einiger Zeit lief das noch gänzlich aus dem Ruder, denn psychische und physische Ausfälle bei Liveauftritten läpperten sich im Laufe der Zeit. Zerstörung von Equipment während einer Show, Scantlin konnte teils nur noch sitzend performen, ihm wurde Gesangsplayback vorgeworfen, er beschimpfte Fans, warf sein Mikrofon und Bier in die Menge oder brach Shows abrupt ab. Das Publikum buhte PUDDLE OF MUDD aus; die Band löschte daraufhin ihre Facebook-Seite. Im März 2016 platzte dann Leadgitarrist Matt Fuller, Bassist Michael John Adams und Drummer Dave Moreno, die seit 2014 mit dem einzigen Gründungsmitglied Wes Scantlin spielen, der Kragen: Mitten in einem Gig im englischen Doncaster ließen sie ihn allein auf der Bühne zurück. Medien spekulierten diesseits und jenseits des großen Teiches über das endgültige Ende von PUDDLE OF MUDD. Matt, Michael und Dave haben allen Unkenrufen zum Trotz die desaströse Zeit mit Wes durchgezogen. „Yessss, sie sind meine Lieblingsmenschen, die besten, die jemals dabei waren! Wir streiten uns nicht um Belanglosigkeiten, sondern motivieren uns gegenseitig. Wir sind wie beste Freunde und wenn einer down ist, versuchen die anderen, ihn da wieder rauszuholen, damit er sich besser fühlt.“

Am 9. Juni feierte der Vater eines 21-jährigen Sohnes seinen 46. Geburtstag. Wie sieht er sich selbst mit all den Lebenserfahrungen, die er inzwischen sammeln konnte oder musste? „Ein bisschen bin ich erwachsener geworden. Und ich bin immer noch crazy,“ lacht Scantlin, „aber es geht mir besser. Ich habe Glück, dass ich noch lebe, So viele Promis hat es in jüngster Zeit erwischt und ich wäre wahrscheinlich auch bald gestorben. Kokain mit anderen Substanzen gemischt verursacht Herzstillstand und ich war schon ganz nah dran.“

Der Sänger und Gitarrist verdeutlicht, dass ihm neben seiner Familie vor allem einer geholfen hätte, diese harte Zeit zu überstehen. „Ich war schon immer spirituell. Ich liebe Gott einfach! Ich weiß es gibt einen Gott da draußen und Gott ist real. Es macht mich super glücklich zu wissen, dass es einen liebenden Gott gibt, der auf mich und alle anderen aufpasst. Ohne ihn wäre ich nicht mehr am Leben. Klar, ich rede mit ihm und ich sage euch: Gott hat einen ausgeprägten Sinn für Humor! Es ist abgefahren und nie langweilig mit ihm.“

Nun, sagen wir es mal so: Gott wird es sicher auch nicht langweilig mit Wesley Reid Scantlin. Seit dem Frühjahr touren PUDDLE OF MUDD beinahe pausenlos durch die USA, UK, Deutschland und Österreich. Während sie aktuell wieder kreuz und quer durch Amerika unterwegs sind, folgen 2019 u.a. Konzerte in Australien und Neuseeland. „Wir haben echt Spaß am Reisen und Touren,“ erzählt der Leadsänger. „Manchmal ist es etwas anstrengend, aber doch cool. Wir reisen um die Welt, fahren so gesehen jeden Tag in den Urlaub, treffen all unsere Fans und tun das, was wir lieben.“

Da stellt sich natürlich die Frage, ob und wann PUDDLE OF MUDD überhaupt noch Zeit finden, das lange angekündigte Album auf den Markt zu bringen. „Das neue Album wird wahrscheinlich in den nächsten sechs Monaten erscheinen, denn es ist fertig. Wir stehen gerade in Verhandlungen mit Labels, was nicht so einfach ist, weil wir die ganze Zeit touren.“

„Galvanic“ soll das nächste Studiowerk heißen, von dem Scantlin bereits seit 2015 redet, denn damals sind die neun unveröffentlichten Songs entstanden. Produziert wurden die Tracks von Cameron Webb, der bereits für druckvollen Sound bei MOTÖRHEAD, MEGADETH, PENNYWISE und DISTURBED sorgte. „Der Titel „Galvanic“ kommt von Galvanic Skin Response (dt.: elektrodermale Aktivität oder galvanische Hautreaktion). Das ist die körperliche Reaktion auf inspirierende Gefühle, wenn man eine angenehme Melodie hört, dazu die Texte und sich ein Kribbeln mit Gänsehaut über den ganzen Körper ausbreitet,“ erläutert Wes. „Inhaltlich geht es darum, Negatives in Positives umzuwandeln. Denn darum drehte sich alles im ganzen Songwriting-Prozess für mich: Die negativen Aspekte im Leben in etwas Positives zu wenden. Und das Album danach wird richtig klasse, weil ich dann über den ganzen Shit, der seither passiert ist, schreiben kann.“ Für die Zukunft wünscht sich Wesley Reid Scantlin nur eines: „Ich hoffe, die Musik kommt bei den Leuten an.“

Wir wünschen dem Frontmann, dass es – mit dem für ihn wichtigstem Ding auf der Welt – wieder nach oben geht: PUDDLE OF MUDD.

Text & Bilder: Susann Klose

Quelle: Interview mit Wes Scantlin
08.10.2018
Exit mobile version