Toundra
Stumme Aufklärer im Kampf gegen Eindeutigkeit und Ideenkontamination
Interview
Die Offenheit nötigt den Zuschauer also förmlich dazu, sich selbst Gedanken zu machen. Verwendet ihr aus diesem Grund auch keinen Gesang in eurer Musik?
Alberto: Das spielt definitiv eine wichtige Rolle für die Musik von TOUNDRA, ja. Manchmal machen wir einen Song, den wir für fröhlich halten, der voller Energie steckt – und dann erzählt uns jemand, dass er für ihn todtraurig klingt. Es überrascht und freut uns immer, wenn die Leute unsere Musik von ihrem eigenen Standpunkt aus interpretieren. Wir möchten ihnen nicht vorschreiben, was sie beim Hören unserer Musik zu denken oder zu fühlen haben. Natürlich haben wir ein Konzept dazu im Kopf, aber wir wollen die Ideen der anderen nicht mit unseren Gedanken kontaminieren.
Esteban: Wir sind gegen den Autoritarismus der Sänger (lacht).
Kann man also von einem verstärkten politischen Kurs in eurer Musik sprechen?
Esteban: Wir haben eigentlich immer versucht, eine kritische Komponente in unsere Musik einfließen zu lassen. Das war schon beim ersten Song der Fall, den wir je geschrieben haben – „Baja Mar“ vom Album „I“. Auf unserem zweiten Album haben wir auf das Thema Krieg, die Zerbrechlichkeit von Zivilisation angespielt und ‚IV‘ ist eine Metapher dafür, wie der Mensch die Natur und damit seinen eigenen Lebensraum zerstört. In unserem Nebenprojekt EXQUIRLA schlagen sehr deutlich eine politische Richtung ein, was zum Beispiel in den Texten deutlich wird. Auf „Vortex“ haben wir mit der humanitären Krise auf dem Mittelmeer noch einmal ein wichtiges politisches Thema aufgenommen. TOUNDRA wird es nur eine Zeit lang geben und wir dürfen die Chance nicht verpassen, in unseren Songs auf das aufmerksam zu machen, was uns ungerecht erscheint.
Gerade im Vergleich zu vorigen Alben wie „III“ und „Vortex“ schlägt „Caligari“ deutlich leisere Töne an. Die für den Post-Rock so typischen Wechsel zwischen ruhigen Parts und massiven Ausbrüchen sind hier deutlich weniger präsent. Steckt dahinter ein Konzept?
Alberto: Es gibt durchaus heftige Momente auf dem Album, aber die feine und empfindsame Seite unserer Musik können und wollen wir deshalb nicht außenvorlassen. Wir waren immer eine Band der Gegensätze und es würde uns schwerfallen, dieses Kontrastkonzept von Zerbrechlichkeit und Aggressivität aufzugeben. Über dem Film hat sich unsere Musik natürlich etwas anders entwickelt, er gab die Richtung vor. Man könnte vielleicht sagen, dass der Film die Rolle eines eigenen Instruments einnimmt: Er ist die Spezialzutat, die dem Album seinen ganz eigenen Charakter verlieht. Manche Leute sind natürlich skeptisch, ob das überhaupt so recht zusammenpassen will – TOUNDRA und expressionistische Kunst. Wir dagegen haben uns wohl damit gefühlt, dem Film etwas von uns hinzuzufügen. Und man muss sagen, dass die Reaktion auf die Live-Shows bisher auch wahnsinnig gut war.
Esteban: Man sollte „Caligari“ vielleicht nicht als neues TOUNDRA-Album verstehen, sondern mehr als einen Soundtrack, der eben von TOUNDRA zusammengestellt wurde. Die Absicht und die Herangehensweise waren diesmal anders, komplett verschieden von unseren regulären Releases. Wir haben andere Werkzeuge verwendet, aus dem einfachen Grund heraus, dass wir eben konnten. Dabei waren wir etwas zurückhaltender, was Schlagzeug und Distortion angeht, aber dafür sind auch ganz neue Instrumente und Noise-Elemente dazugekommen. Mittlerweile haben wir immerhin sechs Studioalben – sieben, wenn man das EXQUIRLA-Release von 2017 mit in die Rechnung aufnimmt – in elf Jahren aufgenommen. Das ist eine ganze Menge! Deshalb wollten wir dieses Mal etwas Anderes ausprobieren – um später umso lieber zum Erprobten zurückzukehren.
Heißt das für die Zukunft: „Keine Experimente“?
Alberto: Das nächste Album wird auf jeden Fall wieder ein „normales“ sein. Aber natürlich bleiben wir offen für Möglichkeiten wie diese – denn es war einfach ein lang gehegter Wunsch von uns, einmal ein Projekt wie „Das Cabinet des Dr. Caligari“ umzusetzen. Bis sich die Gelegenheit dazu ergeben hat, hat es eine Weile gedauert – dafür sind wir mit dem Resultat umso zufriedener. Die Chance war einfach einmalig.
Eine letzte Frage zum Schluss: Wie hat eigentlich euer Label auf die Pläne zu „Das Cabinet des Dr. Caligari“ reagiert?
Esteban: (ruft) Marta! Haben dir die neuen Songs gefallen?
Marta Ribarte von InsideOut (aus dem Hintergrund): Nein!
Alberto: Also sie fand die Idee wunderbar (lacht).
Das Interview mit TOUNDRA führte metal.de-Gastautorin Anke Hügler. Wir bedanken uns für die Aufbereitung und Bereitstellung.
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Klingt auf dem Papier besser als in der Praxis. Kann nebenher durchaus Wirkung entfalten, aber bei bewusstem hören macht sich doch etwas Langeweile breit, was für alles, wo Post davor steht, ja aber nicht ungewöhnlich ist. Für die Thematik klingt das auch zu lieblich, wobei fehlende Härte nicht das Problem ist, das sei erwähnt. Das alles auf das Lied bezogen und wird dennoch in Gänze angehört, da das Thema und der Film natürlich sehr gut sind.