Wacken World Wide
Scheiß drauf, wir machen es trotzdem!
Interview
Nach 30 Jahren Wacken heißt es in diesem Jahr „nada, niente, nothing“? Nun ja, nicht ganz, denn die Kreativbranche heißt nicht umsonst Kreativbrance. So gibt es spontane Lösungen, trotz weltweiter Pandemie und dem Verbot von Großveranstaltungen, die Botschaft des Heavy Metals in die Welt zu tragen. Dies können kleine Veranstaltungen wie das am 25.07.2020 stattgefundene Burn’d Born-Festival in einem Freibad sein oder Streams aus Proberäumen und Wohnzimmern.
Dass ein Wacken Open Air nicht in diesen Dimensionen denken kann, ist selbstverständlich. Deshalb wurde jüngst das Konzept „Wacken World Wide“ vorgestellt:
Vom 29. Juli bis zum 01. August wird auf der Homepage www.wacken-world-wide.com sowie bei MagentaMusik 360, MagentaTV und dem TV-Sender #DABEI ein digitales WACKEN Festival kostenlos ausgestrahlt. Dabei werden einige der zahlreichen Konzerte exklusiv auf einer virtuellen Bühne stattfinden, einem bislang noch nie dagewesenen Konzept.
In der Vorbereitung des Festivals haben wir uns, gemeinsam mit den charmanten Kollegen von morecore.de, powermetal.de und stormbringer.at, mit Wacken-Gründer und –Macher Thomas Jensen getroffen. Natürlich virtuell. Das Gespräch mit Thomas war so spannend, dass wir euch dieses nicht vorenthalten möchten. Klar, es geht vordergründig um das Wacken World Wide. Auf der anderen Seite dokumentiert das Gespräch einen wichtigen Eindruck der weltweiten Krise, in der wir uns immer noch befinden.
Wacken World Wide – die totale Narrenfreiheit?
Thomas, wie kam es zum Konzept des Wacken World Wide?
Aus bekannten Gründen können wir in diesem Jahr auf dem Acker nicht das machen, was wir seit 30 Jahren gemacht haben. Das hat uns, wie viele andere in der Veranstaltungsbranche, hart getroffen. Wir haben viel Zuspruch bekommen, von Bands, Fans und aus dem Dorf. Als wir wieder anfangen konnten zu denken, kamen wir dazu, dass wir früher schon viel über digitale Formate philosophiert haben. Beim Bier rumgesponnen halt. So wie eigentlich Wacken auch entstanden ist. Lass uns mal die Schublade aufmachen und schauen, was wir so an Ideen haben. Natürlich gemeinsam mit unserem Partner Telekom, die auch das normale Festival broadcasten und streamen.
Wir versuchen dabei die Elemente, die uns beim Festival wichtig sind, auch im digitalen Format abzubilden. Das heißt: Es muss Liveshows geben! Klar, Wohnzimmerkonzerte haben irgendwie getröstet. Es ist super, dass viele Künstler das gemacht haben. Metal muss aber für uns ballern, wir wollen Energie. Da muss ein bisschen mehr Bumms dahinter sitzen. Initialzündung war für mich ein Interview bei Radio Bob. Da fing es an, dass erste Veranstaltungen abgesagt wurden. Da wurde bei uns noch gar nicht über eine Absagen gesprochen. Und es kam die Frage, was ist, wenn Wacken abgesagt wird. Und die Antwort war ganz klar. Ich hänge die Fahne aus dem Fenster, setze mich mit einem Kasten Bier vor den Fernseher und schmeiße eine DVD rein. Also scheiß drauf, wir machen es trotzdem!
Das Konzept von Wacken World Wide klingt schon sehr durchdacht und organisiert. Habt ihr das Konzept in dieser Form denn schon länger vorliegen?
Nein, ehrlicherweise nicht. Wir werden auch nicht alles umgesetzt bekommen, so wie wir es uns jetzt vorgenommen haben. Das können wir uns hinterher mal ansehen. Jasper aus unserem Marketing-Team, der sich des Themas angenommen hat, prügelt das ganze Team in Tag- und Nachtschichten. Das ist schon sportlich. Wir hoffen, dass möglichst viel funktioniert. Es ist alles live. Es ist schön vor dem CD-Regal oder dem Plattenschrank zu liegen. Wir kommen aber aus dem Livebereich, das ist unsere Leidenschaft.
Es gibt aber Vorgänger zum Konzept. Ihr erinnert euch vielleicht an Banger TV. Mit den Jungs aus Toronto haben wir mal ein VR-Konzept mit Brille umgesetzt. Wir haben auch einen Durchflug durch Wacken mit verschiedenen Kameraperspektiven in der Schublade. Das kriegen wir vermutlich auch nicht bis nächste Woche hin. Das sind alles Sachen, die wir mal machen wollten. Durch den Arschtritt des Virus, müssen wir jetzt einfach was in dieser Richtung machen. Zum Glück haben wir viele Partner, die uns jahrelang begleiten. Dazu zählt auch die Telekom. Da geht es um Know How und natürlich auch um Kohle. Das ist ein Riesenjob, was die abliefern. Uns war extrem wichtig, dass wir nicht nur ein deutsches Festival machen wollten. Deshalb sind wir froh, dass beispielsweise auch schwedische Künstler dazu kommen können.
In diesem Jahr habt ihr Narrenfreiheit und könnt vieles ausprobieren, oder?
Wir haben immer Narrenfreiheit! (lacht) Wir arbeiten uns den Arsch ab, aber wenn etwas nicht hinhaut, dann bitten wir jetzt schon mal um Verständnis.
Müssen wir uns Sorgen um Wacken machen?
Das gesamte Konzept ist in diesem Jahr kostenlos streambar. Gibt es Überlegungen beispielsweise eine on-demand-Lösung vergleichbar mit Sky Ticket oder ähnlichen Anbietern einzuführen?
Ja, werden wir vielleicht auch machen. Es ist einfach immer so: Während der Aufbauphase sabbeln wir schon davon, was wir nächstes Jahr machen werden. Mein Partner Holger sagt immer, dass das Festival nie fertig wird. Und das ist auch gut so. Wir wollen natürlich eine gewisse Verlässlichkeit drin haben und das wird uns ja auch gedankt. Aber eigentlich ist jedes Festival immer eine neue Herausforderung. Wir wissen daher aktuell nicht, ob es irgendwann einen Premiumbereich oder Ähnliches geben wird.
Wie sieht es denn nächstes Jahr aus? Wir hoffen natürlich, dass das Festival 2021 stattfinden wird. Gibt es dennoch einen Plan B?
Das ist ein super Gedanke. Wir wissen aber überhaupt nicht, welche Probleme es im nächsten August geben wird. Deshalb ist es schwierig, heute Konzepte dazu vor zu denken. Technisch ist das alles kein Problem. Wir können das alles auch nochmal ganz anders denken. Diese ganzen technischen Sachen. Ich finde einen Western in schwarz-weiß immer noch gut und habe viele 3-D-Sachen im Kino nicht verstanden. Man muss immer Chancen sehen, unsere Community ist breit gefächert. Das betrifft beispielsweise die Gaming- und Mittelalter-Szene. Wir müssen die Grenzen in verschiedene Richtungen verschieben und dann gucken: Bringt das alles eigentlich etwas für das, was wir machen wollen? Und was wir machen wollen ist Metal und Leute zusammenbringen.
Um nochmal die vorherige Frage aufzugreifen. Was können wir heute unseren Lesern sagen, die sich Sorgen um Wacken machen?
Wir werden überleben! Es ist schwierig. Aber beim Wacken World Wide ist auch eine große Crew mit dran. Da sind Beleuchter, Soundcrew und so weiter am Start. Das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir wissen, dass das maximal eine Symbolwirkung hat. Wir kommen ja von der Küste, ein Leuchtturm in der stürmischen Brandung.
Die Liveszene wird Schaden nehmen. Wir werden ein paar gute Leute verlieren, weil die gezwungen werden, andere Jobs anzunehmen, um ihre Familien zu ernähren. Ich will ja immer positiv rüberkommen, aber der Rock’n’Roll ist von Subventionen noch nie geküsst worden. Die besten Songs entstehen aber auch, wenn die Freundin weggelaufen ist und alles ganz schrecklich ist. Aber, let’s face it: Vom Staat haben wir noch nie Kohle gekriegt. Und ich habe auch schon wieder das Gefühl, dass wir die letzten in der Schlange sind.
Auf der anderen Seite, wir sind nicht hier zum jammern, sondern wollen kreativ an die Probleme gehen. Wir haben trotzdem immer gute Unterstützung von den Behörden bekommen und wir haben hier oben in Norddeutschland eine Kultur mit den Behörden entwickelt. Das hat uns früher viel ermöglicht und wird uns auch in Zukunft viel ermöglichen. Aber: Wir sind da noch nicht durch! Für die Branche, für die Künstler, ist es, auf Deutsch gesagt, scheiße! Leute, lass uns dazu nochmal im Herbst zusammensetzen und dann sehen wir weiter.
Am Ende hat Thomas aber noch eine wichtige Nachricht für uns alle: „Nächste Woche einschalten. For free!“