Rage
Peavy plauderte mit uns über die Geschichte der Menscheit

Interview

Am 17. September werden RAGE ihr 26. Album “Resurrection Day” veröffentlichen und befinden sich nebenbei in ihrem 37. Bandjahr. Damit nicht genug, denn zum neuen Album kehrte das bis zuletzt als Trio in Erscheinung tretende Power-Metal-Unikat wieder zur klassischen Band-Besetzung mit zwei Gitarristen zurück. Mit Sänger, Bassist und Haupt-Songwriter Peavy konnten wir uns über die Entstehung der Platte, eine mögliche Konzeption und natürlich die aktuellen Entwicklungen unterhalten.

Hallo Peavy. Erstmal Glückwunsch zum 25. Album…

Ist es nicht das 26.?

Na ja, wenn Du AVENGER dazuzählen möchtest schon.

Ja, das zähle ich mal mit. Das war ja auch mein erstes Album.

Habt Ihr die Fertigstellung von “Resurrection Day” ein wenig feiern können?

Was hätten wir jetzt genau feiern sollen? Das wir unser 26. Album aufgenommen haben oder wie meinst Du das?

Nun, generell ist ein Album-Release für die meisten Musiker doch etwas besonderes. Und immerhin haben andere Bands die länger dabei sind als RAGE, noch keine 26 Alben veröffentlicht.

Na klar, ja. Mal sehen was am VÖ-Tag passiert. Da hätten wir ja eigentlich in Wacken spielen sollen, aber das ist leider ausgefallen. Aber am nächsten Tag spielen wir dann in Gelsenkirchen beim “Rock Hard One Day” und da können wir dann ein bisschen feiern.

Der Titel “Resurrection Day” lässt Vermutungen zu, dass das Album sich auf die Pandemie oder besser gesagt auf deren Ende beziehen könnte… Quasi der Rückkehr zum normalen Leben…

Schön wär´s. Dann hätten wir uns mal wieder vertan (lacht).

Was steckt also wirklich dahinter?

Der roten Faden ist philosophisch betrachtet die Evolutionsgeschichte der Menschheit. Von der Jungsteinzeit bis heute. Eines meiner Hobbys ist die Anthropologie, woraus ich dann auch die Inspiration hatte. Die Menschen haben über zigtausend Jahre als Nomaden mit der Natur gelebt. Wir waren Jäger und Sammler. Mit der Jungsteinzeit wurden die Menschen aber sesshaft und haben Ackerbau und Viehzucht betrieben und damit die Natur letztlich manipuliert. Das wiederum hat Neid gegenüber den Landbesitzern erzeugt, woraus dann Aggressionen und Kriege entstanden sind. Und nun gibt es Probleme wie die Bevölkerungsexplosion, das die Menschen sich bis in den letzten Winkel der Erde breitgemacht haben und dabei die ganze Mitschöpfung verdrängt wurde, Klimawandel und so weiter. All das hat seinen Ursprung in dieser Entwicklung beziehungsweise Verhaltensänderung damals. Der “Resurrection Day” ist sozusagen der jetzige Punkt, an dem wir die Weichen richtig stellen könnten. Also auferstehen aus all den Missentwicklungen, indem wir uns jetzt entspannt zurücknehmen und wieder mehr mit unserer Mitschöpfung leben, anstatt alles zu manipulieren und zu verändern. Aber natürlich kann es auch passieren, dass wir uns wieder falsch entscheiden und die Karre gegen die Wand fahren. An diesem Punkt steht die Menschheit gerade.

Natürlich hatten wir ursprünglich auch die Hoffnung, dass zum Zeitpunkt der Album-Veröffentlichung die pandemische Lage überwunden sein und man in der Normalität auferstehen könnte. Aber das hat sich halt nicht ergeben und jetzt wird alles vielleicht noch etwas länger dauern. Dankeschön an alle Impfverweigerer.

Du sagtest im Vorfeld, dass es sich bei “Resurrection Day” nicht um ein Konzeptalbum handelt. Für mich klingt das allerdings schon danach, als ob Du in Deinen Texten ein bestimmtes Thema immer wieder konzeptionell aufnimmst…

Ja, klar. Ein gewisses Konzept ist sicherlich schon vorhanden. Aber ein Konzeptalbum im eigentlichen Sinn verfolgt ja sonst immer eine starre Geschichte in einer bestimmten Reihenfolge. Die Songs auf “Resurrection Day” sind aber zum Beispiel nicht chronologisch korrekt aneinandergereiht. Und der Song “Black Room” hat beispielsweise gar nichts mit diesem Thema zu tun. Es gibt aber schon einen roten Faden, der sich so durch die Stücke zieht.

Gab es in diesem Zyklus der Menschheitsgeschichte aber ein Thema, das für Dich besonders in den Fokus gerückt ist? Oder verteilt sich das auf die zwölf beziehungsweise elf Songs?

Das wollte ich schon gleichbleibend auf die Songs verteilen. Als wir mit den Arbeiten begonnen haben, hatte ich schon die meisten Melodien und Basic-Riffs als auch die Texte und Songtitel. Allerdings haben wir alle vier an den Songs gefeilt und sie das erste Mal richtig im Teamwork ausgearbeitet. Selbst Lucky (Vassilios Maniatopoulos, Anm. d. Red.) als Schlagzeuger hat ein paar richtig gute Ideen beigesteuert. Und… War das jetzt die Antwort auf die eigentliche Frage oder habe ich mich verzettelt (lacht)?

Alles gut, Du hast eigentlich die nächste Frage schon fast mit beantwortet. Diese hätte nämlich gelautet, ob die Songs schon für zwei Gitarren angelegt waren, als Du sie geschrieben hast oder ob sich die Arrangements einfach auf natürlichem Wege ergeben haben…

Absolut. Als ich anfing an den Songs zu arbeiten, war Marcos (Rodriguez, Anm. d. Red.) ja noch in der Band. Aber schon damals hatten wir langfristig den Plan ausgeheckt, dass wir zusammen mit Marcos, auch Stefan (Weber, Anm. d. Red.) als weiteren Gitarristen dazu holen wollten. Als Marcos dann nach dem ersten Teil unserer Tour aus privaten Gründen die Band verlassen musste, fragten wir natürlich als erstes eben bei Stefan an. Er wusste ja ohnehin, dass er als Gitarrist vorgesehen war. Weil wir aber den Plan hatten, fortan mit zwei Gitarristen zu spielen, haben wir Jean (Bormann, Anm. d. Red.) gleich noch dazu geholt. Stefan kenne ich schon viele Jahre, denn er hat unter anderem auch bei unserer Booking-Agentur gearbeitet und außerdem bei Marcos zweiter Band (DIO LEGACY, Anm. d. Red.) als Gitarrist mitgewirkt. Jean haben wir vor ein paar Jahren in Duisburg kennengelernt, als er mit seiner damaligen Band vor uns aufgetreten war. Es gab also eigentlich keine großartigen Auditions, weil die beiden musikalisch und menschlich sehr gut zu uns passten. Die einzige offene Frage war nur noch, wie die beiden miteinander auskommen würden. Das ist bei Gitarristen ja immer so eine Sache. Glücklicherweise hat sich aber schnell gezeigt, dass die beiden keine Egomanen sind und wir echt ein tolles Team geworden sind.

Warum wolltet Ihr überhaupt wieder mit zwei Gitarren arbeiten? Als Trio haben RAGE doch eigentlich super funktioniert…

Das war eine komische Sache. Ich hatte ja sehr lange mit Victor Smolski (Gitarrist der Band zwischen 1999 und 2015, Anm. d. Red.) zusammengearbeitet. Für ihn stand es nie zur Debatte, dass ein zweiter Gitarrist bei RAGE spielen würde. Insofern war das über einen langen Zeitraum gar kein Thema mehr und ich hatte die Möglichkeit mit zwei Gitarren zu arbeiten komplett aus den Augen verloren. Ich hatte mich so an das Format Trio gewöhnt, dass ich an weitere Optionen nicht mehr gedacht habe. Allerdings haben wir uns in den letzten fünf Jahren mehr an den 90ern orientiert, als wir mit zwei Gitarren gespielt hatten und diese Songs auch verstärkt ins Live-Programm aufgenommen. Marcos musste dann die entsprechenden Passagen immer für eine Gitarre neu arrangieren. Irgendwann ist der Groschen dann aber gefallen (lacht).

Für mich ragt auf “Resurrection Day” besonders der Song “Arrogance And Ignorance” heraus. Der Track ist super aggressiv und bietet gerade stimmlich eine schöne Abwechslung. Welche Idee steckt dahinter?

Es geht darum, dass wir Menschen so arrogant sind zu glauben, wir seien die Krone der Schöpfung und dabei alles um uns herum ignorieren. Das hat uns an einen Punkt gebracht, an dem die Natur zurückschlägt und wir vor den Trümmern des Planeten stehen. Das wird besonders in der zweiten Strophe deutlich, in der ein junger Mann vor seinem brennenden Haus sitzt und es ihm wie Schuppen aus den Haaren fällt, dass er besser früher mal nachgedacht hätte. Musikalisch war das ja schon seit längerem so ein Reiz bei RAGE, aggressive und thrashige Elemente mit hymnenhaften Melodien zu verbinden. Das ist in diesem Song schön gelungen, wie ich finde. Es ist übrigens auch nicht das erste Mal, dass ich growle. Richtig draufgeschafft habe ich mir diesen Gesangsstil auf der “21” mit dem Song “Serial Killer”.

Wollt und könnt Ihr die orchestralen Elemente mit auf die Bühne nehmen?

Also wir können natürlich nicht bei jeder Show ein Orchester dabeihaben. Wir werden das machen, wie auch in der Vergangenheit schon des Öfteren. Wenn sich die Gelegenheit bietet, treten wir tatsächlich mit einem Orchester auf und werde die Stücke richtig live spielen. Das haben wir früher schon öfter mal auf Festivals gemacht. Auf eine komplette Tour kann man aber kein Orchester mitnehmen, dass wäre logistisch und auch von den Kosten her nicht machbar. Wir sind ja nicht METALLICA (lacht). Aber selbst die würden das wohl nicht machen (lacht). Ansonsten werden die Passagen dann vom Band kommen, man will die Songs ja nicht nicht spielen.

Ihr habt diesen Sommer unter anderem auf dem Rock For Animal Rights-Festival gespielt. Habt Ihr einen persönlichen Bezug zu dem Thema?

Eher weniger. Natürlich stehe ich der Schöpfung insgesamt schon sehr nahe und finde es auch wichtig, dass wir unsere Mitwesen nicht alle ausrotten. Auch sollten wir unsere Nutztiere deutlich besser behandeln. Bei Rock For Animal Rights geht es aber nicht um Tierschutz-Projekte sondern tatsächlich mehr darum, dass Tierrechte in der Gesetzgebung verankert werden. Aber in jedem Fall war es für uns auch ein wichtiges Statement.

Was steht als nächstes an?

Für November/Dezember haben wir eine Europa-Tour gebucht. Davor gibt es vereinzelte Gigs, wie zum Beispiel eine Bootstour auf dem Bodensee und ein Festival in der Eifel. Bis jetzt steht noch alles und hoffentlich bleibt es dabei. Aber in den heutigen Zeiten kann sich innerhalb von zwei Wochen ja alles noch einmal ändern. Je nachdem, wie sich die Lage entwickelt, haben wir aber auch die Option für eine Tour-Verschiebung. Aber egal was passiert, keine der Shows wird ersatzlos gestrichen, denn wir haben für jeden Termin auch einen Ersatztermin nächstes Jahr geblockt. Trotzdem wäre es toll, wenn sich die Fans Tickets besorgen, weil man sonst überhaupt nicht kalkulieren kann. Speziell für die örtlichen Veranstalter ist das natürlich wichtig. Eine Show und eine Tour müssen halt auch wirtschaftlich bleiben.

Die Musik- und Kunstszene war ja von Beginn an gearscht. Wir waren die ersten die nicht mehr arbeiten konnten und werden auch die letzten sein, die wieder normal arbeiten können. Auch für die Fans tut mir das total leid, es ist halt für alle eine beschissene Situation. Man muss es auch deutlich für alle, die immer noch zögern sagen: Ohne Impfen werden wir da nie rauskommen. Wenn Ihr Konzerte sehen wollt, dann lasst Euch impfen.

Weil wir gerade bei Livemomenten sind: Erzähl uns doch bitte von Deinem schönsten Erlebnis auf der Bühne…

Oh, da gibt es natürlich deutlich mehr als eins. Aber ganz besonders war unsere erste Show mit einem Live-Orchester. Das war auf der Burg in Kufstein, wo wir auf einer BMG-Tagung zusammen mit Künstlerinnen wie Chaka Khan aufgetreten sind. Wir durften dann als letztes auf die Bühne. Im Dunkeln mit Fackeln überall und in diesem Ambiente mit Orchester… Das war schon sehr herzerwärmend.

Oder auch die erste Japan-Tour. Wir waren zuvor noch nie in diesem Land gewesen und das war schon ein ziemlicher Kulturschock. Wir spielten eine Show, die schon nachmittags um 17 Uhr beginnen sollte. Da standen bereits 3.000 völlig ausrastende, kreischende Schulmädchen in Uniformen und mit Zöpfen. Die haben uns begrüßt, als seien wir die BACKSTREET BOYS. Das werde ich auch nie vergessen (lacht).

Vielen Dank für Deine Zeit und ich wünsche Euch alles Gute.

Sehr gerne, danke für Eure Unterstützung. Und viele Grüße an alle Fans und die Leser.

15.09.2021

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