Ihsahn
Mit zwei EPs einen Gang herunter schalten
Interview
IHSAHN hat zwei EPs, „Telemark“ und „Pharos“, veröffentlicht, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Auf der einen Seite widmet sich „Telemark“ den ursprünglicheren Klängen des Norwegers, mit denen er sich ein Stück weit auf seine Wurzeln (EMPEROR) besinnt. Auf der anderen Seite steht „Pharos“ für die experimentellere Seite seines Sounds, mit dem er ungewohnt direkt ins Popmusikalische vorstößt. Was es mit der Veröffentlichung der beiden Werke als separate EPs auf sich hat, was der ursprüngliche Plan vor COVID gewesen ist und wie es von hier an weitergeht, hat uns ein gut aufgelegter IHSHAN beim Skype-Interview erzählt.
Hallo IHSAHN, wie geht es dir, gerade in einem verrückten Jahr wie diesem?
Es ist, was es ist. Wir können alle von Glück sagen, dass wir dieser Tage die Möglichkeit wie hier über Skype haben, miteinander zu kommunizieren. Es ist praktisch. Ich habe auch schon viele Interviews via Zoom gemacht, was ja dieser Tage in Sachen Popularität regelrecht explodiert ist. Und neulich ist mir etwas Neues begegnet als ich mit jemandem aus Brasilien gesprochen habe. Und das nennt sich „Streamyard“, das glaube ich nach einem ähnlichen Konzept funktioniert, aber in extrem guter Qualität ohne Macken und dergleichen.
Und sonst, gerade im Bezug auf die andauernde Pandemie?
Ich denke, dass ich da sehr viel Glück gehabt habe. Meine Frau und ich sind seit über 20 Jahren in der Lage, von zu Hause aus zu arbeiten, da wir ein Studio zu Hause haben. Da hat sich für uns praktisch wenig geändert, abgesehen davon, dass die Kinder nun Zuhause sind, statt in der Schule. Norwegen ist ein vergleichsweise kleines Land mit einem [Gesundheits-]System, das den Menschen helfen kann. Ich kann in persönlicher Hinsicht da überhaupt nicht klagen.
In professioneller Hinsicht dagegen ist es schon ein schwerer Einschnitt für uns alle. 2020 sollte für IHSAHN ein großes Live-Jahr werden mit meinen beiden Solo-EPs, es sollte Shows von mir sowie von EMPEROR geben. Was ein bisschen Trost spendet, ist, dass es allen so geht, sodass es hier kein Einzelschicksal zu beklagen gibt. Insofern kann ich mich nur wiederholen: Ich hatte Glück gehabt, dass ich in der Lage war, aus der Not eine Tugend zu machen und mich wieder der Produktion neuen Materials zu kümmern, zum Beispiel das neue Soloalbum von Matt Heafy von TRIVIUM. Und nun, da dieses Projekt so gut wie fertig ist, habe ich angefangen, mir Gedanken über mein eigenes, nächstes Soloalbum zu machen. Das wird dann auch meine Hauptpriorität für den Rest des Jahres sein.
Im Grunde ist das auch das beste, was man als Musiker machen kann: Nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern kreativ bleiben, oder?
Ja. Und ich kann wirklich von Glück reden – wieder – gerade wenn ich sehe, wie schwer es die älteren Semester der Musikindustrie in diesen Zeiten haben. Wie zum Beispiel Sessionmusiker oder Leute, die hauptsächlich in der Live-Produktion arbeiten, auch die Live-Techniker und dergleichen. Die verlieren in diesen Zeiten praktisch alles. Da muss man sehen, wo man bleibt. Und wenn man die Mittel hat, sollte man diese einsetzen und dran bleiben, was für jeden von uns gilt, damit wir etwas haben, zu dem wir zurückkehren können, sobald sich die Situation hoffentlich bald wieder normalisiert.
Wo wir gerade dabei sind: Was hältst du denn davon, Live-Shows zumindest vorübergehend mit beschränkten Sitzplätzen, Autokinos oder Streams zurück zu bringen?
Das ist sehr schwer zu sagen. Ich kann hier eigentlich nur für norwegische Verhältnisse sprechen, aber mir scheint, als wären generell ein paar sehr unlogische Schritte vorgenommen worden. Wir haben Bars und Kneipen wieder geöffnet, du weißt schon: Öffentliche Örtlichkeiten, in denen Alkohol ausgeschenkt wird. Und wenn du etwas über Betrunkene weißt, dann, dass sie Abstandsregeln selten folgen. (lacht) Und ich weiß, dass sie bei euch ein paar Fußballstadien wieder geöffnet haben, weil das wohl kulturell so bei euch verankert ist.
Aber dann ist da die Situation, dass Live-Shows nur unter extremen Auflagen gespielt werden dürfen. Das sei dann wohl schwer unter Berücksichtigung von Abstandsregeln zu organisieren. Es ist sehr komplex und schwer, natürlich auch aufgrund der Situation hinsichtlich der Produktion und all der Leute, die vor und hinter der Kulisse arbeiten. Die Leute, die davon leben, haben es halt jetzt schwer. Und Live-Shows quasi mit diesem Schutzumschlag sind daher meiner Meinung nach auch nur ein kleines Trostpflaster in diesen Zeiten.
Aber „Pharos“ war ja schon vor dem Ausbruch der Pandemie fertig, oder?
Ja, das hatte ich fertig, bevor irgendetwas passiert ist. Der Grund, warum daraus zwei EPs und nicht ein neues IHSAHN-Album geworden ist, und der Grund, warum diese derart versetzt veröffentlicht worden sind, ist, dass diese der Beginn von etwas Neuem darstellen sollen. Das sollte dann jeweils in einem Live-Set erweitert werden. Die Idee hinter „Telemark“ und „Pharos“ ist, die zwei Extreme von IHSAHN voneinander zu isolieren und getrennt darzustellen. Ich sollte ja das Live-Set zu „Telemark“ beim Inferno Festival uraufführen.
In der Praxis sollte die Setlist um „Telemark“ herum gestaltet sein, sodass sich die Songs dieser EP mit den ähnlichen Tracks aus meinem Katalog ergänzen. Und ich hatte vor, diese Shows dann durch den Sommer hindurch zu spielen. Und mit „Pharos“ wollte ich eine Europatour mit dem selben Prinzip spielen, wo ich die Songs aus meinem Katalog rauspicke, die so wie diese zweite EP klingen, mit denen ich ein Set um die neuen Tracks herum gestalten wollte. Es sollte einfach mal etwas anderes sein. Es sollte eine Herausforderung an mich selbst sein, meine Live-Umwelt in einer anderen Art und Weise zu erkunden. Aber aufgrund der Situation waren es eben „nur“ zwei EPs und ein paar Musikvideos dazu.
War die Arbeit an beiden EPs vergleichbar mit der Arbeit an einem Album?
Es war seltsamerweise viel leichter, als ein Album aufzunehmen. Besonders „Telemark“ war eine ziemlich einfache Sache. Es war im Grunde einfach alles das, was ich seit Beginn meiner Karriere schon gemacht habe. (lacht) Es war eine intuitive Angelegenheit, so als wäre es beiläufig entstanden. „Pharos“ dagegen war deutlich herausfordernder, da es hier um die Erkundung neuer Sounds ging. Meine Erfahrung mit vielen dieser Sounds ist entsprechend limitiert [sic!], auf der anderen Seite erlaubt das kurze EP-Format eben, dass man sich nicht so sehr um die Struktur der Trackliste kümmern muss wie bei einem Full-Length-Album.
Ein Full-Length-Album sollte immer eine gewisse Balance aufweisen. Es ist einfach komplizierter, zehn Songs zusammen zu bringen, quasi eine musikalische Reise auf einem Album zu unternehmen, als drei Songs und zwei Cover aufzunehmen, die irgendwie einfach zusammenpassen. Es war also einfacher, beides im EP-Format einzuspielen. Es sind immer noch zehn Songs, die aufgenommen werden mussten, es steckt also die Arbeit des Einspielens, des Aufnehmens, des Abmischens etc. drin.
Es war trotzdem einfach mal nett, nicht den Druck dahinter zu haben, daraus eine stringent fließende IHSAHN-Platte machen zu müssen. Ich habe praktisch in meiner Karriere konstant Full-Length-Alben im Zwei-Jahres-Rhythmus veröffentlicht seit ich 16 war. Da kann man auch mal einen Gang herunter schalten.
Und dann änderst du deine Ausrichtung ja auch mit jedem Release.
Ja das ist eines der Privilegien, die man als Solokünstler hat: Nicht an einen bestimmten Bandsound oder an ein bestimmtes, eingespieltes Ensemble gebunden zu sein. Es bietet sich an, als Solokünstler richtig kreativ zu werden. Und das ist auch speziell unter dem IHSAHN-Banner immer mein Ansatz gewesen, meine Leidenschaft, meine Arbeitsweise.
Das EP-Format bietet sich aber auch für solche Ausflüge an, speziell mit „Pharos“.
Absolut. Ich nutze hier mal eine eher krude Analogie: Ein Studioalbum ist wie der Hauptgang beim Essen, während eine EP eher so etwas wie ein Appetizer ist. Da kann man etwas unbeirrter dran gehen als an das Album. „Telemark“ ist ein wunderbares Beispiel dafür, da sind ja sogar einige Folk-Passagen dabei. Es ist ein sehr spezifisches Konzept, es hat eine sehr distinktive Farbe, so distinktiv gar, dass ich es schwer finde, diese einem meiner Soloalben zuzuordnen. Aber für die EP ist der Sound ideal.
Und das trifft auch auf „Pharos“ zu, nur eben mit dem anderen Extrem des IHSAHN-Sounds. Beide EPs fußen darauf, dass ich Sounds erkunden kann, die für sich ziemlich weit auseinander liegen. Aber das Format macht es für mich eben möglich, ohne dabei auf die jeweils übergeordnete Struktur zu achten. Die Konsistenz ist einfach in beiden Fällen gegeben.
Ich habe den Eindruck gewonnen, dass „Pharos“ weniger experimentell in puncto IHSAHN-Songwriting, mehr in Richtung Sounddesign und Produktion ist.
Es ist eben ein Gegenetwurf zu „Telemark“. Bei „Telemark“ habe ich alles auf Ursprung zurück gedreht, zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug und geschriene Vocals. Das war einfach die Grundlage, mehr steckte da nicht dahinter. Ich habe mich dahingehend einfach auf das rohe Ausdruckspotential dieses ursprünglichen Sounds beschränkt. Das waren Brot und Butter für einen Großteil meiner Karriere. Und mit „Pharos“ wollte ich wiederum das von meiner Faszination für Popmusik trennen.
Und was mich so an Popmusik fasziniert – und Popmusik meint hier den allgemeinen Begriff, nichts Spezielles, was jetzt gerade läuft – sind einfach die Farben, mit denen man „malen“ kann. Mit dieser Art Soundpalette kann man einfach in verschiedensten Farben malen, während bei „Telemark“ vieles mehr schwarzweiß erscheint. Aber nicht falsch verstehen: All diese Projekte sind für mich gleichermaßen lehrreiche Erfahrungen. Das eine soll das andere nicht ausschließen. Für mich überschneiden sich diese beiden Facetten, sie machen den Sound von IHSAHN aus.
Pop hat heutzutage zugegeben einen schlechten Ruf aufgrund der massenproduzierten Standardware, die in die Charts gewuchtet wird.
Absolut. Nimm nur einmal die beiden Coverversionen von „Pharos“, „Roads“ von PORTISHEAD und „Manhattan Skyline“ von A-HA. An sich, wenn du die Originale hörst, sind die beiden Songs grundverschieden. PORTISHEADs Version und damit einhergehend auch die Coverversion hier sind beide eher minimalistisch. Die Performance von PORTISHEAD ist sehr ruhig, soft, aber die Sounds, die sie verwenden, stehen fast an der Schwelle zum Dystopischen. Es herrscht eine extreme Spannung in der Musik, obwohl sie so sanft zum Ausdruck gebracht wird.
Aber dann hast du das A-HA-Cover, das sich in mehrere Teile unterteilt. Du hast diesen getragenen Synth-Part, der dann aber in eine treibendere Gitarren-Sektion übergeht, wobei sich hier sogar die Taktart ändert. Das rockt ziemlich, speziell für A-HA-Verhältnisse. Und nach diesem Larger-Than-Life-artigen Refrain kehrt der Song wieder zum ruhigeren Part zurück.
Ich liebe beide Bands gleichermaßen. Und diese beiden Songs im Speziellen auf „Pharos“ repräsentieren sozusagen vier verschiedene Klangfarben, die ich generell auf der gesamten EP erforschen wollte. Und vor allem beim A-HA-Song ist das Songwriting einfach auf den Punkt gebracht. Es ist erstaunlich komplex im Gegensatz zu dem, was man als Popmusik erwartet.
Wo wir gerade von „Manhattan Skyline“ sprechen: War Einar Solberg die offensichtliche Wahl als Stimme für deine Coverversion?
Oh ja. Er ist vermutlich der einzige in meinem Umkreis den ich kenne, der das kann. Der Gesang von Morten Harket ist nicht gerade etwas, was man einfach so nachsingen kann. Er hat eine ziemlich weit reichende Stimme, weshalb Einar für mich der einzige war, der da nah genug heran kommt, um für das Cover singen zu können. Und er hat das wirklich richtig gut gemacht.
Ich will da jetzt nicht zu prätentiös klingen, aber wenn du beispielsweise ein Symphonieorchester nimmst, dass eine klassische Suite einstudiert, dann versucht dieses, daraus das klanglich Beste zu machen. Das sehe ich in puncto Covern ganz ähnlich und das ist irgendwie auch das Schöne daran: Du spielst nicht einfach nur ein Lied nach, sondern eignest es dir gewissermaßen an. Du versuchst dich quasi in den Schaffensprozess der Band hinein zu versetzen, versuchst den Eindruck nachzuempfinden, den das Original hinterlassen hat. Und entsprechend habe ich versucht, das Potential der Komposition auszuschöpfen.
Hat „Pharos“, der Leuchtturm und/oder die Insel, irgendeine besondere Bedeutung für dich?
Ja, der Leuchtturm als solcher ist eine Metapher, die ich ganz gut finde. Man kann sehr viel darüber philosophieren. In meinem Falle wollte ich erstmal etwas, das weit weg ist, das eine gewisse Distanz impliziert. Allerdings nicht im Sinne von Isolation, mehr im Sinne von einer Reise, die vor einem selbst liegt. Es ist ein Kontrast zu „Telemark“, meiner Heimat, wo ich meine Wurzeln habe. „Telemark“ handelt von all dem, was vertraut ist, während „Pharos“ all das repräsentieren soll, was vor einem liegt.
„Pharos“ spezifisch referenziert eines der Weltwunder und steht synonymisch für einen Leuchtturm. Und überhaupt kann ein Leuchtturm eine sehr symbolische Bedeutung annehmen. Beispielsweise kann er ein Ziel darstellen. Oder er kann einem verirrten Schiff signalisieren, dass Land in Sicht ist. Aber der Leuchtturm von Alexandria im Speziellen hatte auch eine strategische Bewandtnis. Nicht nur sollte er Schiffen den Weg zeigen, sondern das Licht wurde auch abgestellt, je nach dem, wen man an Land gehen lassen wollte. Es ist also auch eine Metapher dahingehend, was man in sein Leben einlädt und was nicht. Es gibt noch mehr, was man da rein interpretieren kann, aber das ist jetzt nur mal das, was mir so spontan in den Sinn kommt, auch bezüglich der EP.
Und zum Abschluss: Du hast erwähnt, dass ein neues IHSAHN-Projekt in der Mache ist. Wie wird sich die Arbeit an den EPs darauf auswirken?
Ich versuche natürlich, von beiden EPs etwas mitzunehmen in die Arbeiten zum neuen Album. Aber konzeptionell und klanglich nimmt das Album vermutlich ganz andere Formen an im Gegensatz zu den beiden. Sei also einfach mal gespannt auf das, was kommt.
Dann danke ich dir für die Zeit und wünsche dir weiterhin frohes Schaffen.
Danke, gleichfalls.