Charlotte Wessels
In deinem Kopf sind die Dinge oft hundertmal schlimmer, als sie es in der Realität sind!

Interview

Das klingt nach viel Teamwork!

Ja, auf jeden Fall! Das schätzte ich tatsächlich auch mehr als zuerst erwartet. So hat z.B. Vikram Shankar Orchester- und Klavier-Arrangements für dieses Album gemacht. Anfangs dachte ich, mir gefällt was ich da gemacht habe – und es ist bei Weitem nicht so, als wäre das alles ersetzt worden, es ist schon noch was davon da – und ich schicke ihm nur mal ein, zwei Songs für größere Orchesterteile. Aber dann hatte ich ihm die ersten zwei Songs geschickt und war total geflasht vom Ergebnis. Danach schickte ich ihm dann alle Songs. In manchen Tracks sind es nur ein paar subtile Sachen, in manchen wirklich große, bombastische Orchesterparts. Das ist eins dieser Dinge wo ich dachte “naja, vielleicht ein bisschen“, und jetzt ist er in alle Songs auf dem Album involviert, was wirklich toll ist. Genauso Timo. Weißt du, für dieses Album fühlte ich eine ganz andere Verantwortung. Wenn du der Produzent für ein Album bist, das du ganz alleine in deinem Keller aufnimmst und das Album floppt, dann ist das nur blöd für dich. Aber jetzt ist das etwas ganz anderes, jetzt fühle ich mich für die Arbeit der anderen mitverantwortlich, die stecken alle Herz und Seele hinein. Es ist ein wundervolles Gefühl, dass mir dieses Vertrauen geschenkt wird, und ich bin auch sehr glücklich über das Engagement aller über das von mir Gewünschte hinaus. Timo war immer nur einen Telefonanruf weit weg während des Mischens und Masterns. Er war wirklich super hilfreich und unterstützend. Es fühlte sich unglaublich gut an, diese Phase der Selbsteinkehr zu haben, in der man die Songs schreibt, aber gleichzeitig auch die Möglichkeit zu haben, sie danach auf Patreon zu stellen und die Reaktion der Leute darauf zu sehen. Quasi direkt mitzubekommen, ob man es schafft, seine Geschichte zu vermitteln. Und dann in diesen kreativen Prozess mit der Band zu gehen. Das war wirklich großartig!

Die Leidenschaft und Freude, die alle hinein gesteckt haben, spürt man richtig im Sound. Das ganze Album gefällt mir sehr gut!

Vielen Dank! Hast du einen Lieblingssong?

Ja, sogar mehrere! Einer davon den ich gerade einfach sehr gerne höre ist “Chasing Sunsets“. Der andere, mit dem ich mich thematisch sehr identifizieren kann, ist “The Crying Room“. In diesem Song geht es um innere Kämpfe und Bedenken davor, Dinge zu tun aus Angst vor dem Scheitern. Der Song stellt aber auch die Frage: Was wäre, wenn? Kämpfst du auch mit diesem “was wäre, wenn“, und hast du einen Rat, wie man am besten damit umgeht?

Ich bin nicht sicher, dass ich die geeignetste Person bin um da einen Rat zu geben. In vielen von diesen Songs geht es um die Dinge, mit denen ich am meisten kämpfe. Die Tatsache, dass ich so sehr damit kämpfe sagt ja schon, dass ich noch kein Rezept dagegen gefunden habe. Was ich aber damit erreichen will, wenn ich darüber schreibe ist, dass sich andere, die sich damit quälen, vielleicht weniger alleine fühlen und sie das Gefühl bekommen, dass es ok ist, darüber zu sprechen. Oft hilft es einfach, darüber zu reden. Das ist vielleicht ein guter Rat: sprich darüber! In deinem Kopf sind die Dinge oft hundertmal schlimmer als sie es in der Realität wirklich sind. Denn selbst wenn die Dinge schieflaufen – was würde das bedeuten? Wäre es wirklich das Ende der Welt? Deshalb denke ich, es ist gut, darüber zu reden, und in meinen Songs versuche ich es so rüber zu bringen, dass man sich damit identifizieren kann. Aber gerade zu The Crying Room gibt es ein gutes Beispiel. Da hatte ich letztens quasi aus dem Nichts eine komplette Krise. Wir waren am Proben, und auf einmal mitten während der Probe stand ich kurz vorm heulen, weil mir auf einmal der Gedanke durch den Kopf schoss “Du hast The Crying Room geschrieben. Da geht es darum, Angst vor dem Versagen zu haben. Was ist, wenn ich den Song live singe und dabei versage, den Song übers Versagen live zu singen?!“ Dieser Gedanke plagte mich, während ich den Song in der Probe sang, und verursachte mir wahre Hitzewallungen. Ich platzte direkt danach in der Gruppe mit diesem Gedanken raus, und dann bekam es tatsächlich etwas spaßiges. Den Gedanken zu teilen hat ihm die Schwere genommen. Ich weiß nicht ob sie gemerkt haben, dass ich in dem Moment voller Panik war, aber als ich es laut aussprach, klang es schon fast lustig. Das hat also wirklich geholfen.

Zum Thema: Sprich darüber! Mit “The Obsession“ wirst du bei einigen Menschen einen Nerv treffen, denn du gehst sensible und wichtige Themen an, über die die wenigsten offen sprechen. Wann und warum hast du entschieden, diese Themen mit der Öffentlichkeit zu teilen, und wie fühlst du dich dabei?

Das ist eine Medaille mit zwei Seiten. Die eine Seite ist: Schreibst du darüber? Und die andere: Wirst du es auch mit jemandem teilen? Ich habe herausgefunden, dass es mir auf einem persönlichen Level sehr hilft, über etwas zu schreiben. Und ich sagte ja schon, es ist gut, darüber zu sprechen. Es gibt aber Dinge, bei denen tut man sich schwerer, darüber zu reden. Oder man kann vielleicht noch nicht darüber sprechen. Wenn ich mich wegen etwas wirklich sehr, sehr, sehr schrecklich fühle, dann schreibe ich darüber, dann geht es mir ein kleines bisschen weniger schlecht. Das darüber Schreiben ist der einfache Teil. Die Frage, ob man es teilt, ist dann die Wahl, die man bewusst treffen muss. Die Überlegung ist dann: Zerre ich das hier wirklich ans Tageslicht? Es könnte möglicherweise peinlich oder seltsam oder merkwürdig wirken. So in der Art “Bitteschön, hier sind meine Schwächen!“. Diese Entscheidung wird definitiv von dem Moment beeinflusst, in dem ich das Gefühl habe, ich bin nicht die Einzige die das gerade durchmacht. Wenn ich schreibe frage ich mich oft, welchen Song, den es gerade nicht gibt, würde ich jetzt in dieser Situation gerne hören? Dann hoffe ich, wenn es anderen Menschen genauso geht, dass es ihnen auch etwas Trost bringt wenn ich darüber schreibe. Über die Jahre habe ich so manche dumme Sache gemacht und Leute haben mir gesagt, dass gewisse Dinge blöd waren, aber mir wurde nur ein einziges Mal gesagt “Diese Lyrics waren aber wirklich…“. Ich bin viel glücklicher, wenn es vielleicht einer Person hilft, als wenn zehn Leute denken, das ist zu viel Information.

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Quelle: Interview mit Charlotte Wessels
13.09.2024

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