Cradle Of Filth
Vom Übernatürlichen besessen
Interview
II. Alte Platten, die Metal-Szene und Opern
Manchmal kann man ja auch noch nach Jahren weiter mit Veröffentlichungen arbeiten. Ihr habt viele Wiederveröffentlichungen und Remixes herausgebracht.
Ja und wir werden mit „Cruelty and the Beast“ im nächsten Jahr zum Jubiläum weitermachen. Wir werden das Album vollständig remixen. Wir haben schon angefangen und es wird gut werden. Es wird sehr modern, alles klingt groß, aber wir werden die Atmosphäre des Albums bewahren. Es darf nicht zu glattpoliert sein. Das wird eine Menge Arbeit. Auch das Artwork soll dem entsprechen, das wird sehr interessant! Das Album war immer ein Favorit der Fans.
Warum habt ihr eigentlich euer Bandjubiläum nicht gefeiert? Andere Bands nutzen ja jede Gelegenheit, um sowas zu zelebrieren.
Jedes Jahr ist ein Jubiläum! Ich finde sowas ein bisschen bescheuert. Ich habe eigentlich auch keine Lust an einem Abend nur ein einziges Album zu spielen. Das ist doch öde. Vielleicht irgendwann, keine Ahnung. Aber wie gesagt, eigentlich könnten wir dann jedes Jahr sowas machen.
Aber eine neue Live-Platte könnt ihr schonmal wieder machen, oder?
Ja, absolut. Wir werden unseren Auftritt beim Loud Park Festival in Tokio mitschneiden. Wenn es gut läuft, wird es dazu wahrscheinlich eine DVD oder so geben. Es wird jedenfalls eine riesige Show. Wir geben eine Menge Kohle dafür aus, von daher… es wird einige spezielle Dinge geben, an denen wir im Moment arbeiten. Es ist ja noch etwas Zeit bis zum 24. Oktober.
Wo wir gerade von Remix-Alben sprechen. Wie stehst du heute zu einem Album wie „From The Cradle To The Enslave“?
Für uns war das eine Übergangsveröffentlichung. Es steht zwischen dem alten und klassischen neuen Lineup. Das erwähnenswerteste an dem Album ist das großartige Video zum Titeltrack. Wir haben mit den gleichen Leuten „Cradle Of Fear“ aufgenommen, welches im Grunde eine längere Version des Videos ist. Es war eine gute Zeit. Wir wussten damals nicht, wohin sich die Band bewegen wird, weil der Drummer, Gitarrist, Keyboarder und Bassist innerhalb von kürzer Zeit ausgestiegen waren. Die Zeit war turbulent und wir wurden sehr, sehr groß. Leute in unserem Umfeld machten sich Sorgen und dann haben wir dieses sehr brutale Video. Die Leute in der Industrie haben gesagt, dass das nicht funktionieren wird. Das Gegenteil war der Fall – wie Leute liebten es, obwohl es sehr brutal war.
CRADLE OF FILTH wird von vielen Leuten als sehr provokativ und brutal angesehen…
Nein, viele Leute zählen CRADLE OF FILTH nichtmals mehr zu den extremen Bands. Wir machen unser eigenes Ding und deshalb glaubt man manchmal, dass wir etwas verrückt sind. Wie zum Beispiel dieses Jesus-Shirt. Für uns war das nur ein Gimmick und wir fanden das sehr lustig. Wir haben uns tagelang darüber kaputtgelacht wie Leute damit rumlaufen. Es wurde am Ende legendär, aber letztlich ist es nur ein Nebenprodukt der Band. Trotzdem denken viele Leute in der Black-Metal-Szene, dass wir zu poserhaft und kitschig sind, andere denken genau das Gegenteil. Es kommt wohl auf die Perspektive an. Wenn du sonst auf BON JOVI, MÖRTLEY CRUE und WARRANT stehst, dann sind wir wohl eine extreme Metalband. Aber wenn du auf BURZUM oder RUINS OF BEVERAST stehst, dann siehst du uns eher bei BON JOVI. (lacht)
RUINS OF BEVERAST? Hast du das neue Album von denen gehört?
Ja, ein Freund spielt bei einer Band namens STAHLSARG und war schon oft mit ENDSTILLE unterwegs. Er hat mir einiges davon vorgespielt und empfiehlt mir ständig haufenweise Sachen. Mein Freund ist eine Art wandelndes Lexikon – „Psychopedia“.
Verfolgst du heute noch neuere extreme Metalbands? Oder meinst du, dass du inzwischen alles gehört hast?
Um ehrlich zu sein, ich bekomme ja ziemlich viel Promo-Material für umsonst und erhalte auch viele Empfehlungen von verschiedenen Leuten. Und dann habe ich ja auch noch das ganze Zeug, dass ich ohnehin schon gerne höre. Wenn ich also etwas höre, das mir sehr gut gefällt, dann kaufe ich es mir auch, aber ich bin halt keiner von diesen Typen, die jedes Album kaufen, das einen Patronengürtel oder einen Kerl mit Corpsepaint auf dem Cover hat. Tatsächlich schaue ich auch manchmal, was mir bei Amazon empfohlen wird. Dabei bin ich schon auf einige seltsame sowie wundervolle Bands gestoßen und kann mir auf diesem Wege einige Kirschen aus der Masse herauspicken.
Liest du dir bei der Gelegenheit durch, was für Bewertungen eure Alben bei Amazon bekommen?
Also… (zögert kurz)… ja, das mache ich tatsächlich manchmal. Aber natürlich auch die Reviews in Magazinen, das ist immer ganz interessant. Von Kommentaren auf Blabbermouth halte ich mich inzwischen aber grundsätzlich fern. (lacht)
Mal zurück zur aktuellen Musikszene. Hast du dich schonmal mit Post-Black Metal befasst, also…
Oh, du meinst diese ganze Blackgaze-Sache?
Ja, diese inzwischen doch sehr große Szene, in der Black Metal auf Hardcore, Metalcore und Post-Rock trifft. Bist du an sowas interessiert?
Das gibt es ja schon eine ganze Weile. Wir waren vor einigen Jahren zum Beispiel mit BLEEDING THROUGH in den USA unterwegs, aber die sind ja eher Hardcore mit Black Metal-Einflüssen als umgekehrt. Da interessieren mich schon eher Blackgaze-Bands. Dieser hypnotische, dunkle Sound zieht mich geradezu magnetisch an. Sowas haben DEATHSPELL OMEGA schon vor acht Jahren oder so gemacht und dabei wunderbare Musik erschaffen. Es ist also nichts außerordentlich neues, wenn eine Band verschiedene Stile mixt, aber ich mag es trotzdem sehr. Das einzige, das sich ändert, sind die Bandnamen und die verschachtelten Genrebezeichnungen, die immer komplizierter und unaussprechlicher werden. (lacht) Aber Spaß beiseite: Ohne Zweifel gibt es immer wieder neue coole Bands, nicht nur im Black Metal sondern auch in anderen Genres.
Ihr habt mit CRADLE OF FILTH vor 20 Jahren ja auch angefangen, die Genregrenzen zwischen Black Metal, Death Metal und Gothic auszuloten.
Ja, exakt! Ich finde, du brauchst immer mal wieder Bands, die mit den Konventionen brechen. Das ist sehr wichtig, sonst kommt es zur Stagnation. Wie ein Teich, in den kein frisches Wasser mehr fließt. Und so war das ja damals im Black Metal, denn alle wollte so klingen wie DARKTHRONE auf „Panzerfaust“. Nicht, dass ich DARKTHRONE schlecht finde, aber einer meiner absoluten Favoriten im Black Metal sind dann doch eher CRAFT, die wie eine technisch ausgefeiltere Version von DARKTHRONE klingen. Absolut brilliant!
Das bringt uns ja auch irgendwie wieder zurück zu ANNIHILATOR, die auch immer etwas mehr als eine gewöhnliche Thrash Metal-Band sein wollten.
Ja, genau. Gerade auch was die Lyrics angeht, fand ich die ersten beiden ANNIHILATOR-Alben immer bemerkenswert. Sie sind sehr dicht und atmosphärisch, sodass man fast den Eindruck hat, dass jeder Song ein Kapitel eines düsteren Märchens ist. Das hat mich sehr beeinflusst.
Und welche Bands siehst du sonst noch als wichtige Einflüsse für CRADLE OF FILTH? Gerade hinsichtlich eurer Anfänge.
Oh, da gibt es so viele Bands. Als wir angefangen haben, haben Bands wie ANATHEMA, PARADISE LOST und MY DYING BRIDE mit ihrem Charlotte-Bronte-artigen Stil die Metal-Szene in England dominiert, das hat uns sicher ein Stück geprägt. Aber auch ganz andere Sachen wie der Soundtrack zu Francis Ford Coppolas „Dracula“ oder Jeff Waynes musikalische Version von „Krieg der Welten“. Ein bisschen TYPE O NEGATIVE und DISMEMBER kann man auf unseren frühen Releases auch finden. IRON MAIDEN und CELTIC FROST gehörten damals definitiv auch zu meinen Favorites. Wir haben uns schon immer gerne die Kirschen rausgepickt, also auf dem aufgebaut, was wir gut fanden und es weiterentwickelt.
Aber in so einer Band kommen ja letzten Endes verschiedene Einflüsse und Sichtweisen auf die Musik zusammen. Daniel (Firth, Bass) zum Beispiel, der von den Orkney-Inseln stammt, die zwischen Schottland und Norwegen leben, ist deutlich jünger als ich, aber am liebsten hört er sich die ganzen Thrash-Metal-Bands an, mit denen ich aufgewachsen bin. Vom Musikgeschmack hängt er also etwa 20 Jahre hinterher. (lacht)
Vielleicht passiert das, wenn man auf einer abgelegenen Insel aufwächst.
Ja, wahrscheinlich. (lacht nochmal) Nun, unser Gitarrist Richard liebt diese ganze Prog-Metal-Szene und mag Bands wie DREAM THEATER. Er hat Musikwissenschaft studiert, gibt Gitarrenunterricht und wirkt an verschiedenen Stellen als Session-Musiker mit. Einmal musste er sogar beim QUEEN-Musical einspringen. Ashok, unser anderer Gitarrist, weiß alles über klassische Rockbands wie VAN HALEN. Wenn es obskure Fakten über diese zu wissen gibt, dann weiß er sie.
Eine letzte Frage noch, wo wir gerade bei Musik im Allgemeinen sind: Beim Anhören eures neuen Albums dachte ich mir, dass das die beste Black-Metal-Oper ist, die ich je gehört habe. Wie siehst du das?
Ja, ein bisschen ist es schon wie eine Oper, wenn man sich die Chöre anhört, aber natürlich auch die ganzen Taktwechsel und die dramatischen Steigerungen hat es was von einer Oper.
Interessierst du dich denn generell für sowas? Opern? Musicals?
Also Musicals nicht wirklich. Abgesehen von Jeff Waynes „Krieg der Welten“, wenn man das als Musical bezeichnen kann. Das ist eines meiner absoluten Lieblingsalben. Für Opern interessiere ich mich schon eher, aber ich finde nur selten die Zeit, eine Aufführung zu besuchen. Die letzte, in der ich war, war (überlegt kurz) eine Vorstellung von Mozarts „Reqiuem“.
Schönes Schlusswort! Wir danken für das Gespräch!
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