In Flames
Interview mit Gitarrist Jesper Strömblad zu "Come Clarity"
Interview
Die Veröffentlichungsmaschinerie rollt wieder. Mit „Come Clarity“ präsentierten IN FLAMES bereits das achte Studioalbum innerhalb zwölf Jahren und präsentierten sich nach dem ungeliebten Vorgänger „Soundtrack To Your Escape“ wieder einmal als der schwedische Exportschlager schlechthin. Unablässiges Touren steht dieses Jahr erneut auf dem Plan der Göteborgikone, doch bevor es in einer Woche auf eine extensive US-Reise geht, sprach Gitarrist Jesper Strömblad vor dem letzten Gig der diesjährigen Europatour im traditionsträchtigen Hamburger Dock´s Club mit mir über das neue Album, Unwegbarkeiten auf dem US-Markt, eine neue DVD und den Stand der Dinge bei DIMENSION ZERO und PASSENGER.
Auf „Come Clarity“ sind sowohl Versatzstücke aus Euren Anfangstagen wie auch einige neue Elemente wie etwa der Einsatz weiblicher Vocals zu finden. Natürliche Entwicklung oder Masterplan?
Nein, wir hatten keinen wirklichen Plan, bevor wir an das Album herangegangen sind. Nach all unseren veröffentlichten Alben haben wir eine Menge Erfahrung und dementsprechend haben wir das Beste aus den alten Sachen mit einigen neuen Aspekten kombiniert. Es war auch kein wirklich bewusster Prozess der ablief, die Dinge fügten sich vielmehr von allein zusammen. Meiner Ansicht nach fehlten aber auf dem letzten Album einige Elemente, die wir dieses Mal auf jeden Fall wieder einbringen wollten.
Die da wären?
Wir wollten die Gitarren wieder mehr in den Vordergrund stellen und verstärkt auf Leads und Melodien achten. Das hat uns auf „Soundtrack To Your Escape“ etwas gefehlt.
Wie seid Ihr denn auf die Idee gekommen, weibliche Vocals zu verwenden und zudem noch bei einem solch aggressiven Song wie „Dead End“?
Als ich den Refrain zu „Dead End“ schrieb und ihn das erste Mal hörte, fiel mir auf, dass er wirklich cool mit einer weiblichen Stimme klingen würde. Der Gesang steuert zum einen viel zu der Atmosphäre des Songs bei und ist zudem ein cooler und ungewöhnlicher Mix, gerade weil „Dead End“ ein so schneller Song ist. Lisa [Miskovsky, Anm. d. Red.], das Mädel, dass den Refrain singt, ist ein wirklich großer Popstar in Schweden. Wir haben sie kennengelernt, als wir einige Festivals zusammengespielt haben und sie erzählte uns, dass sie ein großer Metalfan sei. Also fragten wir sie, ob sie nicht Lust hätte, auf unserem Album zu singen und sie war wirklich begeistert von der Idee. Unsere Zeitpläne ermöglichten es dann auch, dass sie für ein paar Tage ins Studio zu uns kam und ihren Part einsang. Sie ist eine sehr talentierte Sängerin und hat aus „Dead End“ einen Riesensong gemacht.
Ursprünglich sollte das Album den Titel „Crawl Through Knives“ tragen, der ja eine völlig andere Idee als „Come Clarity“ repräsentiert. Während ersterer sehr viel aggressiver und schmerzhafter ist, klingt „Come Clarity“ nach einer friedvolleren und erlösenderen Lösung. Wie stark veränderte sich also die Grundidee oder die Philosophie hinter dem Album im Laufe der Zeit?
Es ist ziemlich schwer für mich, diese Frage zu beantworten, denn ich habe mit dem textlichen Aspekt unserer Musik wenig zu tun. Ich weiss aber, dass im letzten Jahr in Anders´ Leben viele Veränderungen eingetreten sind. Ich würde zwar nicht sagen, dass er zuvor Probleme hatte, er war aber irgendwie depressiv aus einigen Gründen. Als er dann aber Vater einer Tochter wurde, veränderte sich seine generelle Sichtweise auf das Leben in einer positiven Weise. Auch für die restliche Band war die letzte Zeit sehr gut und daher beschlossen wir, den Titel zu ändern, um einen positiveren Vibe zu kreieren. „Come Clarity“ ist zwar ein sehr aggressives Album aber nicht so dunkel wie „Soundtrack To Your Escape“, das einfach aufgrund unserer damaligen Gemütsverfassungen so ausgefallen ist. Deswegen auch das weiße Layout, haha!
„Soundtrack To Your Escape“ ist ja bis dato Euer erfolgreichstes Album, obwohl viele Fans es nicht wirklich akzeptieren. Wie erklärst Du Dir das?
Ich habe keine Ahnung. Den Pfad, den wir seit jeher beschreiten, ist ein Pfad der natürlichen Entwicklung. Natürlich ist das Album ein anderes im Vergleich zu „The Jester Race“, dazwischen liegt ja auch eine Spanne von zehn Jahren. „Soundtrack…“ ist aber genau das Album, welches wir zu der Zeit machen wollen und wir sind sehr glücklich mit dem Resultat. Es enthält einige Songs, die ich zum Besten zähle, was wir je geschrieben haben. Sie sind simpel, jedoch sehr kraftvoll wie etwa „My Sweet Shadow“, „Evil In A Closet“ oder „The Quiet Place“. Es stimmt, dass wir für diese Songs von unseren Fans kritisiert wurden aber darum kümmern wir uns nicht. Wir machen das nicht, um andere zufrieden zustellen, sondern uns. Es ist immer schwer die Skeptiker, die an ein bestimmtes Album gewöhnt sind, mit dessen direktem Nachfolger zu überzeugen. Über „Come Clarity“ habe ich bisher aber nur hundertprozentig positive Resonanzen gehört und daher denke ich, dass zumindest jene Skeptiker „Come Clarity“ mögen.
In den Staaten übernimmt jetzt Ferret Records für Euch den Vertrieb. Weshalb hat es solange gedauert, auch dort Fuß zu fassen?
Das Problem auf dem US-Markt war bisher, dass die Leute unsere Alben nicht bisher dort nicht erhalten konnten. Nuclear Blast hat es einfach nicht drauf gehabt, uns dort zu vertreten. Die haben ja nur zwei Leute dort drüben, die für den gesamten Markt zuständig sind und der ist gewaltig. Wir haben dort auf dem Ozzfest gespielt, haben mit SLAYER und MUDVAYNE getourt…das waren alles große Tourneen, nur leider konnte keiner der anwesenden Zuschauer unsere Musik kaufen. Das ändert sich jetzt aber mit unserem neuen Label Ferret Records, weil die einfach eine viel bessere Vertriebsstruktur haben und einen großartigen Job machen, uns zu promoten.
Eine Folge dieser fehlenden Promotion ist, dass viele US-Fans Euch von der derzeitigen Metalcore Welle beeinflusst sehen, wohingegen das Gegenteil der Fall ist: Ihr seid der Archetyp. Wie geht Ihr damit um?
Hmm…ich weiss nicht, ob es mir egal oder einfach nur frustrierend ist. Ein 14 jähriger Junge, der gerade mit Metal anfängt und auf AS I LAY DYING stößt, war noch nicht mal geboren, als wir IN FLAMES gründeten. Aber er weiß es nicht besser. Wenn ich sehe, wie einige Bands dort große Erfolge feiern und wir uns immer noch abmühen, ist das schon sehr frustrierend. Ich fühle mich aber sehr geehrt, dass wir ein so großer Einfluss auf die gesamte Metalcore Szene sind und von daher ist diese Verwechslung für mich nicht so schlimm.
Wieso hat es so lange gedauert, bis Eure erste DVD „Used And Abused…In Live We Trust“ veröffentlicht wurde?
Wir haben all diese schlecht gemachten DVDs anderer Bands gesehen und wollten es dagegen besser und etwas Besonderes machen. Also haben wir auf der damaligen Tour, die auf der DVD zu sehen ist, unseren Regisseur die ganze Zeit mitgeschleppt, der ständig aufgenommen hat. Die Fans sollten für ihr Geld auch schließlich was kriegen: fast zwei volle Konzerte und eine Dokumentation. Dafür mussten wir aber den richtigen Zeitpunkt abwarten. Rückblickend denke ich sogar, dass wir vielleicht noch ein Jahr hätten warten sollen, da in diesem Jahr einige sehr coole Sachen passiert sind. Momentan ist auch schon die nächste DVD in Planung, die wohl eher die Old-School Fans ansprechen wird. Sie wird einiges an rarem Material aus den frühen Tagen enthalten und auch reichlich ausartende Backstage Aufnahmen…du weißt schon, eine von diesen DVDs. Wann es soweit sein wird, weiß ich aber nicht, bisher haben wir nur diese Idee. Vielleicht wird es auch so eine Bandgeschichte-DVD. Ich habe mich bisher durch 20 Stunden an Aufnahmen durchgearbeitet, die bis 1997 zurückreichen, als wir unsere erste Kamera gekauft haben. Da sind wirklich verrückte Sachen dabei. Wir werden wahrscheinlich nicht mal die Hälfte davon zeigen können, hehe!
Lass uns über die Liveband IN FLAMES sprechen. Ihr habt sowohl das Privileg, Eure eigenen Shows zu Headlinen als auch die Möglichkeit, Support für Legenden wie METALLICA, SLAYER oder JUDAS PRIEST zu sein. Eine angenehme Situation…
Ja, natürlich ist es das. Letztes Jahr haben wir mit JUDAS PRIEST eine Europatour gespielt und waren direkter Support für IRON MAIDEN vor 58000 Leuten. Aber ich denke, es ist ziemlich langweilig, diese Supporttours zu machen, auch wenn es natürlich cool ist es für solche großen Bands zu tun. Unsere jetzige Europatour mit uns als Headliner ist ein wirklich sehr großer Erfolg. In Köln und in München hatten wir jeweils etwa 4000 Zuschauer, es ist unglaublich, wie das hier in Deutschland explodiert ist. Wir lieben es, hier zu spielen!
Aber habt Ihr bei Euren Supportaufritten nicht manchmal ein sentimentales Gefühl, das Euch an Eure Undergroundtage zurückdenken lässt?
Nein, haha, diese Tage vermisse ich nicht! Als Band bist da natürlich auf die Zuschauer angewiesen, die gekommen sind, um Dich zu sehen. Bei den Supportshows ist es ja immer so, dass Du vor vielen tausend Leuten spielst, die eigentlich auf den Headliner warten. Wir wissen natürlich, dass diese Shows uns für die Zukunft helfen. Wir spielen sie aber nur, damit wir das hier genießen können: Headliner sein. Es liegt also kein Zweifel darin, dass wir das Headlinen den Supportauftritten vorziehen! Manchmal kann es ganz schön hart sein, wie etwa jetzt. Wir sind jetzt sechs Wochen unterwegs und spielen sehr lange Sets, so auch heute Abend: 22 Songs werden wir spielen. Ich wünschte, es wären weniger, denn ich bin verdammt müde! Aber nur vor und nach der Show, haha!
Gibt es denn irgendeinen Traum, den Ihr Euch als Band bisher noch nicht erfüllen konntet?
Nein, ich denke wir sind momentan sehr zufrieden. Wir haben die Möglichkeit, um die Welt zu reisen, viele Shows zu spielen und das auch noch hauptberuflich zu machen. Gleichzeitig verdienen wir noch das Geld, um unsere Familien zu unterhalten und müssen uns darum also keine großen Sorgen machen. Und wir sind immer noch voll dabei und hungrig darauf, das beste Album zu machen…was garantiert noch kommen wird, da bin ich mir sicher. Wir sind also sehr glücklich mit der Situation.
Was denkst Du, wenn Du einen extrem guten Song einer anderen Band hörst? Denkst Du Dir: „Verdammt, wieso ist mir dieses Riff nicht eingefallen?“?
Na ja, also manchmal schon. Tatsächlich habe ich mir neulich was von DEMON HUNTER angehört und die haben da ein Riff, bei dem ich mir dachte: „Verdammt, dieses Riff würde ich gern in einem IN FLAMES Song haben!“. Normalerweise genieße ich Musik aber nur, denn ich weiss, dass ich es besser machen kann.
Kommen wir zu Euren Nebenprojekten. Was ist los mit DIMENSION ZERO?
Momentan gar nichts, denn offensichtlich bin ich mit IN FLAMES das ganze Jahr beschäftigt. Wir haben es uns aber selbst als Ziel gesetzt, nächstes Jahr ein neues Album zu veröffentlichen. Der Arbeitstitel ist „DZ3“ aber wir haben noch nichts dafür geschrieben. Ich habe die Jungs nicht mehr gesehen, seid wir vor zwei Jahren von der Tour aus Japan zurückkamen. Wir sind eine sehr langsame Band, haha…aber uns gibt es immer noch. Zudem sehen wir uns auch nach einem neuen Label um. Regain Records ist einfach nur für den Arsch! Kauf bloß keine Alben von denen!
Weshalb?
Der Typ ist ein verdammter Krimineller, der die Bands nur abzieht! Mehr möchte ich dazu nicht sagen.
OK. Kannst Du denn etwas darüber sagen, was mit Anders´ Nebenband PASSENGER zurzeit geht?
Ich glaube, dass sie sehr viele Demos und Songs fertig haben aber Anders hat das gleiche Problem: er hat keine Zeit, diese Sachen aufzunehmen. Aber es wird mit Sicherheit noch ein Album von ihnen erscheinen.
Alles klar, kommen wir zum Brainstorming-Teil: auf welchen fünf Alben hättest Du gerne mitgespielt und warum?
Warum ist ja klar: weil sie die besten sind. Ich würde sagen „Operation Mindcrime“, „Seventh Son Of A Seventh Son“, “Reign In Blood”, “Master Of Puppets” und “Clayman”…aber war ich ja mit dabei, haha!
Und welche fünf Songs hättest Du gerne geschrieben?
Also na ja, ich habe sie geschrieben, hehe! Es ist dann unmöglich für mich diese Frage zu beantworten aber einer meiner absoluten Lieblingssongs ist „Moonshield“. Es macht mit immer ganz besonderen Spaß, diesen zu spielen. „Suburban Me“ von der „Clayman“ ist ebenfalls ein großer Song. Ich hoffe, dass wir ihn eines Tages spielen können.
Das hoffe ich auch! Ich danke Dir für das Interview!
Ich habe zu danken!