In Flames
Interview mit Björn Gelotte und Anders Fridén zu "Sounds Of A Playground Fading"
Interview
Dass IN FLAMES auch ohne Jesper Strömblad funktioniert, beweisen die Schweden mit ihrem zehnten Studioalbum „Sounds Of A Playground Fading“, das mit Altbewährtem genauso zu glänzen vermag wie mit der neu entdeckten Experimentierfreudigkeit, die durchaus Gänsehautfeeling zaubert. Natürlich ist und bleibt Musik auch weiterhin Geschmackssache, und nicht jedem schmeckt die Entwicklung der Band, aber Björn Gelotte (Gitarre) und Anders Fridén (Vocals) sind mit dem neuen Album rundum zufrieden, was die beiden gutgelaunt auch im Interview unter Beweis stellen.
Jesper Strömblad, bisher einer der Hauptsongschreiber der Band, hat vor einem Jahr die Segel gestrichen und IN FLAMES verlassen. Wie hat sich sein Weggang in kreativer Hinsicht geäußert, während ihr an „Sounds Of A Playground Fading“ gearbeitet habt?
Björn Gelotte: Erst nachdem Jesper die Band verlassen hatte, habe ich wirklich realisiert, was Jesper und ich in den letzten fünfzehn Jahren musikalisch auf die Beine gestellt haben. Es war natürlich schon total merkwürdig, dass Jesper ab sofort nicht mehr bei uns war. Plötzlich sah ich mich ganz allein für das Songwriting verantwortlich. Aber diese Last war nicht ganz unangenehm. An dem Tag – am selben Abend noch -, als Jesper zu uns kam und sagte, dass er aus der Band aussteigen würde, schrieb ich fünfzehn Riffs. Davon haben es letztendlich nur ein paar auf das Album geschafft, aber ich musste wissen, ob ich diese Bürde ab sofort allein tragen konnte, und ich bin ziemlich zufrieden, denn IN FLAMES klingen noch immer wie IN FLAMES.
Anders Fridén: Die Leute müssen wissen, dass wir nicht getrennte Wege gegangen sind, weil wir Jesper plötzlich nicht mehr über den Weg getraut haben oder weil wir musikalische Differenzen zu beklagen hatten. Das alles ist definitiv nicht der Fall! Jespers Ausstieg aus der Band ist traurig, aber als Band wollten wir genau mit dem weitermachen, wo wir zuletzt stehen geblieben sind. Mit nur einem Unterschied, dass jetzt Björn und ich die Hauptsongschreiber sind. Ich glaube, Björn war am Anfang etwas skeptisch, letztendlich aber sind wir ins Studio gegangen und haben uns gegenseitig mit Ideen versorgt, anhand derer das Album von Tag zu Tag an Form gewann. Das hat ganz wunderbar funktioniert.
Habt ihr euch eigentlich mal Gedanken darüber gemacht, was die anderen Jungs in der Band zu euren Ideen sagen könnten?
Björn Gelotte: Beunruhigt war ich ehrlich gesagt zu keiner Zeit, denn die Kommunikation untereinander und innerhalb der Band funktioniert hervorragend. Natürlich möchte jeder irgendetwas Neues ausprobieren. Das ist völlig in Ordnung. Und wenn die ein oder andere Idee passt, halten wir auch daran fest. Wir sind nicht grundsätzlich verschiedener Meinung, aber jeder in der Band hat einen anderen Musikgeschmack, und ich denke gerade dieser Aspekt ein großes Plus für IN FLAMES. Einen musikalischen Kompromiss zu finden, gibt uns einen soliden Anhaltspunkt und der Band die Möglichkeit, sich musikalisch nicht einzuengen.
Hat sich denn die Arbeit letztendlich im Team einfacher oder schwieriger gestaltet, um am Ende auch wie IN FLAMES zu klingen?
Björn Gelotte: Wir hatten die Möglichkeit, einige Dinge zu ändern und etwas anders an die Sachen heranzugehen. Zum Beispiel haben wir uns diesmal sehr viel Zeit für den Gesang genommen. In der Vergangenheit haben wir die Vocals immer erst innerhalb der letzten Woche einer Studio-Session aufgenommen und vielleicht etwas zu stiefmütterlich behandelt. Jedenfalls klang der Gesang nie so abwechslungsreich wie auf dem aktuellen Album.
Anders Fridén: Ich hatte die Lyrics bereits ausgearbeitet, als wir ins Studio gingen. Aber als sich die Arbeiten entwickelten und Form annahmen, wusste ich, dass auch der Gesang vielseitiger klingen musste. Also habe ich einen Großteil der Lyrics noch einmal völlig neu geschrieben und erst dann Melodien und Arrangements in Angriff genommen. Glaub‘ es oder nicht, aber viele Sachen sind dann später noch ziemlich spontan entstanden, einfach auch deshalb, weil wir den Fluss unserer Kreativität nicht unterbrechen wollten. Wir sind halt einfach immer noch die beste Band der Welt, die einen IN FLAMES-Song schreiben kann! (lacht) Weck‘ uns mitten in der Nacht und wir schreiben dir im Halbschlaf ein typisch klingendes IN FLAMES-Riff – das Besondere an „Sounds Of A Playground Fading“ ist allerdings, dass wir versucht haben, neue Wege zu gehen, und trotzdem unseren typischen Sound beibehalten haben. Gerade das zeichnet auch dieses Album aus und macht es für mich ganz besonders interessant.
Björn Gelotte: Dass sich Anders diesmal viel Zeit für die Vocals genommen hat, hat die ganze Sache auch für mich sehr interessant gemacht, denn einige Arrangements musste ich später aufgrund der Vocals noch einmal ändern. Dadurch hat sich dieser Prozess ganz schön in die Länge gezogen. Diese Erfahrung fehlt mir in Bezug unserer Vergangenheit völlig. Ich musste sogar einige Riffs noch einmal völlig neu schreiben: „What the fuck!? Das ist doch perfekt!“ Doch die Jungs bestanden darauf: „Du musst hier noch dies und das ändern…“ „Come on, guys…“ (lacht) Aber diese Sache hat mich unheimlich motiviert und das Ergebnis kann sich hören lassen. „Ropes“ ist zum Beispiel so ein Song, dessen Melodien und Harmonies für IN FLAMES-Verhältnisse etwas völlig Neues darstellen.
Anders Fridén: Ich bin total durchgedreht, als ich diesen Song einsingen sollte… (lacht) Daniel (Anm. d. Red.: Bergstrand) hat die Vocals produziert, und wir waren inmitten der Arbeiten zu diesem Track als ich sagte: „OK. Auszeit. Wir machen jetzt mal einen Song ganz ohne Screams…“ Es fühlte sich richtig gut an zu wissen, dass diese Nummer am Ende völlig natürlich klang. Ich hatte zwar bereits ein paar Tracks für die „Come Clarity“ mit Klargesang eingesungen, aber bisher nicht mit dieser gewissen Schwere in der Stimme, wie das nun auf „Ropes“ zu hören ist.
Welchen Einfluss hatte Neuzugang Niclas Engelin denn auf das neue Material?
Bjorn Gelotte: Niclas hatte diesmal noch keinen Einfluss auf das Album. Wir haben zwar darüber gesprochen, uns hinterher allerdings dagegen entschieden, da ich auch mir selbst beweisen wollte, dass ich auch allein hundertprozentig nach IN FLAMES klingende Songs schreiben kann. Als Band wussten wir auch, dass wir zu diesem Zeitpunkt für gänzlich neue Impulse noch nicht bereit waren. Diese Entscheidung hat Niclas ohne Wenn und Aber respektiert. Es ist aber unheimlich gut zu wissen, dass uns für die Zukunft einige ganz neue Möglichkeiten zur Verfügung stehen.
Welche Aussage steckt hinter dem Albumtitel oder welche Bedeutung hat er?
Anders Fridén: Ich weiß nicht mehr so ganz genau, was ich mir im Fernsehen angeschaut habe, irgendeine Sendung auf Discovery Channel, aber ich hatte diesen Gedanken, dass es nur einige ganz wenige Plätze in der Welt gibt, die noch weitestgehend unentdeckt sind. Möglicherweise leben auch dort Menschen, aber noch in Respekt und im Einklang mit der Natur. Für diese Menschen ist es völlig normal, MIT dem Planeten zu leben, während wir in der „zivilisierten“ Welt VON dem Planeten leben und ihm alle seine Ressourcen rücksichtslos entreißen, bis es eines Tages keine weiteren Ressourcen mehr gibt. Was machen wir also, wenn wir eines Tages feststellen, dass es kein Wasser mehr gibt und auch keine weiteren Ressourcen mehr, um ganz alltägliche Dinge herstellen zu können, und wir nur noch fünf Jahre zu leben haben, bevor alles Leben auf diesem Planeten seinem Ende zugeht? Wird sich dann etwas an unserer Sichtweise der Dinge und am Umgang mit der Natur und der Tierwelt ändern? Oder werden wir diese fünf Jahre noch einmal in vollen Zügen und exzessiv ausleben, bevor das Ende kommt? Ich kann und möchte hier nicht irgendetwas predigen… Ich sollte auch niemandem ins Gewissen reden… Aber ich kann eine Menge Fragen stellen. Und dieses neue Album stellt eine Menge fragen, mehr noch als es Antworten gibt. Dies ist meine Art der Kommunikation. Wir haben es hier mit vielen düsteren Themen zu tun, die aber alle nicht zu entfernt von der Realität sind, und wenn die Leute die Lyrics gelesen haben und sich ihre eigenen Gedanken dazu gemacht haben, würde ich mich sehr freuen darüber zu diskutieren, wenn man sich irgendwann und irgendwo mal begegnet. Ich finde es immer extrem spannend zu erfahren, wie und was andere zu bestimmten Themen denken.
IN FLAMES ist eine Band, die sich mit jedem Album ein Stück weit entwickelt hat, während viele Fans jedes neue Album ausschließlich an eurer Melodic-Death-Metal-Vergangenheit wie „Lunar Strain“ (1994), „The Jester Race“ (1996) oder „Whoracle“ (1997) messen. Wie schwer ist es für euch Anno 2011 gegen eure Vergangenheit anzukämpfen?
Björn Gelotte: „Sounds Of A Playground Fading“ ist unser zehntes Studioalbum, aber das ändert gar nichts. Die Essenz von IN FLAMES ist immer noch die selbe wie die aus 1994 oder später. Was sich inzwischen geändert hat, ist lediglich die Art, wie wir die Arbeit an einem Album beginnen und aufteilen: Aber nach wie vor beginnt alles mit einem Riff oder einer Melodie. Das Einzige, was komplizierter geworden ist, ist die Art, wie wir Songs arrangieren. Diesmal haben wir wie gesagt hauptsächlich intensiver am Gesang gearbeitet. Meiner Meinung nach hat sich dadurch ein sehr interessanter Prozess in Bewegung gesetzt.
Anders Fridén: Nimm nur ein Riff vom aktuellen Album, ersetze die aktuelle Produktion durch diesen unglaublich miserablen Sound von „Lunar Strain“ und setze diesen Song inmitten der anderen von „Lunar Strain“, und ich garantiere dir, dass du keinen Unterschied hören wirst! Wir sind immer noch die Selben, die wir 1994 gewesen sind. Natürlich haben wir uns menschlich entwickelt, aber wir werden und haben unsere Vergangenheit niemals verleugnet. Wir wollen der Vergangenheit nicht entfliehen, im Gegenteil. Unsere Absicht war es immer, auf unserer Vergangenheit aufzubauen und diese auch ein Stück weit in die Zukunft zu transportieren. Wir können unsere Songs von innen nach außen krempeln und wieder zurück, aber wir sind immer in der Lage, unsere typischen Melodien und die Aggression zu halten, die wir auch damals schon in unserem Sound hatten. Es gibt auch heute immer noch Elemente, die zum Beispiel auf der „Whoracle“ oder der „Colony“ zu finden sind.
Ein Interview mit Dave Correia, dem Künstler, der das Artwork zu „Sounds Of A Playground Fading“ erstellt hat, findet ihr hier.
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Stile | Melodic Death Metal, Modern Metal |
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