In Flames
Interview mit Anders Fridén zu "A Sense Of Purpose"
Interview
IN FLAMES sind schon seit Jahren als Workaholics bekannt und machen dieser Bezeichnung auch so ziemlich durchgehend alle Ehre. Umso glücklicher konnte ich mich schätzen, dass Sänger Anders Fridén zwischen einer ausgedehnten Tour quer durch Nordamerika, Festivalauftritten in Europa und einer anstehenden Europatour Ende September eine halbe Stunde Zeit hatte, um nicht nur über die Tour selbst, sondern auch noch einmal über das aktuelle IN FLAMES-Album „A Sense Of Purpose“ zu sprechen, denn einige Dinge mussten ganz offensichtlich einfach mal gesagt werden…
IN FLAMES haben momentan ’ne kurze Auszeit, bevor ihr wieder auf Tour geht…
Yeah. (lacht)
…deshalb laß uns gleich mal mit ein paar Fragen zur letzten Tour loslegen. Ich glaube ihr seit schon seit April auf Tour und habt nicht nur in den USA, in Deutschland, Belgien, Skandinavien, in der Schweiz und in Frankreich gespielt, sondern auch in Slowenien und Bulgarien. Diese beiden Länder stehen nicht immer auf den Tourplänen der Bands. Sind dir eigentlich irgendwelche Unterschiede zwischen dem Publikum in den Ländern aufgefallen, in denen es regelmäßig irgendwelche Metal-Shows zu sehen gibt und den Ländern, die diesbezüglich erst noch am Anfang stehen?
Ich habe die Gigs in Bulgarien, Slowenien und den Ländern, die man ja doch nur sehr selten besucht, wirklich sehr genossen, denn das Publikum ist dort noch so richtig mitzureißen und voller Leidenschaft. Solche Gigs sind für die Leute dort ein ganz besonderes Ereignis. Wenn du zum Beispiel in London spielst, in denen täglich mehrere Shows zu sehen sind, gewöhnen sich die Leute ziemlich schnell an soetwas. Die Shows sind nichts Besonderes mehr, deshalb reagiert das Publikum dort auch völlig anders. Für die ist so ein Konzert, als ob man sich mit Freunden in einer Kneipe trifft. Deshalb haben uns die Shows in Bulgarien und Slowenien auch ganz besonders gut gefallen. Aber grundsätzlich ist ein Gig für uns ein Gig, unabhängig davon wo wir spielen. Das Publikum bekommt immer unsere vollste Aufmerksamkeit, nur verhält es sich wie gesagt andersherum manchmal etwas anders, das ist tatsächlich von Ort zu Ort verschieden. Insgesamt aber ist unser Publikum schon sehr leidenschaftlich, was dann auch uns ein Stück Zufriedenheit gibt.
Ihr spielt ja nicht nur eure eigenen Shows, sondern auch auf Festivals. Was fordert euch ganz besonders oder welche Gigs motivieren am meisten: Festivals, auf denen neben euch noch viele andere Bands spielen, oder eine eigene Headliner-Show mit nur einer Support-Band?
Yeah, ich liebe beides. Ich möchte jedenfalls keines von beiden missen. Festivals sind sehr entspannend, weil man viele andere Bands und Freunde trifft, während eine eigene Show in deiner eigenen Verantwortung steht, denn du willst ja schließlich auch, dass die Leute mit einem guten Gefühl im Bauch wieder nach Hause gehen. Also sind solche Shows sicherlich auch etwas herausfordernder. Prinzipiell aber spielt es wie gesagt keine Rolle wo wir spielen, denn wir versuchen immer unser Bestes zu geben. Wir spielen immer so, als wäre es unser letzter Gig. Natürlich kannst du nicht immer 100 Prozent geben, denn es gibt sowohl gute als auch schlechte Tage, aber wir versuchen wenigstens immer alles zu geben. Im Sommer spiele ich übrigens sehr gern auf Festivals, das ist dann schon fast wie Urlaub, während eine Tour im Winter oder im Frühling zum Beispiel schon richtig anstrengende Arbeit ist.
Dann laß uns jetzt zurück ins Studio gehen und über euer aktuelles Album „A Sense Of Purpose“ reden. Der Titel verheißt Optimismus, eine gewisse Art von Ausgewogenheit und auch Entschlossenheit, sich auf ein bestimmtes Ziel zu konzentrieren. Wenn ich mir allerdings Songs wie „Condemned“ oder „Drenched In Fear“ anhöre, spiegelt sich dort jedoch das genaue Gegenteil der eigentlichen Idee von Optimismus und Ehrgeiz wieder. Wie also stehen die Songs in Bezug zum Titel?
Ich verstehe was du meinst… Nun, jeder von uns benötigt eine gewisse Ausgewogenheit im Leben, aber manchmal fühlst du dich total down und führst einen inneren Kampf mit dir selbst. Früher oder später kommst du an einen Punkt, den du überwinden musst um ein besserer Mensch zu werden oder dein Leben in eine bestimmte Bahn zu lenken. Ich habe mittlerweile Kinder, fast alle in der Band haben Nachwuchs, ich weiß also genau wie man sich in dieser Situation fühlt. Das ist der Sinn des Lebens. Ich habe Fehler gemacht, aber ich muß damit leben und akzeptiere mich selbst, die Person, die ich geworden bin. Zu wissen wie und wer ich bin, ist ein unheimlich erleichterndes, irgendwie entspannendes Gefühl, und genau das meine ich mit „A Sense Of Purpose“. Und auch die Band selbst hat eine Bestimmung und ein Ziel, das wir erreichen wollen. Wir wollen den Leuten etwas bieten und es ist echt spannend zu sehen, wie unsere Fans zum Beispiel einen Songtitel aufgreifen und darüber diskutieren, wie der Song hinterher wohl klingen wird. IN FLAMES ist mittlerweile wirklich groß geworden, etwas, mit dem sich die Leute beschäftigen und in das sie Zeit investieren. Das ehrt uns. Es ist wunderbar zu wissen, dass uns die Leute zuhören und darauf acht geben, was wir zu sagen haben. Auch das spiegelt sich in dem Titel. Die Songs an sich sind dann wie kleine Zeitfenster zu betrachten, die aus meinem Leben erzählen oder von dem, was ich von Leuten gelernt habe, die mir etwas bedeuten.
Da wir gerade über das Album sprechen, sollten wir das Video zu „The Mirror’s Truth“ nicht vergessen. Basiert das Video eigentlich auf euren eigenen Ideen?
Eigentlich haben wir mit dem Video diesmal recht wenig zu tun gehabt. Wir hatten ein paar Ideen und haben dem Regisseur die Bedeutung, die hinter diesem Song steckt, erklärt, und heraus kam eine Art Interpretation. Bisher habe ich immer unheimlich viel Zeit für die Konzepte benötigt, mit dem, was in den Booklets zu stehen hat, mit den Lyrics und so weiter, aber diesmal wollte ich einfach auch eine zweite Meinung und mich selbst intensiver um andere Dinge kümmern. Ich wollte mich einfach mal nicht um alles selbst kümmern müssen und war dann letztendlich auch mit allem einverstanden, was uns vorgeschlagen wurde. Das Video selbst ist ein Statement an den Mainstream: Du siehst ein paar Gestalten, denen von irgendwelchen Leuten eingetrichtert wird, jeden Tag ihrer Arbeit nachzugehen und keine großen Fragen zu stellen, bis sie unseren Song hören. Du musst an dich selbst glauben und wenn du nicht deine Identität verlieren willst, halte einen Moment inne, schau dich um und nimm dein Leben in deine eigenen Hände.
Beim Hören des aktuellen Albums hat man manchmal das Gefühl, dass ihr euch etwas am neuen Metal-Stil orientiert. Magst du persönlich New- oder Modern-Metal? Fühlst du dich von dem Stil evtl. sogar beeinflusst?
Nein, ich weiß nicht was du meinst. Das solltest du vielleicht etwas konkretisieren. Es gibt heutzutage so viele Metal-Bands und so viele unterschiedliche Genres, aber IN FLAMES gibt es als Band schon sehr lange und wir wissen genau was wir machen und was wir wollen. Es ist natürlich nicht auszuschließen, dass man unterbewußt mal ein paar Sachen hier und dort aufschnappt. Wenn du zum Beispiel auf dem Weg ins Studio Radio hörst, dann kann das schonmal passieren, einfach so, ohne Absicht. Aber prinzipiell kann ich keine direkten Einflüsse anderer Bands in unserer Musik heraushören. Klar, wenn man als Band größer wird, gibt es immer irgendwelche Leute die dann sagen: „Diesmal ist dies und diesmal ist das und ich mag die Band nicht mehr weil“. Wenn du eine bestimmte Band im Kopf hast, dann sag‘ mir doch bitte den Namen und ich sage dir: „Nein, wir klingen nicht wie die“.
Vielleicht orientiert ihr euch etwas näher am amerikanischen Stil…?
Meinst du nicht, dass sich die Amerikaner viel eher dem europäischen Stil nähern?
Manchmal…vielleicht. Jedenfalls versuchen sicherlich einige Bands ein paar Einflüsse aufzunehmen, aber das dann eher auf einer sensiblen Ebene, denke ich…
Wir spielen unsere Musik und uns interessiert es nicht, was momentan angesagt ist oder irgendwann einmal angesagt sein wird. Ich meine, so lange sich alles gut anhört gibt es keinen Grund dazu. Ich denke nicht, dass wir dem amerikanischen Stil näher gekommen sind, aber ich denke, dass die Amerikaner versuchen europäischen Metal nachzuahmen. Wir haben schon immer das gemacht, was wir auch heute machen. Wir kommen aus Göteborg und haben diese Musik erfunden. Ganz klar, im Laufe der Zeit haben wir uns auch etwas verändert, aber wir wissen immer noch wo unsere Wurzeln liegen und unser Sound ist trotz Melodien nach wie vor sehr aggressiv. Wenn mir also jemand sagt, dass wir heute sehr amerikanisch klingen, dann ist das für mich absoluter Bullshit, die haben wirklich keine Ahnung, was die da reden. Ich kann das, was die Leute sagen, nicht ändern, aber ich kann mit Gewissheit behaupten, dass amerikanischer Metal zunehmenst europäischer klingen möchte, nicht andersherum. Es ist einfach zu behaupten, dass eine europäische Band amerikanisch klingt, denn Amerika hatte schon immer großen Einfluß in der Unterhaltungsbranche…es kommt mir fast so vor, als ob viel zu viele Leute in Richtung Amerika schauen. Doch wenn es um Metal und vor allem europäische Metal-Bands geht, schaut ganz bestimmt niemand von denen in dieser Richtung, auch nicht, wenn man wie wir dort sehr oft auf Tour ist, dort viel Zeit verbringt und dort auch viele Freunde hat.
Das sollte Einiges klarstellen. Nun, du sagst, dass man sich im Laufe der Zeit ändert. Fühlst du dich denn auch nach all den Jahren immer noch Alben wie „Colony“ oder „Clayman“ verbunden? Denn das sind genau die Alben, die eure Fans anscheinend immer noch am liebsten hören…
Yeah, ich mag wirklich sehr gern Bands wie AC/DC, die wirklich immer gleich klingen, aber meiner Meinung nach sollte es nicht zu viele solcher Bands geben. Ich meine, wir wollen nicht immer auf der selben Stelle treten und wir wollen keine dieser Bands sein, die auf Tour nur Songs ihrer alten Alben spielen. Ich bin sehr stolz über jeden Schritt, den wir getan haben, um uns etwas weiterzuentwickeln, und ich denke wir wären heute auch nicht dort, wo wir jetzt sind, wenn wir Alben wie „Colony“ oder „Clayman“ nicht gemacht hätten. Alle Alben sind für uns wichtig, aber wir wollen uns nicht wiederholen und ein Album noch ein zweites Mal machen. Ich möchte nicht, dass die Leute vor einem neuen Album bereits wissen, was sie zu hören bekommen. Es gibt auch keinen Grund für uns zurückzuschauen. Ich persönlich bereue nichts von dem, was wir bisher gemacht haben. Ich denke die Leute wissen, was sie von IN FLAMES erwarten können, denn wir werden uns nicht komplett ändern und plötzlich Industrial oder Pop spielen, aber wir werden innerhalb unserer eigenen kleinen Welt weiterhin versuchen, unsere Grenzen zu erweitern und ein paar unerwartete Dinge bringen.
Schreibt ihr Songs eigentlich bewusst um deine Vocals herum, unabhängig davon, ob es nun Growls oder Clean Vocals sind, oder hat sich das Songwriting während der letzten Jahre auf gewisse Weise verändert?
Das Songwriting hat sich – zumindest seitdem ich in der Band bin – nie geändert. Björn liefert Riffs und die weiteren Kompositionen arrangieren wir alle gemeinsam. Erst danach schreibe ich meine Vocals, ich schreibe niemals etwas als erstes. Das einzige, was diesmal etwas anders lief war, dass ich die Lyrics bereits geschrieben hatte, wobei ich allerdings weder auf Melodien noch auf sonst irgendetwas, an dem ich mich hätte orientieren können, zurückgreifen konnte. Ich bin völlig offen und unvoreingenommen ins Studio gegangen, begann mit der Arbeit an einem Song, beendete diesen und arbeitete dann an dem nächsten. Es ist niemals so, dass ich sage: „hier wäre jetzt ein Screaming angebracht und dort muss ich klaren Gesang verwenden“. Soetwas ergibt sich erst anhand der Melodien. Wenn es passt, dann passt’s. Wenn du zum Beispiel ein Bild malst und die falschen Farben verwendest, kannst du alles in die Tonne treten. Wir erschaffen also musikalische Bilder.
Mal ganz spontan: Wie sollte IN FLAMES für immer im Metal und im Musik-Business ganz allgemein in den Köpfen der Leute vorhanden sein?
Na ja… (längeres Schweigen) …als melodisch und vorwärts denkend.
Meine letzte Frage ist eher eine Bitte, ein paar Worte an eure deutschen Fans und allgemein allen, die euch auf den Sommerfestivals gesehen haben, zu richten:
Wir hatten sehr viel Spaß und insgesamt eine gute Zeit. Wir legen gerade eine kurze Pause ein, bevor wir auf unsere Europa-Tour, die irgendwann Ende September beginnen soll, aufbrechen, zu der selbstverständlich jeder herzlich willkommen ist. Es werden ein paar wirklich tolle Shows, auf denen wir auch wieder länger als auf den Festivals spielen werden. Ich genieße unsere Pause, aber ich freue mich schon sehr, bald wieder auf Tour zu sein.
Vielen Dank für das Interview. Viel Erfolg und erholt euch gut!
Vielen, vielen Dank! (lacht) Goodbye.