In Extremo
„Halle und Leipzig sind für uns ein Heimspiel“

Interview

Am 13. September veröffentlichen IN EXTREMO Album Nummer 13 mit dem Namen „Wolkenschieber“. Wir sprachen mit dem Bassisten Kay Lutter über die neue Scheibe, die Auswirkungen der vergangenen Jahre und blicken auf den 30. Bandgeburtstag. Im zweiten Teil erklärt uns Lutter, was es mit dem Projekt MANNOMANN und der ehemaligen DDR-Undergroundband FREYGANG auf sich hat.

In Extremo – Wolkenschieber – Cover Artwork

Hallo Kay, vielen Dank für Deine Zeit. Samstag, 31. August, wie ist euer eigenes Festival gelaufen?

Das Festival war ausverkauft und wir sind mehr als glücklich mit dem Ablauf. Unser Booker hat ein entsprechendes Billing zusammengestellt. Trotzdem endet die Lernkurve nicht. Wir haben einiges mitgenommen und Sachverhalte erkannt, die wir verbessern können. Ein Punkt war die Lautstärkebegrenzung. Da werden wir uns etwas einfallen lassen. Die eingeladenen Bands wie KNORKATOR oder FEUERSCHWANZ sind super angekommen, sodass wir rundherum happy sind.

Halle und Leipzig sind für uns ein Heimspiel. Wir haben dort unsere musikalischen Anfänge und Wurzeln. Der Großraum Halle und Leipzig ist super mit der S-Bahn zu befahren, sodass die An- und Abreise wie auch das Wetter perfekt war.

Einen Tag später – Wahlen in Thüringen und Sachsen – bist Du vom Ergebnis überrascht oder hast Du es erwartet?

Ich habe das Ergebnis erwartet, wenn du vorher die Prognosen und Hochrechnungen gesehen hast. Thüringen hat mich überrascht. Mein Schwager war zu Besuch. Der hat eine kleine Firma bei Gotha. Der ist nach dem Frühstück nach Hause gefahren, weil er noch seine Stimme abgeben wollte. Er hat die Prognosen nicht ausgehalten und versuchte dagegen zusteuern. Das Ergebnis ist nur traurig. Meine Familie kommt aus Thüringen und wählt ganz bestimmt nicht blaubraun. Gerade bei Thüringen bin ich entsetzt. Ich kenne Thüringen gut und ich verstehe das Ergebnis nicht. Mein Freundeskreis dort ist nicht annähernd rechts. Die Leute, die ich auf dem Land kenne, haben große Höfe und es stehen dicke Autos vor der Tür. Ich weiß nicht, warum die Menschen dort so wählen. Das geht in meinen Kopf nicht rein.

In Sachsen ist es ähnlich. Sachsen ist das Bundesland mit der meisten Industrie. In Dresden sitzt Siemens und unzählige Computerbuden. Die Leute werden gut bezahlt. Trotzdem kommt dort so ein Ergebnis raus. Sachsen ist an der Sperrminorität gerade so vorbeigekommen. Ich bin wirklich überfragt und sprachlos, warum in den beiden Bundesländern so abgestimmt wurde.

Auf „Wolkenschieber“ sind einige Songs, die für IN EXTREMO sehr düster rüberkommen. „Katzengold“ wäre ein Beispiel. Ist damit alles zum blaubraunen Sumpf gesagt? Hast Du „Katzengold“ geschrieben?

Du hast recht, dass wir den blaubraunen Sumpf damit ansprechen. Ich mag es aber nicht, wenn es ähnlich wie in der Schule darum geht, was der Dichter uns mit den Worten sagen will. Es war aber eigentlich gar kein Thema für IN EXTREMO, sondern für mein Projekt „Bluessommer“ und MONOMANN. Der Song ist im Stil unserer alten Band FREYGANG und passt damit gut zu dem Roman und dem Projekt. Da kommt das Wort „Katzengold“ her. Es ist kein echtes Gold was die Damen und Herren sehen.

Wir legen immer die Texte, die wir geschrieben haben, zum Lesen auf den Tisch. Für mich war es überraschend, dass sich die Band genau den Track rausgepickt hat. Ich hätte nie gedacht, dass „Katzengold“ eine IN EXTREMO-Nummer wird. Mittlerweile bin ich glücklich, dass wir so einen Song auf dem Album haben. Wir sind keine politische Band. Es gibt andere Musiker, wie zum Beispiel TON STEINE SCHERBEN, die können das viel besser als wir. Aber eine Nummer auf jedem Album, wo wir Stellung beziehen, dass finde ich passend.

Der Takt trifft den Nagel eigentlich auf dem Kopf. Dumm, Dumm Dummheit. Wie siehst Du das?

Viele Texte schreiben Andre und ich. Wir legen unsere Texte zum Auseinandernehmen auf den Tisch. Wir hoffen, dass die Texte durch unsere eigene Zensur quasi durchgehen. Oftmals haben aber die Kollegen noch Ideen. Für mich ist Dumm, Dumm, Dummheit etwas zu viel des Guten. Nicht jeder Text benötigt eine Erklärung. Wenn der Inhalt oder die Message nicht so aus dem Text herausfließt, dann ist der Text schlecht.

Am Ende ist es irgendwo die Ansage, wer es jetzt noch nicht kapiert hat, der bekommt Dumm, Dumm, Dummheit als Wachmacher dazu. Die Band wollte diesen Wachmacher on Top und ich habe mich am Ende damit arrangiert. Mittlerweile habe ich mich mit dem Earcatcher angefreundet. Das der Slogan dann noch als Takt in den Song integriert wurde, liegt am Produzenten. Am Ende ist „Katzengold“ schon gut geworden. Wir geben nichts raus, wo wir als Sextett inklusive Produktionsteam nicht zufrieden sind.

Wie hat sich die Krisenstimmung seit der Pandemie auf den Schreibprozess ausgewirkt?

Nach dem Ende des Schreibprozesses zu „Kompass Zur Sonne“ haben wir umgehend an neuem Material gearbeitet. Als Musiker und Beteiligter selbst siehst Du das Album nicht als Ganzes, sondern viel mehr die einzelnen Nummern. Klar, du kannst das Leben um dich herum nicht ausblenden. Der Prozess des Schreibens ist irgendwo zwischen Veröffentlichung von „Kompass Zur Sonne“ und dem Aufnehmen von „Wolkenschieber“. Das, was auf jeden Menschen an Informationen eingeprasselt ist, ist auch auf uns eingeprasselt. Bewusst haben wir nicht die Krisenstimmung im Schreibprozess wahrgenommen.

Aus dem ewigen Septett ist ein Sextett geworden mit einem traurigen Ausgang. Wie hast Du die Situation um Boris Pfeiffer erlebt?

Die ganze Geschichte ist sehr schräg. Boris und ich waren beste Kumpels. Wir haben das Zimmer geteilt und im Nightliner über und untereinander gelegen. Wenn wir eine neue Platte gemacht haben, dann bin ich zu Boris gefahren. Wir haben gemeinsam die Sachen gesichtet. Boris war der Spezialist für die schwedischen und norwegischen Einflüsse. Vor der Pandemie hatte ich gemerkt, dass er sich verändert hat. Während der Pandemie selbst hat er sich sehr schnell von jedem von uns verabschiedet. Er hat alles und jeden in Frage gestellt und an unserer Freundschaft gezweifelt. Die Band spielte nicht mehr und ich habe im Bezirksamt Pankow mit einer Zuarbeit für das RKI angefangen. Von da an war für Boris der Kontakt abgebrochen. Er hat es nicht offen gesagt, dass er mir die Freundschaft kündigt, aber er hat sich nicht mehr gemeldet oder reagiert.

Zwei oder drei Monate später ist er bei der Band von heute auf morgen ausgestiegen. Wir wussten eigentlich nicht, was passiert war. Wir haben immer gehofft, dass wenn wir gemeinsam im Proberaum sitzen, sich viele Dinge klären lassen. Aber anscheinend hat die Pandemie mit den entsprechenden Auswirkungen sehr tiefe Spuren bei ihm hinterlassen. Das Unglück wollte es, dass er circa ein Jahr später verstirbt. Wir haben es von Marco erfahren, der im gleichen Ort wohnt.

Der Todesfall selbst wurde von den damaligen Querdenken beziehungsweise von den Typen, mit den er damals verkehrte, als Märtyrertod hingestellt. Das war eine Ansage, wo klar war, dass wir hierzu keine Kommentare abgeben. Er ist auf der Straße zusammengebrochen während einer Demo. Anscheinend hatte er vorher bereits einen stummen Herzinfarkt, den er nicht bemerkt hat. Mit dem Krankenwagen wurde er ins Krankenhaus transportiert und verstarb dort. Die Familie hat uns von der Beerdigung ausgeladen, was mich nochmals sehr erschüttert hat. Seitdem habe ich mit dem Thema abgeschlossen. Ich denke an Boris in andere Art und Weise und habe die guten Seiten und Erlebnisse in meinem Kopf.

Eine weitere Single ist die obskure Geschichte des „Wolkenschieber“. Ein Getränk, das in allen Lebenslagen helfen soll. Wer von euch ist auf die Story gekommen und wie ist die Idee zum entsprechenden Getränk entstanden?

Es gibt einen Historiker, Bruno Preisendörfer, der hat sich verschiedene Jahrhunderte der deutschen Geschichte angesehen. Es gibt ein Buch, da geht es um Berlin von der Revolution und der Kaiserzeit bis zum 19. Jahrhundert. Da war eine Geschichte drin von einem Berliner Apotheker, der das Getränk „Wolkenschieber“ hergestellt hat. Damals haben die in Apotheken andere Dinge hergestellt als heute, unter anderem auch Schnaps. Ich fand die Story interessant, weil unser Proberaum unweit des ehemaligen Hauses von dem Apotheker war. Mein Vater und Großvater waren ebenfalls Apotheker. Von dem habe ich ein Buch bekommen, wo der Werbespruch zu dem Getränk „Wolkenschieber“ noch in der Zeitung abgedruckt war. Aus dem Slogan habe ich ein Teil des Refrains gebaut und die anderen Strophen zugefügt. So ist der „Wolkenschieber“ entstanden.

Was der „Wolkenschieber“ für ein Schnaps früher genau war, dass wissen wir nicht. Wir haben unsere Rezeptur selbst ausgesucht. Likör war 1874 was anderes als heute. Wir haben mit einer kleinen Manufaktur in Berlin gesprochen, die verschiedene Likörproben zu einem Konzert mitbrachte. Das Problem war, dass uns die Proben alle zu süß waren. Die Manufaktur sagte, dass ein Likör einen gewissen Zuckergehalt haben muss, sonst ist es kein Likör. Wir wollten aber etwas haben, was wir auch selbst trinken. Wir sind dann beim Bitter gelandet, weil wir den Zuckergehalt immer weiter reduziert haben.

Eine weitere Nummer, die hervorsticht ist „Feine Seele“ mit Oliver von FAUN. Micha sagte in einem Interview, das die Bandmitglieder sich von ihren Eltern verabschieden müssen. Kannst Du uns einige Worte zu Entstehung sagen und warum ihr Oli von FAUN als Gast ausgewählt habt?

Py (Dr. Pymonte) hat den Text verfasst. Seine Eltern liegen im Pflegheim. Ich musste mich vor zwei und vier Jahren von meinen Eltern verabschieden. Py hat das Thema bei mir mitbekommen und ist nun selbst mit der Problematik konfrontiert. Es war ihm wichtig, einen Song zu dem Thema zu schreiben und das Ergebnis ist „Feine Seele“.

Uns fehlt die Nyckelharpa im Gesamtkonzept von IN EXTREMO. Daher haben wir Oliver von FAUN angesprochen, ob er die Nyckelharpa bei „Feine Seele“ beisteuern könnte.

Wie wählt ihr eigentlich die Gastsänger aus. Ist erst der Song da und sucht ihr dann einen möglichen Partner, oder gibt es vorab bereits gemeinsame Ideen?

Es gibt beides und oft sind es Zufälle. Micha wollte gerne etwas mit Björn von SANTIANO machen, nachdem er ihn beim MTV-unplugged kennengelernt hatte. Björn fand die Idee ebenfalls super und war sofort am Start.

Bei Joachim Witt war es ähnlich. Wir haben auf dem Mera Luna die Bühne geteilt und wir haben ihn einfach gefragt, ob er Lust hat mit uns gemeinsam einen Song aufzunehmen. Der war sofort Feuer und Flamme, hat uns sein Wort gegeben und kam zu uns ins Studio. Die Kelly-Brüder kennen wir seit Ewigkeiten und Henry von RAUHBEIN ist bei unserer Booking-Firma. Wenn Du den Henry einmal kennenlernst, dann bist Du mit ihm befreundet. Der ist so unkompliziert, dass ein gemeinsamer Track auf der Hand lag. Wir wollten Henry unbedingt unterbekommen und haben nach einer passenden Nummer gesucht. „Weckt Die Toten“ bot sich am Ende an.

Ich habe drei Headlines im Angebot für „Wolkenschieber“:

Verehrt und angepisst: IN EXTREMO beziehen klar Stellung

– Der Klangkosmos wird mit einem „Wolkenschieber“ ausgedehnt

– Vieles anders, aber nicht alles neu

Welche von den 3 Headlines gefällt dir am besten und warum?

Die dritte Headline Vieles anders, aber nicht alles neu. Eine gewisse Rückbesinnung hat uns gutgetan. Musikalisch haben wir einige neue Dinge ausprobiert und integriert. Wir haben einen Kompromiss zwischen uns allen gesucht und gefunden, der die Mittelalterband und die Rockband widerspiegelt.

IN EXTREMO hat ein besonders Verhältnis zu Russland – nicht zur Politik, sondern zu den Menschen. Wie sehr trifft euch die aktuelle Situation Russland/Ukraine?

Wir hatten direkt nach der Pandemie eine richtig lange Tour durch Russland geplant. Für uns ist es vor allem wegen unserer Fans sehr traurig, dass wir nicht in Russland spielen können. Wir haben einen großen und aktiven Fanclub und die Menschen nehmen Reisen auf sich, dass ist unglaublich. In Russland wird wenig Geld verdient. Zu uns kommen Studenten, die im Monat circa 30 € zur Verfügung haben. Das wir zu den Menschen nicht fahren können hat die ganze Band getroffen.

Wirtschaftlich ist Russland kein großer Faktor. Du spielst in Sankt Petersburg und Moskau (Moskwa). Dort sammelst Du das Geld ein, um die restliche Tour zu finanzieren. Wir waren jetzt so weit, dass wir bis auf Sibirien schon überall einige Konzerte gespielt haben und entsprechend Stammpublikum zu unseren Gigs gekommen wäre. Ich denke, wir hätten erstmals Geld von einer Russlandtour mitgebracht.

Wenn du die Politik ausblendest, dann fühlt sich das alles sehr sinnlos an. Du arbeitest jahrelang für ein Vorankommen. Am Ende bricht alles wegen einem Idioten zusammen. Von unserem russischen Fanclub waren circa 40 Leute auf der Loreley bei unserem 20.Geburtstag. Ich musste die Fans einladen, weil die sonst kein Visum für Deutschland bekommen hätten. Das war 2015 und die deutsche Seite wollte wissen, wo übernachtet wird und ähnliches. Die russische Seite hatte damit kein Problem.

Einige Fans aus Russland haben sich Visa über Polen oder Ungarn besorgt. Das war anscheinend einfacher. Zum Organisator des Fanclubs habe ich einen guten Kontakt. Der hat Angst, dass er einberufen wird. Der will uns auf der Tour im Herbst besuchen. Ich hoffe, dass funktioniert. Er pflegt unsere IN EXTREMO-Seite in Russland und ist nach wie vor sehr aktiv.

Ihr tourt 2024 im Herbst und Winter, aber der eigentliche Höhepunkt winkt ja bereits. Loreley 2025 und 30 Jahre IN EXTREMO. Gibt es dazu schon mehr Infos?

Am ersten Septemberwochenende 2025 machen wir drei Tage Loreley für 30 Jahre IN EXTREMO. Wir spielen auch dreimal. 2015 haben wir im Prinzip auch dreimal gespielt, davon aber ein Akustikset auf dem Schiff. Wir haben 2015 zwei unterschiedliche Sets für die ersten zehn Jahre und die zweiten zehn Jahre auf der Hauptbühne gespielt. Wir haben zum 30. Geburtstag unseren Fanclub gefragt, was die sich wünschen oder vorstellen würden.

Die Antwort war, dass Schiff großartig ist, aber nur 1500 Menschen Platz finden. Die anderen Fans stehen draußen. Wir haben überlegt und das Konzept nochmal durchkalkuliert und haben gesagt, so schön ein Schiff ist, das Argument ist richtig. Wir machen einen dritten Tag und laden uns ein paar Bands dazu ein und machen volles Programm.

Wir wollen mal sehen, ob wir unser Repertoire in drei Teile schneiden können. Wir sind noch nicht so weit bezüglich der Details, aber ungefähr in diese Richtung wird die Jubiläumsfeier laufen. Eine Burgentour machen wir 2025 nicht. Wir spielen zwei Festivals in Deutschland mit dem Rockharz und dem Summer Breeze sowie zwei Shows im Ausland.

Zum guten Schluss möchte ich auf „Bluessommer“ und MONOMANN eingehen. Aus einem Buch sind ein Musikstück und eine Band geworden. Kannst Du uns etwas mehr zu der ganzen Entstehung erzählen und was du zukünftig mit dem Projekt vorhast?

Bücher schreiben mach ich schon sehr lange. Es gibt ganz viele Bücher über die Punkbewegung in der DDR. Ich sammle Musikbücher und über Punk in der DDR stehen bei mir zehn Bücher. Punk war aber in der DDR eine kleine, überschaubare Jugendbewegung. Die Blues- und Hippieszene war 20-mal größer. Ich fand es schade, dass der Szene kein Denkmal zuteilwurde. Halb autobiographisch und halb Fantasie habe ich das Buch „Bluessommer“ geschrieben. Ich war damals 18 oder 19, als ich bei FREYGANG eingestiegen bin. FREYGANG war meine Lieblingsband, der ich hinterher gereist bin.

Der Bassist von FREYGANG wurde verhaftet, sodass ich als neuer Bassist mitmachen durfte. Zu der Zeit war die Band verboten, was für mich kein großes Problem war. Ich war Student und erhielt ein Stipendium und arbeitete nebenbei beim Theater. Als junger Mensch durfte ich bei einer der bekanntesten Undergroundbands mitmachen. Ein Jahr nach meinem Einstieg durfte FREYGANG wieder auftreten. Die Zeit hat mich sehr geprägt aber auch an der ein oder anderen Stelle überfordert. Das Projekt ist für mich wie eine Verarbeitung meiner Vergangenheit.

Es sollte keine FREYGANG-Biografie werden, sondern ein Roman. Daher habe ich die Band MONOMANN genannt. Nachdem der Roman fertiggestellt war, stellte sich die Frage, was wir aus dem Roman über Musik machen. Ich gehe gerne auf Lesungen, finde die aber oft anstrengend. Wenn wir aber einen Roman über Musik haben, dann sollten wir den Roman mit Musik, also mit dem Auftritt einer Band, kombinieren. Ich hatte erst überlegt neue Songs zu schreiben, was sich aber als zu langwierig erwies. Daher habe ich die Nummern genommen, die wir damals zu der Zeit mit FREYGANG gespielt haben. Diese Nummern haben wir neu aufgelegt.

In der Zeit habe ich auch Micha kennengelernt. Ich war 16 und Micha war 17. Ich habe Micha irgendwann von dem Projekt erzählt und ihn gefragt, ob er eventuell sich vorstellen kann, Mundharmonika zu spielen, da wir bereits einen Sänger hatten. Micha sagte zu und übernahm für den ein oder anderen Track auch den Gesang. Micha hat alle Auftritte mitgemacht und wurde Bandmitglied. Wir haben die Lesung mit Musik kombiniert und anschließend ein Konzert gespielt. Das waren in der Regel Auftritte über circa vier Stunden. Diese Art der Veranstaltung haben wir nach vier Jahren beendet. Es gab aber Nachfragen nach der Band. Daher spielen wir so circa 6 bis 8 Konzerte pro Jahr und sind damit sehr zufrieden.

Von welchen Musikern oder Bands wurde FREYGANG in den 80ern beeinflusst?

Die Einflüsse von FREYGANG waren sehr unterschiedlich. Zum Teil von den englischen und US-Bands, aber primär eine Westberliner Band mit dem Namen MON DYH, deren Songs wir zum Teil nachgespielt haben. Wir kannten uns untereinander und der Bassist von MON DYH kam öfters nach Ostberlin und hat uns zum Beispiel Saiten mitgebracht. Ein weiterer großer Einfluss war TON STEINE SCHERBEN. Wir haben in der Regel zur Hälfte eigene Songs und zur Hälfte Cover von den SCHERBEN und MON DYH auf die Bühne gebracht.

Wo hat FREYGANG die Instrumente in der DDR-Zeit herbekommen?

Die Instrumente haben wir zum Teil aus Tschechien bekommen, aber nicht nur. Wir hatten Kontakt zu einer bulgarischen Truppe, die in den großen Hotels spielen durfte. Zu Ostzeiten durften die Bulgaren nach Westberlin reisen. Die haben nicht davon gelebt, dass die in den Hotels ein paar Ostmark verdienten. Die haben sämtliches Equipment vom Westen in den Osten geschleust und sich bezahlen lassen.

Für meinen ersten Bass habe ich 2.800 Ostmark bezahlt. Jahre später war der im Quellekatalog für 250 Mark. Der Umrechnungskurs war grob 1:10 beziehungsweise 1:11. Der übliche Tauschkurs war 1:5 oder 1:6. Das Problem war, wie bringe ich so ein Equipment über die Grenze. Das Risiko haben wir mitbezahlt. Es wurden Sachen an Autobahnraststätten umgeladen und die Bulgaren waren beim zollfreien Schmuggel sehr fit.

Wie ging es mit FREYGANG nach der Wende weiter?

Der Sänger von FREYGANG ist 2008 verstorben. Die Band hat sich 2019 endgültig aufgelöst. Der Sänger war sehr charismatisch und ohne ihn war FREYGANG nicht mehr FREYGANG. 1986 haben wir Spielverbot auf Lebenszeit bekommen. Mit der Wende 1989 haben wir richtig losgelegt und gespielt, wo wir konnten. Vorher spielten wir unter einem anderen Namen viel im Ausland. Polen, Ungarn oder Tschechien waren für uns kein Problem. Eine weitere Möglichkeit waren Musikclubs, wo wir den Veranstalter gut kannten.

Bis 1992 war ich dabei, dann haben wir angefangen uns im Kreis zu drehen. Es gab andere interessante Bands, zum Beispiel NOAH, wo ich mit Micha gemeinsam ein paar Jahre aktiv war. Daraus ist am Ende IN EXTREMO mit entstanden.

Wo lagen Deine musikalischen Anfänge, die Dich zu FREYGANG geführt haben?

Meine Anfänge waren in Potsdam. Ich kenne Bodenski von SUBWAY TO SALLY aus der damaligen Zeit und den Schülerbands. Es gab in ganz Potsdam drei Schülerbands. Kulturell stand Potsdam im Schatten von Berlin. Ich bin mit 16 nach Berlin gezogen und habe Musik studiert. Sport und Kunstfächer gingen damals ohne Abitur. Ich war nur noch am Wochenende in Potsdam mit einem Sack voll Wäsche. Den Kontakt zu den Schülerbands habe ich verloren, da ich mich primär auf die Kulturszene in Berlin gestürzt habe. Ich habe Bands in Berlin gesucht und nicht in Potsdam.

Was hast Du zukünftig mit MONNOMANN vor?

Ich habe nochmal ein neues Buch veröffentlicht. Das Buch heißt „Achtopol“. Ein kleiner Verlag aus Radebeul unterstützte mich bei der Herausgabe. Der Inhaber ist ein alter Hippie, den ich aus der FREYGANG-Zeit kenne. Es ist keine Fortsetzung vom „Bluessommer“, aber thematisch nah dran. Der Rest wird sich zeigen und wir sind für neue Ideen offen.

Lieber Kay, danke für Deine Zeit. Die berühmten letzten Worte liegen bei Dir.

Solche Dinge kann ich nicht. Das finde ich furchtbar. Ich freue mich, wenn alles so weitergeht wie bisher und das Release und die Tour gut laufen.

Quelle: Zoom Interview mit Kay Lutter
11.09.2024

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