In Extremo
„Halle und Leipzig sind für uns ein Heimspiel“

Interview

Zum guten Schluss möchte ich auf „Bluessommer“ und MONOMANN eingehen. Aus einem Buch sind ein Musikstück und eine Band geworden. Kannst Du uns etwas mehr zu der ganzen Entstehung erzählen und was du zukünftig mit dem Projekt vorhast?

Bücher schreiben mach ich schon sehr lange. Es gibt ganz viele Bücher über die Punkbewegung in der DDR. Ich sammle Musikbücher und über Punk in der DDR stehen bei mir zehn Bücher. Punk war aber in der DDR eine kleine, überschaubare Jugendbewegung. Die Blues- und Hippieszene war 20-mal größer. Ich fand es schade, dass der Szene kein Denkmal zuteilwurde. Halb autobiographisch und halb Fantasie habe ich das Buch „Bluessommer“ geschrieben. Ich war damals 18 oder 19, als ich bei FREYGANG eingestiegen bin. FREYGANG war meine Lieblingsband, der ich hinterher gereist bin.

Der Bassist von FREYGANG wurde verhaftet, sodass ich als neuer Bassist mitmachen durfte. Zu der Zeit war die Band verboten, was für mich kein großes Problem war. Ich war Student und erhielt ein Stipendium und arbeitete nebenbei beim Theater. Als junger Mensch durfte ich bei einer der bekanntesten Undergroundbands mitmachen. Ein Jahr nach meinem Einstieg durfte FREYGANG wieder auftreten. Die Zeit hat mich sehr geprägt aber auch an der ein oder anderen Stelle überfordert. Das Projekt ist für mich wie eine Verarbeitung meiner Vergangenheit.

Es sollte keine FREYGANG-Biografie werden, sondern ein Roman. Daher habe ich die Band MONOMANN genannt. Nachdem der Roman fertiggestellt war, stellte sich die Frage, was wir aus dem Roman über Musik machen. Ich gehe gerne auf Lesungen, finde die aber oft anstrengend. Wenn wir aber einen Roman über Musik haben, dann sollten wir den Roman mit Musik, also mit dem Auftritt einer Band, kombinieren. Ich hatte erst überlegt neue Songs zu schreiben, was sich aber als zu langwierig erwies. Daher habe ich die Nummern genommen, die wir damals zu der Zeit mit FREYGANG gespielt haben. Diese Nummern haben wir neu aufgelegt.

In der Zeit habe ich auch Micha kennengelernt. Ich war 16 und Micha war 17. Ich habe Micha irgendwann von dem Projekt erzählt und ihn gefragt, ob er eventuell sich vorstellen kann, Mundharmonika zu spielen, da wir bereits einen Sänger hatten. Micha sagte zu und übernahm für den ein oder anderen Track auch den Gesang. Micha hat alle Auftritte mitgemacht und wurde Bandmitglied. Wir haben die Lesung mit Musik kombiniert und anschließend ein Konzert gespielt. Das waren in der Regel Auftritte über circa vier Stunden. Diese Art der Veranstaltung haben wir nach vier Jahren beendet. Es gab aber Nachfragen nach der Band. Daher spielen wir so circa 6 bis 8 Konzerte pro Jahr und sind damit sehr zufrieden.

Von welchen Musikern oder Bands wurde FREYGANG in den 80ern beeinflusst?

Die Einflüsse von FREYGANG waren sehr unterschiedlich. Zum Teil von den englischen und US-Bands, aber primär eine Westberliner Band mit dem Namen MON DYH, deren Songs wir zum Teil nachgespielt haben. Wir kannten uns untereinander und der Bassist von MON DYH kam öfters nach Ostberlin und hat uns zum Beispiel Saiten mitgebracht. Ein weiterer großer Einfluss war TON STEINE SCHERBEN. Wir haben in der Regel zur Hälfte eigene Songs und zur Hälfte Cover von den SCHERBEN und MON DYH auf die Bühne gebracht.

Wo hat FREYGANG die Instrumente in der DDR-Zeit herbekommen?

Die Instrumente haben wir zum Teil aus Tschechien bekommen, aber nicht nur. Wir hatten Kontakt zu einer bulgarischen Truppe, die in den großen Hotels spielen durfte. Zu Ostzeiten durften die Bulgaren nach Westberlin reisen. Die haben nicht davon gelebt, dass die in den Hotels ein paar Ostmark verdienten. Die haben sämtliches Equipment vom Westen in den Osten geschleust und sich bezahlen lassen.

Für meinen ersten Bass habe ich 2.800 Ostmark bezahlt. Jahre später war der im Quellekatalog für 250 Mark. Der Umrechnungskurs war grob 1:10 beziehungsweise 1:11. Der übliche Tauschkurs war 1:5 oder 1:6. Das Problem war, wie bringe ich so ein Equipment über die Grenze. Das Risiko haben wir mitbezahlt. Es wurden Sachen an Autobahnraststätten umgeladen und die Bulgaren waren beim zollfreien Schmuggel sehr fit.

Wie ging es mit FREYGANG nach der Wende weiter?

Der Sänger von FREYGANG ist 2008 verstorben. Die Band hat sich 2019 endgültig aufgelöst. Der Sänger war sehr charismatisch und ohne ihn war FREYGANG nicht mehr FREYGANG. 1986 haben wir Spielverbot auf Lebenszeit bekommen. Mit der Wende 1989 haben wir richtig losgelegt und gespielt, wo wir konnten. Vorher spielten wir unter einem anderen Namen viel im Ausland. Polen, Ungarn oder Tschechien waren für uns kein Problem. Eine weitere Möglichkeit waren Musikclubs, wo wir den Veranstalter gut kannten.

Bis 1992 war ich dabei, dann haben wir angefangen uns im Kreis zu drehen. Es gab andere interessante Bands, zum Beispiel NOAH, wo ich mit Micha gemeinsam ein paar Jahre aktiv war. Daraus ist am Ende IN EXTREMO mit entstanden.

Wo lagen Deine musikalischen Anfänge, die Dich zu FREYGANG geführt haben?

Meine Anfänge waren in Potsdam. Ich kenne Bodenski von SUBWAY TO SALLY aus der damaligen Zeit und den Schülerbands. Es gab in ganz Potsdam drei Schülerbands. Kulturell stand Potsdam im Schatten von Berlin. Ich bin mit 16 nach Berlin gezogen und habe Musik studiert. Sport und Kunstfächer gingen damals ohne Abitur. Ich war nur noch am Wochenende in Potsdam mit einem Sack voll Wäsche. Den Kontakt zu den Schülerbands habe ich verloren, da ich mich primär auf die Kulturszene in Berlin gestürzt habe. Ich habe Bands in Berlin gesucht und nicht in Potsdam.

Was hast Du zukünftig mit MONNOMANN vor?

Ich habe nochmal ein neues Buch veröffentlicht. Das Buch heißt „Achtopol“. Ein kleiner Verlag aus Radebeul unterstützte mich bei der Herausgabe. Der Inhaber ist ein alter Hippie, den ich aus der FREYGANG-Zeit kenne. Es ist keine Fortsetzung vom „Bluessommer“, aber thematisch nah dran. Der Rest wird sich zeigen und wir sind für neue Ideen offen.

Lieber Kay, danke für Deine Zeit. Die berühmten letzten Worte liegen bei Dir.

Solche Dinge kann ich nicht. Das finde ich furchtbar. Ich freue mich, wenn alles so weitergeht wie bisher und das Release und die Tour gut laufen.

Galerie mit 21 Bildern: In Extremo – Baltic Open Air 2023

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Quelle: Zoom Interview mit Kay Lutter
11.09.2024

Ein Leben ohne Musik ist möglich, jedoch sinnlos

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