Imha Tarikat
"Bei jedem Album ist es, als würdest du ein Stück deiner Seele dalassen."
Interview
Mit “Hearts Unchained – At War With A Passionless World” veröffentlichten IMHA TARIKAT im Dezember ’22 ohne Zweifel eines der originellsten und eindringlichsten Werke des heimischen Black Metals im vergangenen Jahr. Das dritte Album der Kölner verfügt über alle Zutaten, die es zum Jahreshighlight machen und dürfte nebenbei dazu beitragen, IMHA TARIKAT zu den wichtigsten deutschen Genre-Bands werden zu lassen. Höchste Zeit für uns, der Band auf den Zahn zu fühlen. Daraus ergab sich ein ausgesprochen angenehmes, interessantes und unterhaltsames Gespräch mit Mastermind und Quasi-Alleinunterhalter Kerem Yilmaz, dem vielleicht offenherzigsten und philanthropischsten Black Metaller, den man in freier Wildbahn antreffen kann. Warum seine Gedanken und seine Musik trotzdem von extremer Düsternis gekennzeichnet sind, lest ihr im Interview.
Kerem, du kannst mit deinem dritten Album “Hearts Unchained” sehr zufrieden sein, wie ich mitbekommen habe, sind die Kritiken sehr gut und auch aus meiner Wahrnehmung heraus ist es krass, wie sich IMHA TARIKAT als Gesamtkunstwerk steigern konnten und zu etwas sehr eigenständigem werden konnten. Bist du denn auch zufrieden?
Vielen lieben Dank erstmal. Ja, ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis, weil ich hundert Prozent an Gefühlen reingesteckt habe. Ich habe alle Kapazitäten in Sachen ‘technical ability’ ausgereizt und einiges dazugelernt. Besonders für mich ist es, in der Reise vom Songwriting bis hin zum Mixen und Mastern neue Aspekte kennenzulernen. Zum Beispiel, von Michael [Zech, mischte “Hearts Unchained” ab – Anm. d. Red.] auch gesagt zu bekommen, “Du könntest ruhig etwas tighter werden” und darüber ein tieferes Wissen zu entwickeln, wie das Ganze noch besser werden kann.
Mit dem Anspruch, dass ich immer besser werden möchte, habe ich aber auch eine gewisse Unzufriedenheit in mir drin. Ich möchte aber nicht undankbar klingen. Das Feedback ist sehr gut und es ist toll zu wissen, dass die Leute das annehmen und die Entwicklung, die du angesprochen hast, nachvollziehen können. Auch, wenn sie die Gefühle, die darein gesteckt wurden, wahrnehmen können – dann weiß ich, ich habe alles richtig gemacht.
In einem Interview zu “Sternenberster” bei den Kolleg:innen vom Deaf Forever habe ich gelesen, dass du seinerzeit nicht sicher warst, ob du dich noch an dem Punkt befindest, den du benötigt hast, um IMHA TARIKAT zu starten. Daher frage ich mich, ob du den Grund wiedergefunden hast, oder ob sich inzwischen deine Motivation, Musik zu machen verändert hat.
Damals habe ich mich sehr dunkel gefühlt. Ich war sehr frustriert. Ich habe zwar ganz viele Dinge gemacht und hatte auch das Feuer dazu, aber ich habe es nicht gefühlt. Was ich damals empfunden habe, konnte ich durch und manifestiert in “Sternenberster” aber auch irgendwie zurücklassen. Ich hatte schon angefangen, an “Hearts Unchained” zu arbeiten und es war auf einmal… anders. Kryptisch, ich weiß. Ich war überfordert mit dem, was in meinem Leben passierte. Es geht hier ums gesellschaftliche Funktionieren. Ich war konfrontiert mit einem Kampf und der Furcht vor der Zukunft: Wie kann ich dafür sorgen, dass ich im Leben fundiert bleibe und nicht auf der Strecke bleibe?
Ich bin monatelang durchgedreht. Wenn ich IMHA TARIKAT mache, muss es immer zu hundert Prozent sein, habe ich mir gesagt. Ich habe dann überlegt, ob ich einen anderen Bandnamen wählen sollte oder ob zumindest “Hearts Unchained” nicht als IMHA TARIKAT rauskommen soll, weil die Verbindung nicht mehr da war. Denn bevor es “Hearts Unchained” hieß, hatte das Album noch zwei andere Projektnamen. Der erste war “Excellent Despair – The Birth Of Grandeur” und der andere war “Beast Trigger And Sovereignty”. Es war ein Wirbelwind. Dass es dann als “Hearts Unchained” unter IMHA TARIKAT erscheint, wurde zwei Wochen nach dem Mastering festgelegt. Da wurde ich vom Label bereits freundlich angemeckert. Als ich die Vocals aufgenommen hatte, waren aber alle Gefühle, der ganze Wahnsinn da und ich wusste, dass es IMHA TARIKAT ist.
Heißt das Album deswegen im Untertitel “At War With A Passionless World”, weil es gewissermaßen um eine innere Welt geht, die bekämpft wird, mit Leidenschaft aufgefüllt wird?
Das hat verschiedene Gründe. Nach den Aufnahmen wusste ich zunächst, dass das Album “Hearts Unchained” heißen wird, es musste einfach so heißen. “At War With A Passionless World” beschreibt die Gefühle, die ich dabei herausgelassen habe. Es geht um den Kampf gegen die Blockade zu den eigenen Gefühlen. Ein großer Teil dieser Musik dreht sich darum, dass ich versuche, meine Gefühle zu identifizieren.
Andererseits drückt der Titel aus, wie ich die Welt um mich herum zu dem Zeitpunkt wahrgenommen habe und größtenteils auch immer noch wahrnehme: Tendenziell herzlos. Im Alltag habe ich oft das Gefühl, dass Sympathie und Empathie für den Anderen und seine Nächsten immer mehr mangeln. Die Menschen sind immer gestresst und müssen effizient sein. Ich habe eine gewisse Sehnsucht danach, gegenüber anderen Menschen gut zu sein, Liebe zu empfinden. Wenn Liebe wiederum da ist, habe ich häufig das Gefühl, sie ist dazu da, weil diejenigen die Liebe geben, sich dabei selbst gut fühlen wollen.
IMHA TARIKAT sind menschlich. Es gibt keine Magie, kein Mysterium. Es geht um die Realität. Es sind Geschichten von einem Menschen für Menschen. Mir ist das wichtig, denn das kotzt mich teilweise im heutigen Black Metal an. (beide lachen)
Verzeih’ mir bitte, aber deine Message erinnert ja fast an Nächstenliebe und klingt christlich an. Andererseits sind das aber auch logische Empfindungen und Symptome der Strukturen im Spätkapitalismus. Jedenfalls ist deine Grundhaltung für Black Metal ungewöhnlich – aber trotzdem verflucht passend.
Der meiste Second-Wave-Black-Metal mit dem ich aufgewachsen bin, ist dunkel und bitter gewesen und hat sich über Negativität definiert. Mich hat er in depressiven Phasen nur noch mehr runter gezogen. Es gibt nichts darin, was dir positive Energie oder Antrieb gibt, Teilhabe zu erleben. Mir war es wichtig, das anders zu machen, als ich IMHA TARIKAT gestartet habe. Ich würde es genau so machen, wenn ich keinen Black Metal machen würde, nur mach ich eben Black Metal, weil ich ehrlich zu mir bin. Das macht Black Metal wiederum kontrovers und regellos, wie er sein sollte.
Witzig, dass du das sagst. Ich empfinde IMHA TARIKAT auch als sehr positiv und bekräftigend, ohne, dass es irgendwas mit schrecklichen Dur-Tonleitern oder Hippie-Ästhetik zu tun hat. Übrigens wollte ich dir sowieso die Frage stellen, worin für dich das Potenzial von IMHA TARIKAT als Black-Metal-Band liegt. So wie ich den künstlerischen Ansatz und auch dich als Person jetzt wahrnehme, könntest du angesichts der emotionalen Schattierungen, der immensen Vielschichtigkeit und der kompositorischen Größe genauso gut jeden anderen Stil spielen und es würde sich ähnlich authentisch anhören.
Boah, das ist gut. Die Frage hab’ ich auch noch nicht gehört. Das Potenzial in dieser Musik ist, dass man sich mit düsteren Aspekten des Lebens auseinandersetzen kann, ohne sich darin zu baden. Aber es besteht die Möglichkeit, Düsternis zu akzeptieren, als Teil von sich anzunehmen und sich damit auseinanderzusetzen. Auch wenn ich dieser Bitterkeit eben kritisierte – ich habe auch sehr viel Energie daraus gewonnen. Ich liebe am Black Metal das Ideal, dass er lawless auf Full Power ist. Letztlich kommt es aus dem Inneren heraus, dass es sich danach anfühlt.
In seiner Art, wie es eine Geschichte erzählt, ist “Hearts Unchained” sehr filmisch. War das deine Absicht bei der Planung der Tracklist? Die wirkt auf mich übrigens bewusst, als wäre sie für eine Schallplatte konzipiert.
Die Trackliste ist nicht für die Schallplatte entwickelt, aber sie verfolgt eine Absicht und mir gefällt es, dass du es als “filmisch” beschreibst. Zu Beginn ist man in Konfrontation mit seinem Antagonisten und überwältigt diesen – siehe “Radical Righteousness”. Der Kampf ist allerdings kräftezehrend, dass man sich darin verirrt und sich reformieren muss, Kräfte sammeln. Man tastet sich an sich selbst heran, das ist “Brute Majesty”.
Zum Ende des Albums wird die Reise reflektiert. Besonders “Beast Of Sovereignty” ist für mich ein abenteuerlicher Song. Der Song ist wie ein ritueller Tanz durch die eigenen Gefühle.
Und er ist auch ein schönes Fazit für das Album. Die zweite Hälfte des Albums ist jedenfalls etwas leichtfüßiger und drischt nicht so sehr auf die Vollen wie die Songs vor dem Interlude “Birth Of Grandeur”. Stellt sich zum Ende hin Frieden ein?
Total, bei “Dominator Proselytism Tactics” beginnt das Voranschreiten mit einer neuen Kraft, nachdem bei “Flood Of Love (The Beast Trigger)” alle Gefühle ausgebrochen sind und alles niedergebrannt haben.
Halten wir fest: Das Album klingt unglaublich durchdacht, jedoch nicht verkopft.
Wie viel Spontanität erlaubst du dir in puncto Studioarbeit?
Darf ich noch mal ausschweifend werden? (lacht) Musik machen mit IMHA TARIKAT heißt schon, immer den Moment aufzunehmen. Bei “Brute Majesty” zum Beispiel habe ich drüber nachgedacht und sofort das Gefühl gehabt, drüber schreiben zu müssen und es getan. Es geht viel darum, was ich fühle, direkt zu erfassen und auszudrücken.
Die Gitarrenstrukturen habe ich mit Melvin, meinem Drummer, ausgearbeitet. Nachdem ich sie aufgenommen habe, habe ich noch eine Million Dinge hinzugefügt. So ist dann “Touch Of Mercy” und die Lead-Gitarre am Anfang von “Brute Majesty” entstanden. Ähnlich wie bei “Sturm Und Erlösung” auf “Sternenberster” saß ich da und spielte die ganze Nacht lang immer das Gleiche bis ich durchdrehte. Es lebt also auch davon, dass man es mit der Zeit verändert und ausarbeitet. Der mehr und mehr durchindustrialisierte Aufnahmeprozess unterbindet das leider manchmal. Kohle und Aufnahmezeiten sind limitiert. Deshalb nehme ich die Gitarren alleine auf und lasse mich gehen.
Und beim Gesang?
Zuerst schreibe ich die Texte. Dabei habe ich eine grobe Idee von der Phrasierung und lege bei den Aufnahmen meistens einfach los. Wenn ich nach den ersten Warm-up-Takes eigentlich total im Sack bin, manifestieren sich die besten Ansätze und ich nehme die eigentlichen Versionen auf.
Warum bist du bei diesem Album wieder ins Englische zurück gewechselt?
“Kahra Ihlas” wollte ich eigentlich komplett auf Türkisch machen, weil ich die Sprache sehr schön, geradezu romantisch finde. Ich spreche Türkisch aber höchstens auf B1-, B2-Niveau. Das reicht nicht, um Texte zu konzipieren. Die fantastischen Möglichkeiten des Türkischen bietet aber auch das Deutsche, daher habe ich auf “Sternenberster” deutsche Texte geschrieben. Deutsch ist meine Muttersprache, daher konnte ich am einfachsten aus mir heraus schreiben. Jetzt hatte ich aber wieder Bock auf Englisch. (lacht)
Ist es für dich belastend, fast allein für alles verantwortlich zu sein, was IMHA TARIKAT betrifft?
Ich würde gerne “Nö” sagen, aber (lachen) … auf jeden Fall. Die Zeit des Album-Releases mit dem Bearbeiten der Bestellungen, Interviews, Social Media etc., zudem studiere ich noch, das kann echt knackig sein. Aber ich würde das niemals eintauschen wollen. Ich bin super dankbar, wie geschmeidig es mit den anderen Jungs hinsichtlich der Live-Arbeit läuft. Das nimmt mir schon viel Arbeit ab.
Besonders Melvin muss ich hier nennen. Für mich ist er einer der besten Drummer, weshalb ich es geil finde, dass wir zusammen Mucke machen. Es läuft gerade so gut für uns, dass ich einfach immer weiter mache, selbst, wenn ich denke, ich könnte eigentlich mal entspannen. (schmunzelt)
Stichwort Melvin …
Ja, geiler Typ. (beide lachen)
Verstehe vollkommen, dass du von deinem Drummer überzeugt bist, aber was er auf “Hearts Unchained” abzieht, ist echt bemerkenswert. Es lohnt sich, das Album anzuhören, und nur auf die Drums zu achten. Bist du jemand, der, wie viele Gitarristen, dem Drummer Vorgaben programmiert, die fast unmöglich zu spielen sind, wenn man nicht vier Arme hat?
Der Typ ist gefühlt wirklich ein Oktopus oder hat eine höhere Stufe der Evolution erreicht. Lass mich folgendes erzählen, weil es mir wichtig ist, dass es erwähnt wird: Ich habe angefangen, mit Melvin vor den Recordings zu jammen. Nach zwei Wochen – es war Ende September – meinte er “Hast du Bock, Ende Oktober aufzunehmen?” Da hatten wir vier Songs fertig. Danach haben wir durchgeballert. Wir haben ohne Ende geprobt, den Kram ausgearbeitet und am Ende noch zwei weitere Songs geschrieben. Der Junge ist phänomenal, I love this boy! Jedenfalls programmiere ich viele Drums schon fertig, aber er ist so kreativ, dass er noch viel Eigenes mit reinbringt. Außerdem kann er alles, was mir durch den Kopf geht, aus dem Stand umsetzen.
Bist du eigentlich Autodidakt oder hast du musiktheoretischen Zugang? Die vielen Layer lassen Kenntnisse in Partiturlehre vermuten, andererseits klingen IMHA TARIKAT dafür dennoch intuitiv und impulsiv.
Naja, angefangen habe ich mit Schlagzeug, aber das war in der Wohnung meiner Eltern zu laut. Danach habe ich mir einen Bass gekauft, das ist bis heute eigentlich mein liebstes Instrument. Zuletzt erst habe ich mir eine alte Gitarre gekauft und losgelegt. Ich habe von Tag eins immer versucht, eigene Sachen zu schreiben, was man den ersten Aufnahmen vermutlich anhört. Daher ist aber alles was ich mache aus dem Bauch heraus.
“Hearts Unchained” ist eines meiner liebsten Alben des Jahres geworden. Was hat dir das Jahr musikalisch bereichert?
Die kommenden Alben von HEXER und THE NIGHT ETERNAL, die ich im Hintergrund begleitet habe. “Take Up My Bones” von ARÐ. Ich habe Mark kennengelernt – fantastischer Typ. Ansonsten viel Turkish Rock, Dark Jazz, BOHREN UND DER CLUB OF GORE und AGING mit “Sentenced To Love”. Außerdem der Song “Sunken Eyed Theophanies” von APOCRYPHOS. Ich hatte noch nie das Gefühl solcher gleichgültiger Trostlosigkeit.