Helloween
Im Gespräch mit Kai Hansen
Interview
Viel wird dieser Tage über die deutschen Power-Metal-Veteranen von HELLOWEEN gesprochen. Nicht allein die Wiedervereinigung der Band mit dem verlorengeglaubten Michael Kiske und Bandgründer Kai Hansen verursachte Jubelstürme innerhalb der Szene. Auch eine mehr als beachtliche Tour offenbarte eine stets homogen auftretende Gruppe, die kaum ein Wässerchen trüben konnte. In völliger Ekstase der Band-Evolution haben die mittlerweile wieder erstarkten HELLOWEEN mit der Produktion ihres 16. Sudioalbums “Helloween” einen Schritt zurück gewagt, nur um zwei Schritte vorwärts zu gehen.
Über eigentlich nicht vorhandene Disharmonien während der Aufnahmen, Aliens, das beeindruckende Artwork der Platte und vieles mehr haben wir mit Gitarrist Kai Hansen gesprochen, der sich wie immer als sehr zugänglich und bodenständig zeigte.
Lass uns heute mal nicht über Corona sprechen. Du kannst es ja wahrscheinlich auch schon nicht mehr hören, oder?
Absolut korrekt. Man kann natürlich dauernd darüber diskutieren und sich aufregen. Aber mir ist es auch recht, das Thema einfach mal zu lassen.
Warum habt Ihr ausgerechnet “Skyfall” als erste Single-Auskopplung von “Helloween” ausgewählt? Immerhin finden sich auf dem Album andere Tracks, die wesentlich kürzer sind und dennoch repräsentativ gewesen wären…
“Skyfall” hat sich als kleine Bombe entpuppt, die sehr Keeper-kompatibel ist. Auch wenn wir viele geile Songs auf dem Album haben, weckt “Skyfall” doch eine Menge Reminiszenzen an die Keeper-Ära. Aber der Track ist ja trotzdem etwas neues und keine Kopie. Er hat eben diesen bestimmten Vibe und summiert ziemlich gut, zu was HELLOWEEN auch dieser Tage noch fähig sind.
Wie stehst Du zur Cut-Version? Du bist ja bekanntlich kein Freund von solchen Änderungen.
Ja. Also, wenn ich mich an die Cut-Version von “Halloween” zurück erinnere, die fand ich absolut unterirdisch. Mein Lied wurde richtig zerstört und ist zu einem deutschen Schlager geworden. Damals dachte ich: “Um Gottes Willen! Was ist das denn für eine Scheiße?” Natürlich, man muss halt damit leben, dass auf MTV keine Zwölf-Minuten-Nummer gespielt wird. Aber in diesem Fall hier muss ich gestehen, dass ich die Cut-Version absolut unterschreiben kann. Letztlich ist unser Co-Producer Dennis Ward dafür verantwortlich. Das Wesentliche des Songs blieb erhalten, so dass er immer noch Sinn macht. Von daher war das okay für mich.
Das Album beginnt mit “Out For The Glory”, wobei der Song-Auftakt ziemlich düster ist. War das Absicht oder Zufall?
Naja, sagen wir es mal so: Letztlich müsstest Du Weiki (Michael Weikath, Anm. d. Red.) fragen, was er sich dabei dachte. Das Intro ist ein Teil des Songs und “Out For The Glory” sollte der Opener werden, weil er gut in die Sparte Speed-Metal in der Art von “Walls Of Jericho” passt. Natürlich hätte man auch mit einem fröhlichen Bombast starten können, aber wir haben uns eben hierfür entschieden.
Die Lyrics auf “Helloween” scheinen in der Zeit stehen geblieben zu sein und erzählen ähnliche Geschichten wie 1987. Woher nehmt Ihr auch nach über 30 Jahren noch die Inspiration für Aliens und Fantasy-Themen?
Wir haben halt alle so unsere Faibles und Gedanken. Man könnte das an dieser Stelle sicherlich psychologisch analysieren und jeden Texter unter die Lupe nehmen. Irgendwie kommt man als Songwriter wohl nicht drum herum, immer wieder die Dinge aufzugreifen, die einen beschäftigen. Bei mir sind das halt Aliens und Ufos. Wo kommen wir her, wo gehen wir hin? Und die Hoffnung auf ein harmonisches Miteinander ohne die Umwelt dabei zu zerstören. Das sind halt alles so doofe Sachen, die dahinter stecken. Das ist quasi meine Agenda.
Wenn Du Weiki nimmst, dann hat er immer so abgefahrene Dinge wie orwellsche Zukunftsvisionen. Da spielen dann die Konsequenzen von Allmachtsfantasien in jeglicher Form mit. Wenn Du zum Beispiel den Song “Guardians” (vom Album “Walls Of Jericho”, Anm. d. Red.) nimmst, dort geht es um eine Zukunftswelt in der Roboter alles kontrollieren. Dadurch soll es den Menschen gut gehen, obwohl sie gleichzeitig unterdrückt werden. Das ist so ein bisschen ein Spiegel von Weikis Seele, der Angst vor dieser Art mechanisierter Unterdrückung hat.
Andi (Deris, Anm. d. Red.) hat wieder eine etwas andere Art Dinge zu beschreiben, aber letztlich trifft es immer auf einen Punkt: Aktuelle Geschehnisse und Probleme des Lebens die immer auch ein großes Fragezeichen mit sich bringen und die man in irgendeiner Form in Gedanken formulieren kann. Damit schreien wir unser Missverständnis oder unsere Wut einfach hinaus. Bei anderen Bands findet man ja auch immer wieder die gleichen oder zumindest ähnliche Themen. Sei es Mord oder Krieg… Du weißt schon, was ich meine.
Es macht Euch ja auch ein Stück weit aus, dass Ihr eben nicht nur von blutigen Schlachten erzählt, sondern auch mal mit einem zwinkernden Auge auf Dinge blickt…
Bei uns ist das einfach offen. HELLOWEEN dürfen einerseits vom gepanzerten Revenger singen… Aber HELLOWEEN dürfen eben auch darüber weinen, dass die Welt scheiße ist. Auch ein Kaugummi-Song über die größte Blubberblase die jemand blasen kann, ist bei uns erlaubt. Es gibt keine Restriktionen und das ist halt das Schöne daran.
Ihr habt in der jüngsten Vergangenheit immer wieder betont, wie harmonisch die Aufnahmen zu “Helloween” vonstatten gingen. Das wirkt schon fast ein wenig zu unschuldig. Gerade so, als ob Ihr gar keinen Zweifel aufkommen lassen wollt… Hand auf´s Herz: Wie war es wirklich?
Das war schon ein natürlicher Prozess. Aber natürlich nicht frei von Konflikten. Du lockst mich hier gerade komplett aus der Reserve… Ich werde den Teufel tun und jetzt über irgendjemand herziehen. Aber keine Frage, wir hatte unsere Reibungspunkte. Und ich bin da schon ein guter Kandidat, weil ich immer eine starke Meinung habe und super kritisch bin. Wenn ich von einem Riff oder einer Melodie nicht überzeugt bin, dann möchte ich auch immer eine Alternative anbieten. Aber ich fresse nicht gleich alles. Auch wenn mal diskutiert wird, entscheidet am Ende dann immer der Songwriter im Zusammenspiel mit dem Producer wie es gemacht wird. Die Kunst dabei ist ja nicht, dass es keine Reibereien geben darf sondern viel mehr – trotz Reibungen – die Akzeptanz zu haben mit allen Varianten zu leben. Weil man sicher sein kann, dass es trotzdem immer gut ist. Das ist wie in einer Beziehung. Wenn man sich nicht auch mal streiten kann ist diese Beziehung emotional tot. Eine gute Kommunikation, Vertrauen, Respekt und Verständnis für die andere Person ist dabei der Schlüssel.
Siehst Du Deine musikalischen Qualitäten eher als Sänger, Gitarrist oder Songwriter? Das bezieht sich natürlich auch auf GAMMA RAY und Deine sonstigen Projekte.
Wenn ich es in eine Reihenfolge packen müsste, würde ich sagen: Songwriter, Gitarrist, Sänger. Ich glaube schon, dass ich ein guter Songwriter und Gitarrist bin. Aber ich bin eben auch kein Eddie Van Halen oder Yngwie Malmsteen…
Der Gesang ist so eine Sache. Ich mag meine Sachen und meine Stimme. Aber ich bin mir schon bewusst, dass mein Gesang auch kontrovers aufgenommen wird. Love it or hate it. Man kann meinen Gesang auch hassen, das ist mir vollkommen klar. Aber es gibt eben auch Sänger wie Freddie Mercury. Da sind sich alle einig. Da würde doch niemand sagen: “Der klingt scheiße” oder sowas. Bei mir gibt es schon einen prozentualen Teil der sagt: “Oh Gott, das ist ja schrecklich”. (lacht)
Ich mag es und freue mich über jeden der es auch mag. Die anderen können mich mal am Arsch lecken. (lacht)
Böse Zungen würden vielleicht behaupten, der schlichte Albumtitel “Helloween” bezieht sich auf die Tatsache, dass mit der Re-Union endlich die wahrhaftigen HELLOWEEN zurück sind. Was würdest Du darauf entgegnen?
Nee! Die Story hinter dem Albumtitel ist tatsächlich ganz anders. Als wir darüber diskutierten, haben wir natürlich die Möglichkeiten abgewogen, einen der Songtitel zu verwenden. Immerhin haben wir ja kein Konzeptalbum, dafür aber eine bunte Mischung aus Liedern. “Indestructable” wäre zum Beispiel ein cooler Titel gewesen. “Hier sind wir und wir sind unzerstörbar”. So in der Art.
Irgendjemand sagte dann: “Hey! Warum nennen wir das Album nicht einfach Helloween?” Die Idee fand ich anfangs total blöd. Obendrein hieß unsere Debüt-EP damals “Helloween”. Doch der Titel hat schon seine Berechtigung, denn immerhin haben wir jetzt mit einer neuen Ära begonnen. Quasi einen Neuanfang gemacht. So gesehen ist das ein neues HELLOWEEN mit dem aktuellen Lineup und Michi und mir. Das sind HELLOWEEN – jetzt!
Das Cover-Artwork von Eliran Kantor sticht besonders heraus. Wie kam es, dass Ihr mal wieder ein gemaltes Cover haben wolltet? Das kennt man ja eigentlich nur von den ersten HELLOWEEN-Platten…
Naja… Die früheren Cover waren rein Airbrush, keine gemalten Bilder. Das jetzige ist aber gemalt. Wir haben verschiedene Künstler angefragt und ein paar Direktiven und Elemente vorgegeben und Songtitel mitgeschickt. Viele Ergebnisse waren dann aber letztlich nur ein Abklatsch von den Keeper-Alben. Das war alles gut, aber eigentlich nicht das, was wir uns vorgestellt hatten.
Als uns Eliran dann seinen Entwurf geschickt hat, fanden wir ihn sofort klasse. Das war alt und neu zugleich. Unsere jetzige Band-Besetzung ist ja auch alt und gleichzeitig neu. Es ist gut, nicht einfach stumpf zu wiederholen, was man schon hatte.
Die sieben fallenden Schlüssel, die Uhr, der Tod… All diese Details laden zur Interpretation des von Dir erwähnten Neubeginns durchaus ein…
Ja klar! Jeder kann natürlich hineininterpretieren, was er mag.
Kannst Du noch einmal die wichtigsten Meilensteine skizzieren, die zur Pumpkins-United-Tour und der daraus folgenden Re-Union geführt haben?
Punkt 1: Ich hatte bestimmt schon seit zwanzig Jahren daran gedacht, dass es cool wäre, wenn wir noch einmal zusammen kämen. Wir haben damals ja scheinbar etwas relativ großartiges veranstaltet und es wäre schade gewesen, das auf Halde liegen zu lassen. Außerdem hatten sich viele Fans das auch gewünscht. Immer wenn GAMMA RAY und HELLOWEEN dann auf einem Festival zusammen gespielt haben, ist man nach der Show auf ein Bier oder ein adäquates Kaltgetränk zusammengesessen. Dabei habe ich das Thema natürlich auch immer mal auf den Tisch gelegt. Aber es gab auch ein paar Hindernisse, was das Verhältnis von bestimmten Leuten in der Band zueinander betraf. Und jeder hat sowieso auch an seiner eigenen Sache gearbeitet. Aber es war halt so ein erster Schritt.
Als nächstes wurde Michael Kiske aus der Versenkung geholt. Er hatte sich ja förmlich zurückgezogen und eine regelrechte Metal-Sezene-Phobie entwickelt. Ich hatte zwar einen guten Draht zu ihm, aber er wollte einfach nicht, hatte andere Intentionen. Letztlich gilt der Dank Tobi (Tobias Sammet, Anm. d. Red.) von EDGUY beziehungsweise AVANTASIA, der Michi da rausgeholt und auf die AVANTASIA-Scheiben gebracht hat. Auf einer Tour war ich dann ja auch mit dabei. Michi und ich konnten in dieser Zeit viel miteinander reden und er merkte dann auch, dass der Metal-Fan eben kein kirchenfressender Vollidiot ist (lacht). Als wir zusammen auf der Bühne waren fühlte es sich so gut an, dass wir einfach irgendwas zusammen machen mussten. Aus dieser Magie ist dann UNISONIC entstanden. Ein weiterer Türöffner.
Und dann gab es noch ein Problem zwischen Michi und Weiki in der Vergangenheit, das sie aber aus der Welt geschafft haben. Beide sind halt auch erwachsener geworden und waren einfach gewillt, das hinter sich zu lassen. Auf den zwei Touren mit HELLOWEEN und GAMMA RAY dann, waren wir wie eine Familie unterwegs. All das hat letztlich dazu geführt, dass wir uns mit dem Management zusammengesetzt haben. Dabei hat Michi Andi zum ersten Mal getroffen. Und Andi Michi… Da wusste man im Vorfeld ja auch nie, wie das mit zwei hochkarätigen Sängern funktionieren würde. Aber die Stimmung war positiv, sodass diese Tour durchgezogen wurde. Und das wiederum war der letzte Schritt für das Album.
Kannst Du das Gefühl beschreiben, nach 30 Jahren “Future World” unter dem Banner von HELLOWEEN zu spielen?
Das war fett. Es gehört halt zusammen. Ich fand es immer okay und gleichzeitig komisch, wenn ich mit GAMMA RAY auf der Bühne war und HELLOWEEN-Songs gespielt habe. Genauso komisch fand ich es auch, wenn HELLOWEEN meine Songs gespielt haben. Das war halt okay, aber es war nie das Richtige. Die Tour war großes Kino, aber nicht mit damals zu vergleichen. Wir sind nicht mehr die Jungspunde von früher. Wir geben schon noch Vollgas, aber eben anders. Wenn man es negativ formulieren möchte, würde ich sagen, dass wir abgewichster sind (lacht). Aber das heißt ja nicht, dass man nicht trotzdem Enthusiasmus und Spaß in die Sache legen kann.
Die wichtigste Frage unseres Gesprächs: Bleibt Ihr in dieser Besetzung zusammen?
Das weiß der große Zampano. Aber so wie es im Moment ist, wollen wir das. Wir wollen auf jeden Fall so weiter machen. Natürlich weiß man nie was passiert… Aber im Prinzip: Ja!
Du erzählst immer wieder, dass Du mit JIMI HENDRIX und LED ZEPPELIN aufgewachsen bist…
THE SWEET, SLADE waren damals auch dabei… Ne ganze Menge Zeug.
Gibt es auch aktuelle Bands, die Dich interessieren?
Klar, logisch. Ich finde zum Beispiel eine japanische Band namens ONE OK ROCK sehr geil. Die sind zwar schon etwas länger dabei, aber die finde ich nach wie vor großartig. Ich bin auch ziemlich auf SONIC SYNDICATE abgefahren, zumindest auf deren erste Alben. BEAST IN BLACK finde ich auch super. Es gibt viele aktuelle Bands, die ich mag.
Famous Last Words?
Bleibt gesund. Ich freue mich wirklich über die Reaktionen auf das Album und natürlich vor allem “Skyfall”. Ich freue mich darauf, endlich wieder auf Tour zu gehen und mit vielen coolen Leuten richtig Spaß zu haben. Ansonsten: Fuck the Government. (lacht)