Iced Earth
Immer was zu tun
Interview
ICED EARTH stehen schon seit dem Beginn ihrer Karriere hoch in der Gunst der klassischen Headbanger. Mastermind Jon Schaffer ist allerdings nicht gerade eine unumstrittene Figur in der Metal-Welt. Doch nach seiner geglückten Nackenoperation im Jahr 2014 zeigt er sich beim Gespräch in Dortmund als angenehmer Typ, der nicht nur mit sich und seinem Werk im reinen, sondern auch noch verdammt hungrig ist.
Hey Jon, schön dich kennenzulernen!
Jon: Ebenso!
Und wie fühlst du dich heute?
Jon: Ich fühle mich gut.
Ich frage nur, weil ICED EARTH 2014 ihre Festivaltour absagen mussten, da eine Operation an deinem Nacken vorgezogen werden musste. Was genau ist da passiert?
Jon: Also die ursprüngliche Verletzung ereignete sich bereits 1996. 2000 hatte ich die erste Operation und schon damals war klar, dass irgendwann eine weitere folgen würde. Ich habe 14 Jahre durchgehalten, bevor es so weit war. Wir hatten drei Jahre lang sehr intensiv für „Plagues Of Babylon“ getourt, mit über 350 Shows und den Aufnahmen für ein Live Album. Die Band hat in der Zeit wirklich hart gearbeitet und das wurde immer schwieriger für mich. Irgendwann war ein Punkt erreicht, an dem ich die Kontrolle über meine Anschlaghand verlor. Mein Gehirn gab das Kommando, aber sie reagierte nicht mehr entsprechend. Wir mussten also eine Pause einlegen. Aber nach der Operation habe ich mich sehr gut erholt.
Besteht denn die Möglichkeit, dass die Probleme wiederkehren oder bist du endgültig durch damit?
Jon: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Probleme wiederkommen werden. Es ist wirklich etwas, das ich jeden Tag fühlen kann. Aber es gibt zum Glück Dinge, die ich tun kann, um den Prozess zu verlangsamen. Ich habe nicht mehr die gleiche Mobilität. Das ist die Headbanger-Krankheit. Es ist auch anderen wie Mustaine oder Newsted passiert. Ich war in den frühen Jahren ein echter Headbanging Maniac. Und das kann in späteren Jahren Probleme verursachen.
Okay, dann lass uns jetzt Mal über „Incorruptible“ sprechen. Ihr habt das Artwork einen Tag vor dem angekündigten Enthüllungsdatum veröffentlicht. Wie kam es dazu?
Jon: (überlegt) Oh, das meinst du! (lacht) Uns war einfach danach es früher zu veröffentlichen. Aber das Label hatte kein sonderlich großes Problem damit.
Ich habe das Gefühl, dass „Incorruptible“ etwas melancholischer als andere ICED-EARTH-Alben ist, mit vielen langsamen Songs und Balladen wie „The Veil“ oder „Raven Wing“. War das Absicht?
Jon: Hm, ich weiß nicht, ob ich das so unterschreiben würde. Wir hatten auf so ziemlich jedem Album Balladen, auch auf den frühen. Ich denke das Album ist ziemlich heavy und viele Songs sind aufbauend und inspirierend. Und auch wenn „Raven Wing“ eine Ballade ist, ist es kein trauriger, sondern ein sehr inspirierender Song, der einer Menge Menschen helfen wird.
Auf jeden Fall erinnerte mich das Album ein wenig an „The Dark Saga“. Würdest du da zustimmen oder siehst du keine Ähnlichkeiten?
Jon: Tatsächlich habe ich schon früh im Schreibprozess festgestellt, dass das Album einen sehr ähnlichen Spirit wie „The Dark Saga“ oder auch „Dystopia“ hat, welches ich als ICED-EARTH-Klassiker sehe, obwohl es noch etwas jünger ist. Wobei am Ende natürlich immer die Fans entscheiden, welches Album ein Klassiker wird. Aber ich sehe da auch eine sehr ähnliche Stimmung in den Alben. Das war absolut keine Absicht. Ich lege nie irgendwelche Ziele beim Schreibprozess fest, sondern lass es einfach fließen. Aber unsere aktuelle Lebenssituation beeinflusst immer die Musik. Egal ob du gute oder schlechte Erfahrungen machst, als echter Künstler, spiegelt sich das irgendwo in deinem Schaffen wider. Wir sind eben auch nur Menschen.
Ein Track auf „Incorruptible“ heißt „The Relic (Part 1)“, aber es gibt keinen zweiten Teil. Wann kriegen wir den denn zu hören?
Jon: Tatsächlich haben wir den noch gar nicht geschrieben. Das war etwas, mit dem Stu (Block, Sänger der Band – Amn. d. Verf.) auf mich zu kam. Er hatte ein textliches Konzept, das er gerne eines Tages fortsetzen wollte. Vielleicht machen wir das schon auf dem nächsten Album. Aber wir wissen noch gar nicht wie das aussehen wird. Es ist eine coole Story, aber wo er sie hinführen will, steht noch nicht fest.
In der Vergangenheit habt Ihr häufig Konzeptalben gemacht. „Dystopia“ etwa handelt von dystopischen Zukunftsvisionen, auf „Plagues Of Babylon“ widmeten sich sechs Songs der „Something Wicked“-Storyline. Warum gibt es auf „Incorruptible“ kein lyrisches Konzept?
Jon: Also für mich gibt es einen Unterschied zwischen einem Thema und einem Konzept. „Dystopia“ hatte ein Thema. Konzeptalben erzählen für mich eine durchgehende Geschichte. „Stormrider“ war so eins, genau wie „Dark Saga“, „Framing Armageddon“ und „Crucible“. Dann hast du wieder ein thematisches Album wie „Glorious Burden“. Da steckt eine andere Art von Idee hinter. Ich glaube, wir haben seit der ersten Platte kein Album mehr gemacht, auf dem die einzelnen Songs einfach alle für sich standen. Ich hatte einfach das Gefühl, dass der richtige Zeitpunkt für so etwas gekommen war. Da waren zu viele verschiedene Ideen, die raus mussten. Die Idee zu „Clear The Way“ zum Beispiel geisterte schon seit 15 Jahren in meinem Kopf rum. Das gleiche gilt für „Ghost Dance“. Ich hatte bei dieser Platte einfach nicht das Bedürfnis nach einem Thema oder einem Konzept.
„Clear The Way“ ist zufällig der Song, über den ich gerne als nächstes mit dir sprechen würde. Er erinnert mich ein bisschen an die „Gettysburg“-Trilogie von „The Glorious Burden“. Warum hast du ausgerechnet über den zweiten Tag der Schlacht von Fredericksburg einen Song geschrieben?
Jon: Also tatsächlich geht es in dem Song nicht um die Schlacht an sich. Der Song zollt einfach nur der Irish Brigade Tribut (Die Brigade war Teil der United States Army im Sezessionskrieg – Anm. d. Verf.). Ich wollte nichts episches wie „Gettysburg“ machen, das die Schlacht in allen Details beschreibt. Ich wollte den Fokus auf die Tragödie der Irish Brigade und ihres Opfers legen.
Es ist eine sehr schwierige Geschichte. Die Iren flohen damals aus ihrer Heimat, weil sie von der britischen Regierung unterdrückt wurden. Sie wollten ein neues Leben in den USA starten und rutschten direkt in den Bürgerkrieg. Sie kamen in Boston oder New York an und sofort hieß es: „Unterschreib für die Armee. Hier sind dein Gewehr und deine Uniform! Wir werden euch bezahlen!“ Das gleiche bei den Konföderierten im Süden. Sie fliehen also aus ihrem Land, nur um bei der Schlacht von Fredericksburg gegeneinander zu kämpfen. Es war ein totales Blutbad.
Stell dir das mal vor: Du fliehst aus deinem Land, um Frieden zu finden, nur um dann für zwei dir fremde Regierungen zu kämpfen. Das ist eine sehr tragische Geschichte, zu der ich irgendwie schon immer eine starke Verbindung gespürt habe. Jetzt war die richtige Zeit, den Song zu schreiben.
Okay, Gitarrist Troy Seele verließ ICED EARTH im August 2016. Nur einen Monat später habt ihr WITHERFALLs Jake Dreyer als neuen Mann vorgestellt. Wie habt ihr das so schnell hinbekommen?
Jon: Wir haben einfach bekannt gegeben, dass wir nach einem neuen Gitarristen suchen. Daraufhin haben sich hunderte Gitarristen mit Videos beworben. Ich habe mit einigen von ihnen Kontakt aufgenommen. Jake kannte ich schon ein wenig von unserer Europatour mit WHITE WIZZARD, wo er früher gespielt hat. Wir hatten ein tolles Telefongespräch und er schickte mir weiterhin Hörproben. Dann kam irgendwann der Punkt wo ich sagte: „Okay, ich will das du für eine persönliche Vorstellung hierhin fliegst. Aber hol dir nur ein Einweg-Ticket. Vielleicht brauche ich dich nur für zwei Stunden. Es könnten aber auch fünf Tage werden.“ Das hat er dann auch getan und es lief fantastisch. Er kam erst sehr spät im Aufnahmeprozess dazu. Deshalb konnte er sich nicht beim Songwriting einbringen, aber in Zukunft wird er das sicherlich tun. Jake hat einige großartige Ideen für ICED EARTH und hat einen tollen Job bei den Gitarrensoli gemacht.
Wie kam es überhaupt zu dem Wechsel?
Jon: Troy kam in eine sehr schwierige Situation mit seinem Sohn. Er hat lange nach einem Weg gesucht, um weiterhin bei ICED EARTH bleiben zu können. Aber ihm fehlte die dafür nötige Unterstützung. Sein Sohn ist autistisch und er hat nicht mehr die gleiche Unterstützung wie früher bekommen. Er spielt immer noch in einer Band, aber nur noch lokale Gigs an den Wochenenden. Es ist Hard Rock und Blues und das ist cool für ihn. Er kann sein Leben in den Griff kriegen und weiterhin Musik machen.
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Stile | Heavy Metal, Power Metal |
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