Hypocrisy
Hypocrisy
Interview
Hypocrisy sind zurück – und ich meine wirklich zurück! Kaum noch moderne Soundstrukturen wie auf "Catch 22", stattdessen leibt und lebt die Band wie zu ihren besten Zeiten zwischen "Abducted" und "Hypocrisy". Über das Wie und Warum gab mir ein entspannt wirkender Bassist namens Mikael Hedlund bereitwillig Auskunft. Die in der jüngsten Vergangenheit (deswegen ein nicht ganz aktuelles Bandpic) vorgenommene Änderung im Line-up kam natürlich auch zur Sprache, auch wenn sie zu einem etwas traurigeren Ende dieses Interviews führte.
Och, im Moment kann ich nicht klagen. Der Interviewmarathon hat gerade erst begonnen. Du bist mein dritter Gesprächspartner.
Schön! Dann lass uns beginnen. Für was steht euer neuer Albumtitel „The Arrival“? Für die Ankunft von Aliens oder für eure Ankunft in der Vergangenheit der Band?
Ich weiß nicht, ob diese Beziehungen den Titel wiedergeben. Im Prinzip weiß ich nicht mal genau, was hinter ihm steht. Er ist uns ca. vor einem Jahr eingefallen und es war sofort klar, dass wir ihn verwenden werden. Er hat nicht wirklich eine tiefere Bedeutung.
Warum seid ihr nicht dem moderneren Weg von „Catch 22“ gefolgt, sondern seid ein wenig zurück in der Bandgeschichte gegangen?
Wir haben auf „Catch 22“ etwas Neues ausprobiert. Alles war mehr gitarrenorientiert, der Sound war trockener, alles ging mehr in eine punkigere Richtung. Aber jetzt haben wir uns gedacht, wir sollten wieder einen Schritt zurückgehen und das machen, was wir am besten können. Viele Leute haben schon gesagt, dass wir jetzt wieder klingen wie eine Mischung aus „Abducted“ und „Hypocrisy“. Da muss ich zustimmen. Dort liegen einfach unsere Stärken. Das war ganz und gar eine natürliche Entwicklung. Diese melodischen. sphärischen Midtempo-Songs stehen für Hypocrisy.
Zwischen „The Final Chapter“ und „Hypocrisy“ lag eine große Vorwärtsentwicklung, dann kam eine Rückbesinnung mit „Into The Abyss“, dann wieder ein Schritt nach vorne mit „Catch22“ und jetzt ging es wieder zurück in die Vergangenheit der Band. Wird das jetzt zur Regelmäßigkeit?
Puuh, schwere Frage. Das kann ich im Moment nicht sagen. Ich bin kein Hellseher, der die Zukunft vorhersagen kann. Man wird sehen. Lassen wir uns überraschen.
Mit dieser Antwort habe ich gerechnet. Bei euch weiß man nie, was als nächstes kommt. Mögt ihr es, eure Fans in dieser Unwissenheit zu lassen, um sie dann zu überraschen?
Nein, ich wünschte, dass ich ihnen jetzt sagen könnte, was der nächste Schritt ist, aber wir wissen es ja noch nicht einmal selbst. Wir hören natürlich ein wenig auf die Wünsche der Fans. Einige hatten sich ja über „Catch 22“ beschwert. Trotzdem liebe ich dieses Werk.
Ihr habt neben dem Sound auch wieder das alte Alien-Konzept im Artwork und in den Texten ausgegraben und du sagtest eben, dass „The Arrival“ das darstellt, was ihr am besten könnt. Das heißt also: melodisches Midtempo + Alienthematik = die ultimativen Hypocrisy?
Ja, ich denke schon. Diese Themen liegen uns und speziell Peter sehr nahe. Er ist sehr interessiert an allem, was mit Außerirdischen zu tun hat. Dass sich das in den Texten widerspiegelt, ist .logisch, weil er fast alle schreibt.
Gibt es keinen einzigen Song, der sich mit einem anderen Thema befasst?
Ein übergeordnetes Konzept besteht nicht. Jeder Track steht für sich selbst, ist aber immer verbunden mit Science-Fiction-Inhalten.
Kommen wir zu einem etwas unerfreulicheren Thema: Euer langjähriger Drummer Lars hat die Band kürzlich verlassen. Wie kam es dazu?
Wir waren in den letzten beiden Jahren fast ununterbrochen auf Tour. Er war müde und hatte darauf keine Lust mehr. Wenn du eine Band hast, sich aber nicht jeder gleichermaßen mit 100% einbringt, funktioniert es einfach nicht. Also mussten wir eine Lösung finden. Wir wollen ja auch in Zukunft noch auf Tour gehen.
Ich kenne wenige Bands, die so live so aktiv sind wie Hypocrisy. Wie kriegt ihr das auf die Reihe?
Das hat eigentlich erst vor zwei Jahren richtig angefangen. Davor würde ich uns nicht unbedingt als fleißige Bühnenbienchen bezeichnen. Wir sind vielleicht ein oder zwei Mal getourt. Das ist gar nichts. Da musste mehr kommen. Zudem lieben wir es, auf den Brettern zu stehen.
Welche neuen Möglichkeiten habt ihr mit ex-Immortal-Drummer Horgh, der Lars ersetzt hat?
Er ist ein brillanter Schlagzeuger und zudem schon ein langjähriger Freund der Band. Peter hat mit ihm und Immortal oft im Studio zusammen gearbeitet. Noch dazu ist er ja auch Drummer bei Pain, Peters anderer Band. Er passt perfekt zu uns und sagt selbst ständig zu uns, dass er es kaum erwarten kann, endlich auf Tour zu gehen. Deswegen werden wir unseren Stil nicht ändern, nur weil er ein Blastbeat-Monster ist. Aber seine Fähigkeiten geben uns natürlich die Möglichkeit, unser Spektrum zu erweitern. Es wird sich trotzdem immer nach Hypocrisy anhören.
Wie hast du den Immortal-Split aufgenommen? Es ist ja bekannt, dass ihr und Immortal gute Freunde wart.
Meine erste Reaktion war: „Scheiße! Das kann nicht wahr sein!“ Wir waren oft zusammen auf Tour, ich habe sie tausendmal gesehen, kenne alle Alben. Es war eine Riesenenttäuschung.
Jetzt mal wieder was zum Lachen: Peter und du sagen über eure komischste Live-Erfahrung, dass dies ein Gig in Seattle im Jahre 2002 war, den ihr beide Halb nackt gespielt habt. Warum?
Wir waren in Amerika auf Tour mit Soilwork. Die Seattle-Show war die letzte auf dem Tourplan. Es ist Brauch, beim letzten Gig einer Tour, dass sich alle immer irgendwie gegenseitig verarschen. Also haben wir unseren Vorgruppen ein paar Streiche gespielt. Dadurch, dass wir als letzte auf die Bühne mussten, wussten wir aber auch, dass wir nicht ungeschoren davon kommen und sie wahrscheinlich noch schlimmere Dinge im Kopf haben würden als wir. Also entscheiden wir uns, nur in Unterwäsche zu spielen. So war es egal, was sie im Endeffekt auf uns geschmissen haben, denn Klamotten versauen konnten sie so nicht. Aber komisch war es schon, nur in Boxershorts vor so vielen Leuten zu stehen.
Vor zwei Jahren hat Peter angekündigt, dass ihr auf Tour nicht mehr soviel feiern wollt, um bessere Leistungen zu bringen und so eher den Durchbruch zu schaffen. Hat das geklappt?
Um ehrlich zu sein…ich weiß es nicht! Haben wir weniger getrunken? Keine Ahnung. Aber wir passen da schon auf. Wenn wir klingen wie total besoffene Leichen, hat niemand etwas davon. Auf diesem Gebiet sind wir mittlerweile Profis.
Dabei hättet ihr fast gar keine werden können. „The Final Chapter“ hätte damals eigentlich euer letztes Album werden sollen. Wie froh seid ihr mittlerweile, dass ihr doch weitergemacht habt?
Sehr froh! Das war damals die richtige Initialzündung für uns, glaube ich. Peter war zu dieser Zeit einfach müde, alles für die Band zu tun, während von uns anderen nichts kam. Er machte alle Interviews, kümmerte sich um alle Kontakte rund um die Band. Dann berief er uns in ein Meeting, in dem er uns mitteilte, dass er so nicht mehr weitermachen möchte und dass wir uns doch mehr einbringen sollten. Wir hatten natürlich nichts dagegen. So war diese Sache wie ein neuer Beginn für uns.
Wenn du nun auf die letzten Jahre zurückschaust, welches war das beste für Hypocrisy?
Ich denke, es war genau dieses Jahr 1998. Wir begannen von vorne und haben uns gleichzeitig mit „The Final Chapter“ und später dann mit „Hypocrisy“ selbst gefunden. Ab da hatten wir ein klares Ziel vor Augen.
Und an welchen einzelnen Moment in eurer Karriere erinnerst du dich am liebsten zurück?
Das war der Tag, an dem wir den Vertrag mit Nuclear Blast unterschrieben haben. Es stellte einen absoluten Triumph für uns dar, eine riesengroße Sache. So offenbarten sich uns ganz andere Chancen mit der Band. Wir konnten Alben aufnehmen, mehr Gigs spielen, etc.
Was ist dein Lieblingsalbum von Hypocrisy?
Die neue Scheibe. Natürlich ähnelt sie der selbstbetitelten, aber sie ist neu und frisch. Aber ich stehe nach wie vor hinter jeder Platte, die wir bisher gemacht haben.
Und welchen Song spielst du live am liebsten?
„Roswell 47“, weil das der Song ist, bei dem die Leute am meisten abgehen.
Das wundert mich jetzt, weil doch normalerweise gerade die Hits irgendwann langweilig werden müssen, weil man kein Konzert ohne sie bestreiten kann.
Nun, bis jetzt ist das nicht der Fall! Aber die Leute würden die Bühne abreißen, wenn wir diesen Track nicht spielen. Da hast du schon Recht. Um Langeweile zu vermeiden, haben wir jetzt z.B. die Setlist der kommenden Touren abgeändert.
Änderung passt zu meiner nächsten und letzten Frage wie die Faust aufs Auge: Wenn du an eurer bisherigen Karriere etwas ändern könntest, was wäre das?
Ich würde Lars Ausstieg rückgängig machen. Das hat schon sehr wehgetan. Ich hätte es mir gewünscht, wenn wir mit derselben Besetzung hätten weitermachen können. Es war ein Gefühl, wie wenn eine Familie auseinander bricht. Definitiv der traurigste Moment unserer Karriere.