Hypno5e
Interview zu "Acid Mist Tomorrow"
Interview
HYPNO5E nennen sich die vier Jungs aus Montpellier, die gerade mit ihrem zweiten Album „Acid Mist Tomorrow“ (nicht nur bei mir) Begeisterungsstürme auslösen. Angesichts der bisher besten Veröffentlichung des Jahres 2012 bat ich Gitarrist/Sänger Emmanuel und Bassist Gredin zum Gespräch:
Hallo Jungs! Ich muss euch zunächst ganz herzlich zur Veröffentlichung von „Acid Mist Tomorrow“ gratulieren. Wie sind die Reaktionen bisher von Seiten der Fans und der Presse ausgefallen?
Gredin: Unglaublich gut! Wir haben so lange auf die Veröffentlichung gewartet, dass wir Zeit hatten, uns darüber Gedanken zu machen, wie die Leute wohl darauf reagieren. Das Album ist ja gerade erst am 23. März erschienen, aber alle, die es bisher zu Hören bekamen, fragten uns direkt, ob wir demnächst in ihrer Gegend live spielen. Es ist eine wahnsinnige Erleichterung, nach zwei Jahren anstrengender Suche nach den richtigen Partnern, um eine international synchronisierte Veröffentlichung zu erreichen. Jetzt sind wir auf den Gleisen, sehen noch nicht so richtig, was vor uns liegt, hoffen auf interessante Tour-Angebote und dass nicht noch eine riesige Mauer auf uns wartet und uns aufhält… Wir sind den Menschen, die uns ermutigen und unterstützen, wirklich sehr dankbar – und bis jetzt läuft alles bestens!
Ich vermute mal, dass die meisten unserer Leser noch nicht allzu viel von HYPNO5E gehört haben – wie wär’s, wenn ihr uns ein bisschen was über eure Bandgeschichte, eure Hintergründe oder was euch sonst noch wichtig ist erzählt?
Gredin: Das erste Ziel von HYPNO5E war es, Musik und Kino zu verknüpfen. Ich bin zu der Band gestoßen, nachdem Emmanuel mir erzählt hatte, dass er einen Soundtrack auf der Bühne spielen wollte. Ich mag die Idee, den Soundtrack eines Films live zu spielen, während der Film läuft. Zuerst lief der Film immer hinter uns, aber dank der lichttechnischen Fortschritte ist der Film mittlerweile MIT uns auf der Bühne. Zusammen mit der visuellen Komponente ist das Publikum von unserer Welt umgeben, es bleibt dabei. Es ist uns wichtig, die Zuhörer/-schauer in eine Parallelwelt zu entführen, aber mit dem Film führen wir sie nicht an ein bestimmtes Ziel, sondern liefern ihnen nur Hinweise und hoffen, dass jeder jeder seinen eigenen Film sieht. Der musikalische Aspekt lässt sich dabei wohl mit dem Begriff ‚Metal‘ beschreiben, aber es gibt auch Ambient-Abschnitte – denn auch in einem Film hast du Action-Szenen und dramaturgische Knackpunkte, und das ist für uns der beste Ausdruck.
Was genau steckt hinter eurem Bandnamen, speziell der 5? Ist das einfach 1337 oder steckt mehr dahinter?
Gredin: Wir verstehen Kunst als eine Möglichkeit, das Unterbewusstsein zu erforschen, sein eigenes Inneres kennenzulernen. Unter Hypnose kann man vergessene oder verdrängte Erinnerungen wiederentdecken, man kann sich sogar an frühere Leben [ach!? – Anm. d. Verf.] erinnern oder Schmerz bekämpfen. Das Ziel dabei ist immer, „dahinter“ zu schauen, ein Gesamtbild zu bekommen, die Grenzen der Neugier zu verschieben… Der 1337-Buchstabe 5 ist ein Überbleibsel des Songs „H492053“, was 1337 für Hypnose ist und einer unserer ersten Songs war. „H492053“ stand auf unserem ersten Album, ein sehr ruhiges Stück, die andere Seite des Spiegels sozusagen…
Ihr habt „Acid Mist Tomorrow“ über das deutsche Label Pelagic Records veröffentlicht. Wie kam’s?
Emmanuel: Wir haben viele Konzerte gemeinsam mit THE OCEAN [Robin Staps von THE OCEAN ist Inhaber von Pelagic – Anm. d. Verf.] bestritten und uns sehr schnell sehr gut mit ihnen verstanden, beide Bands arbeiten viel mit Video und Lichteffekten, beide experimentieren in ihrer Musik. Pelagic kümmern sich um die Europa-Veröffentlichung des Albums. Wir sind sehr froh, dass wir hier mit Robin zusammenarbeiten können, denn wir haben eine gemeinsame Vision davon, wie Musik sein kann. Ich habe schon einige Monate vor der Veröffentlichung mit ihm den Kontakt aufgenommen, und er hat war von Anfang an sehr begeistert. Ich würde sagen, dass die Zusammenarbeit mit einem Label, das von Musikern geleitet wird, das Beste für uns ist.
„Acid Mist Tomorrow“ ist euer zweites Album, nach „Des Deux L’une Est L’autre“. Was ist mit HYPNO5E in der Zwischenzeit passiert? Wo sind die SOAD-Einflüsse hin?
Gredin: Manche Leute hören sich SOAD zum Feiern an, ich denke nicht, dass man das von HYPNO5E behaupten könnte. Ich denke auch nicht, dass unsere Musik ähnlich ‚catchy‘ ist. Unser erstes Album war in erster Linie ein Studio-Album, das wir brauchten, um damit auf Tour zu gehen; dieses Mal haben wir uns Zeit gelassen, „Acid Mist Tomorrow“ wirklich zu ‚empfangen‘. Als Resultat haben wir uns auf bessere Riffs konzentriert – sie reflektieren uns besser, wir können uns mit dem Album absolut identifizieren. Deshalb mag ich „Acid Mist Tomorrrow“ auch viel lieber, es bleibt bei mir viel besser hängen als alles, das wir bisher aufgenommen haben: Ich mag das Konzept, ich liebe die Musik, die Produktion ist großartig… Ich bin wirklich glücklich!
Ich musste mir natürlich direkt euer erstes Album anhören und kann dich nur bestätigen: „Acid Mist Tomorrow“ ist viel homogener, sowohl musikalisch als auch emotional. Kannst du etwas ins Detail gehen, wie ihr diesen Schritt vollziehen konntet?
Gredin: Wie gesagt, da bin ich voll und ganz bei dir. „Acid Mist Tomorrow“ kann auf deutlich mehr szenischer Erfahrung aufbauen, Emmanuel hat uns hunderte von Riffs vorgespielt und wir haben gemeinsam „gepuzzlet“, genau wie Allen Ginsberg und Kerouac für William Burroughs‘ „Naked Lunch“ „gepuzzlet“ haben. Auf „Des Deux L’une Est L’autre“ haben wir blind ein Riff ans andere gereiht, während wir „Acid Mist Tomorrow“ direkt für die Bühne konzipiert haben. Wir haben wirklich darauf geachtet, es so flüssig wie möglich zu gestalten. Unsere Live-Erfahrungen haben uns dabei geholfen, wir wissen jetzt, wo ein Riff uns hinführen kann und haben ein wenig Kontrolle darüber (bilden wir uns zumindest ein).
In meiner Rezension habe ich einige Einflüsse aufgezählt, die ich in eurer Musik ausmachen kann: CYNIC (speziell die Fusion-Abschnitte mit dem klaren Gesang), GOJIRA, THE OCEAN, ich habe auch MADDER MORTEMs Gitarrenarbeit erwähnt (was vielleicht mit den Siebensaitern zusammenhängt). Was würdet ihr noch hinzufügen, um unseren Lesern einen Eindruck davon zu vermitteln, was sie von HYPNO5E erwarten können?
Gredin: Wenn ich Haupteinflüsse nennen soll, kommen eigentlich nur PINK FLOYD und THE DILLINGER ESCAPE PLAN in Frage. Das sind die Bands, die wir mögen und deren Einflüsse wir a posteriori in unserer Musik erkennen können. Wir hören uns eigentlich überhaupt keine aktuellen Metal-Bands an und ich habe das Interesse an THE DILLINGER ESCAPE PLAN nach „Miss Machine“ verloren [Wer könnte es ihm übelnehmen? – Anm. d. Verf.]. Ich weiß deine Auflistung sehr zu schätzen (und danke dir, dass du mich auf MADDER MORTEM aufmerksam gemacht hast, die ich noch nicht kannte) und wir spielen auch gern Konzerte mit diesen Bands, aber wir hören sie uns weder daheim noch im Band-Van an (jede Band, die mit uns unterwegs war, wird jetzt zustimmend nicken, haha). Ich mag auch die experimentellen Wege, die alle diese Band in ihrer Musik gehen, aber ich kenne sie nicht gut genug, um Parallelen auszumachen. Sollten wir irgendwann herausfinden, dass wir der Zwilling einer anderen Band sind, würden wir sofort versuchen, etwas anderes zu machen. Es ist doch Quatsch, etwas nachzuahmen, das es schon gibt.
Wir evolvieren in der Metal-Szene, ohne jahrelang einen Blick in die Szene selbst geworfen zu haben. Wir begegnen vielen Bands auf der Bühne und freuen uns über die wenigen Bands, die einfach mal was anderes machen wollen. Metal hat sich zu lange auf seinen Lorbeeren ausgeruht, deshalb sind die meisten europäischen Festivals mittlerweile nicht mehr als Jubiläums-Veranstaltungen für Metal-Rentner. Klar freue ich mich über Konzerte von Bands, die ich mochte, als ich noch zu jung für Konzerte war, aber die Kreativität bleibt allein schon deswegen auf der Strecke, weil sie berühmt sind. Klar gibt es auch „kleine“ Bands, die vor großem Publikum spielen, aber ich habe Festivals immer mehr als Entdeckungsreisen denn als Messen verstanden. Wenn eine ‚alte‘ Band es Wert ist, schaue ich sie mir lieber an, wenn sie allein unterwegs ist.
Aus atmosphärischer Sicht besitzt „Acid Mist Tomorrow“ ohne Zweifel einen roten Faden. Trifft das auch auf die Texte zu?
Emmanuel: Das Album erzählt die Geschichte einer Straße, die aus Nebel und Erde besteht, einer Grenze zwischen Leben und Tod, es erzählt die Unmöglichkeit, diesen Weg exakt zu verfolgen, obwohl er so vertraut scheint. Ein Mann geht über eine Straße, eine Straße die wie ein „ewiges Jetzt“ erscheint. Eine Straße, die mit Gehenna, dem Tal der Toten, verglichen werden kann. Diese Platte spricht vom Unmöglichen, von der Unmöglichkeit einer Beziehung zueinander, von der Unmöglichkeit des Seins.
Es erzählt vom giftigen Nebel, der unsere Augen umhüllt, aus dem manchmal ein kurzer Lichtstrahl auf den Glanz dieses Gespürs für das Unabwendbare fällt. Diese Ahnung liegt meines Erachtens am Grunde jeder menschlichen Beziehung, es ist der Ort, an dem wir die wichtigsten menschlichen Gefühle entwickeln, es ist der Ort, von dem aus wir wider besseren Wissens Freundschaft und Liebe errichten und zerstören, in unserem Kampf gegen die Zeit, gegen den Tod. Das ist es, was uns zu Menschen macht.
Was ist ihr sechster Finger?
Gredin: Dieser Song handelt von einem postapokalyptischen Zustand, einem Ort, an dem es kein Leben mehr gibt. Wir folgen auf dem Album einem Mann von seiner Exekution in die absolute Dunkelheit. In „Six Fingers On One Hand She Holds The Dawn“ ist die Hauptperson ein Zuschauer eines Blutbades. Eine Frau ist dort allein, von Leichen umgeben, das Zentrum einer Flamme, in der sie in der Hoffnung schreit, dass noch jemand übrig ist. Sie hält die Überbleibsel einer für immer ausgelöschten Vergangenheit, der sechste Finger könnte also jemandem gehören, den sie liebte und den sie vor dem Tod retten wollte – erfolglos. In dem Song geht es um Erinngerung und Identität. Die Hauptperson ist Beobachter am Ende der Welt, wo diese Frau nach jemandem sucht, der ihr sagen kann, was sie war, wer sie war, was die Welt einmal war. Der Song ist die Ruhe nach dem Sturm, das Bewusstsein eines nicht wieder gutzumachenden Verlustes, die Erkenntnis, dass es Identität nur dann gibt, wenn jemand da ist, der uns einen Namen gibt.
In „Gehenne“ (was neben dem biblischen Bezug, auf den du schon eingegangen bist, auch ‚Todesqual‘ bedeuten kann) habt ihr einen spanischen Text. Was Bolivien euch getan, dass ihr es in „Gehenne“ nennt?
Gredin: Spanisch ist fast meine Muttersprache, ich habe elf Jahre lang in Südamerika gelebt. Ich finde, die Musikalität der spanischen Sprache passte perfekt zur Stimmung von „Gehenne“. Der Text entstand ganz von selbst auf Spanisch. Das Bild, das ich während des Songs vor Augen habe, sind die bolivianischen Highlands in denen ich unterwegs war. Diese Atmosphäre habe ich versucht, in „Gehenne“ musikalisch umzusetzen. Das Land finden auf die eine oder andere Weise immer den Weg in meine Songs, es bedeutet mir so viel, es ist von einer tiefen Schönheit geprägt. Gehenna ist das Tal des Todes, der Ort des Übergangs. Für mich ist es ein Ort, an dem alles, was wir wissen, bedeutungslos wird, Raum schafft für das Unbekannte; ein Ort, der uns überlegen ist, an dem der Mensch keine Macht hat. Dort ist die Verbindung zu Bolivien (zum Beispiel Uyuni oder Sud Lipez), einem Land, das niemand kontrollieren kann, einem Land, das sehr rein und kraftvoll und gewaltig ist. Der Song ist also mehr eine Ode an dieses Land, das ich so liebe.
Leider ist mein Französisch zu schlecht, um einen Großteil der (Film-?)Samples zu verstehen. Alles, was ich verstehen konnte, war etwas über Zuschauer von jemandes Exekution. Was gibt es sonst noch zu erfahren? Und sind die Samples in „Story Of The Eye“ von einem Cartoon, so wie sie sich anhören?
Emmanuel: Die Samples auf dem Album sind hauptsächlich Literaturzitate: Im Titeltrack ist es die Hinrichtung eines Mannes aus Camus‘ „Der Fremde„. In „Story Of The Eye“ verwenden wir Samples des französischen Schriftsteller Artaud, was wir auch schon im Song „Tutuguri“ auf dem ersten Album getan haben. Wir verwenden viele Samples um einen Dialog zu erzeugen, um sie aus ihrem ursprünglichen Kontext zu reißen und ihnen durch Konfrontation mit unseren Texten eine neue Bedeutung zu geben. Das erzeugt eine zusätzliche Dimension in unserer Musik, gibt ihr diese filmische Komponente.
Lass uns noch kurz zu einem anderen wichtigen Aspekt von HYPNO5E kommen, den ihr ja schon mehrfach angesprochen habt: Konzerte. Ihr habt ja echt schon überall gespielt – wie setzt ihr die vielen Ambient- und Klassik-Elemente, die vielen Samples live um?
Gredin: Auf dem ersten Album waren die Samples an den Film gekoppelt und wir mussten uns live danach richten. Das Problem war, dass Projekten und Soundsamples vom selben Punkt aus gesteuert wurden (vom Schlagzeug aus) und das des Öfteren logistische Probleme gab. Mittlerweile haben wir die Klangsamples von der filmischen Begleitung separiert, so dass die Projektion quasi von überall angesteuert werden kann. Unser Lichttechniker regelt nun die Projektion und unser Schlagzeuger die Samples. Wie schon gesagt, der Film ist uns sehr wichtig, und wenn wir ihn nicht dabei haben, fühlt es sich an, als fehle ein Instrument, genauso wenig wie die Samples fehlen dürfen (das ist in sieben Jahren drei Mal passiert). Eine Band, der zwei Instrumente fehlen, ist doch sonst auch nicht wiedererkennbar.
Das hört sich ja spannend an, also muss ich direkt nach Shows in Deutschland fragen: Im Moment seid ihr viel in Frankreich unterwegs – wann werden deutsche Fans die Gelegenheit bekommen, euch live zu erleben?
Emmanuel: Wir haben in Mannheim mittlerweile so oft gespielt wie in unserer Heimatstadt Montpellier. Die Menschen in Mannheim haben von der ersten Show an uns geglaubt, wir haben immer sehr viel Spaß dort zu spielen und haben auch einige Freunde dort. Wir haben daher immer versucht, selbst eine Deutschland-Tour zu organisieren (wie wir es für andere Länder auch geschafft haben), aber es ist uns bis jetzt nicht gelungen. Letzte Woche haben wir mal wieder in Mannheim gespielt, aber sonst konnten wir keine Konzertmöglichkeiten finden. Momentan planen wir unsere nächsten Tourneen (Australien, die USA und Europa), und hoffentlich bereisen wir Deutschland im Laufe des Jahres etwas ausgiebiger.
Ich freue mich schon. Das soll’s auch gewesen sein – vielen Dank für eure Zeit und viel Erfolg mit „Acid Mist Tomorrow“, ihr habt es verdient! Irgendwelche abschließenden Worte?
Gredin: Sei neugierig, „don’t stay metal“… danke für die Unterstützung, wir wissen das sehr zu schätzen. Hoffentlich sehen wir uns auf Tour!