Herman Rarebell
"Michael war der Meinung, dass ich gut zu seinem Bruder und den Scorpions passen würde"
Interview
Herman Rarebell, von 1977 bis 1996 Schlagzeuger bei den SCORPIONS, stampfte während der Pandemie ein symphonisch orientiertes Projekt aus dem Boden. Als „Herman Rarebell: Scorpion’s Songs Symphonic“ erschien im Januar 2022 die passende Scheibe dazu, und ab Ende Februar soll es auf Tour gehen. Wir nutzten die Chance, Rarebell einige Fragen zu seiner SCORPIONS-Vergangenheit und dem aktuellen Projekt zu stellen.
Hallo Herman, die erste und wichtigste Frage: Wie geht es Dir und Deiner Familie? Alle wohlauf und gesund? Wie bist Du bisher durch die Pandemie gekommen?
Sehr gut, ich bin fit und gesund mit 72 Jahren. Schaue, dass ich immer viel an der frischen Luft bin mit Laufen und Bewegung. So sind wir gut durch die Pandemie gekommen, und in meiner Wahlheimat in England ist das Leben schon wieder fast wie normal.
Lass uns zunächst mal über „Schnatter und Lieschen“ sprechen. Deine Frau Claudia und Du seid als Kinderbuchautoren aktiv und gebt Vorlesungen. Wie ist es dazu gekommen, und gibst Du solche Vorlesungen auch heute noch?
Da war meine Frau die Ideengeberin. Sie meinte, dass ich mit meiner tiefen Stimme sehr gut zu einer Vorlesung passen würde. Vor Corona waren wir auf der Buchmesse, und circa 100 Kinder hörten uns zu. Die Pandemie hat die Vorlesungen leider gestoppt. Aber die Bücher wären eventuell auch eine Vorlage für zum Beispiel einen Kindersender wie den Kika. Ich glaube, dass sich solche Dinge immer mehr in die digitalen Medien verlagern. Ich habe auch eine Geschichte auf Englisch geschrieben und hatte erste Kontakte, welche nach der Pandemie eventuell wieder intensiviert werden könnten.
„Ich bin in Oostende etwas naiv auf die Fähre in der Hoffnung, dass die bekannten Szenegrößen wie URIAH HEEP, DEEP PURPLE oder LED ZEPPELIN auf mich warten würden.“
Ich möchte etwas zurück zu Deiner Vergangenheit kommen. Nach Deiner Ausbildung an der Musikhochschule in Saarbrücken warst Du einige Jahre in England aktiv. Kannst Du uns verraten, was Dich nach England gezogen hat und mit wem Du dort gemeinsam aufgetreten bist und wo Du als Studiomusiker mitgewirkt hast?
Nach vier Semestern Ausbildung habe ich beim Orchester des saarländischen Rundfunks reingeschnuppert. Da wurden um 10 Uhr die Noten aufgeschlagen, um 12 Uhr ging es in die Kantine, am Nachmittag folgte der zweite Teil, und um 16 Uhr wurden die Noten zugeklappt und es ging nach Hause. Ich hätte dort im Orchester spielen können und wäre zu einem Beamtenmusiker geworden. In Deutschland war der Krautrock im Vordergrund, gerade im Südwesten mit Bands wie AMON DÜÜL oder GURU GURU. Ich hatte jedoch mehr Interesse am Rock.
Ich bin in Oostende etwas naiv auf die Fähre in der Hoffnung, dass die bekannten Szenegrößen wie URIAH HEEP, DEEP PURPLE oder LED ZEPPELIN auf mich warten würden. Das war selbstverständlich nicht der Fall. Nach einem Monat waren die 2.000 DM verbraucht, und ich war gezwungen, Geld für meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ich spielte in kleinen Bands und primär in Pubs für 30 Britische Pfund am Abend. Das waren ausschließlich unbekannte Bands, die mehr Songs coverten als eigene Kreationen zu spielen. Wir probten unweit von THIN LIZZY, welche Mitte der 70er Jahre den Durchbruch schafften. Es war eine intensive und kreative Zeit, aber weit entfernt von großen Erfolgen. Marc Bolan war mit T.REX aktiv und erfolgreich, und Lemmy habe ich noch bei HAWKWIND als Sänger kennen gelernt. „Silver Machine“ war ein großer Hit, nicht nur in England.
„Michael war der Meinung, dass ich gut zu seinem Bruder und den Scorpions passen würde.“
Dein Einstieg bei den Scorpions erfolgte 1977. Da gab es kein Internet und keine Telefone zum Filmen. Wie ist das damals gelaufen? Hat Dich jemand von den Scorpions entdeckt oder bist Du zum Vorspielen nach Hannover gefahren?
Michael Schenker wurde in den 70ern von UFO nach England geholt, und die hatten mit „Doctor Doctor“ oder „Lights Out“ den Durchbruch geschafft. Wir trafen uns öfter, und Michael war der Meinung, dass ich gut zu seinem Bruder und den SCORPIONS passen würde. Es wurde ein Termin vereinbart, und ich habe bei Rudolf Schenker und Co. vorgespielt. Ich war nur einer von sehr vielen möglichen Drummern, welche sich die SCORPIONS angesehen haben. Ich spielte drei Songs bis zum Ende durch, und anschließend wurde mir gesagt, dass die Band sich bei mir meldet und ich nicht nachfragen soll. Das Schlagwort war „we call you, don’t call us“. Nach dem Vorspielen hatte ich das Thema eigentlich abgehakt und dachte, dass ich nie mehr etwas von den SCORPIONS hören würde. Es kam anders, die SCORPIONS meldeten sich bei mir, und ich bin mit meinen Sachen von England wieder zurück nach Deutschland.
In meiner Wahlheimat England leben Michael und ich keinen Kilometer voneinander entfernt. Das Projekt TEMPLE OF ROCK ist dadurch entstanden mit Doogie White als Sänger und Francis Bucholz am Bass. Michael hatte später die Idee mit den verschiedenen Sängern, und meine Aktivität bei TEMPLE OF ROCK endete 2016. Eine ähnliche Idee habe ich immer wieder mal im Hinterkopf. Oft sind die überdimensionalen Egos der Gitarristen ein Problem für derartige Projekte.
“He’s A Woman – She’s A Man” von der “Taken By Force” wurde von Dir gemeinsam mit Klaus Meine und Rudolf Schenker geschrieben. Wenn ich richtig recherchiert habe, dann müsste das der erste Songbeitrag aus Deiner Feder für die SCORPIONS gewesen sein. Habt ihr euch ins Studio eingeschlossen und alle Ideen auf den Tisch geworfen? Wie lief in den 70er Jahren der Entstehungsprozess zu einem Song?
Ja, so ungefähr lässt sich der Entstehungsprozess beschreiben. Wir waren auf Tour in Paris und sind durch den Rotlichtbezirk gefahren. Da kam eine Frau an unser Auto mit einer tiefen Stimme. Das war die zündende Idee zu “He’s A Woman – She’s A Man”. Da ich recht gut Englisch gesprochen habe zu dieser Zeit, setzte ich mich an den Text, Rudolf legte die Hookline drüber, und Klaus war mit dem Text einverstanden und das Singen funktionierte ebenfalls sehr gut. Wir haben den Song gemeinsam geprobt und dann irgendwann im Studio aufgenommen. Mein Songwriting hat sich von Scheibe zu Scheibe weiter erhöht. Bei der „Animal Magnetism“ war ich an sieben von neuen Songs beteiligt.
Bereits während Deiner aktiven Zeit bei den SCORPIONS hast Du Solo-Werke veröffentlicht. Ich möchte auf das Werk von 1985 zu sprechen kommen: „Herman Ze German And Friends“. Du hast reichlich namehafte Musiker um Dich versammelt. Don Dokken, Jack Russell, Steve Marriott oder auch der langjährige Sänger von Victory, Charlie Huhn, sind dort zu hören. Wie ist das Projekt damals entstanden?
In den 80ern habe ich in Los Angeles gelebt und mich in der dortigen Musikerszene bewegt und bin mit Don Dokken oder Steve Marriott in Kontakt gekommen. Dann hatte ich die Idee zu einer Soloscheibe und habe den ein oder anderen Musiker gefragt. Im Original heißt die Scheibe „Nip In The Bud“. „Herman Ze German And Friends“ war eine Neuauflage, welche für die aufkommenden CDs optimiert wurde. Ich habe Don oder Steve einfach gefragt, ob sie Lust hätten eventuell einen Song auf der Scheibe zu interpretieren und ich erhielt die Zusagen. Wir sind ins Studio und haben die Tracks gemeinsam aufgezeichnet.
„Der Sänger bei SCORPION’S SONGS SYMPHONIC ist Andrew Gräser. Der hat vorher unter anderem bei HOWARD CARPENDALE im Background gesungen.“
Lass uns zu der symphonischen Show SCORPION’S SONGS SYMPHONIC der aktuellen Zeit springen. Von den SCORPIONS gibt es das Album mit der BERLINER PHILHARMONIKER als „Moment Of Glory“. Wird Dein Ansatz mit dem HURRICANE ORCHESTER ähnlich? Wer wird neben Dir in der Band spielen und vor allem wer wird singen?
Der Ansatz ist identisch zu „Moment Of Glory“. Wir haben 17 Songs, welche wir symphonisch interpretieren. Der Sänger bei SCORPION’S SONGS SYMPHONIC ist Andrew Gräser. Der hat vorher unter anderem bei HOWARD CARPENDALE im Background gesungen. Wir hatten einige Sänger in der Auswahl, aber Andrew überzeugte sofort und ist recht nah am Original. Die weiteren Bandmember sind Fabian Nafziger und Christos Efstathiou an den Gitarren, Sam Zarrinkoub am Bass und Julian Heller für Percussion & DrumTec. Wir haben in der Besetzung unter anderem mit dem Orchester in Sankt Petersburg gespielt. Ich hatte dem Orchester die Noten gegeben und schlug vor, dass wir eine gemeinsame Probe durchführen. Das haben die abgelehnt, die Noten lägen vor und das wäre vollkommen ausreichend. Ein Orchester spielt nach Noten und ist etwas anderes als eine Rockband.
„SCORPION’S SONGS SYMPHONIC werden immer das gleiche Set spielen.“
Du hast eine ganze Reihe an Songs der SCORPIONS geschrieben, unter anderem „Rock You Like A Hurricane“, „Make It Real“ oder „Loving You Sunday Morning“. Wirst Du dich symphonisch primär auf Songs fokussieren, welche Du geschrieben hast bzw. in deiner Schaffenszeit mit den SCORPIONS entstanden sind oder ist eventuell auch mit Tracks wie „In Trance“ zu rechnen? Oder liegt der Fokus ausschließlich auf den auf der Scheibe enthaltenen 15 Tracks?
Wir werden bei SCORPION’S SONGS SYMPHONIC immer das gleiche Set spielen. Die 15 Tracks vom Album plus „Moments Of Glory“ und „Holiday“. Wir fokussieren uns auf dieses Set und verzichten auf einen Austausch der Setlist oder ein wechselndes Programm. Ein Orchester wechselt nicht täglich das Programm, das ist etwas anderes als eine Rockband. „In Trance“ wird von uns nicht interpretiert.
Konzerte sind im Winter und Frühjahr 2022 bezüglich der Pandemie gerade schwierig durchzuführen. Gibt es mögliche Ausweichtermine, sollten die Shows nicht stattfinden können? Könntest Du Dir vorstellen die Show auch auf einem Festival outdoor zu präsentieren?
Unser erster Termin der Tour ist am 27.2. in Stuttgart. Wir werden bis circa fünf Tage vor der Veranstaltung warten. Es gibt mittlerweile positive Signale für Kunst und Kultur. Dazu ist es ein Sitzplatzkonzert und kein Rockkonzert, wo alle Besucher stehen. Outdoor das Programm zu spielen kann ich mir sehr gut vorstellen. Es gibt Klassik-Open-Air-Konzerte, wir müssen nicht zwingend in einer Halle spielen. Unser Tourenplanung geht aktuell bis März. Im Juni haben wir zwei Termine in Polen. Wir würden sehr gerne Open Air auftreten.
Vielen Dank für Deine Zeit. Die letzten Worte sind bei Dir.
Vielen Dank für das Interesse. Bleibt alle gesund und hoffentlich haben wir bald wieder die Möglichkeit gemeinsam Konzerte und kulturelle Veranstaltungen zu genießen.