Helrunar
Interview mit Skald Draugir zu "Niederkunfft"
Interview
Das neue Album „Niederkunfft“ stellt einen musikalischen als auch konzeptionellen Bruch in der bisherigen Geschichte von HELRUNAR dar. Einerseits befassen sich die Texte zum ersten Mal mit historischen Themen anstatt Mythologie, und stilistisch sind die neuen Stücke deutlich getragener und nihilistischer als bisher, Elemente des Doom als auch Death Metals haben vermehrt Einzug in die Klangwelten von HELRUNAR gehalten. Sänger Skald Draugir klärt auf.
Euer neues Album „Niederkunfft“ ist in musikalischer Hinsicht deutlich langsamer ausgefallen als eure bisherigen Werke und enthält starke Death/Doom Metal Einflüsse. Das zeichnete sich schon etwas mit „Wein für Polyphem“ ab. Wie kam es zu dieser Entwicklung?
Zu dieser Entwicklung kam es eigentlich ganz automatisch. Oftmals ist ein langsames Tempo einfach effektiver, wenn es darum geht, düstere Stimmungen zu erzeugen. Immer nur schnelle Songs zu schreiben und zu spielen kann, man mag es kaum glauben, irgendwann auch langweilig werden. Mehr oder weniger bewusst gesellte sich wohl auch das Bedürfnis hinzu, sich nicht mehr nur auf bestimmte metallische Stilmittel zu beschränken, sondern alles einfließen zu lassen, was wir an Metal mögen… und das ist, neben Black Metal, eben auch Doom Metal, Thrash Metal, traditioneller Heavy Metal und Old SchoolDeath Metal, besonders aus Schweden.
In welchem Zeitraum entstanden die neuen Songs? Habt ihr etwas an der Herangehensweise vom Songwriting geändert?
Etwa vom Sommer 2011 bis Frühjahr 2014. Schon „Wein für Polyphem“ war an sich Teil dieser Kompositionsarbeit. Ihre endgültige Ausprägung erhielten die Songs auf „Niederkunfft“ aber wohl erst im Winter 2013/14. Im Prinzip haben wir gearbeitet wie zu „Sól“-Zeiten, nur dass diesmal alle Kompositionen fast ausschließlich von Sebastian stammen. Ich habe mich diesmal auf das Texten beschränkt.
Niederkunft bezeichnet die Geburt. Welche Bedeutung steckt hinter eurem Albumtitel?
Ich mag mehrdeutige Titel… so bezeichnet „Niederkunfft“ in der Tat die Geburt, vor allem die Geburt der Moderne – das Albumkonzept dreht sich ja um die Zeit vom 14. bis zum 17. Jahrhundert. Ein Teil dieser Epoche wird als Renaissance bezeichnet, was wiederum Wiedergeburt bedeutet, da in jener Zeit antikes Wissen wieder verfügbar gemacht wurde und dadurch Kunst und Wissenschaft neue Dynamik erhielten. Doch da wäre auch noch die assoziative Ebene… beim Wort „Niederkunfft“ mag man auch daran denken, dass etwas „herabkommt“… Unheil vielleicht, oder der Zorn Gottes. Es mag auch den Sturz eines Volkes, eines Imperiums oder von etwas ähnlichem andeuten.
„Niederkunfft“ befasst sich konzeptionell mit dem europäischen Menschen an der Schwelle vom Mittelalter in die Neuzeit. Wie seid ihr auf dieses Thema, das sich von euren bisherigen Texten unterscheidet, gekommen? Kannst du uns das lyrische Konzept bitte etwas näher erläutern?
Gekommen sind wir darauf eigentlich beim Probehören des neuen Materials… als alles fast fertig war, haben wir uns zusammengesetzt, darüber geredet und es auf uns wirken lassen. Und da waren eben diese Bilder von Pestilenz, brennenden Scheiterhaufen und Leichenbergen, die der Sound heraufbeschwor. Generell ist die frühe Neuzeit eine unglaublich faszinierende Epoche, die bisweilen erstaunliche Parallelen zu unserer Zeit aufweist, weil es, genau wie unsere, eine Zeit des großen Wandels war. Alle diese „mythischen“ Bilder von Pest, Hexenverbrennung oder der Dreißigjährige Krieg wirken im kollektiven Gedächtnis noch sehr stark nach. Und dieser Konflikt zwischen Religion, Aberglauben und Aufklärung macht besonders das 17. Jahrhundert zu einem ideologischen Hexenkessel. Ein zentraler Faktor dabei ist wohl diese kollektive Angst… vor Kriegen, Hungersnöten, vor Pest, Tod und Teufel, letzthin vor dem Untergang der Welt. Mal war diese Angst berechtigt, mal völlig irrational. Doch in nahezu jedem Falle hatte sie destruktive Auswirkungen, die alles noch verschlimmerten. Solche irrationalen Ängste findet man auch heute noch – sogar in immer höherem Maße, nur haben sich die Faktoren, auf die sie sich beziehen, ein wenig verändert.
Welche Herausforderung war „Niederkunfft“ oder anders gefragt – wie viel Arbeit steckt dahinter?
Recht viel… die Kompositionen nahmen ja recht viel Zeit in Anspruch, bei den Texten war es eher das erarbeiten der historischen Hintergründe und eine möglichst authentische Rekonstruktion der frühneuhochdeutschen Sprache, die Arbeit erforderten. Das war schon eine Herausforderung… zumal die Texte ja anders funktionieren als auf früheren Alben. Sie sind viel direkter… ich versuchte, so gut ich es als Mensch des 20./21. Jahrhunderts kann, mich in einen Menschen des 16./17. Jahrhunderts hinein zu versetzen.
Wer oder was ist „Der Endchrist“?
Das ist das alte Wort für den „Antichristen“, also den Gesandten des Teufels, der die Endzeit einläutet.
Aberglaube und Ängste im Konflikt zwischen Religion und Aufklärung – das klingt fast schon tagesaktuell, wenn man sich anschaut, was derzeit passiert. Terroristische Angriffe im Zeichen des (falsch ausgelegten) Islams, Pegida-Demonstrationen, der Kampf gegen Isis. Inwiefern beeinflussen euch solche aktuellen Themen?
In diesem Fall flossen sie sicherlich unbewusst in die Texte ein, vor allem dadurch, dass eine Epoche, die von ähnlichen Konflikten geprägt war, ja gerade vor so einem aktuellen Hintergrund besonders interessant wird.
Mit „Devils Devils Everywhere!“ und „The Hiebner Prophecy“ gibt es auch zwei Songs in englischer Sprache. Weshalb hattet ihr euch für Englisch entschieden? Handelt es sich hier um die Sichtweise eines englischsprachigen Protagonisten?
Ja, im Falle von „Devils, Devils Everywhere! “ ist das so. Meine Haupt-Quelle für diesen Song war das Buch „The Discovery Of Witches“, verfasst von dem englischen Hexenjäger Matthew Hopkins im 17. Jahrhundert. Generell habe ich unter anderem diesmal aber auch englische Lyrik eingebaut, weil ich auch unseren Fans im Ausland zumindest teilweise einen Zugang zu unseren Texten ermöglichen wollte.
Woher kommt deine Faszination für Mythologie und Geschichte?
Das kann ich nicht wirklich sagen… es war schon immer so. Ich mag wohl einfach die Geschichten und das Geschichtenerzählen, weil man darüber sein Dasein reflektieren, mit Sinn aufladen und in gewisser Weise auch überwinden kann.
Erneut habt ihr bei Markus Stock im Klangschmiede Studio E aufgenommen. Never Change A Winning Team?
Genau das! Wie immer hat Markus genau erfasst, was das Album brauchte… wahrscheinlich waren wir bisher noch nie mit einer Produktion so zufrieden wie mit dieser!