Helrunar
Interview mit Skald Draugir über "Sól"

Interview

Vier Jahre ist es her, dass HELRUNAR mit “Baldr Ok Íss” ihr letztes Album veröffentlichten, das als eines der Referenzwerke für Pagan/Black Metal aus Deutschland gehandelt wird. Als 2008 jedoch bekannt wurde, dass mit Tim “Dionysos” Funke einer der Songwriter HELRUNARs die Band verässt, konnte nur gemutmaßt werden, wie es mit der Formation weiter gehen könnte. Die Antwort darauf geben uns die Münsteraner dieser Tage mit ihrem neuen Doppelalbum „Sól“. Grund genug, Frontmann Skald Draugir einige Fragen zu stellen.

Grüß dich, Skald Draugir. Wie geht es dir heute?

Och, eigentlich gut. Nur ein wenig überarbeitet und gesundheitlich angeschlagen. Kein Wunder bei dem Wetter.

Herzlichen Glückwunsch zum neuen Album oder besser zu den zwei neuen Alben “Sól” I und II. Seid ihr zufrieden mit dem Resultat?

Dankeschön! Ja, sehr zufrieden. Genaugenommen sogar zufriedener als je zuvor.

Wie schon gesagt, bringt ihr zwei Alben auf einmal auf den Markt, die unter einem konzeptuellen Banner stehen. Wie kam es dazu? Habt ihr so viele Ideen gehabt, dass ihr nicht aussortieren konntet? Oder war von Beginn an geplant, das Album zu splitten? Wenn ja, warum?

Als wir im Sommer 2008 begannen Sól zu komponieren und zu texten, hatten wir noch keine Ahnung, was daraus werden würde. Das Konzept wuchs und wuchs und wurde musikalisch und inhaltlich immer vielschichtiger… Allerdings hatte auch jede Komposition, jeder Text einen Platz im Konzept und darum wollten bzw. konnten wir nichts weglassen. Gegen Ende 2009 bemerkten wir dann, dass es ein Doppelalbum werden würde. Da war es dann eben so.

Beim Recherchieren bin ich auf den Begriff “Kulturmythisches Psychodrama in drei Akten” als Beschreibung des textlichen Konzepts gestoßen. Kannst du das etwas näher erläutern? Der Begriff des Psychodramas ist mir bisher nur als Methode der Psychotherapie bekannt.

Die Texte auch psychologisch, anhand von Archetypen und seelischen Zuständen zu interpretieren, ist an sich ein ganz guter Ansatz! Das Wort Psychodrama im Untertitel steht aber für den literarischen Gattungsbegriff: Ein Psychodrama ist ein Theaterstück, in der es um das Seelenleben einer einzigen Person geht, oft in Form von Monologen. Ein Kulturmythisches Drama hingegen behandelt große Wendepunkte in der Geschichte der Menschheit, beispielsweise die Industrialisierung, eine eher kollektive Sichtweise also. Beide Begriffe zusammen beschreiben das Spannungsfeld, in dem sich die Handlung bewegt.

Kannst du uns mehr zu dem Konzept von “Sól” erzählen? Worum genau geht es denn auf den Alben? Welche Geschichte erzählt ihr darauf und was fasziniert euch an dieser Thematik so sehr, dass ihr ihr über 90 Minuten eurer Musik widmet?

Genau genommen hat das Album mehrere Bedeutungsschichten. Zum Beispiel, wie gerade schon angedeutet, kollektive wie auch subjektive. Es lässt sich psychologisch, mythologisch, historisch, philosophisch oder kulturkritisch interpretieren. Die letztendliche Deutung möchte ich lieber jedem einzelnen Hörer überlassen, denn die Bedeutsamkeit von „Sól“ ist offen gehalten – aber nicht beliebig! Jeder möge sich selbst in das Konzept einbringen, wie es ihm nützt. Den Kern bildet wohl der Mensch mit seinen Empfindungen und Wahrnehmungen in der modernen Welt. Die seelischen Katastrophen, die sich da ereignen, die Konflikte, die Ängste, die Trugbilder und die Zerstörung derselben. Das wären grob die Themen, die uns daran interessieren. Es ist also alles sehr existenziell.

Welche Songs bzw. Passagen dieser Geschichte haben für euch die größte Bedeutung? Habt ihr vielleicht in die musikalische Umsetzung bestimmter inhaltlicher Aspekte besonders viel Zeit und Mühe investiert?

Alles hat seinen Platz und seinen Sinn im Gesamtkonzept, und alles hängt zusammen und bedingt einander. Ich möchte also nichts besonders herausstellen. Die Katastrophe und die Zerstörung selbst waren textlich am schwersten umzusetzen. Auch „Aschevolk“, in dem es u.a. um wahre und falsche Identität geht, war eine größere Herausforderung. Und dann die abschließende Bearbeitung, in der alle Texte den letzten Schliff erhielten und aneinander angepasst wurden, damit sie das gewünschte Bedeutungsgeflecht erzeugen, das war eine Menge Kleinarbeit.

Wie gestaltete sich der Entstehungsprozess von “Sól”? Habt ihr euch für ein Konzept entschieden und anhand dieses Grundgerüstes die passende Musik verfasst? Oder habt ihr einfach angefangen, Songs zu schreiben und ist so erst Stück für Stück die Geschichte entstanden?

Dieses Konzept einer Entwicklung nach einer Katastrophe stand schon recht früh fest, hat sich aber im Verlauf der Arbeit gewaltig verändert. Der Rest der Herangehensweise war eher emotional. Nach und nach wurden die Stücke geschrieben und Texte und Musik aneinander angepasst, teilweise entstanden Text und Musik parallel. An diesem Punkt griff dann wieder der ordnende Verstand ein und die jeweiligen Stücke erhielten ihren festen Platz im Konzept. Musikalisch gesehen konzentrierten wir uns eher auf die Atmosphäre und die Spannungsbögen und warfen traditionelle Rock/Metal–Strukturen über Bord. Dadurch ist das Werk sicher schwerer zugänglich als unsere früheren geworden. Es muss aber so sein.

Hattet ihr beim Songwriting eine besondere Richtung im Kopf, wie z.B. dass es besonders hart, atmosphärisch, melodisch oder lyrisch wertvoll sein soll? Worauf habt ihr beim Songwriting den größten Werk gelegt?

Wie gesagt, Atmosphäre und Spannungsbögen. Text und Musik sollten einander unterstützen. Das bei weitem meiste Material stammt von Alsvartr. Wir wollten keine der sonst üblichen Gefälligkeiten mehr in unserer Musik. Es sollte hässlich werden, hässlich und dunkel, aber auch ausdrucksstark, mit wenigen lichten oder erhabenen Momenten als Kontrastpunkt. Aber das haben wir eigentlich nicht wirklich geplant, eher gefühlt.

Nachdem “Gratr” und “Frostnacht” am ehesten als kalt und roh zu charakterisieren sind, habt ihr bei “Baldr Ok Iss” eine etwas ruhigere, melodischere Gangart eingelegt. Wie fügt sich “Sól” eurer Meinung nach in diese Entwicklung ein? Rückbesinnung auf frühere Ansätze, besonders nachdem mit Dionysos nach dem letzten Album einer der Songwriter ausstieg, konsequentes Weitergehen eures bisherigen Weges oder vielleicht etwas dazwischen?

Ich denke, „Sól“ ist für uns ein Wendepunkt, aber auch ein Ausgangspunkt für unsere zukünftigen Arbeiten. Elemente, die man auf „Sól“ findet, finden sich sicherlich auch auf unseren früheren Alben. Aber „Sól“ ist konsequenter, kompromissloser, im Prinzip vielleicht sogar die Essenz. Und es geht einen Schritt weiter.

Seit Dionysos die Band nach eurem letzten Album “Baldr Ok Iss” verlassen hat, ist Discordius neues Mitglied von HELRUNAR. Hat er sich am Songwriting-Prozess von “Sól” intensiv beteiligt? Inwiefern hat er zu dem Album als auch zu der Band generell bisher beitragen können?

Er war am Songwriting-Prozess insofern beteiligt, als dass wir die neuen Kompositionen mit ihm proben konnten. Bei einer 2-Mann-Band ist so etwas ja nicht so einfach. Und er hat uns bei den Aufnahmen optimal unterstützt, was uns viel Arbeit und zusätzlichen Stress ersparte. Genau wie unsere anderen beiden Session-Mitglieder Harcon und Samiel macht er einen hervorragenden Job und engagiert sich sehr, besonders wenn es darum geht Live zu spielen.

Meines Wissens nach hat Jorge “Blutaar” Scholz von DRAUTRAN auch bei dem Album mitgewirkt. Inwiefern? Und wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Wir kennen uns seit 2004. Damals spielten HELRUNAR und DRAUTRAN zusammen auf dem „Av Is og Ild“-Festival in Bad Segeberg. Wir verstanden uns von Anfang an prächtig und als ich merkte, dass sich ein paar Stellen auf „Sól“ sehr gut für seinen Gesang eignen würden, fragte ich ihn einfach.

Jorge und du haben erst vor kurzem zusammen gearbeitet und zwar beim ARSTIDIR LIFSINS-Debüt “Jötunheima Dolgferd”. Wie kam es zu deiner Mitarbeit dabei und was hältst du von diesem Projekt und dem Album?

Der Hintergrund ist ein ähnlicher: Stefan hat nämlich seinerzeit das Festival organisiert, auf dem wir uns alle kennenlernten. Nach seinem Island-Aufenthalt, wo er all die Stücke für ÁRSTIDIR LIFSINSD komponierte und zum Teil schon aufnahm, fragte er Jorge und mich, ob wir die Vocals machen wollten. Wir waren sofort interessiert, erst recht, als er uns erste Hörbeispiele sandte. Abgesehen davon, dass uns die Zusammenarbeit große Freude bereitet hat, finde ich dieses Projekt einfach hervorragend. Es ist eine sehr tiefsinnige, atmosphärische und klischeefreie Umsetzung altnordischer Literatur! Da hat Stefan tolle Arbeit geleistet.

“Sól” I und II kann man als Artbook-Version mit zusätzlichem 50-seitigem Booklet erwerben, das die zu einem klassischen Drama erweiterten Liedtexte, Illustrationen und ein Geleitwort von dir enthält. Wie viel Wert legt ihr darauf, den Fans auch solche besonderen, aufwendigen Sammler-Editionen eurer Alben präsentieren zu können? Oder geht es euch in diesem Falle eher darum, den Hörern auch das textliche Konzept, gleichwertig neben der Musik, nahe zu legen?

Das Artbook ist im Prinzip das zentrale Werk, denn darin ist das gesamte Konzept enthalten. Und ja, Text und Musik stehen bei uns gleichwertig nebeneinander und bilden eine Einheit. Aber dieses Artbook ist natürlich für die Leute, die sich intensiver damit auseinandersetzen wollen. Viele möchten das vielleicht nicht und sind eher an der Musik interessiert, dafür muss man Verständnis haben. Generell finden wir es wichtig, dem Hörer einen hochwertigen Release zu präsentieren, in dem auch das Bildwerk zu Text und Musik passt.

Wie plant ihr, das neue Album bestmöglich zu promoten? Werdet ihr viel live spielen oder steht vielleicht sogar eine Tour an?

Eine Tour bzw. mehr Live spielen würden wir gerne! Die Frage ist nur wann, denn momentan stehen uns ein paar ungünstige Aspekte aus dem „wahren Leben“ im Wege. Wir hoffen tendenziell auf die zweite Jahreshälfte 2011.

Vielen Dank für das Interview. Die letzten Worte gehören dir.

Danke für das schöne Interview und Eure Unterstützung! Wir sehen uns (hoffentlich) bald Live!

09.01.2011
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