Helheim
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Interview
Mit "Kaoskult" steht anno 2008 bereits das sechste Full-Length-Album der norwegischen Heidenfraktion HELHEIM in den Regalen und zeigt die Kettenhemdliebhaber von ihrer bisher düstersten und wohl experimentierfreudigsten Seite. Vokalist und Bassist V’gandr nahm sich die Zeit für eine kleine Fragerunde und sprach mit mir unter anderem über den aufsehenerregenden Auftritt vor Kindergartenkiddies, konzeptionelle Hintergründe und das Internet…
Seid gegrüßt, alles klar im hohen Norden? Zunächst einmal natürlich Glückwunsch zu eurem aktuellen Album „Kaoskult“. Welche Reaktionen habt ihr bislang auf euren Sechstling erhalten und wie zufrieden seid ihr selbst mit dem Endergebnis?
Vielen Dank! Bis jetzt haben wir sowohl von der Presse als auch von den Fans viel positives Feedback bekommen, besonders die Fans scheinen „Kaoskult“ wirklich zu mögen. Natürlich sieht man hier und da auch einige wirklich schlechte Reviews, aber das ist ganz normal, denke ich. Es ist nunmal ein Album, zu dem man nur schwer Zugang findet, daher hat es in meinen Augen auch nicht verdient, nach einmaligem Hören abgeurteilt zu werden. Wir für unseren Teil sind noch immer mehr als glücklich mit dem Endergebnis und finden, dass wir mit Sicherheit unser bisher stärkstes Album aufgenommen haben.
Seit kurzem habt ihr mit Noralf einen neuen Mann an der Klampfe. Fiel euch die Trennung von Thorbjørn sehr schwer oder habt ihr seine Entscheidung, die Band zu verlassen, sogleich nachvollziehen können und akzeptiert? Wie kommt ihr in der neuen Formation zurecht?
Thorbjørn hat sich entschieden, die Band zu verlassen, um neue musikalische Pfade zu beschreiten. Er fand, dass er bei Helheim all das erreicht hatte, was er konnte und wollte nun weiterziehen. Wir haben seine Entscheidung absolut respektiert und es gibt keinerlei böses Blut zwischen uns. Noralf ist der perfekte Nachfolger und da er bereits eine Tour mit uns absolviert hat, wissen wir auch, dass er gut in die Band passt.
Auf eurer Website habe ich gelesen, dass ihr ausgewählte Songs von „Kaoskult“ in Form eines Akustiksets präsentiert habt. Allerdings nicht vor eingefleischten Metalfans, sondern vor einer Truppe von Kindergartenkindern! Wie kamt ihr zu dieser außergewöhnlichen Idee und wie haben die Kleinen bzw. deren Eltern auf euren Auftritt reagiert?
Eines Tages hatten wir ein Meeting mit unserer Plattenfirma und wir haben diskutiert, wie wir den Namen Helheim noch bekannter machen können – und dabei sowohl unsere Integrität bewahren als auch eine hintergründige Idee verfolgen. Dann sagte ich nur: „Warum spielen wir nicht einfach ein Akustikset in einem Kindergarten, wo wir auch noch über die nordische Mythologie mit den Kindern reden, damit sie dabei vielleicht sogar was lernen?“. Die Anderen schauten mich an und lachten, merkten aber schnell, dass ich keinen Witz machte und mochten die Idee dann sogar. Von da an hat dann hauptsächlich Hrymr das Steuer übernommen, weil er bereits zufällig jemanden kannte, der in einem Kindergarten arbeitet. Die Kids waren am Anfang ziemlich skeptisch, aber gegen Ende wurden sie echt locker und sind buchstäblich auf unserem angeheuerten Sänger herumgekrabbelt. Die Kindergärtnerinnen haben die Eltern im Vorraus über unseren Auftritt informiert und es gab nur ein Kind, dem die Eltern nicht erlaubt haben, uns zuzusehen. Ich glaube, sie waren Christen.
Kommen wir zurück zu eurem aktuellen Werk. „Chaos“ ist im gegenwärtigen Sprachgebrauch ein breitgefächerter Begriff, der sowohl die alltägliche Unordnung als auch tiefgehende, weltanschauliche Konzepte abdeckt. Welche Bedeutung hat das „Chaos“ für euch persönlich und welche Rolle hat diese Vorstellung bei der Entstehung von „Kaoskult“ gespielt?
Eine gute und interessante Frage. Okay, um das Wort „Chaos“ zunächst im Sinne des Titels und der lyrischen Referenzen zu definieren, beschreibt es im Wesentlichen die Unordnung vor allem Dasein. Es stellt in den Ansichten der nordischen Mythologie die große Leere, den gewaltige Abgrund und das uranfängliche Nichts dar. Das Wort „Kult“ hingegen repräsentiert uns, die Band, als Transistoren der Worte durch Musik und Sprache. Wir sind die hörbare Essenz, die die Worte des ursprünglichen Chaos vermittelt. Das mag jetzt alles abgedroschen klingen, aber es ist, wie es ist.
Die Songs auf „Kaoskult“ haben in meinen Augen eine diffuse, zum Teil fast schon schaurige und vor allem sehr düstere Wirkung. Gerade die Keyboardsequenzen, die progressiven Gitarrenklänge und die hypnotischen Basslines tragen dazu bei. Wie wichtig ist es für euch, einem Album eine ganz spezielle und eigene Atmosphäre zu verleihen und welche Mittel nutzt ihr – gerade auch während des Studioprozesses – um diese zu kreieren bzw. hervorzuheben?
Vorab erstmal ein Dank für deine Wertschätzung von „Kaoskult“. Nun, wir sind eine Band, die sich sehr bewusst ist, sowohl ihrer selbst, als auch über das, was ein Album dem Publikum, der Hörerschaft und auch uns selbst vermitteln soll. Die Texte können dabei den Leitfaden für die musikalischen Stimmungen eines Albums bilden, können aber genau so gut um bereits vorhandene Melodien und Songs herum geschrieben werden. Das Allerwichtigste ist, dass der Fokus auf dem Gesamterzeugnis und darauf liegt, wie wir uns als Gruppe präsentieren wollen – so kommt es, dass die musikalischen Ideen auf gewisse Art und Weise bereits vorherbestimmt sind. Während der Arbeit im Studio ist dann vor allem ein guter Produzent essenziell und Bjørnar, mit seinem enormen Verständnis für unsere Musik und unseren Wunschsound, ist mittlerweile wie ein fünftes Bandmitglied geworden. Wir versuchen bei jedem Album unseren Klang zu verbessern, aber achten dabei auch darauf, dass wir nicht dieses besondere Flair verlieren, das Helheim meiner Meinung nach in vielerlei Hinsicht besitzt.
Leider lagen meiner Promo-CD keinerlei Texte bei und da meine Kenntnisse der norwegischen Sprache leider nicht über ein einfaches „God Dag“ hinausgehen, würde ich euch an dieser Stelle bitten, das lyrische Konzept ein wenig näher zu erläutern.
„Kaoskult“ ist, wie ich klarstellen muss, kein Konzeptalbum, sondern vielmehr ein Album, bei dem sich der Großteil der Texte mit mehr oder weniger den selben Thematiken befasst. „Om Tilblivelsen Fra Gapende Tomhet“ thematisiert das ursprüngliche Chaos, während sich “ Det Norrøne Alter“ mit dem Weltenbaum Yggdrasil beschäftigt, der in der mythologischen Vorstellung das Zentrum der Welt und des Universums symbolisiert. „Om Smerte og Liv“ beschreibt dann das Leiden Yggdrasils, welches aus den Erfahrungen des Lebens resultiert, und die trotz des Balanceakts auf Messers Schneide existente Kraft zum Überleben. Die anderen Texte drehen sich um die Stärke Odins, die Aufgaben Lokis, die durch uns verkörperten Gewalten der Heiden und die Kräfte der Seidhr, der Magie.
Gab es philosophische Richtungen oder einzelne Werke, die euch hinsichtlich des Konzepts rund um das Thema des Chaos geprägt oder beeinflusst haben?
Da wären wohl vor allem die nordische Mythologie und ihr Symbolismus zu nennen. Während ich mich mit Runen oder anderen Texten auseinandersetze, fange ich an zu forschen und begebe mich in gewisser Hinsicht auf eine Suche. Es ist sehr wichtig für mich, herauszustellen, dass meine Texte meinen eigenen Erfahrungen mit der nordischen Mythologie entstammen, wie ich sie nutze und für mich persönlich definiere. Ich denke viel über die verschiedensten Themen nach und versuche herauszufinden, welche Bedeutungen für mich persönlich hinter diesen stecken und wie sie in unsere heutige moderne Welt passen. Die heidnischen Ansichten können heute noch genau so relevant sein wie vor 1000 Jahren, man muss lediglich sehen, dass/warum Odin am Baum hing. [Odin hing der nordischen Mythologie zufolge neun Tage lang mit dem Ger gespießt an Yggdrasils Stamm und erlangte durch diese Selbstopferung das Wissen über die Runen, welches oft als gleichbedeutend mit allumfassender Weisheit gesehen wird.]
Vergleicht man „Kaoskult“ mit euren älteren Werken – insbesondere mit den ersten beiden Alben – stößt man unweigerlich auf viele Unterschiede, sei es nun bei den Arrangements der einzelnen Songs oder dem grundlegenden technischen und musikalischen Stil. War die Fortentwicklung von Helheim stets ein natürlicher, eher unbewusster Prozess oder gab es Momente in eurer Bandgeschichte, in denen ihr eine bewusste Zäsur zu euren vorherigen Arbeiten setzen wolltet?
Die Unterschiede sind vielzählig und die Entwicklung ist offenkundig. Bei Helheim ging es immer um stetige Weiterentwicklung. Das hat vor allem mit Lernprozessen im Allgemeinen zu tun – so wie ein jeder in der Schule des Lebens nicht stagnieren will, so wollen auch wir den musikalischen Stillstand vermeiden. Wir haben nie in Erwägung gezogen, aufzuhören, dafür ist Helheim einfach zu wichtig für uns.
Was inspiriert euch zum und beim Musikmachen? Sind es vornehmlich andere künstlerische Ausdrucksformen wie Literatur, Malerei oder die Musik anderer Künstler? Oder doch eher universellere Aspekte wie die Natur, zwischenmenschliche Beziehungen und eure grundsätzliche Weltauffassung?
Das ist eine schwierige Frage. Ich weiß nicht, ich denke, es ist die Musik im Allgemeinen. Es kommt vor, dass ich zu Hause sitze und die Gitarre nicht anrühre, weil mich einfach nichts inspiriert. Und dann gibt es Momente, in denen es mich einfach überkommt und ich nur noch Musik schaffen möchte. Man hat eine Melodie im Kopf und plötzlich ist da ein ganzer Song. Mit den Texten verhält es sich genau so; sie tauchen einfach auf, wenn sie es wollen.
Heutzutage spielt sich – auch im Metalbereich – immer mehr über das Internet ab. Für die Bands mit Sicherheit ein Vorteil, da sie mehr Leute erreichen und ohne riesigen finanziellen Aufwand präsent sein können. Wie steht ihr als Privatpersonen zu diesem Medium und wie wichtig ist das Internet für Helheim als Band? Vermisst ihr manchmal die Zeiten, wo man sich noch gegenseitig Kassetten überspielte oder seid ihr dankbar für diese neue, unkompliziertere Form des Musik- und Informationsaustauschs?
Ich bin keine Netzhure, soviel ist sicher! Ich könnte ohne Probleme ohne das Internet leben, aber andererseits ist das nunmal die Art, wie wir heute kommunizieren, also sei’s drum. Und ja, wir als Band verbreiten unsere Musik über das Netz, wir tauschen uns aus und entdecken so auch viel Neues. Ich akzeptiere das total und hab keinerlei Probleme damit. Helheim waren ziemlich langsam, was die Entdeckung der enormen Möglichkeiten des Internets anbelangt, aber mittlerweile sind wir auch „da draußen“, um es mal so zu sagen. Manchmal vermisse ich wirklich die alten Tage, das Kassettentauschen und die Briefe – irgendwie fühlte es sich damals aufrichtiger und herzlicher an. Die Dinge sind zu einfach heutzutage…
Neues Album, neue Tour? Genießt ihr das Spielen vor einem Livepublikum und den Kontakt zu den Fans oder sind die Gigs nur ein unvermeidlicher Bestandteil des „Bandjobs“? Kann man euch in nächster Zeit auch auf Deutschlands Bühnen erwarten?
Wir haben bereits eine Tour zu „Kaoskult“ absolviert. Okay, es war vielmehr eine Pre-Tour – und die lief ziemlich gut, muss ich sagen. Wir planen jetzt, wo das Album erhältlich ist, eine zweite Tour, um es zu promoten. Touren und Liveauftritte sind ein essenzieller Bestandteil von Helheim und wenn wir nicht in der Lage wären, vor Publikum zu spielen, würde etwas Wesentliches fehlen.
Dann habt vielen Dank für das Interview. Die letzten Worte gebühren natürlich euch!
Ich danke dir auch. Ich hoffe, dass die Leute etwas mehr darüber erfahren konnten, worum es uns bei Helheim geht – also kauft euch „Kaoskult“, dreht die Anlage voll auf und bangt eure Gehirne raus! Und immer dran denken: Heidentum IST Widerstand!
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