Heilung
"Bei den Aufnahmen wurden Menschen verletzt."
Interview
Maria: Über „Elivagar“ und „Elddansurin“ haben wir ja schon gesprochen. Der letzte Song ist „Hamrer Hippyer“, den wir schon auf „Lifa“ veröffentlicht haben.
Christopher und Maria (zusammengefasst): Darin benutzen wir eine Technik, die man beispielsweise auch bei Inuit-Stämmen findet. Dabei stehen sich zwei Leute gegenüber und singen sich verschiedene Rhythmen entgegen, zum Beispiel „hamama“ und „hipipi“, und zwar gleichzeitig. Dabei atmen der eine ein, während der andere ausatmet und umgekehrt. Da man so die verbrauchte Luft des anderen einatmet, verliert man auf Dauer Sauerstoff und kann dadurch in eine Trance verfallen.
Kai: Das ist wirklich HEILUNG, im Sinne der deutschen Bedeutung. Dieser Song ist vollgepackt mit heilenden Zauberformeln. Gegen Entzündung, gegen Fieber, gegen verletzte Gliedmaßen, gegen Blutvergiftung und so weiter und so fort. Viele medizinische Heilsegen von früher sind hier gesammelt. Der Song klingt sehr wild und ist sehr schnell, aber im Grunde ist er ein heilender Segen. Gute Medizin ist bitter, wenn du weißt, was ich meine [lacht].
Christopher: Und kann gleichzeitig Spaß machen [alle lachen].
Ihr habt jetzt tatsächlich einige Fragen vorweggenommen. Was ihr unter anderem angesprochen habt, sind die ganzen Sounds, die ihr erzeugt. Ihr habt das Feuer und das Eis schon erwähnt, aber womit arbeitet ihr noch so? Einiges ist ja recht offensichtlich, wie zum Beispiel die Pfeile, aber bei einer Bemerkung im Pressetext bin ich stutzig geworden. Da steht bei „Svanrand“: „The female body itself was used to produce the clapping elements in the rhythm.“
An dieser Stelle sind alle drei schon sichtlich amüsiert.
Kai: OK, Insider-Story [alle lachen]. Ich habe diesen kleinen Zoom-Rekorder, den ich meistens dabei habe. Eines Tages dachte ich, dass es doch cool sein könnte, ein bisschen auf den Bauch meiner Freundin zu klatschen und das aufzunehmen, weil wir das vielleicht verwenden könnten. Also habe ich die Aufnahme Chris gebracht und er hat es sich angehört, mich angesehen und gesagt: „Das war aber nicht sehr deutsch von dir, du hättest ihr dafür auch richtig auf den Arsch hauen können“ [lacht]. Am nächsten Tag habe ich also wieder meinen Zoom-Rekorder genommen und seinen Vorschlag umgesetzt.
Christopher: Dabei warst du echt gründlich.
Während die Jungs sich noch einen ablachen, dreht sich Maria zur Seite und ruft – mutmaßlich die betroffene Dame adressierend – durchs Haus: „Die erzählen gerade die Arsch-Hau-Geschichte!“
Kai: Also das lief so. Ich habe den Rekorder angemacht und gesagt, „ich hau dir auf den Arsch, und du sagst dann ‚Stopp'“. Aber sie hat einfach nicht ‚Stopp‘ gesagt [lacht]. Dann wurde das natürlich ein wenig heftiger. Als er [Christopher] es sich dann angehört hat, hat er riesige Augen bekommen und mich angestarrt –
Christopher: Sie hat mir echt leidgetan. Ich kann dir sagen, dass jeder Schlag, den du im Laufe des gesamten Songs hörst, einzigartig ist. Das sind ziemlich viele Schläge.
Kai: Dadurch bekommt die Trommel noch extra Schmackes.
Christopher: Jetzt aber mal ernsthafter betrachtet: Das Konzept, auf dem Körper zu spielen, ist etwas sehr Altes, das auch heute noch praktiziert wird. Nicht nur auf dem Arsch [lacht]. Aber ich finde es sehr gut, dass wir diese Aufnahme haben und den Menschen und den Humor mit reingebracht haben.
Gibt es noch andere Stories? Ich wüsste zwar nicht, wie ihr das noch toppen könntet, aber –
Hier werde ich von Protest und Gelächter unterbrochen. Nachdem man sich kurz geeinigt hat, ob man es wirklich erzählen soll…
Christopher (unter Gelächter): Also wir haben für einen Song jemanden gewaterboardet. Weil wir den Sound von jemandem brauchten, der an seinem eigenen Blut erstickt. Wir dachten, dass wir dem klangtechnisch so am nächsten kommen würden.
Maria: Es war einvernehmliches Waterboarding!
Christopher: Ich möchte anmerken, dass Menschen bei den Aufnahmen verletzt wurden. Wir selbst natürlich auch. Wir haben uns für das Album mental und physisch an unsere Grenzen gebracht. Man macht das ja nicht zum Entspannen. Man muss schon etwas Blut, Schweiß und Tränen in das Projekt stecken. Wir sagen dir nicht wo, das musst du schon selbst rausfinden, aber ja, da wird tatsächlich jemand auf dem Album gewaterboardet.
Kai: Leute sagen oft, „HEILUNG fühlt sich so echt an“. Der Grund dafür ist, dass es wirklich echt ist. Am Anfang von „Vapnatak“ hört man all diese Schmerzensschreie, weil Leute von Pfeilen getroffen werden. Um authentische Schmerzensschreie zu bekommen, haben wir tatsächlich Leute mit der Faust geschlagen und das aufgenommen. Oder das Gefühl der Todesangst. Wenn du gewaterboarded wirst und dir das Wasser in die Nase läuft, reagiert dein Gehirn mit totaler Panik, deshalb ist das ja auch eine Foltermethode. Und dieses Gurgeln und Husten; natürlich sind das nur Geräusche, aber da hat wirklich gerade jemand Todesangst, und das übermittelt unterschwellig ein Gefühl, und darum geht es.
Christopher: Wir tun diese Dinge natürlich mit dem größtmöglichen Respekt. Man waterboardet nicht jemanden, wenn man nicht weiß, was man da macht. Man spielt nicht auf Menschenknochen, ohne den größtmöglichen Respekt dem Menschen gegenüber, dessen Knochen das mal waren.
Kai: Das muss wirklich erwähnt werden. Das ist alles immer einvernehmlich. Wir zwingen das niemandem auf. Und wir machen das erst, wenn die Person auch bereit dafür ist. Der Typ beim Waterboarden hatte ein „safe word“, das er auch sehr schnell genutzt hat. Wir waren auch alle als Unterstützung vor Ort.
Christopher: Wir wissen, dass viele Leute sich durch das inspiriert fühlen, was wir tun, und versuchen, etwas Ähnliches zu machen. Aber ich möchte nur sagen: Macht das nicht nach. Das muss wirklich gut vorbereitet sein. Das ist sehr wichtig.
Ihr benutzt aber auch modernere Sounds bei HEILUNG, zum Beispiel Synths –
An dieser Stelle erhebt sich bereits Protest.
Christopher: Nein.
Macht ihr nicht?
Christopher: Nein. Es gibt in keinem HEILUNG-Song etwas Synthetisches. Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Alles, was du hörst, stammt entweder aus der Natur oder ist real eingespielt. Was ich allerdings mache, ist, auf sehr coole Art damit rumzuspielen. Und wir benutzen natürlich digitale Effekte und Mittel, um die Sounds anzupassen. Du hörst aber keine Synthesizer. Was die Leute normalerweise für einen Synthesizer halten, ist in dem meisten Fällen wahrscheinlich eine Stimme.
Wir nutzen verschiedene Gesangstechniken, die vielleicht dem Klang eines Synthesizers ähneln. Im Grunde passiert das Gleiche, wie wenn man einen Synthesizer benutzt. Was der macht, ist, eine Schallwelle zu regulieren. Den gleichen Effekt kann man mit der Stimme beim Kehlgesang erzielen. Wir haben also Elemente in unserem Mix, die man sonst mit modernen Instrumenten erzeugen würde und deren Klang modern anmutet, aber alles, was wir machen – und darauf sind wir sehr stolz – ist handgemacht und besteht aus echten Lauten.
Ihr habt vorhin von dem sehr komplizierten und durchdachten Rhythmus bei „Svanrand“ gesprochen. Am Anfang des Interviews habt ihr aber auch gesagt, dass ihr nicht wirklich plant, etwas Bestimmtes zu machen. So ein Stück muss aber natürlich geplant werden. Wie viel von dem, was ihr bei HEILUNG macht, ist geplant und analytisch und wie viel entwickelt sich einfach?
Kai: Also in diesem Fall fing es damit an, dass ich das Gedicht mitgebracht habe. Das Gedicht ist so angelegt, dass es eine bestimmte Anzahl von Silben gibt, die in zwei Zeilen angeordnet sind. In diesen zwei Zeilen muss es drei Reime in Form von Alliterationen geben. Es gibt aber auch eine bestimmte Anzahl betonter Silben. Und das wiederholt sich dann. Wenn ich Chris so ein Gedicht gebe, oder es rezitiere, hört er den Rhythmus, der sich daraus ergibt. Das analysiert er es natürlich und baut darauf auf. Er hört aber auch den darunterliegenden Rhythmus und baut auch darauf auf.
So entstand die Betonung jeder zweiten Silbe. All das wird dann von Marias Ideen für Melodien aufgepeppt. Es ist oft so, dass ich mit einer sehr seltsamen Idee komme, die aus dem Weltall oder Hirnrissigkeit entspringt, die die Grenzen normaler Musik komplett überschreitet und für das Musikergehirn eine Herausforderung darstellt. Und von diesem Punkt ausgehend entwickelt es sich. Es ist oft Chris, der aus dem Rohmaterial, das ich bringe, Strategien entwickelt. Kommt das hin?
Maria: Ja, das drückt es gut aus. Wenn du wissen willst, wie viel von der Musik von HEILUNG geplant und wie viel improvisiert ist: Es steckt auf jeden Fall Planung und Vorarbeit in Kais Beitrag, an dem er oft schon sein ganzes Leben gearbeitet hat. Und in den Texten, die viele, viele Jahre lang recherchiert wurden.
Christopher: Das kann man glaube ich über uns all sagen. Wir alle bringen Input, mit dem wir uns jahrelang beschäftigt haben. Meine Musik, oder deine Gesangstechniken, die du schon nutzt, seit du klein warst. Wir haben schon sehr viel Material, das wir gesammelt haben. Denn wenn wir etwas hervorbringen, dann bringen wie viel hervor. Aber wir können natürlich nicht einfach einen Song mit einem 4-5-7-Takt und einem darunterliegenden 8/4-Polyrhythmus bei einer Jamsession am Lagerfeuer schreiben. Außerdem sind wir im Studio und können hier drin kein Lagerfeuer machen [alle kichern]. Was ich sagen will, ist: Wir planen natürlich. Wir haben zugrunde liegende Themen, die oft Kai mitbringt. Wir arbeiten an den Texten, an den Melodien, an den Arrangements.
Wir arbeiten auch daran, den Hörer in eine bestimmte Stimmung zu versetzen. Mit einem bestimmten Stück erzählen wir eine bestimmte Geschichte. Aber wenn sich all das im oft langen Schaffensprozess zu einem Ganzen fügt, entsteht daraus ein bestimmtes Gefühl, das eine sich natürlich entwickelnde Richtung vorgibt, der wir dann folgen. Deshalb kann es bei HEILUNG auch drei Jahre dauern. Sowas machen wir nicht einfach innerhalb einer Woche. Wenn du außerdem Eis und Feuer aufnehmen willst, oder Sounds, die es nur im Sommer oder nur im Winter gibt, dann musst du ein Jahr warten, wenn du es nicht rechtzeitig letzten Winter aufgenommen hast. Wir können nicht ins Internet gehen und das neue „HEILUNG-Soundpaket“ kaufen.
Das wäre es dann auch von meiner Seite. Habt ihr selbst noch etwas hinzuzufügen?
Kai: Ich würde unseren Fans gerne danke sagen. Allen, die das Album vorbestellt haben, allen, die uns folgen, zu unseren Konzerten kommen. Allen, die uns so sehr feiern. Die Liebe und der Zuspruch, den wir erhalten, sind einfach großartig. Das haut uns echt um.
Maria: Ja! Wir lesen alles, was die Leute schreiben, und es ist einfach toll.
Christopher: Mir bedeutet es viel, dass die Leute sich das anhören und es in sich aufnehmen. Wir versuchen hier keinen Wettbewerb zu gewinnen. Wir legen es der Welt offen, und wie ihr darauf reagiert, hängt von euch ab. Aber: „remember that we all are brothers.“
Das ist doch mal ein gutes Schlusswort. Danke euch für das Interview!
HEILUNG: Danke!
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Stile | Folk, Hörspiel, Instrumental, Neofolk |
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blub
Ignorieren war keine Option? Ja, dieser verdammte Geltungsdrang.. i feel you haha.
I taste the serpents poison
On the lips of the one I love.
She brings this gift of witchcraft.
I wear the cat-skin-gloves.
Ich mein‘ das eingangs schon ernst, aber.. euch muss man nicht mal einen Brocken hin werfen, da reicht schon ein Stück Luft.. lol
Smoke of my sacrifice.-
Journey to the Isle of the
Blessed.-
Grant my soul your glory.
Du denkst wirklich, das ärgert mich oder so, nicht wahr? 😀
Danke, Nili! Ohne Dich (bzw. die Reaktionen auf Dich) wäre Metal.de nur halb so lesenswert!
Echt jetzt Nili? Meine Fresse 😂
„Ignorieren war keine Option? Ja, dieser verdammte Geltungsdrang.. i feel you haha.“ – Joey DeMaio
„Sorry, falls das etwas streitlustig rüber kam. Metal (und die Hitze) macht halt etwas aggressiv.“ – Pontius Pilatus
😛
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Das hält euch ja richtig auf Trab, haha..
„Das hält euch ja richtig auf Trab, haha..“ – Pablo Escobar
Go for it, Nili!!!
Hat irgendwie was vom Pawlowschen Hund hier…
Siehst du, das regt zum Nachdenken an und ist keinesfalls nur Blödelei, sondern Post-Internet Art..
oder einfach „das Sommerloch ist da“.
Wohl eher „das Lebensloch“.. lol