Heaven Shall Burn
Video-Interview zu "Wanderer"
Interview
2014 vor 4000 Zuschauern im Kölner Palladium, zwei Jahre später vor 500 Die-Hard-Fans im Gebäude 9 – HEAVEN SHALL BURN auf dem absteigenden Ast? Mitnichten!
Zum Release ihres achten Studioalbums „Wanderer“ tourt die deutsche Metalcore-Legende durch die Kultclubs der deutschen Großstädte. Wir haben uns kurzerhand in den vorm Gebäude 9 parkenden Tourbus geschlichen. Und trafen dabei auf Gitarrist Maik Weichert, der uns Rede und Antwort stand. Zu „Wanderer“, zu BLIND GUARDIAN-Covern, zur Freiheit des Willens.
Das Interview in Textform:
Ein allgegenwärtiges Thema dieser Tage: Deutschland. Auf euren letzten beiden Alben gab es immer mal wieder kurze deutschsprachige Passagen zu hören. Warum nicht auf „Wanderer“?
Das hat sich einfach nicht ergeben. Wir sind ja nie eine Band gewesen, die einen ganzen Song auf Deutsch machen würde. Mit viel gutem Willen kannst du vielleicht den Albumtitel als deutsch betrachten, aber sonst findet das diesmal einfach nicht statt. Aber das ist auch keine Bedingung. Wir haben das ja auch nicht als Selling-Point oder so. Außerdem kommt ja eine neue ONKELZ-Platte, wer Deutsch haben will, soll die kaufen.
Auf „Invictus“ heißt es „Du folgst dem falschen Führer, der Kampf ist nie vorbei, du bist nicht frei„. Sind wir nicht frei?
Die Frage kannst du auf vielen Ebenen betrachten. Wenn du’s natürlich philosophisch siehst, da kannst du stundenlang drüber diskutieren. Du kannst es auch neurobiologisch auseinanderdröseln, mit irgendwelchen neuen Erkenntnissen zur Freiheit des Willens. Das würde jetzt schon irgendwie zu weit führen. Das war jetzt in dem Kontext schon eher so gemeint, dass man durch gesellschaftliche Konventionen und Kompromisse, die man schließt, wirklich nicht frei ist. Also eher so im Sinne, wie Fontane das in seinen Romanen angeprangert hat.
Wie wichtig sind euch aussagekräftige Hooklines?
Es ist zwar traurig, aber eine gute Parole, die inhaltlich viel transportiert und gut ins Ohr geht und hängen bleibt, ist natürlich viel mehr wert als eine zehnbändige ideologische Abhandlung. Insofern ist das schon immer ein Lesezeichen, das bei den Leuten hängen bleibt, um sich gedanklich mit manchen Sachen noch tiefer zu beschäftigen. Insofern ist es extrem wichtig, klar.
Wie schaut es denn eigentlich international aus? Ihr wart ja bisher zum Beispiel erst einmal in Amerika. Gäbe es da nicht noch einen größeren Markt zu erschließen? Gleichzeitig habt ihr auch alle feste Jobs – wollt ihr vielleicht sogar verhindern, dass die Band zu groß wird?
Verhindern, dass die Band zu groß wird, also so schlimm ist es noch nicht. Wir haben natürlich nichts dagegen, noch mehr Geld zu verdienen, aber das auch nicht um jeden Preis. Den amerikanischen Markt zu knacken, bedeutet, dort jedes Jahr 100 oder 150 Shows zu spielen. So wie wir unser Bandleben gestrickt haben, würde das nicht funktionieren.
Wir haben festgestellt, dass wir dadurch mehr Platten in den USA verkaufen, dass wir ein Geheimtipp sind. Dass uns eben nicht so viele Leute kennen. Aber die, die uns kennen, wissen es dann eben besonders zu schätzen. Wenn wir dort also präsenter und so mittelerfolgreich wären, würden wir vielleicht sogar weniger verkaufen als jetzt. Aber wir sind in der nächsten Zeit sicherlich noch mal für unsere dortigen Fans drüben.
„Wenn wir die Schnauze voll haben, könnten wir auch zwei Jahre pausieren“
Generell seid ihr aber mit dem jetzigen Konstrukt zufrieden, dass ihr nicht auf Biegen und Brechen versuchen müsst, davon zu leben?
Also, wir können super davon leben. Aber das ist wahrscheinlich auch erst dadurch gekommen, dass wir so relaxed waren und es uns gar nicht unbedingt vorgenommen haben. Wenn wir die Schnauze voll haben, können wir auch mal zwei Jahre einen Haken dranmachen und wissen trotzdem noch, was wir tun sollen. Wir haben viele befreundete Bands, die von der Tour kommen, zu Hause auf der Couch sitzen und nicht wissen, was sie machen sollen.
Und das ermöglicht dann natürlich auch Aktionen wie Club-Tourneen. Vor zwei Jahren wart ihr mit PARKWAY DRIVE im Palladium, jetzt sitzen wir hier im Gebäude 9.
Genau, man kann machen, was man will. Anderen Bands würde das Management einen Vogel zeigen und sagen: „Ey, ihr könntet heute im Palladium spielen mit zehnmal so vielen Leuten. Warum spielt ihr dann in so einem kleinen Punkschuppen?“ Aber wenn wir Bock drauf haben, machen wir es eben.
Zu „Wanderer“: Wie viel Weiterentwicklung seht ihr mit etwas Abstand im Vergleich zu „Veto„?
Also Abstand haben wir dazu wirklich noch nicht. Du könntest mich jetzt vielleicht zum vorletzten oder zum vorvorletzten Album fragen. Aber richtigen Abstand hat man eigentlich erst, wenn die nächste Platte rauskommt. Also, das kann ich dir echt überhaupt nicht sagen. Das ist ja deine Aufgabe als Journalist, das zu beurteilen.
Ihr seid im Core verwurzelt – ziehen eure Fans auch bei melodischeren Ausflügen oder BLIND GUARDIAN-Covern mit? Sorgt ihr damit vielleicht sogar für mehr Open-Mindness?
Also das bilden wir uns jetzt nicht ein, total Open-Mindness zu verbreiten. Aber es ist schon krass, wie viele – in Anführungszeichen – Impericon-Kids „Valhalla“ geil finden. Und gar nicht so: „Oh, hab ich ja noch nie gehört, was ist das denn für eine Band?“ Sondern eher so: „Geil, BLIND GUARDIAN hab ich schon immer gemocht!“ Leute, wo du denkst: „Du hast BLIND GURADIAN gemocht?!“ Aber so ist es scheinbar wirklich, da merkt man erst mal, was für eine – im positiven Sinne – Volksmusik das ja eigentlich ist. Da bemerkt man erst mal deren richtige Größe.
Dass wir da aus allen Ecken so viel Zuspruch für ernten, das war ja auch nicht so geplant. Wir haben es gecovert, weil wir dachten, es ist für uns ein ungewöhnlicher, cooler Song, und gar nicht, weil wir wussten, dass es auch in unserer Szene so populär ist.
Aber jetzt bei SODOM und MY DYING BRIDE – da gibt es doch bestimmt einige Leute, die gerade letzteres nicht kennen. Macht ihr das auch wieder nur, weil ihr Bock drauf habt?
Erstens das, weil’s eine kleine Überraschung für die Leute ist, wenn wir MY DYING BRIDE covern. Aber die Motivation war auch schon dieselbe, wie damals EDGE OF SANITY („Black Tears„) zu covern. Dass man auch eine Band, die die Leute vielleicht wirklich nicht mehr richtig kennen, noch einmal vorstellt. Natürlich kennt ein alter Death Metaller, der seine Hausaufgaben gemacht hat, MY DYING BRIDE. Aber so in der neuen Metalgeneration?
Das stelle ich jetzt auch wieder viel in Interviews fest, dass viele Leute gar nicht merken, dass das ein Coversong ist. Das ist schon krass, da sind wir froh, dass man so eine megacoole Band wie MY DYING BRIDE den Leuten auch noch mal neu vorstellt.
Also ein bisschen Lehrstunde ist schon dabei?
Ja, genau. Also bei „Valhalla“ natürlich nicht. Da kannst du natürlich davon ausgehen, dass es viele Leute kennen.
Zu „Wanderer“ selbst habt ihr noch nicht genügend Abstand. Aber wie viel Raum für Innovation gibt es denn bei HEAVEN SHALL BURN überhaupt noch?
Also, wir sind ja generell nicht eine besonders innovative Band. Wir sind eher so eine Band, die sich etwas darauf einbildet, ihren eigenen Sound gefunden zu haben. Da sind wir auch stolz drauf, das ist ja etwas, was viele Bands in Jahrzehnten nicht schaffen. Dass man nach zwanzig Sekunden hört, okay, da spielt diese Band. Kritiker werfen uns das ja auch vor, dass wir nichts Neues machen.
Aber wir wollen auf jeden Fall zu unseren Trademarks stehen und im Rahmen unserer Möglichkeiten Sachen verbessern. Kleine Innovationen in unseren Sound einbringen, die uns nicht verfälschen. Darum geht’s uns eher. Eine Bandentwicklung, wie sie zum Beispiel TIAMAT durchgemacht hat oder THERION oder PARADISE LOST auch teilweise, die sich dann zu irgendetwas entwickeln und dann wieder zurück entwickeln – sowas haben wir eigentlich nicht vor. Dafür sind wir vielleicht auch nicht genügend „Künstlerseelen“.
Die isländischen Landschaften im Artwork zeugen ja von großer Naturverbundenheit. Lyrisch und vor allem visuell habt ihr bisher aber auch öfter ein urbanes, bisweilen dystopisches Feeling vermittelt – z.B. im Video zu „Endzeit“. Passt eure Musik in jedes Setting?
Das ist ja auch etwas, womit man ein bisschen spielt. Dass man die Musik auch in ein anderes Setting reintut. Diesmal haben wir es ja wirklich ganz bewusst in die Natur, in die Ferne gestellt. Bei einer Platte wie „Deaf To Our Prayers“, wo so eine karge, städtische oder eben dystopische Landschaft zu sehen ist, die eher an Orwell erinnert, ist das ein ganz anderer Kontext.
Aber das sind eben diese Aussagen, Ängste und Messages, die wir in verschiedenen Umgebungen darstellen. Die verschiedenen Winkel, wo man sich Gedanken machen kann. Einmal schildern wir eben die Situation, wo die Probleme stattfinden, eben in der Gesellschaft, im Urbanen, und diesmal eben eher die Situation, in der du darüber nachdenkst und Sachen für dich definierst – also eher in der Ruhe und Abgeschiedenheit.
„Ich kenne alle Veganer-Witze des Universums!“
Im Gegensatz zu anderen Bands geht ihr trotz eurer ernsten Anliegen vieles wesentlich lockerer an. Wie wichtig ist es, Thematiken wie Veganismus und Antifaschismus mit einer gewissen Portion Humor oder gar Selbstironie anzusprechen?
Man muss da schon auf jeden Fall auch über sich selbst lachen können. Ich kenne bestimmt alle Veganer-Witze des Universums. Und da gibt’s echt ein paar gute. Wenn du da irgendwie den Stock total im Arsch hast und alles nur politisch korrekt raushängen lässt, dann wirst du nichts verändern. Weil du da keinen Zugang zu den anderen Leuten findest und das dann nur konfrontativ stattfindet.
TÝR standen neulich groß in der Kritik, da sich Sänger Heri Joensen am färöischen Walfang beteiligt. In Deutschland wurde unter anderem Konzerte abgesagt – ist das die richtige Vorgehensweise?
Ich denke, dass so ein faktisches Berufsverbot einfach nicht das Mittel ist. Obwohl ich das absolut verabscheue, was der Typ abzieht, würde ich dem niemals seinen Beruf verbieten. Das haben wir mit Manfred Krug und Wolf Biermann und Stephan Krawczyk in der DDR schon genug gehabt, dass da Andersdenkende ein faktisches Berufsverbot hatten. Da muss es andere Mittel der Auseinandersetzung geben. Und das meinte ich auch damit, dass man sich mit denen auch wirklich mit offenem Visier auseinandersetzen kann.
Ich denke, unsere Argumente sind so gut, dass man da nicht von vornherein was verbieten muss, sondern sich mit denen auch konfrontativ auseinandersetzen kann. Und das ist, finde ich, viel authentischer, viel nachhaltiger und viel fairer und sorgt vielleicht auch für mehr Respekt und Einsicht auf der anderen Seite.
Wenn man jemandem so gegenübertritt, wird er einen vielleicht auch nicht – wie er es in Interviews gemacht hat – als Flat-Earther oder Treehugger oder so bezeichnen. Das bringt da auch nichts, wenn man da nur Intoleranz sät. Klingt jetzt alles übelst peaceful und so – aber so ist eben unsere Meinung.
Das ist ja auch genau das Gegenteil der Behandlung, die zum Beispiel ONKELZ- und FREI.WILD-Fans erfahren.
Genau, und diese Ausgrenzung definiert die natürlich auch. Da gibt es ja auch so soziologische oder philosophische Konzepte wie „repressive Toleranz“, dass du deinen Feind da eher umarmst oder machen lässt und sich das dann schon alleine irgendwie verläuft und so. Da gibt es Sachen, die wirklich viel, viel schlauer sind, als irgendetwas zu verbieten. Also, ohne dass ich jetzt FDP-Wähler bin und alles liberalisieren will, hahaha.
Und wie lautet jetzt der beste Veganer-Witz?
Ich glaube, das ist der Klassiker. Warum Veganer kein Huhn essen.
Hau raus.
Weil Ei drin sein könnte.
HEAVEN SHALL BURNs achtes Studioalbum „Wanderer“ ist seit dem 16. September erhältlich.