Alkaloid
"Im Tech-Death-Genre ist alles gesagt"
Interview
Der Großteil der Mitglieder bei ALKALOID hat oder hatte in der einen oder anderen Weise mit dem OBSCURA-Umfeld zu tun. Wie grenzt ihr ALKALOID soundtechnisch davon ab? Kommt es vor, dass ihr Songskizzen verwerft, die auch zu OBSCURA gepasst hätten?
Hannes: Naja, gerade auf unserem neuen Album haben wir soundtechnisch nicht viele Gemeinsamkeiten mit OBSCURA. Niemand in der Band macht sich allerdings großartig Gedanken darüber. Es sind mit Danny Tunker und Morean ja nicht-Obscuranten in der Band, die auch stark zum Gesamtsound beitragen. Ich als Songwriter wiederum habe einen ganz bestimmten Stil, der sich stetig weiterentwickelt. Sollte das mal an OBSCURA erinnern, dann liegt das eher daran, dass ich in meiner Zeit bei OBSCURA der Hauptsongwriter war. OBSCURA klingt also eher nach mir als umgekehrt, wobei die mittlerweile ihren Stil gezwungenermaßen auch verändern mussten.
Zusammen mit unserem Gitarristen Chris Münzner haben wir damals so circa 80 Prozent der Musik von OBSCURA geschrieben, ich habe zudem fast alle Songs arrangiert. Nun waren die ALKALOID-Songs „From A Hadron Machinist“ und „Alter Magnitudes“ von unserem Debutalbum ursprünglich für ein folgendes OBSCURA-Album gedacht. Wir haben sie dann für ALKALOID verwendet, weil es keinen Sinn macht, einen guten Song wegzuwerfen.
Es ist nun aber so, dass ich Drummer bei NECROPHAGIST und OBSCURA war, und immer noch bei BLOTTED SCIENCE spiele. Was soll ich zum Tech-Death-Genre denn Neues beitragen? Ich denke, da ist alles gesagt. Ich mach zwar immer noch mein Tech-Death-Soloprojekt, das ist aber eher „just for fun“. Deshalb sind auf unserem neuen ALKALOID-Album „Liquid Anatomy“ die Tech-Death-Parts im klassischen Sinne weitestgehend verschwunden. Es ist natürlich immer noch krasses Material, aber musikalische Gemeinsamkeiten mit dem NECROPHAGIST-Lager sind auf der neuen Platte kaum noch zu hören.
Morean: Klar befinden wir uns irgendwie im selben Genre wie OBSCURA. Das ist auch logisch, weil die Musiker beider Bands geschmacklich, ästhetisch und instrumentaltechnisch sehr viele Gemeinsamkeiten haben, und sich folglich auch deswegen dereinst zusammengefunden haben. Aber beide Bands haben ihre eigenen Wege eingeschlagen, und es gibt genug Unterschiede: bei uns werden zum Beispiel cleane Vocals ein immer wichtigerer Teil der Palette, der Bass ist zunehmend bundiert im Vergleich zum charakteristischen Fretless-Sound bei OBSCURA, und auch in der Produktion zwingt uns das Material bei ALKALOID, die Klangästhetik einer klassischen Death-Metal-Platte drastisch auszubreiten. Dazu kommt, dass wir alle schon genug Extreme-Metal-Platten gemacht haben, um uns diese Abenteuer jetzt erlauben zu können und wollen.
Somit wird der Unterschied zwischen uns und OBSCURA in der Zukunft eher noch größer werden, schätze ich. OBSCURA haben sich zurecht einen beachtlichen Status erspielt, somit wird von ihnen erwartet, einem zwar sehr offenen, aber dennoch ziemlich klar definierten Stil treu zu bleiben, denke ich. Bei uns definiert sich das alles noch, und am liebsten bleibt das auch in Zukunft so. Das war auch ein wichtiger Grund, eine neue Band zu beginnen, um sich eben nicht mit seinen frischen Ideen in ein „altes“ Bandkonzept zwingen zu müssen. Genau das wäre bei all unseren Vorgängerbands der Fall gewesen.
Tragt ihr alle gleichermaßen zum Songwriting bei?
Morean: Theoretisch ja. In der Praxis ist es allerdings so, dass Hannes und ich generell den größten Output haben. Hannes schreibt von sich aus schon mindestens eine komplette Platte pro Jahr, und lagert einiges an potentiellen ALKALOID-Songs auf seine Soloplatten aus; ich schreibe als freiberuflicher Komponist sowieso jeden Tag, wenn ich nicht gerade auf der Bühne oder im Proberaum stehe. Chris, Danny und Linus sind allerdings natürlich ebenfalls aktive Komponisten. Im Falle dieses Albums war es so, dass Chris und Linus zu beschäftigt waren, als die Songs entstanden, dafür hat Danny sehr interessante, neue Songs beigetragen, in denen auch wir wieder neue Gesichter von ihm kennenlernen konnten. Ich bin mir sicher, dass auch jedes Nachfolge-Album immer eine Mischung aus all unseren Köpfen sein wird, und auch wenn jemand zufällig gerade keine Songs zu einem Album liefern kann, so ist es uns doch sehr wichtig, dass man die Persönlichkeit und Handschrift jedes Bandmitglieds auf einer Platte hören kann, auch wenn es dann „nur“ in der Form von Soli, Basslinien oder Feedback ist.
Was Texte und Konzept betrifft, bleibt einiges an mir hängen, was mir auch Spaß macht. Aber auch Danny und Hannes können exzellent Songs betexten und zu allgemeinen Konzeptfragen beitragen. Somit ist das Problem bei uns glücklicherweise nie, dass ein Mangel an Ideen oder Material da wäre, eher im Gegenteil. Wenn wir Geld mit dieser Band verdienen würden, könnten wir theoretisch wohl jeden Monat eine Platte schreiben!
Gibt es Momente, in denen bei ALKALOID musikalische Egos aufeinanderprallen?
Morean: Ehrlich gesagt kaum – was extrem angenehm und konstruktiv ist. Ich spreche nur für mich natürlich, aber ich fand es noch nie so einfach, mit jemandem zusammen kreativ zu sein, wie mit Hannes, denn er ist sehr relaxt, auch wenn einem mal was nicht gefällt. Dann wird das weggeschmissen, und man arbeitet halt am nächsten Song weiter. Sowas kommt übrigens auch fast nie vor. Es ist mehr so, dass unsere Arbeit von langjähriger Freundschaft und tiefem Respekt voreinander getragen wird, dass wir uns gut kennen, und dass wir wissen, dass wir uns gegenseitig künstlerisch nie in Frage stellen müssen. Deswegen wollten wir ja auch zusammen spielen und schreiben, weil uns eben das von Anfang an auch klar war und uns immer inspirieren wird. Ich denke, das geht uns allen so in dieser Band.
Macht ihr euch beim Schreiben der Songs Gedanken über die Live-Umsetzbarkeit und vor allem, kann man euch demnächst mit dem neuen Material auf Tour erleben?
Morean: Irgendwo im Hinterkopf schon, weil wir ja auch Interesse daran haben, uns langfristig live auf den Plan zu bringen. Klar muss man manchmal Abstriche machen bei der Umsetzbarkeit, und es ist auch nicht richtig, eine geile Idee vom Album zu schmeißen, nur weil fünf domestizierten Primaten live dafür die Gliedmaßen ausgehen würden. Aber wir haben bereits jetzt das große Luxusproblem, Songs für ein Live-Set auszuwählen, weil wir hinter allen Songs stehen. Und dann lässt man halt den weg, der live einfach nicht möglich ist, aus welchem Grund auch immer. Der generelle Anspruch ist aber durchaus, alles auch live spielen zu können.
Wir wollen uns definitiv auch anständig live präsentieren, daran arbeiten wir hinter den Kulissen auch gerade. Es steht uns allerdings noch einiges an Suche bevor, dafür die richtige Form zu finden. Vielleicht müssen es nicht unbedingt klassische Metal-Touren werden, denn die sind selbst für viel etabliertere Bands, als wir es sind, schnell ein Problem in der Umsetzung. Normalerweise geht die komplette Kohle schon für den Transport drauf, und nach wochenlanger Knochenarbeit (und damit meine ich die 23 Stunden täglich, die nicht der Auftritt sind) in oft erbärmlichen Umständen, muss man heutzutage schon froh sein, zum Schluss nicht völlig fertig und ohne draufzuzahlen wieder heimzukommen. Das ist sehr schmerzlich, weil die treuen Fans, die oft hunderte Kilometer zurücklegen, viel Geld für CDs, Merch und Konzertkarten ausgeben, und einem somit eh schon wahnsinnig viel Unterstützung schenken, die letzten sind, die unter solchen Schwierigkeiten zu leiden haben sollten. Und nicht live zu spielen fällt für mich kategorisch aus; dann wär’s halt bloß das nächste, kurzlebige „Projekt“ statt einer Band, und man könnt’s dann irgendwie eigentlich auch gleich in seiner Schublade zuhause liegen lassen. Davon hab ich schon den ganzen Keller voll.
Vielen Dank für das Interview! Die letzten Worte gehen an euch.
Morean: Im Juli hab ich mein 30-jähriges Metal-Bühnenjubiläum. In all den Jahren hab ich dermaßen viel Musik gemacht, dass mir manchmal der Schädel platzt, und wie in jedem Job gibt’s hin und wieder auch Phasen, in denen man eigentlich reif für die Insel ist und sich fragt, warum man das eigentlich alles macht. Und dann kommt so eine Chance vorbei wie mit dieser Band, und man versteht auf einmal, wofür das alles gut war. Alle Hungerjahre, alle schlechten Songs, schlechten Gigs, vergeigte Produktionen und alle sonstigen Ärgernisse sind sofort vergessen, wenn ein Feuer explodiert so wie ich’s in dieser Band erfahren darf.
Weil da eine Inspiration daherkommt, die man einfach nicht ignorieren kann bis sie Wirklichkeit geworden ist. „Kunst“ kommt selbstverständlich von „können“, und nach all den Jahren fühlt man sich irgendwann endlich auch, als hätte man einigermaßen kapiert, wie’s geht. Aber „Kunst“ kommt vor allem auch von „müssen“, und bei ALKALOID gibt’s einfach keine andere Option als alles reinzuhängen, was geht, weil es sich anfühlt, als hätten alle Metal-Ambitionen der Vergangenheit endlich das richtige Gefüge gefunden. Dort, wo alles so funktioniert, wie man es immer wollte. Dass ich dieses persönliche Vergnügen mit der Welt teilen kann, ist ein Wahnsinnsgefühl. Somit Euch allen vielen Dank für’s zuhören – Ihr werdet’s nicht bereuen!
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Stile | Melodic Death Metal, Progressive Death Metal, Progressive Metal, Technical Death Metal |
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