Hämatom
"Mittlerweile schmeißen eher Hip-Hopper Fernseher aus dem Hotelzimmer."
Interview
Nachdem HÄMATOM Anfang des Jahres in den Sündenpfuhl des 20er-Jahre Berlins abgetaucht sind und der Bundeshauptstadt eine musikalische Big-Band-Huldigung geschrieben haben, sind sie nun wieder zurück in metallischen Gefilden und präsentieren zum Jahresende ihr neues, reguläres Album „Die Liebe ist tot“. Dieses ist durchaus sowohl Rückbesinnung, als auch Fortschritt in neue Territorien. Wir sprachen mit Gitarrist Ost über die Hintergründe des Albums.
„Die Liebe ist tot“ beschäftigt sich viel mit negativen Emotionen. Kann man das als Überthema sehen und war das beabsichtigt?
Das war nicht beabsichtigt. Zum einen ist die Pandemie Schuld, weil man zuhause sitzt und im Laufe der letzten zwei Jahre mit sehr viel gedanklichem Müll konfrontiert wurde. Corona hat aus der Menschheit viel Negatives aber auch Positives hervor geholt. Daher ist das vermutlich eher unterschwellig passiert, dass wir uns eher mit Themen beschäftigt haben, die nicht so schön sind.
Es war auf jeden Fall nicht gewollt. Das machen wir eh selten, dass wir vorher ein Konzept hinlegen, das passiert meistens intuitiv. Wir schreiben die Songs über Themen, die uns wichtig sind. Das Album ist eher eine Aufarbeitung der vergangenen Monate, in denen die Produktion stattfand. Was aber gewollt ist, ist die rohe Sprache. Wir sind sprachlich direkter, roher und deutlich aggressiver geworden. Wir haben uns gedacht, dass „Bestie der Freiheit“ uns da in mancherlei Hinsicht zu sacht war und wollten, dass das neue Album mehr „in die Fresse“ ist, plakativer eben. Das kommt bei Songs wie „Jeder gegen jeden“ oder „Ich hasse euch alle“ gut raus.
Ich glaube, „Jeder gegen jeden“ beschreibt auch die Stimmung in der Gesellschaft gerade ganz gut. Das ist eine Reflektion auf den Status Quo der Gesellschaft. Es war tatsächlich einer der ersten Songs, den wir im Lockdown im April 2020 geschrieben haben und schon da hat sich abgezeichnet, dass gerade zwei Fronten entstehen und das ist leider nicht besser geworden. Im Prinzip geht diese Entwicklung seit der Flüchtlingskrise 2015 schon so.
Meinst du, da sind auch Parteien wie die AfD dran mit Schuld?
Ich würde mich eher auf der Seite der Vernünftigen sehen und sagen, wir müssen jetzt standhaft sein. Es kann nicht sein, dass nur, weil eine Partei wie die AfD im Bundestag sitzt, weiter Menschen im Mittelmeer ertrinken müssen, nur weil man sich mit allen Menschen der Gesellschaft versöhnen will. Da muss man einfach sagen: Nein Leute, das geht nicht und da weiter dagegenstehen.
Mit 35 Minuten ist die Laufzeit von „Die Liebe ist tot“ recht kurz. War das denn geplant?
Das war geplant! Wir hatten deutlich mehr Demos, so zwischen 25 und 30 Stück. Uns war relativ schnell klar, dass wir ein kurzes Album machen wollen. Aus unserer Sicht ist die Zeit der langen Alben vorbei. Die Zeit, der Wille oder die Konzentration bei vielen ist einfach nicht mehr da, um ein einstündiges Album zu hören. Die Songs, die dann weiter hinten stehen, die kriegen die Aufmerksamkeit nicht, die sie bekommen würden, wenn sie weiter vorne stehen würden. Daher ist es derzeit unser Ansatz, lieber öfter ein Album herauszubringen, als ein Album zu machen, das total lang ist.
Das kann man jetzt auch weiterspinnen und sagen, dass das Konzept „Album“ im Metal vermutlich noch eine Weile Bestand haben wird, aber generell ein Auslaufmodell ist. Es wird viel mehr auf Singles, auf EPs gehen, auf kurze Tonträger, die man einfach raushaut und eher zu dem Song spezifisch eine Kampagne strickt. Dass man ein aufwändiges Video dreht und thematisch sich auf den Song fokussiert. So schätze ich ein, dass sich die Musik entwickelt.
Als großer Verfechter des physischen Tonträger-Formates macht mich etwas traurig, das zu hören.
Leider gibt es nur noch wenig Romantiker da draußen, die das genau so sehen. Ich bin immer noch für das Album, ich finde Alben immer noch gut. Denn mit einem Album erzählt eine Band immer noch eine Geschichte, sie definiert damit auch einen Abschnitt in ihrer Karriere.
Ich habe aber auch nichts gegen das andere Konzept. Wir haben ja während der Corona-Zeit erst die „#FCKCRN“-EP rausgebracht, dann „Zombieland“ als Standalone-Song, dann „Berlin“. Ich finde auch, wenn die zehn Songs gut sind, reicht mir das total. Ich bin zum Beispiel großer Fan von FEVER 333 und da hatte das letzte Album gerade mal acht Songs. Das hat auch gereicht, dafür habe ich mir das Album dann fünf Mal hintereinander reingezogen.
Letztlich sind das alles nur Mutmaßungen, wer weiß, was schon in zwei, drei Jahren sein wird. Jetzt ist das Album kurz geworden, weil wir gucken wollten, dass die Qualität passt, statt es wegen der Quantität unnötig vollzuballern.
Da du gerade sagtest, ihr habt den ersten Song für „Die Liebe ist tot“ schon 2020 geschrieben: Bedeutet das, dass „Berlin“ und „Die Liebe ist tot“ parallel entstanden sind?
Ja. Wir waren mitten in unserer erfolgreichsten Tournee zu „Maskenball“ und mussten nach drei Shows alles canceln. Da waren wir natürlich erstmal total geknickt und haben den Schuldigen gesucht. In unseren Augen war es Gott. Wir haben Gott dafür verantwortlich gemacht, dass er uns diesen Keil zwischen die Beine getrieben hat.
Und das, nachdem ihr ihm ein Album gewidmet habt.
Das war sein Dankeschön dafür, genau (lacht). Dann waren wir zwei Wochen total frustriert und haben uns danach aber gedacht, scheiß drauf, das muss ja weiter gehen. Und deswegen haben wir Songs geschrieben, auch, um einen Grund zu haben, um von zu Hause weg zu kommen. Wir waren in den Principal Studios die erste Band. die nach fünfwöchiger Lockdown-Pause im Studio ankam. Das war alles etwas unwirklich, weil keiner wusste, ob das nun okay ist, wie viel man sich testen muss, wie viel Abstand gehalten werden muss.
Wir haben ein bisschen gebraucht, um in den Schreibprozess reinzukommen. Wir wussten nicht genau, was wir wollen und kamen auf keinen gemeinsamen Punkt. Mit „Jeder gegen jeden“ ist der Knoten dann so ein bisschen geplatzt.
Zu deiner Frage noch, ob die Alben parallel entstanden sind: Wir waren im Januar 2021 dann immer noch so tief in der Pandemie drin, dass wir uns gedacht haben, es ergibt jetzt keinen Sinn, ein neues Album zu veröffentlichen und im Dezember 2021 wird sicher alles besser sein. Darum kamen wir auf die Idee mit diesem Zwischending. Wir hatten Bock auf eine Big-Band-Unplugged-HÄMATOM-Nummer.
Das war für mich die schönste Produktion, die HÄMATOM jemals gemacht haben. Wir haben in zwei Wochen das Album geschrieben und mit so großartigen Musikern zusammengearbeitet, das hat so Spaß gemacht. Es war so leicht und locker. Dann war das Album produziert und herausgebracht und zwischendrin haben wir immer wieder an „Die Liebe ist tot“ geschrieben.
Kollaborationen mit Hip-Hop-Künstlern sind mit euch ja spätestens nach eurem TRAILERPARK-Feature beim Wacken Open Air 2019 nichts neues mehr, aber wie seid ihr auf die 257ers für „Ficken unsren Kopf“ gekommen?
Der Song stammt aus meiner Feder, ich bin Fan von Künstlern und Bands wie K.I.Z, CASPER, KRAFTKLUB, TRAILERPARK und ALLIGATOAH. Als ich 2015 oder 2016 die Bands entdeckt habe, hat das eine ganz neue Welt für mich geöffnet. Das hat mich so geflasht, dass ich ein halbes Jahr nichts anderes mehr als diese Künstler. Ich fand das so toll, dass man auch mit Hip Hop textlich so kraftvoll sein kann.
Es hat mir ein ähnliches Gefühl gegeben, als würde ich Metal hören. Die Lyrics waren einfach so krass, dass der musikalische Unterbau mich gar nicht gestört hat. Das hatte ich im Hip Hop vorher so nicht gekannt, auch wenn ich Fan erster Stunde von den FANTASTISCHEN VIER bin. TRAILERPARK und K.I.Z sind jetzt ein Muss bei HÄMATOM backstage vor dem Konzert, es muss richtig asozial sein, damit wir in Fahrt kommen.
Nach dem Wacken-Auftritt war uns klar, dass wir wieder einen Hip-Hop-Künstler auf dem kommenden Album haben wollen. Die 257ers hatten wir aber gar nicht so auf dem Schirm. Wir wollten einfach einen Künstler und haben gesucht, wer Zeit hat. Unser Manager hat dann die 257ers ins Spiel gebracht und gefragt, wie wir die finden. Die sind zwar textlich nicht so krass wie die anderen von mir genannten Künstler, aber haben einen richtig geilen Humor.
Das ging dann recht schnell, wir haben sie angeschrieben und hatten direkt am nächsten Tag eine WhatsApp-Sprachnachricht bekommen, dass sie voll Bock haben. Im Hip-Hop wird sich übrigens ausschließlich über Sprachnachrichten unterhalten (lacht). Dann haben wir ihnen den Song rübergeschickt und sie haben ihre Parts draufgerappt und es hat direkt gepasst.
Zum Videodreh haben wir uns dann getroffen und daraus ist dann eine richtige Freundschaft entstanden, weil das zwei super lustige, tolle Typen sind, die das Herz am richtigen Fleck tragen. Sie sind nicht so verpeilt wie die meisten Hip Hopper, die eher nach dem Motto leben: „Komm ich heute nicht, komme ich morgen“. Das ist ja eher das Gegenteil vom Metal. Metal ist sehr zuverlässig, fast handwerklich unterwegs. Es hat aber auch Spaß gemacht, sich in diese Welt fallen zu lassen, denn ich glaube der Metal war damals, in den 70ern und 80ern auch mal so, als er noch richtig asozial und als Gegenentwurf zum normalen Spießerleben unterwegs war.
Mittlerweile ist es eher so, dass die Hip Hopper die Fernseher aus dem Hotelzimmer schmeißen und über die Stränge schlagen. Metaller gehen nach dem Konzert meistens direkt ins Bett, weil sie Veganer oder Antialkoholiker sind und in der Früh noch joggen wollen. Ich finde diesen Stil des Hip Hops schon cool, wie man vielleicht auch sieht (Anmerkung: Hinter Ost steht während des Interviews eine gut ausgestattete Minibar).
Die 257ers haben uns auch gesagt, dass sie sofort zugesagt haben, weil sie unbedingt mit uns beim Wacken Open Air auftreten wollen. Sie waren so neidisch, dass TRAILERPARK mit uns auftreten durften und die nicht.
Man könnte ja auch den Spieß umdrehen und HÄMATOM bei den TRAILERPARK-Abschiedskonzerten auftreten lassen.
Tatsächlich sind diese Gespräche am Laufen, schon seit 2 Jahren. Wäre Corona nicht, hätten wir da vermutlich auch mitgemacht. Mal schauen, ob es nächstes Jahr stattfindet. Wir haben das auf dem Schirm und wollen das auch unbedingt.
In „Zahltag“ probiert ihr euch dann selber an Hip-Hop-Klängen. Wolltet ihr mal ausprobieren, ob ihr das auch ohne Feature realisieren könnt?
Wir sind sehr breit gefächert, was Musikgeschmack angeht. Das zeigt „Berlin“, das hat das „Kids“-Cover gezeigt. Wir haben immer Sachen gemacht, bei denen die Leute sich an den Kopf gefasst haben und sich gefragt haben: „Was machen sie denn jetzt?“. Wir haben auch mal mit SAMY DELUXE einen Song gemacht, der recht unerfolgreich war. Aber trotzdem hatten wir den und es hat funktioniert.
Zudem passt Nords Stimme einfach zu diesem Stil, er hat mit den bisherigen Songs bewiesen, dass es ihm steht. Außerdem schreiben wir unsere Alben mit vielen verschiedenen Leuten. Wir sind da nicht so eingefahren, dass wir ins Studio gehen und nur mit unserem Produzenten zusammenarbeiten. Wir sind für „Zahltag“ auf Iad Aslan gestoßen, der auch mit CAPITAL BRA zusammenarbeitet, und haben ihn gefragt, ob er Lust hat einen Song zu produzieren. Der ist zufälligerweise Metalfan und mag zum Beispiel SLIPKNOT gerne.
Wir haben uns dann in Berlin mit ihm getroffen, wo er sein Studio hat und haben zwei Tage lang einfach geschrieben. Das war komisch, wie schnell das funktioniert hat. Er hat einen Beat produziert und ich hatte eine Textidee, als der Beat feststand. Es ist ein schweres Thema, bestimmt nicht der Hit des Albums, aber ich finde solche Songs sehr wichtig, die sich mit Themen beschäftigen, die nicht alltäglich bearbeitet werden.
Wenn du dir einen Künstler aussuchen könntest für ein künftiges Feature, wer wäre das?
Das wäre schon K.I.Z, aber SSIO ist auch total lustig, weil er sich nicht ernst nimmt. SIDO macht auch immer geile Sachen, auch wenn es mehr Pop ist mittlerweile. Aber ich mag auch MARTERIA total gerne. Außerdem gibt es einen Künstler, KASIMIR1441, ein ganz junger Künstler, vielleicht 18 Jahre, hat aber schon eine geile, versoffene Stimme. Mit dem könnte ich mir auch gut was vorstellen.
Die Szene beim Hip-Hop ist halt recht dynamisch. Mal abgesehen von den genannten Bands sind viele Künstler für ein halbes Jahr aktuell und dann wieder weg vom Fenster. Daher ist es schwer zu sagen, wer gerade aktuell ist, wenn wir in 1,5 Jahren vielleicht das nächste Album machen.
Ihr habt ja gleich vier Boxen gestaltet, eine für jedes Bandmitglied. Habt ihr die Inhalte für die Boxen selber ausgewählt?
Ja, das war glaube ich auch anstrengender als das Album zu schreiben. Ohne Corona hätten wir die Zeit dafür gar nicht gehabt. Fans fordern das schon lange, dass wir unsere Masken mal in eine Box legen sollen, aber wir haben uns immer gefragt, wer das herstellen soll. Dann gab es einen Kontakt, der jemanden in China kannte, der das machen konnte.
Bis zum letzten Abgabetag erschien es uns nicht machbar, weil die ganze Sache eigentlich viel zu teuer war. Es war eigentlich total unwirtschaftlich, was wir gemacht haben. Wir wollten es aber unbedingt schaffen, diese Masken an den Start zu bringen. Da aber die Box bestimmt 350€ gekostet hätte, wenn alle vier Masken beigelegen hätten, haben wir es auf vier Boxen aufgeteilt.
Wir haben dann gesagt, dass eine Sache beilegen uns ein bisschen wenig erscheint und haben überlegt, was noch rein kann. Und da war es wohl das Glück von West, dass er diese Badeente gekriegt hat. Meiner Meinung nach ist die Ente dafür verantwortlich, dass diese Box so schnell ausverkauft war.
Werdet ihr auf künftigen Konzerten auch „Berlin“-Songs als Rockversion spielen oder ist das Thema abgeschlossen?
Der Plan steht tatsächlich. Ich würde gerne „Tanz auf dem Vulkan“, „Beweg deinen Arsch“ und „Werft die Gläser an die Wand“ spielen. Vielleicht machen wir ein kleines Metal-Medley aus den drei Songs. Die Ursprungsversion würde ich eher nicht nehmen, aber eine vermetalte Version schon. Bei den Unplugged-Konzerten haben wir gemerkt, dass diese Songs gut abgehen. Die würden in einer vollen Halle bei einer Metalshow auch gut kommen.