Gris
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Interview
GRIS haben mit "Il était une forêt…" eins der aufregendsten Alben der letzten Monate veröffentlicht. Wer atmosphärischem Black Metal mit dem besonderen Etwas nicht völlig abgeneigt ist, kommt um das aktuelle Werk der Frankokanadier eigentlich nicht herum. Grund genug zu erforschen, wie aus dem hässlichen Entlein NIFLHEIM der Schwan GRIS werden konnte, warum der Tod des Projektes bereits geplant ist und wie es um kanadische Poesie steht.
Eure Bandgeschichte kann man sicher irgendwo im Netz finden, also wollen wir uns damit nicht länger aufhalten. Erzählt uns doch stattdessen, was Euch ganz am Anfang bewogen hat, GRIS ins Leben zu rufen. Wie haben sich Eure Ziele und Absichten mit der Zeit verändert?
Unsere Absichten (die man übrigens auch im Netz nachlesen kann) haben sich natürlich verändert, sogar unseren Namen haben wir gewechselt. Aber Veränderung ist ein schlechtes Wort, um dies zu beschreiben, lass uns lieber von Entwicklung sprechen. Als wir mit der Band angefangen haben, ging es uns nur darum, „to live and to leave“. Uns zu finden und kennenzulernen. Wir wachsen mit der musikalischen Leinwand von GRIS, und mit der Band wollen wir blühen und gedeihen, wenn die Zeit reif ist.
Optisch und musikalisch hat sich bei Euch eine Menge getan. Und damit meine ich noch nicht mal die Demos, schon der Unterschied zwischen „Neurasthénie“ und dem neuen Album ist riesig. Das Debüt war noch ein ziemlich unspektakuläres BM-Album, nicht unbedingt schlecht, aber sicher auch nichts Besonderes. Die neue Scheibe „Il était…“ ist da aus ganz anderem Holz geschnitzt, bietet eine sehr eigene Interpretation davon, was BM sein kann. Ist das auch für Euch ein Riesensprung, oder ist das nur die Sichtweise eines Außenstehenden? Neben der Musik hat sich auch sonst viel verändert, es gibt einen neuen Namen, eine ganze neue Ausrichtung bei der optischen Gestaltung. Auf mich wirkt GRIS beinahe wie eine komplett neue Band, wie der Beginn von etwas Großartigem. Inwieweit ist GRIS tatsächlich die Fortführung von NIFLHEIM und inwieweit ist die Band ein Neustart?
NIFLHEIM ist der Fötus von GRIS. Es ist Teil dessen, was wir sind. Für uns als Menschen ist es allerdings nicht wichtig, uns auf unser Leben in der Gebärmutter zurückzubesinnen. Jeder Fötus ist schwach und jämmerlich. Es mag sich eigenartig anhören, aber „Neurasthénie“ sollte nie ein gutes Album sein. Es repräsentiert den Wurm, den durchschnittlichen Menschen. Wie ein Fötus hat der Wurm auf seinem unwichtigen Weg kein Ziel. Deshalb ist „Neurasthénie“ durchschnittlich, arm und krank. Jedes Album wird ein großer Schritt gegenüber seinem Vorgänger sein. Geistig hört man schließlich nie auf zu wachsen. Man folgt einfach nur seinen Gefühlen, seinem Herzen. „Il était une forêt…“ ist der Beginn von etwas Großartigem, weil der Wurm erkannt hat, dass er anders ist und über sich hinauswachsen kann.
Mein Französisch hat sich nach der Schule nicht sonderlich weiterentwickelt. Mit etwas Mühe kann ich mir zusammenreimen, dass GRIS sich thematisch weit von den ursprünglichen NIFLHEIM-Themen wegentwickelt haben. Aber worum geht es bei GRIS wirklich, was ist Eure Botschaft?
Bei GRIS geht es ums Leben, um die Balance zwischen innerem und äußerem Leben und alles, was dies enthalten kann. Es ist einfach die Geschichte unserer Leben. Von uns für uns geschrieben. Um uns selbst zu beobachten und unseren Weg durchs Leben zu verstehen. Einige Gedichte illustrieren das Vergnügen, abends nach der Arbeit im Regen nach Hause zu gehen. Andere können den Hass und die Qual widerspiegeln, die wir in einer Bar fühlten, umgeben von hunderten Maden. Es kann auch mal um die philosophischen Diskussionen eines Abends gehen. Jeder könnte sagen und machen, was wir tun (nicht unbedingt auf musikalischem Wege), aber die meisten tun’s einfach nicht. Sie lieben es zu sehr, ihr Leben zu betrauern. Es beschert ihnen Aufmerksamkeit und falsche Liebe von Leuten, die dann wiederum Liebe als Gegenleistung für ihren Trost erwarten. Wir sind auch Menschen. Mit GRIS versuchen wir zu lernen, uns selbst so zu lieben, wie wir sind. Darum geht es.
Wie passen die Bilder im Booklet in Euer Konzept? Die sind ziemlich untypisch, wie aus einem Traum oder aus einem Märchen (allerdings nicht unbedingt aus einem Märchen für Kinder).
Nun, was siehst Du in den Bildern? Um mal Dein Beispiel zu nehmen: es könnte ein Märchenbuch sein. Wir haben uns den kindlichen Geist bewahrt, obwohl der Rest der Welt einem beibringen will, das Kind im Geiste zu unterdrücken. Vielleicht sind wir deswegen anders. Das Konzept ist letztendlich das gleiche: die Suche nach Gleichgewicht.
Eure Musik wartet mit einigen Elementen auf, die im BM nicht unbedingt typisch sind. Diese erzeugen eine eigenartige Atmosphäre, eine Mischung aus absurdem Theater, Sideshow, David Lynch, „La cité des enfants perdus“ und „Delicatessen“. Welche Rolle spielen diese Zutaten im GRIS-Universum? Was hat Euch in dieser Richtung beeinflusst?
Diese Elemente sind wie Sterne am Himmel. Wir wissen nicht, warum sie so wunderschön sind, aber wir können sie dennoch schätzen. Sie erinnern uns daran, dass wir so klein und so allein sind. Uns Einflüsse sind überall. Innere und äußere Welten und sogar Welten, die gar nicht existieren.
Das letzte Stück auf dem Album ist eine wunderbare nichtmetallische Komposition nur mit Klavier und dergleichen. Das könnte man als Outro verstehen, allerdings ist es dafür wohl „zu sehr komponiert“. Wird es in Zukunft mehr Stücke dieser Art geben? Vielleicht sogar ein komplett unmetallisches Album? Oder geht die Entwicklung mehr in Richtung Verschmelzung dieses Ansatzes mit dem Metal-Fundament?
Fäden in die Zukunft werden gesponnen mit diesem Lied zum Ausklang des zweiten Albums. Ja, es wird mehr Geige geben, und ein Cello wird auf den nächsten Scheiben auch zu finden sein. Als Decke über einen wunderschönen Schlaf, als der Seidenkokon um die Larve. Ansonsten… mit den Veröffentlichungen wird der BM-Anteil, ja der Metal-Anteil überhaupt bei GRIS stetig zurückgehen. Metall ist ein krankes Element: Es kann rosten.
Überhaupt, die Zukunft. „Il était…“ ist so wie es ist ziemlich perfekt, denke ich. Wohin wollt ihr Euch von hier entwickeln? Triviale Wiederholungen sind bei Euch wohl nicht zu erwarten, wohin also wird die Reise gehen? Ich habe irgendwo gelesen, dass Ihr nach sechs Alben einfach Schluss machen werdet. Das hört sich nach einer recht vernünftigen Idee an, denn – ganz ehrlich – mir fällt beim besten Willen keine Band ein, die nach so langer Zeit noch sonderlich weltbewegendes Material vorgelegt hätte. Aber was bedeutet es, dass Ihr Euren Tod schon so lange vorausgeplant habt? Habt Ihr die kommenden Alben alle schon skizziert? Gibt es einen „Masterplan“, der alle Eure Alben zu einem einzigen großen Kunstwerk verbindet? Das wäre letztendlich eine sehr Proustsche Idee, nur EIN EINZIGES Werk und Schluss, oder?
Darauf können wir nur mit „Ja!“ antworten, denn Du liegst schon ziemlich richtig mit Deinen Vermutungen. Wir haben all unsere Alben bereits grob entworfen, und es gibt einen großen Plan, der sie zu etwas Magischem verbindet und sie für uns zu etwas Transzendentalem macht. Eins müssen wir allerdings erwähnen: unsere Alben spiegeln eine evolutionäre Entwicklung wider, deshalb ist es nicht sicher, dass diejenigen, die an „Il était une forêt…“ gefallen finden, auch mit dem nächsten Album klarkommen. Umgekehrt ist es natürlich genauso gut möglich, dass Leute unsere nächsten Sachen mögen, die die aktuelle Scheibe nicht sonderlich mögen.
Der Vergleich mit Marcel Proust ist übrigens recht interessant, aber seine Arbeit unterscheidet sich doch von unserer. Wir treffen keine Auswahl, wenn wir in uns nach Material graben: wir nehmen alles, um letztendlich die Formel zu finden, die der ganzen wunderschönen Hässlichkeit das Fliegen beibringt.
Im Gegensatz zu früher kommt „Il était…“ mit ausschließlich französischen Texten daher. Was hat zu dieser Entscheidung geführt? Für Außenstehende entsteht immer wieder der Eindruck, dass das Französische in Quebec sehr ernst genommen wird, möglicherweise noch ernster als in Frankreich. Wie wichtig ist Dir Deine Muttersprache, auch außerhalb der Musik?
Die Frage nach französischen Texten haben wir schon oft beantwortet. Französisch ist unsere Muttersprache, es ist also viel einfacher und ehrlicher, unsere Seelenregungen so zu Papier zu bringen. Wir finden auch, dass die französische Sprache kompletter und komplexer ist als etwa die englische. Englisch ist neutral und technisch, das Deutsche kalt und stark, die spanische Sprache heiß und geschmeidig. Französisch ist eine ausgeglichenere Sprache, die unendlich viele Möglichkeiten des emotionalen Ausdrucks zulässt.
Wo wir schon bei Quebec sind, müssen wir natürlich auch kurz über BM in der Gegend reden. Es scheint bei Euch eine sehr aktive und produktive Szene zu geben, die irgendwie lösgelöst vom Rest Kanadas existiert. Kannst Du mir erklären, warum es soviel gute Musik aus Quebec gibt und woher der tiefe Graben zu Rest-Kanada herrührt?
Das wissen wir wirklich nicht – und es ist uns letztendlich auch egal. Die geographische Lage hat für uns nichts zu tun mit der Schönheit und Reinheit von Kunst, egal um welche Kunstform es gehen mag. Wir sind nichtmal unbedingt der Meinung, dass die Szene in Quebec besser ist als anderswo. Juwelen und Scheiße gibt es überall.
Nun gut, da Ihr deutlich näher dran seid, wie wär’s denn, wenn Ihr uns ein paar dieser Juwelen empfehlen würdet? Wenn ich richtig informiert bin, spielt Ihr beide live mit SOMBRES FORÊTS, dieses Projekt dürftet Ihr also für halbwegs empfehlenswert halten. Was sonst verdient an dieser Stelle Erwähnung?
Um ein paar zu nennen, die wir persönlich mögen: ETHER, die gerade ihr erstes Album veröffentlicht haben (bei Sepulchral Productions. Sehr empfehlenswert. -Ed.). Dabei handelt es sich um sehr gequälten, tiefgründigen und chaotischen BM. Es ist beim ersten Anhören nicht leicht zu verdauen, weil es so gewalttätig ist, aber es ist irgendwie wie das Anschauen der Nachrichten. Wenn man all das Leid und Elend ohne eine einzige Emotion (positiv oder negativ) ertragen kann, könnte man meinen, ETHER wäre hohl… aber dann ist man auch kein Mensch mehr. WÜRM schätzen wir auch sehr. Dieses Projekt hat letztes Jahr ein Album rausgebracht, das Anhängern von BEATRIKs „Requiem Of December“ mit seiner aus eiserner Trauer gemachten irdischen Schönheit begeistern könnte. Dann wäre da noch ein neues Projekt namens SUI CAEDERE, das vielversprechend wirkt und seine Texte den Werken von Emile Nelligan entnimmt, welcher leider der einzige halbwegs bekannte Dichter Quebecs zu sein scheint. Albert Lozeau etwa hat in unseren Augen ein reiferes und intelligenteres Verständnis vom Leben und von Poesie.
Da Ihr beide nicht bühnenscheu seid, die naheliegende Frage: Wird es GRIS jemals auf der Bühne geben? Unter welchen Umständen könntest Du Dir eine GRIS-Show vorstellen, und wie würde die aussehen?
Darauf haben wir immer die gleiche Antwort: GRIS wird ein einziges Mal die Bühne entern. Ganz zum Schluss. Das Ganze wird so werden wie unsere Kreationen: reif und stolz, gleichzeitig aber traurig darüber, dass wir dies tun mussten, um das Leben wirklich zu würdigen.
Noch ein paar Worte zum Abschied?
„Ich habe meine eigene Welt, welche, wenn ich sie male, in Euren Augen ein Alptraum sein kann. Ganz ähnlich sehen manche Menschen Diskotheken als die Hölle, während sie für andere die Tore zum Himmel sind. Was ich male, ist in erster Linie ein spirituelles Selbstporträt.“ Z. Beksinski
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