Ghost
"Solange man seine Maske anlässt, kann einiges dabei rumspringen" - Interview mit The Nameless Ghoul zu "Meliora"
Interview
Alles neu bei den Schweden GHOST – sollte man anlässlich der rechtzeitig zur Veröffentlichung von „Meliora“ vorgenommenen Sängerrochade zu Papa Emeritus III. meinen. Mal abgesehen von der Nummerierung des Papas und den blitzeblanken neuen Masken der Nameless Ghouls ändert sich aber vor allem musikalisch gar nicht so viel: Wer die Band mag, wird „Meliora“ lieben. Und was es mit diesem „besser“ aus dem Albumtitel auf sich hat, sagt uns einer der Nameless Ghouls selbst – übrigens auch, welche die heimlichen Vorzüge seiner Maskierung sind.
Das neue Album heißt „Meliora“, was das lateinische Wort für „besser“ ist. Warum habt Ihr diesen Titel gewählt?
Der Albumtitel spiegelt in erster Linie die Texte wider. Der Titel ist zynisch beziehungsweise ironisch gemeint: Die Welt, die wir uns erschaffen, wird zwar wie der Turm von Babel immer höher, besser und sauberer, für die meisten Menschen bedeutet das alles aber eine Verschlechterung ihrer Existenz. In diesem Streben nach immer neuen Superlativen steckt eine Ironie – wir denken zwar, dass alles fortschrittlicher wird, aber in Wirklichkeit entwickelt sich alles rückläufig.
Eine sehr negative Sichtweise.
Viele der Texte handeln von größeren und besseren Dingen, von Ehrgeiz und individuellem Denken, gleichzeitig handeln sie aber von einem Fall oder einem Absturz. In gewisser Weise sind die Texte biografisch, mit einem gewissen Grad an Selbstverachtung. Weil wir genauso Teil des Problems sind wie jeder andere auch. Wir sind alle ambitioniert, und ich bin genauso wie jeder andere damit beschäftigt, mein Ding zu machen. Ich persönlich verweigere mich aber komplett gegen den Gedanken, dass ich die Welt verbessern könnte, auch wenn ich sehr gut weiß, dass sie auseinanderfällt. Es läuft etwas fundamental falsch in der Welt, und wir sind zusammen sehr schlecht darin, eine Lösung anzubieten. Die Platte ist also eher eine Art Klagelied auf die Welt, wie sie sich heute präsentiert.
Was hat sich bei „Meliora“ musikalisch geändert?
Das neue Album kommt etwas geschärft daher, es hat etwas besser das eingefangen, wofür wir live stehen. Bei den beiden Vorgängeralben war das auch schon so, aber im Vergleich klingen sie etwas steif. Diesmal haben wir versucht, dem ganzen Album ein verstärktes Livefeeling zu geben, beispielsweise, indem wir dem Schlagzeuger etwas mehr Raum gegeben haben. Jedes Element ist ein bisschen besser geworden.
Ihr habt also bewusst Dinge geändert?
Genau! Wir sind an diesem Punkt, dem ominösen dritten Album, dieser Win-or-lose-Situation. Du kannst also entweder versuchen, das kleine Erbe, das Du hast, einfach zu verwalten oder es zu vermehren. Egal, wie du dich entscheidest, wirst du Schläge einstecken müssen, aber wenn du einen Schritt zurück gehst, wirst du von keiner Seite Applaus bekommen. Wir blicken nach vorne und sind mit „Meliora“ den nächsten Schritt gegangen.
Wir haben also reflektiert, wofür wir stehen, haben aber auch einen Blick über den Tellerrand gewagt. Selbst wenn wir unsere ersten beiden Alben gut finden, denken wir schon, dass wir sie noch toppen können. Ich meine, wenn man sich nicht mehr weiterentwickeln möchte, warum sollte man überhaupt noch weitermachen? – Dann kann man genauso gut in einer Coverband spielen.
Ihr habt dieses Mal mit Klas Åhlund zusammengearbeitet, der schon einige Pop-Heroen von KYLIE MINOGUE über KATY PERRY bis hin zu MADONNA produziert hat. Warum ist die Wahl auf ihn gefallen?
Weil wir jemanden brauchten, der uns pushen kann. Wir brauchten keinen Ja-Sager, und Klas ist definitiv kein Ja-Sager. Er hat uns gesagt, dass er mit uns arbeiten möchte, uns aber auch zu verstehen gegeben, dass er nicht alles mag, was wir machen. Damit waren wir einverstanden, denn wenn wir alles besser könnten, hätten wir ihn nicht gebraucht. Es war also klar, dass sich mit Klas einige Sachen ändern würden – was ja im Metal so etwas wie ein Unwort ist. Vielleicht klingt es besser, wenn man sagt, dass sich Dinge weiterentwickelt haben.
Was war sein Einfluss auf „Meliora“?
Auch wenn unsere Musik sicherlich von einigen Musikern als „einfach“ bezeichnet wird, neigen wir immer mal wieder dazu, bei Arrangements einen Trick oder einen Wink einzubauen… bei einem Death-Metal- oder Prog-Metal-Publikum kommt das auch gut an und wird verstanden. Man muss sich aber immer fragen, ob der Song diese kleinen Tricks notwendig hat. Klas ist sehr gut darin, das zu erkennen und zu hinterfragen.
Er war also so etwas wie ein Sparringspartner, wobei wir aber immer noch die Arbeit machen mussten. Wenn er also meinte, dass in einem Song das Riff noch nicht ausgereift sei, hat er uns eine Stunde Zeit gegeben, mit einem besseren Riff anzukommen. Für uns als Musiker gab es dann genau drei Möglichkeiten: Ihm den Finger zu zeigen und nach Hause zu gehen oder ihm zu erklären, warum das Riff doch gut ist, oder sich ein anderes und besseres Riff auszudenken. Meistens sind wir bei der dritten Möglichkeit geblieben: Wir sind nicht perfekt und haben auch nicht die Selbstsicherheit zu sagen, dass wir alles besser können.
Gibt es für Euch musikalische Grenzen, die Ihr nicht überschreitet, möglicherweise, damit es nicht heißt, dass GHOST poppig geworden sind?
Nein, überhaupt nicht. Dass wir poppig sind, war einer der ersten Kommentare, den wir überhaupt bekommen haben. Es wird bei einer Band wie uns immer Unruhe geben, da es im Metal ein gewisses Maß an Empfindsamkeit gibt. Es wird immer Leute geben, die uns gegenüber negativ reagieren. Allein schon wegen unserer Wahl des Sängers. Es gab deswegen schon immer Beschwerden.
Ich neige nicht dazu, auf Kritik negativ zu reagieren. Es kommt sehr darauf an, wer was und wo schreibt. Wenn ich aber lese, dass unsere Band „schwul“ sei (lacht), könnte ich mich nicht weniger darum scheren. Wenn unsere Musik solche Gefühle erweckt, dann sind wir wohl nicht die richtige Band für ihn, dann muss er sich wahrscheinlich männlichere Sachen anhören. Es gibt ja noch genügend andere schwedische Bands, die über Krieg und ähnliche Themen singen. Wir wollen gefallen, aber wir wollen nicht jedem gefallen. Wir können halt nicht jeden für unsere Sache gewinnen. Niemand ist perfekt.
Euer neuer Sänger Papa Emeritus III. ist drei Monate jünger als sein Vorgänger Papa Emeritus II., aber beide sind Brüder – wie ist das möglich?
Nun, es gibt einen Papa und zwei Mamas. Das mag dir einen Einblick darin geben, dass bei all den Papas sich immer ein noch schlechterer Fisch im Meer findet, der vielleicht in ein paar Jahren mal auftauchen wird.
Wie muss man sich das Tourleben bei GHOST vorstellen? Aus den Papaganda-Videos wissen wir ja, dass Papa Emeritus II. sehr anziehend auf das weibliche Geschlecht wirkte – ist das für Euch ein Problem, dass auf der einen Seite junge Frauen auf ihn abgefahren sind und er im Rampenlicht stand, Ihr auf der anderen Seite anonym unter dem Namen Nameless Ghoul lauft?
(lacht) Wir reisen in der Regel unabhängig voneinander. Er reist für sich und taucht üblicherweise rechtzeitig zu den Auftritten auf. Genauso verschwindet er wieder nach der Show. Ich nehme aber an, dass er mit einer Art Harem reist – mit ihm mittendrin, wie er kopfüber im Spülbecken hängt.
Wenn es um den Punkt geht, einen Treffer zu landen, ist die gute Sache bei uns aber die: Solange man seine Maske anlässt, kann einiges dabei rumspringen. Wenn du maskiert bist, kannst du jeder sein, den die andere Person in dir sehen möchte.
Ist es manchmal nicht irritierend zu sehen, wenn Fans das alles zu ernst nehmen? Ist euch die Anbetung manchmal zuviel?
Nun, am Ende des Tages sind wir ein Unterhaltungsact, der auf der Bühne stehen möchte. Und das ist das, was uns antreibt: Die Band gibt eine bessere Leistung ab, wenn die Menge lebhaft und dynamisch ist. Selbstverständlich gibt es mal Momente, wo man auf Fans trifft, die eher humoristisch handeln, aber das Entscheidende ist für uns eine energiegeladene Liveshow.
Wir wollen die Leute zum Lachen und manchmal auch zum Weinen bringen. Und wenn männliche Fans diese Metalgrimassen ziehen, die aussehen, als ob sie sich gerade in die Genitalien greifen, und sie dabei Grunzlaute von sich geben – man gewöhnt sich daran. Als Kerl halte ich sowieso lieber nach den Mädels in der Menge Ausschau.
Danke für das Interview!
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Stile | Hard Rock, Heavy Metal, Psychedelic Rock |
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