Ghost
"Wenn ich mir jetzt fünf Margaritas reinkippen würde, würde ich mich in Papa Emeritus verwandeln."
Interview
Um mal weiterhin bei den Veränderungen zu bleiben. Es ist jetzt zwei Jahre her, dass GHOST einen Grammy gewonnen haben. Was hat sich kurzfristig und langfristig verändert? Ist manches wieder beim Alten, oder hat sich einfach das komplette Level geändert?
Nein, es gibt immer noch Regen. Es gibt immer noch gute Tage und schlechte Tage. Was so etwas, wie einen Grammy zu gewinnen, glaube ich bewirkt, ist, dass es dein Musikertum legitimiert. Danach gibt es niemanden mehr, der dich belächelt, wenn du sagst „ich bin Musiker“ oder „ich bin Songwriter“. Ich habe es oft erlebt, dass Leute dann gefragt haben „aber was machst du wirklich?“ Es zeichnet dich also als tatsächlichen Profi aus. Trotzdem kommt nicht gleich jeder mit „oh, der Grammy-Gewinner Tobias Forge“ auf dich zu. Du bist immer noch ein Mensch.
Aber man hat dadurch mehr Möglichkeiten. Es gibt einem gewisse Werkzeuge in die Hand. Die kannst du dann nutzen oder eben nicht. Für eine Weile, besonders in Amerika – oder besonders in der Musikbranche, aber ich sage Amerika, weil es ein amerikanischer Award ist, der als Äquivalent zum Oscar sehr viel in der amerikanischen Musikindustrie bedeutet – bekommst du ein wenig mehr Redezeit.
Wenn dich jemand vorstellt und sagt „das ist Tobias Forge von GHOST“ wird das ein schnelles Hallo. Wenn aber einer sagt „er ist ein Grammy-Gewinner“ hast du plötzlich zwei Minuten mehr der Aufmerksamkeit. Du kannst dich natürlich entscheiden, nichts weiter zu sagen und all diese Chancen zu verschlafen, aber auf einmal waren da all diese Promoter und Radiosender, die plötzlich alle wussten, wer wir sind.
Doch dann hängt es von dir ab, die Chance zu ergreifen. Du kannst nicht einen auf verklemmt machen und sagen „nur, weil ich einen Grammy habe, rede ich jetzt nicht mit euch. Ihr hättet mal vor einem Jahr kommen sollen, als ich noch keinen Grammy hatte.“ Wenn du die Einstellung hast, kannst du dich verpissen, dann wird daraus nichts werden. Ein Grammy bringt dich für eine bestimmte Zeit ins Rampenlicht, und du musst dann das Beste daraus machen.
Kleiner Themawechsel. In einem Interview, das du vor Kurzem mit Revolver gemacht hast, hast du gesagt, dass du dich schon früh von der Religion abgewandt hast. Dann diese ganze Symbolik bei GHOST. Eine Frage, die in der Redaktion aufkam, war: Was würdest du machen, wenn du der echte Papst wärst? Also wenn du die Macht über eine so mächtige und potentiell böse Organisation wie die katholische Kirche hättest?
(Lange Pause) Ich, ähm… Das ist eine gute Frage (Pause). Die Kirche und der Vatikan sitzen zweifelsohne auf einem Erbe, das sie aufrechterhalten, das viele Probleme für uns in der westlichen Welt verursacht und von dem ich denke, dass sie es streichen könnten. Ich denke persönlich nicht, dass die Kirche per se schlecht ist. Ich bin kein militanter Atheist oder so. Ich glaube, dass ein gewisses Maß an Hoffnung und Vorstellungskraft gut für uns sind. Ich denke, dass bestimmte Werte in der Gesellschaft nützlich sind.
Das Problem ist, dass die viele dieser Werte genommen und für sich patentiert haben. Ihr Copyright draufgehauen haben. Jeder weiß aber, dass man Leute nicht ins Gesicht schlagen sollte. Was ich glaube ich als erstes machen würde, wäre, Kirchen zu Museen umzufunktionieren. Sie sollten geschützt werden, weil sie Teil unseres Kulturerbes sind. Ich will also keine Kirchen niederbrennen. Aus Kirchen, die in den Sechzigern und Siebzigern gebaut wurden, also nur moderne Betonklötze sind, könnte man Jugendzentren machen, oder Bars. Sie in etwas Sinnvolles verwandeln.
Dann würde ich wahrscheinlich eine ernsthafte Debatte darüber anregen, warum ich denke, dass Marihuana besser als Alkohol ist. Marihuana macht Leute glücklich und bewirkt, dass sie nett zueinander sind. Alkohol bewirkt, dass Leute sich gegenseitig aufs Maul hauen und vergewaltigen wollen. Letztendlich will ich, dass die Leute nett und entspannt sind (Pause). Ja, diese Dinge stünden also an meinem ersten Tag auf der Tagesordnung. Es müssten natürlich auch viele Grundsätze geändert werden, aber das hier ist die Kurzversion.
Es braucht schließlich auch keine Kirchen, um ein Gefühl der Zusammengehörigkeit zu haben. Ein gutes Beispiel gab es nach einem GHOST-Konzert kürzlich. Dort ist ein Fan zusammengebrochen und später gestorben. Ein GHOST-Fanclub hat dann eine Crowdfunding-Kampagne für seine Familie gestartet. Das Ziel waren 1000 Dollar. Als ich vorhin geschaut habe, war der Stand schon bei fast 9.500 Dollar. Macht es dich stolz, so eine hilfsbereite Gemeinschaft erschaffen zu haben?
Es macht mich sehr glücklich, zu sehen, dass die Leute so mitfühlend sind. Die meisten Leute, die ich treffe und mit denen ich rede, sind sehr warmherzig und sehr menschlich. Das ist die Ironie des Ganzen. Ich denke, dass die Message, die ich mit GHOST rüberbringen will, sehr viel menschlicher ist als alles, was der beschissene Vatikan jemals gemacht hat.
Nicht allein unseretwegen, sondern vor allem, weil die Leute, bei denen es ankommt, so lebensbejahend sind. Ich weiß nicht, wie viele Leute ich schon getroffen habe, die mir gesagt haben, dass sie schon Selbstmordgedanken hatten oder in Lebenskrisen steckten und denen die Musik geholfen hat. Was könnte erfüllender sein als das? Wir wollen, dass die Leute glücklich sind.
Ich glaube, Bob Dylan hat mal gesagt, dass Kunst etwas ist, das Leute inspiriert, selbst Kunst zu schaffen. Und wenn das die grundlegende Essenz von Kunst ist, muss ich sagen, dass ich extrem zufrieden bin, denn so viele Leute kommen zu unseren Shows und bringen uns Zeichnungen, Skulpturen, alles Mögliche. Das sind Kisten voller Geschenke, die wir nach jeder Tour zusammenhaben. Oder auch die ganzen Sachen, die online gepostet werden.
Ich habe gerade irgendwie vergessen, worauf ich damit hinauswollte. Aber dafür, dass wir eine „böse“ Band sind, scheinen wir Teil einer sehr guten Bewegung zu sein. Einer sehr wohlgesinnten, sehr menschlichen, sehr positiven Bewegung. Ich denke, das ist ein lustiges Paradox, wenn du dir anschaust, was der Vatikan sagen würde. Die wären natürlich gegen das, was wir tun, weil wir „böse“ sind. Unsere Fans sind aber wahrscheinlich viel glücklicher, als die es sind. Ich denke, deren Methode ist falsch. Sie bringen Leute dazu, sich schuldig zu fühlen, weil sie nicht genug tun. Was auch immer das bedeutet. Nicht genug zahlen. Nicht genug bereuen.
Wahrscheinlich nicht genug zahlen.
Ja, genau. Aber was du nicht vergessen darfst, ist, dass GHOST als Band im Grunde ein Business sind. Nicht weniger als der Vatikan.
Ihr verkauft ein Produkt.
Ja, wir verkaufen ein Produkt. Das tun die auch. Sie verpacken es nur anders. Jeder weiß, dass die sich im Jahr 325 in Nicäa hingesetzt haben und das Paket, das man jetzt als Bibel kennt, geschnürt haben, um die christliche Bewegung im Rom zu kontrollieren. Das war definitiv ein kommerzieller Plan. Das Resultat wird seitdem ständig von Leuten benutzt, die andere ausbeuten und zu ihrem eigenen Vorteil nutzen wollen. Genau wie jedes andere Business. Aber sie haben es unter dem Deckmantel des übergeordneten Wohls getan. Wenn du aber einen Volvo kaufst, weißt du, dass du das tust, damit du ein Auto hast und jemand anders dein Geld. Das ist immer noch ein bisschen fairer.
An dieser Stelle bekommen wir das Signal, dass wir so langsam zum Ende kommen müssen.
Das bedeutet wie immer, dass du nun das letzte Wort hast und sagen kannst, was du bisher nicht losgeworden bist.
Was mir gerade klar geworden ist, als ich das alles erzählt habe, ist, dass es im Rock’n’Roll so eine Art Grauzone zwischen Religion und dem Autokauf gibt. Es ist immer noch eine Transaktion. Im Gegenzug für deinen Konsum bekommst du diese Erfahrung, diesen Service. Ich habe kein Fazit, aber das hat Spaß gemacht. Am Ende des Tages ist es einfach Rock’n’Roll. Ich bin ein Entertainer. Mir wird applaudiert und ich werde dafür bezahlt, Leute glücklich zu machen.
Ich schmuggle mal noch eine schnelle Frage rein. Schminkst du dich selbst?
Ja, aber das heißt nicht, dass ich auch die Maske mache.
OK, das war’s. Danke für das Interview!
Interessante Alben finden
Auf der Suche nach neuer Mucke? Durchsuche unser Review-Archiv mit aktuell 37235 Reviews und lass Dich inspirieren!
Man mag von Ghost, ihrer Mucke und ihrem Image halten was man möchte, aber Tobias Forge macht auf mich einen recht bodenständigen und sympathischen Eindruck mit eine gesunden Selbsteinschätzung.
Er macht keinen Hehl daraus, dass Ghost eine Show sind und er ein Entertainer, der eine Rolle spielt. Er tut nicht so, als würde hinter dem Auftreten seiner Band irgendeine tiefgreifende religiöse, philosophische oder ideologische Einstellung stehen. Trotzdem vermittelt er durchaus den Eindruck, dass ihm seine Musik wichtig ist und es ihm dabei keineswegs NUR um Geld und Erfolg geht. Das finde ich erfrischend ehrlich.
Word!
Unabhängig davon, wie ich GHOST nun finde, sage ich ja auch immer, das Geld und Erfolg und gute Musik/Kunst sich nicht zwangsläufig ausschließen.
Ist ja nicht so, dass erfolgloser Underground-Krempel jetzt immer voll der Bringer wäre. lol