Geist
Interview mit Alboin zu "Galeere"
Interview
Mit „Galeere“ veröffentlichen die Westfalen GEÏST dieser Tage ihr drittes Album und damit ihr erstes unter dem Banner von Lupus Lounge, der Polterabteilung aus dem Hause Prophecy. Dieser neuen Herausforderung stellt sich die Band mit noch einmal gehobenem Ehrgeiz. Zu den neuen Vorzeichen, den Hintergründen und den gewachsenen Ansprüchen an sich selbst äußerte sich Kapitän Alboin.
Wie zufrieden bist Du selbst mit dem neuen Album? Kannst Du die Scheibe bereits mit etwas Abstand beurteilen?
Nein, das kann ich derzeit noch nicht. Zwar liegen die Aufnahmen schon ein Vierteljahr zurück, ich habe aber danach noch intensiv an dem Album weiter mitgearbeitet (Layout, Merchandising, Interviews usw.), so dass ich im Grunde noch gar keinen Abstand habe. Im Gegenteil, jetzt bin ich erst richtig mittendrin. Das wird sich langsam ändern, wenn das Album gepresst ist und bei mir im Schrank steht.
Ich bin jedenfalls sehr zufrieden damit. Wir haben wirklich getan, was immer wir konnten, um das zu diesem Zeitpunkt bestmögliche Album aufzunehmen, und das ist uns auch gelungen. Wir waren als Band ideal vorbereitet, unser Produzent Markus Stock hat einen Bombenjob gemacht, das Layout sieht fantastisch aus, unser Label unterstützt uns, wo es nur geht… besser ginge es derzeit nicht.
Das Album wirkt als wärt Ihr mit dem Vorsatz herangegangen, Euer bisheriges Schaffen komplett in den Schatten zu stellen. Wollt Ihr Euch damit selbst etwas beweisen?
Klar, ich will mir jeden Tag etwas beweisen. Wenn man als Band mit dem Vorsatz an ein Album herangeht, es diesmal qualitativ ein bisschen lockerer angehen zu lassen, etwas schlampiger und dafür entspannter zu sein usw., kann man es meiner nach auch gleich sein lassen. Das gilt für alle Lebensbereiche, bei mir jedenfalls. Übrigens eine recht gefährliche Denkweise, das ist mir bewusst, weil ich Herausforderungen schlecht widerstehen kann.
Was glaubst Du, werden die Leute am ehesten an „Galeere“ kritisieren?
Ach, da gibt es doch immer etwas. Wer etwas finden möchte, das kritisierbar ist, der findet auch etwas. Natürlich ist das Album nicht perfekt und immer nur subjektiv beurteilbar, und ich würde auch niemals das Gegenteil behaupten oder kritischen Journalisten Haue androhen – wir sind ja nicht DARKTHRONE, hehe. Ich könnte mir vorstellen, dass bei der Kritik von dem üblichen Kommerzialisierungsvorwurf, wenn eine Band ein besser produziertes Album aufnimmt, über das Verwenden deutscher Texte oder Keyboards bis hin zu neidvollen Verteufelungen der ganzen Band als schwul oder überkandidelt so ziemlich alles dabei ist. Eigentlich kenne ich die ganze Palette aber jetzt schon, das schockt mich nicht.
Wie gehst Du persönlich mit Kritik oder gar Verrissen um?
Sicherlich trifft mich Kritik, wie sie jeden Menschen trifft. Die Qualität schwankt da allerdings sehr. Ich kann sehr deutlich und einfach unterscheiden zwischen Verrissen, die aus Prinzip entstanden sind, schlechten Reviews, deren Grund eher Zeitmangel oder eine zu kurze oder zu oberflächliche Beschäftigung mit dem Album ist, oder wirklich substantiellen kritischen Reviews. Letztere bringen mich schon zum Nachdenken darüber, ob an dieser Kritik etwas dran ist. Ansonsten kenne ich meine Musik besser als alle anderen und muss mich über ihre Natur, ihren Gehalt oder ihre Aussage nicht belehren lassen. Trotzdem bin ich an Meinungen, auch an kritischen, immer interessiert und versuche, diesen offen und unvoreingenommen gegenüber zu stehen.
Was ist Dir wichtig an „Galeere“?
Dass es mein und unser Album zugleich ist.
Eine Scheibe herauszubringen ist für Dich dank zahlreicher anderer musikalischer Betätigungsfelder nichts Neues mehr. Wie erlebst Du jetzt aber die Tage bis zur Veröffentlichung von „Galeere“? Ist es etwas anderes, etwas für GEÏST zu veröffentlichen als z.B. für INARBORAT?
Ja, schon. „Galeere“ ist unser bisheriges Meisterstück, alles daran ist eine Nummer größer als bei allen Alben, bei denen ich vorher mitgewirkt habe. Es ist meine Musik, es sind meine Texte, es ist mein Herzblut, wir haben zwei Jahre lang an diesem Album gearbeitet und uns verdammt nochmal alles aufgerissen, was wir an Ärschen zur Verfügung hatten, damit es ein Killer wird. Die fertige CD mit allem drum und dran aus dem Paket zu holen, ist einfach etwas besonders Schönes, und bei diesem Album ist es nochmal etwas besonders Besonderes. Man kann das wirklich mit dem Miterleben einer Geburt vergleichen, so kitschig es auch klingt.
Ihr habt Euch seit jeher den gängigen Black Metal Klischees verweigert und lebt sowohl musikalisch als auch lyrisch einen ganz eigenen Anspruch. Ist Euch diese Differenzierung wichtig?
Selbstverständlich. Wir verweigern uns zwar nicht konsequent allen Klischees, weil ich finde, dass gewisse (vor allem musikalische) Klischees einfach dazugehören, um sich mit seiner eigenen und auch mit fremder Musik zu identifizieren – aber Vieles, was angeblich zum Black Metal dazu gehören soll, finde ich einfach platt und uninteressant. Black Metal gilt immer als die große Rebellion, die Musik der Unbändigen, der Individuen – und das ist sie meiner Meinung nach auch. Im Gegensatz zu vielen satanischen, heidnischen, nihilistischen usw. Bands setze ich diese Einstellung aber auch um. Mir ist es vollkommen wumpe, ob wir in das Raster irgendeines Die-Hard-Black-Metallers passen, solange unsere Musik meine Vorstellungen von gutem, atmosphärischen Black Metal ausdrückt. Vielleicht sind wir nicht die finsterste Band auf diesem Erdenrund, aber immerhin sind wir authentisch.
Wenn Deine Texte für mich literarisch wenig Bewanderten oftmals auch viel zu komplex und mehrdeutig sind, so sind sie dennoch bildreich und plastisch genug, dass das Kopfkino Überlängefilme spielt. Die Erzählweise in der dritten Person, die Seefahrerthematik und die Anleihen an der griechischen Mythologie legen eine Inspiration durch die Odysseussage nahe. Müsste ich „Galeere“ verfilmen, käme eine Mischung aus „Fluch der Karibik“ (wegen Deiner Vorliebe für Kajal, hrhr), „Ben Hur“ und „Troja“ heraus, im Look von John Hustons „Moby Dick“-Verfilmung mit Gregory Peck. Was war aber wirklich Inspiration für das Konzept von „Galeere“?
Du wirst vermutlich jetzt feist grinsen, aber das kommt der Realität schon recht nahe. Bildlich bin ich wirklich von „Moby Dick“ und „Ben Hur“ geprägt, was die Meeresthematik angeht. „Fluch der Karibik“ ist mir insgesamt nicht tuntig und albern genug, das können wir selbst – insbesondere ich mit meinem überragenden Kosmetik-Fachwissen – natürlich weit besser…
Aber bleiben wir ernsthaft: ich habe viele Filme und Dokumentationen gesehen, Romane und Fachbücher zu den Weltmeeren gelesen und habe so über die Zeit ein Bildrepertoire gesammelt (oder selektiert), das Grundlage für die Stimmung des Albums geworden ist. Ab da habe ich versucht, eben mittels dieses Kopfkinos meine eigenen Gedanken zu verschiedensten Aspekten des Meeres schweifen zu lassen, habe Assoziationen geschaffen, Bilder erweitert, Stimmungen beschrieben. Die Zündung für den Funken, der offenbar schon eine Weile in mir geschlafen hat, war eine Bemerkung unseres Sängers, dass die vielen maritimen Verweise in meinen Texten auf „Kainsmal“ sehr interessant und ausbaufähig seien. Ab diesem Zeitpunkt lief der Film…
Die Thematik des rastlosen, ausgestoßenen Wanderers – oder in diesem Fall einer heimatlosen Mannschaft – kann man auch in diese Texte hineinlesen und könnte „Galeere“ damit recht nahe an „Kainsmal“ rücken. Auch textlich bedienst Du Dich teilweise wieder bei biblischen Bildern. Was bewegt Dich an dieser Thematik?
Ich weiß es nicht genau. Zum einen empfinde ich das einfach als authentisch, ich fühle mich wirklich manchmal wie auf dem Randstreifen der Autobahn des Lebens, mit einem Findling auf dem Gaspedal und zwei Augenklappen auf den Klüsen. Obwohl mich vermutlich niemand als Außenseiter sehen würde, halte ich gedanklich oft eine erschrockene Distanz zur Umwelt, die mich in vielen Fällen einfach nicht recht verstehen kann oder will. Oder eher: die ich nicht verstehen kann. Andererseits bin ich aber bemüht zu vermeiden, dass diese Entwicklung zu extrem wird. Ich möchte gerne verstehen, warum Menschen so handeln, wie sie handeln, und mich nicht emo-like in depressiven Wahngedanken suhlen.
Warum es biblische Bezüge sind (aber auch antike griechische z.B.!), kann ich ebenfalls nicht genau sagen. Ich vermute, das ist mein Hang zu einer staunenden Faszination vor allem Monumentalem, Gewaltigem (Bild- und Wortgewaltigem), Altem. Monumentaler als biblische, vor allem alttestamentliche, Texte geht es kaum. Biblische Texte sind oft wahre literarische Meisterwerke mit hervorragender Komposition und Ausdrucksweise, einem sensationellen Vokabular, das zudem noch fast jeder Mensch kennt. Und: es geht darin um ganz ähnliche Fragen wie die, die ich mir auch stelle. Die Antworten kann ich zwar nicht unbedingt gebrauchen, aber die Art und Weise, diese Fragen zu stellen, finde ich beeindruckend.
Ich kenne Dich als sehr gewissenhaft und zuverlässig und kann mir gut vorstellen, mit welchem Perfektionismus Du an ein Album herangehst. Steht einem der eher im Weg oder ist er förderlich? Und: lohnt es sich am Ende, solch einen Aufwand zu betreiben?
Nein, das kannst und willst Du Dir auch nicht vorstellen, har har! Ich denke, ich kann schon extrem empfindlich sein und werden, wenn es an meine Musik geht. Meine Mitmusiker können davon so viele Lieder singen, dass sie ein Nebenprojekt starten sollten. Andererseits hat sich meine Penibilität und Gewissenhaftigkeit bis jetzt immer ausgezahlt, was mich darin bestärkt, es auch zukünftig nicht lockerer angehen zu lassen. Ich bin ein sehr zielstrebiger und fleißiger Mensch, und ich muss mir immer wieder neue Aufgaben stellen und neue Ziele setzen, die ich jetzt noch unerreichbar finde. Das treibt mich an, und deswegen ist eine solche Einstellung für die Kreativität und Produktivität durchaus förderlich. Andererseits setze ich mich damit natürlich auch selbst unter einen enormen Druck, mir selbst etwas beweisen zu müssen.
Warum es sich lohnt, diese Arbeit auf sich zu nehmen, kann man nicht erklären. An dieser Stelle würde jetzt die Floskel der Selbstverwirklichung ansetzen. Ich kann nicht sagen, warum es sich lohnt, nur, dass es sich lohnt. Wer einmal auf der Bühne gestanden und durch die Wirkung der eigenen Musik alles um sich herum vergessen hat, weiß, was ich damit meine.
Ihr habt „Galeere“ bei Markus Stock aufgenommen. Was für ein Gefühl ist es, mit jemandem zusammen zu arbeiten, dessen eigenes Wirken einen so langen Schatten wirft? Welchen Bezug hast Du persönlich zu EMPYRIUM oder THE VISION BLEAK und wie hast Du die Zusammenarbeit mit ihm erlebt?
EMPYRIUM sind um 1996, 1997 eine der ersten deutschen Bands aus dem schwelgerischen Black Metal gewesen, die ich wirklich fantastisch fand. Markus selbst sieht die ersten beiden Alben, genau wie ich (in meinem musikalischen Leben gibt es so etwas fast zeitgleich auch…), eher als Jugendsünde an. Trotzdem sind sie ein wichtiger Bestandteil meiner musikalischen Sozialisation. Es war ein sehr einzigartiges Gefühl, Markus zu treffen und mit ihm zu arbeiten – einzigartig interessant, sehr lehrreich und sehr positiv überraschend. Er ist ein absolut bodenständiger, unheimlich netter und professionell arbeitender Mensch, mit dem ich viele Geschmäcker, einen sehr ähnlichen Humor, unsere Liebe zum Essen (und das Bäuchlein…) sowie viele weitere Dinge teile. Vor allem wusste er ganz genau, wie ich meine Musik verstanden und produziert haben möchte, weil unsere Vorstellungen da nicht weit auseinander gehen, was uns die Arbeit sehr erleichtert und sie enorm effektiv gemacht hat. Die Tage im Studio waren für mich überraschend relaxt und extrem produktiv zugleich, insgesamt eine wunderbare Zeit, an die ich gerne zurückdenke. Ich denke, wenn ich sage, dass hinter Markus’ tollem Typ seine durchaus imposante Musikerkarriere zurücksteht, sagt das eine Menge aus.
Was ändert sich für Euch jetzt, da Ihr auf Prophecy seid?
Für mich ist das Arbeiten sehr viel relaxter. Prophecy nehmen uns bzw. mir sehr viel ab, die Promotion läuft vollständig ohne meine Initiative, die Grafikarbeiten hat der unheimlich geniale Hausgrafiker von Prophecy, Lukasz, übernommen, für alles gibt es Spezialisten, wir müssen als Band einfach weniger bis gar nichts selbst abwickeln. Das gibt uns Zeit und Muße, uns auf die Musik zu konzentrieren. Nicht zuletzt steckt hinter Prophecy ein bestens geschmierter Labelapparat, in den wir uns einklinken durften, und der uns endlich auch die Aufnahme in einem professionellen Studio und viele andere tolle Dinge ermöglicht. Zusammen mit der Musik auf „Galeere“ haben wir damit ein insgesamt höheres Level erreicht, das einfach einen gewissen angenehmen Komfort bedeutet.
Muss man aufpassen, dass man nicht übermütig wird, wenn man bei einem so renommierten Label unterschrieben hat?
Ich muss das nicht, ich versuche allerdings auch, mit meinen Gefühlen zum Erfolg der Band immer ein Stück hinter der Entwicklung zu bleiben. Es ist einfach schön, gewisse Möglichkeiten zu haben, vielleicht auch ein größeres Publikum zu erreichen, Dinge realisieren zu können, die für uns vor drei Jahren undenkbar waren. Reich oder berühmt werden wir deshalb trotzdem nicht werden, das fände ich auch höchst befremdlich. Wahrscheinlich würde ich die Band aus Angst und Verunsicherung auflösen, sollten wir auf einmal schlagartig überproportional erfolgreich sein.
Hattet Ihr andere Optionen und wie leicht oder schwer ist Euch die Entscheidung für Prophecy gefallen?
Jedem Menschen mit gesundem Menschenverstand sollte so eine Entscheidung leicht fallen. Wir hatten Alternativen, sogar sehr gute von einigen renommierten Undergroundlabels, und es ist auch schade, dass ich diesen engagierten Menschen absagen musste. Aber… das ist fast eine Prinzipsache für mich – seit es diese Band gibt, ist es mein Ziel gewesen, mit Prophecy arbeiten zu können, und es hat mich unheimlich stolz gemacht, dass wir das nun auch tun können. Prophecy stellen sehr hohe Ansprüche an ihre Bands und suchen sich sehr genau und gewissenhaft aus, welche Bands sie veröffentlichen möchten. Da macht es mich doppelt stolz, dass wir eine dieser Bands sind.
Wie kam es zum Kontakt mit Prophecy und wann zur Unterschrift? Wie viel von „Galeere“ stand zu diesem Zeitpunkt schon?
Auf lockerer Ebene kenne ich Martin Koller auch schon seit weit über zehn Jahren, auch wenn wir nur sehr selten miteinander zu tun hatten. Mitte letzten Jahres hat mir jemand empfohlen, uns einfach einmal bei Prophecy zu melden und zu schauen, ob sie Interesse an einer Zusammenarbeit haben, obwohl ich das für uns für unerreichbar gehalten habe. Martin Koller hat grundsätzliches Interesse signalisiert und wollte gerne zwei oder drei der Stücke in möglichst guter Qualität vorab hören, um sich ein Bild machen zu können. Das haben wir sehr ernst genommen und bis September eine sehr umfassende Vorproduktion der drei Albumsongs „Galeere“, „Helike“ und „Unter toten Kapitänen“ aufgenommen. Diese Aufnahme erscheint übrigens als limitierte EP (nur 300 Exemplare) als „In den Werften der Galeere“ zusammen mit dem Album. Zu einem Vertragsangebot kam es danach relativ schnell, ich glaube, binnen eines Monats.
Musikalisch war das Album zu diesem Zeitpunkt zu 99% fertig, es fehlten allerdings noch Texte, an denen ich immer quälend langsam arbeite. Sicher eingeprobt waren die Stücke ebenfalls nicht alle, so dass wir diese drei Songs herausgegriffen haben, in denen wir uns zu dem Zeitpunkt am wohlsten gefühlt haben.
Im täglichen Leben bist Du gerade drauf und dran, Lehrer zu werden. Ist bei Deinen Kollegen und Vorgesetzten bekannt, dass Du in Black Metal Bands spielst? Wie wird das aufgenommen?
Nein, das trete ich auch nicht breit, weil es keine Rolle spielt. Ich gebe mir in meinem Beruf genauso viel Mühe wie in der Musik und in allen anderen Lebensbereichen, deshalb muss man diese Domänen auch nicht vermischen. Meine Schüler sollen mich für meinen Unterricht schätzen, nicht dafür, dass ich Musik mache. Meinen Kollegen werde ich davon nichts sagen, habe aber auch kein Problem damit, wenn das jemand herausfindet. Ich denke, da haben einige Gestalten ganz andere Leichen im Keller…
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