Gamma Ray
Gamma Ray

Interview

Vor etwas längerer Zeit waren Gamma Ray unter der Flagge "Skeletons In The Closet" in einigen wenigen Städten Europas unterwegs gewesen. Kürzlich ist passend dazu nun ein gleichnamiges Livealbum erschienen. Doch es war keine ordinäre Tour und somit ist es auch kein ordinärer Livemitschnitt in Form eines Best Of-Verschnittes geworden. Die Fans durften sich vor besagter Tour nämlich abseits der gängigen Gamma Ray-Hits ihre weniger gespielten Faves aussuchen. Aus diesem Grunde hatte ich kürzlich Klampfer Henjo Richter am Telefon. Und die erste Frage lag auch direkt auf der Hand:

Gamma RayWer hatte denn die Idee, die Setlist von den Fans wählen zu lassen?

Das war unser aller Idee, weil wir so etwas ähnliches schon bei „Blast From The Past“ gemacht haben, was eine Art Best Of war. Sicherlich haben wir es uns auf diese Weise auch einfacher gemacht, die Songs für die Gigs zusammenzustellen.

Gab es bei der Auswahl, die die Fans getroffen haben, Überraschungen, die ihr so nicht erwartet hättet?

Nö, eigentlich nicht wirklich. So war das bei „Blast From The Past“ aber auch gewesen.

Ist das Drum Solo auch von den Fans in die Setlist und somit auf die Liveplatte gewählt worden? Solche Soli sind ja immer recht zweischneidige Schwerter. Der eine findet es cool, der andere würde stattdessen lieber noch einen Song hören.

Nein, das war auf jeden Fall eine eigene Idee und sogar ein Wunsch von uns, den wir an Daniel (Zimmermann, Anm. d. Verf.) hatten. So ein (Drum-)Solo hat aber auch immer viele Hintergründe. Für Kai (Hansen, Anm. d. Verf.) ist das z.B. immer eine wunderbare Verschnaufpause, in der er mal einen Moment Luft schnappen kann.

Und ein Gitarrensolo stand nicht zur Auswahl?

Doch, das gab es auch. Das Witzige daran ist aber, dass es so im Set platziert war, dass zu dieser Zeit jedesmal die Aufnahmebänder gewechselt wurden. Stücke davon sind immer aufgezeichnet worden, aber es war von vornherein klar, dass es nicht mit auf die Platte kommt.

Diese Tour konnte ja nicht als regulär bezeichnet werden. Gab es neben dieser Außergewöhnlichkeit, dass die Fans die Setlist wählen durften, noch andere Dinge, die komplett anders verlaufen sind? Oder war alles Routine wie immer?

Nein, Routine war überhaupt gar nichts, da die meisten Songs für Daniel und mich meist absolutes Neuland waren. Kai und Dirk (Schlächter, Anm. d. Verf.) haben das ja alles irgendwann schon mal gespielt, auch wenn es z.T. nur im Studio war. Trotzdem fand ich diese Tatsache ausgesprochen cool, da ich diese Stücke sowieso schon immer mal spielen wollte. Sie einzuüben, war natürlich viel Arbeit. Das hat aber dazu geführt, dass Kai und ich uns unterwegs oft richtig zusammengesetzt und die Gitarren ausgearbeitet haben, was wir normalerweise nur im Studio, wenn wir bei der Produktion sind, machen. Das hat das allgemeine Zusammenspiel unheimlich gefördert. Noch dazu waren wir überrascht, dass die Tour von Anfang an so gut lief.

Wieso?

Wenn du in deinem Set bewusst deine Hits rauslässt, die du sonst immer spielst, sondern eher unbekanntere Songs featurest, kannst du davon ausgehen, dass z.B. jüngere Leute im Publikum diese überhaupt nicht kennen. Bei alteingesessenen Fans ist das natürlich kein Problem. Deswegen haben wir uns aber wegen der jüngeren schon Sorgen gemacht. Wenn du einen Song nicht kennst, gehst du live auch nicht so mit. Wir wussten also nicht, was uns erwartet. In Hamburg ging es aber gleich verdammt gut los und der Rest der Tour verleif genauso geil.

War diese im Nachhinein unbegründete Sorge auch der Grund, warum die „Skeletons In The Closet“ Tour nur so wenige Dates umfasste?

Ja, auch. Zudem war es eine außerplanmäßige Geschichte. Der Gedanke, ein Livealbum zu dieser Tour zu machen, kam auch erst später. Uns ist nämlich aufgefallen, dass wir in unserem jetzigen Line-up keine Livescheibe draußen haben, weswegen wir die Gigs letztendlich mitgeschnitten haben. Noch dazu gibt es kaum Songs, die sich mit „Alive ’95“ doppeln. Dies wird dann auch beim nächsten Livemitschnitt der Fall sein. Eigentlich wollten wir auf der „No World Order“ Tour schon eine DVD aufnehmen, was aber aus technischen Gründen leider nicht geklappt hat.

Diese DVD-Pläne habt ihr aber seitdem nicht verworfen, oder?

Nein, diese Planung besteht immer noch und sie wird wohl bei der nächsten Tour durchgeführt werden. Bis Ende des Jahres sind wir erstmal ausgebucht und dann wird das neue Album in Angriff genommen. Auf der dazugehörigen Tournee soll die DVD dann entstehen.

Gibt es über die kommende CD schon etwas Druckreifes zu berichten?

Eigentlich nur, dass wir schon viele Ideen in unseren Köpfen haben, bei denen die Erfahrungen, die wir auf der „Skeletons“ Tour gemacht, eine große Rolle spielen. Wir sind immer mehr in ältere Arbeitsweisen zurückgefallen, was bei „No World Order“ schon sehr deutlich geworden ist. Jeder kommt mit seinen Einfällen an und wir basteln daraus eine CD zusammen. So verbringen wir wesentlich mehr Zeit der Arbeit im Studio als Zuhause. Es ist nicht mehr so, dass alle auf einmal mit fertigen Songs da stehen und sofort aufgenommen wird. Jetzt werden die Ideen eher öfters von jedem mal ruhen gelassen und die Hauptarbeit geschieht, wie gesagt, zusammen. Das ist wie bei einer Jam Session, aus der ein fertiger Track entsteht. Das haben wir früher auch schon vereinzelt gemacht, weswegen wir bemerkt haben, dass eben diese Songs immer besser bei den Fans ankamen als die, die in Einzelarbeit entwickelt worden sind.

Ein logischer Prozess. Kommen wir wieder zurück auf „Skeletons In The Closet“. Warum habt ihr in Barcelona und Strassburg aufgenommen und nicht im heimischen Deutschland?

Ja warum eigentlich? Das ist eine gute Frage. Barcelona war als Aufnahmeort von Anfang an klar, weil wir die Fans dort lieben und die Location auch Spitzenklasse ist. In Strassburg war ich während dieser auch das erste Mal. Nun, warum nicht in Deutschland? Ich denke mal aus Kostengründen, weiß es aber nicht genau.

Werdet ihr jetzt die Setlists kommender Touren stärker an den Songs von „Skeletons In The Closet“ ausrichten oder kommt wieder das normale Programm?

Wir sind Ende des Jahres nochmals unterwegs und begleiten Iron Maiden auf der Hälfte ihrer Tour, was für uns optimal ist. Wir spielen zwar nur 45 Minuten aber dafür in größeren Hallen. Und mit Maiden unterwegs zu sein, ist sowieso ein Traum. Natürlich werden wir dort ein paar Songs von „Skeletons…“ spielen, einfach aus dem Grunde, weil die Scheibe gerade aktuelle ist und wir sie so promoten können. Danach in Südamerika wird das genauso aussehen. Wir werden wohl die Tracks übernehmen, die uns am meisten Spaß gemacht haben. Als wir kürzlich in Korea und Schweden waren, haben wir schon dieses gemischte Set dargeboten und es kam gut an.

Schätzt du eigentlich den Zeitpunkt der Veröffentlichung von „Skeletons…“ als geschickt ein? Eure Konkurrenz auf dem Livescheibensektor ist mit Kreator, Blind Guardian, Edguy oder Sodom riesig?

Irgendwie ist das wieder typisch. Die Idee ist uralt. Somit wussten wir zu Beginn der Planungen noch nicht, dass auch andere Bands zur selben Zeit ihre Konzertmitschnitte veröffentlichen wollen. Noch dazu hat sich unsere Geschichte sehr verzögert, weil die Sommerpause dazwischen geraten ist. Eigentlich sollte das Teil ja schon Ende April in den Läden stehen, womit wir am Anfang dieser Welle gestanden hätten. Aber da kann man nix machen. Das passiert nunmal. Davon bleiben andere Bands auch nicht verschont. Man versucht jederzeit, den Zeitplan einer Veröffentlichung einzuhalten, aber meist geht immer etwas schief. Schade ist es halt für die Fans, die jetzt mit Geld um sich schmeißen müssen, wenn sie alle Scheiben haben wollen. Was unseren Teil angeht, haben wir unser Möglichstes getan, unseren Fans etwas Zufriedenstellendes zu bieten. Ich persönlich bin super glücklich mit dem Resultat. Es ist als ganzes Produkt absolut attraktiv für den Fan, nachdem wir mit der letztens erschienenen Box nicht so einverstanden waren, weil dort die Preispolitik etwas merkwürdig war. Aber so etwas lässt sich leider nicht verhindern, wenn die eine Firma von der anderen aufgekauft wird und danach nochmals alles rausgehauen werden „muss“.

Welchen Bezug hat der Albumtitel zur Grundidee von „Skeletons In The Closet“?

Da haben wir viel hin und her überlegt. Wir hatten viele Alternativen zur Auswahl, von denen die meisten aber zu Missverständnissen geführt hätten. Im Prinzip soll der Titel symbolisieren, dass wir verborgene Schätze wieder entdeckt haben. Für diesen Ausdruck gab es leider kein hundertprozentig passendes, englisches Sprichwort, weswegen wir uns für den jetzigen Titel entschieden haben.

Jetzt mal Hand aufs Herz: Wurde mit Overdubs gearbeitet?

Nein, das war gar nicht möglich, weil wir sonst das Publikum hätten wegschneiden müssen. Das hätte schief geklungen. Aber natürlich gibt es kleinere Stellen, die ausgebessert worden sind. Aber nur soviel, dass das authentische Livefeeling nicht zerstört wurde. Gearbeitet haben wir aber trotzdem viel an der Scheibe. Wir haben z.B. Sachen rausgeschnitten oder gekürzt. Die Übergänge zwischen den Songs wären da zu nennen. Wenn du vor Ort bist, siehst da ja, was auf der Bühne vor sich geht, weswegen es nicht langweilig wird. Zuhause wäre dies ohne Bild aber der Fall. Das Drum Solo ist im Original auch ca. zwei Minuten länger gewesen.

Wie hätte denn deine persönliche Gamma Ray-Fave-Setlist ausgesehen, wenn du jetzt als Fan hättest wählen dürfen?

Uuuh, das ist schwer zu sagen. Ich habe mich mittlerweile so an unsere Songs gewöhnt, dass ich jetzt höchstens sagen kann, ob ich einen Track vermisst habe. Ich hätte z.B. gerne noch den ein oder anderen Song aus meiner Feder auf dem Album gehabt. So ist es halt nur einer („Guardians Of Mankind“, Anm. d. Verf.). Aber das ergab sich nunmal so. Ansonsten fehlt mir eigentlich nichts.

Kannst du generell sagen, was eine gute Livescheibe in deinen Augen für Merkmale haben muss?

Im Prinzip das, was ich eben schon so ein bißchen angedeutet habe. Sie muss eine Livefeeling, eben die Show, transportieren, ohne den visuellen Eindruck, den man vor Ort hat, der das Konzert vom Studioalbum abhebt. Oder nehmen wir mal Rainbow als Beispiel. Da gab es Studiofassungen von Songs mit vier Gitarren gleichzeitig, was live natürlich unmöglich ist. Ok, das machen wir auch, aber man muss immer darauf achten, dass solche Tracks auf der Bühne ihren eigenen Charakter entwickeln. Bei einem Konzert ist mehr Emotion drin. Und genau das muss rüberkommen. Sonst kann ich mir auch das Studioalbum anhören.

Und auf welcher Liveplatte ist diese Vorgabe nun am besten in die Tat umgesetzt?

Och, ich finde, wir haben das schon ganz gut hinbekommen. (lacht) Aber um diese Frage zu beantworten, muss ich ältere Sachen zitieren, quasi meine Lieblingslivescheiben, z.B. Rainbow „On Stage“ oder Maidens „Live After Death“. Judas Priests „Unleashed In The East“ nicht zu vergessen, wobei man sich bei der ja immer noch nicht so sicher ist, wie sie nun entstanden ist. Aber sie hat trotzdem diesen Livecharakter, den ich meine. Aber du merkst, dass es alles etwas ältere Scheiben sind. Da wurde noch ein wenig aus dem Schema F ausgebrochen, z. B. mit freien Soli oder ähnlichem. Das versuche ich heute auch noch ganz gerne, damit man live immer etwas variieren kann und nicht nur exakt das Studioalbum wiedergegeben wird.

Kommen wir noch zu etwas, was vielleicht weniger Leute wissen. Du machst nebenbei Coverartworks. Wie kam es dazu?

Ich bin gelernter Grafiker und habe sogar eine Ausbildung auf diesem Gebiet hinter mir. Dass es bei mir sowohl in die grafische als auch musikalische Richtung gehen würde, war irgendwie schon klar, seit ich sechs oder sieben Jahre alt war. Ich habe Zigarettenschachteln gezeichnet und designt und Klavierunterricht bekommen. Ich habe immer noch an beidem sehr viel Spass und brauche vor allem die Abwechslung, die das mit sich bringt. Noch dazu hat man auf diese Weise immer ein zweites Standbein, wenn das andere mal nicht so läuft. Deswegen habe ich mich auch schon ganz früh selbstständig gemacht.

Zu guter Letzt: Wie sind die ganzen Side Projects (Freedom Call, Iron Savior, Easy Livin‘) rund um Gamma Ray mit Gamma Ray koordinierbar?

Ja, manchmal hatte ich in den letzten sechs Jahren auch Angst, dass das nicht hinhauen würde, zumal Freedom Call erst in letzter Zeit größer geworden sind und diese Band absolut Daniels Baby ist. Als dann die ersten terminlichen Probleme auftraten, haben wir uns darauf geeinigt, dass es Prioritäten gibt. Und diese liegen ausschließlich bei Gamma Ray. Diese Arbeitsweise funktioniert wunderbar im Moment, weswegen sich alle Bedenken erstmal in Luft aufgelöst haben.

Das haben sich jetzt auch meine Fragen. Danke für das Gespräch. Die berühmten letzten Worte gehören dir.

Jetzt habe ich schon so viel gesprochen und soll noch mehr?1 (lacht) Nein, natürlich geht ein schöner Gruß an alle unsere Fans da draußen raus. Das ist doch klar!

Galerie mit 15 Bildern: Gamma Ray - Rock Hard Festival 2019
15.10.2003

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