Flotsam & Jetsam
Flotsam & Jetsam
Interview
20 Jahre nach dem offiziellen Release von FLOTSAM & JETSAMs „Doomsday For The Deceiver“, steht nun der Re-Release des Meisterwerks in den Läden. Aus diesem Grund lässt der ehemalige Schlagzeuger Kelly Smith die letzten 20 Jahre Revue passieren und erläutert die ungeschönte Wahrheit zu den verschiedenen Vorkommnissen der unterbewerteten Band.
Kelly, mehr als 20 Jahre FLOTSAM & JETSAM. Das ist wirklich ein Grund, um eine große Party zu veranstalten. Doch was sind deine Höhepunkte in dieser Zeit gewesen?
Oh man, es gibt so viele! Ich möchte an dieser Stelle folgende nennen:
1. Der Tag, an dem ich die endgültige Version von „Doomsday For The Deceiver“ in den Händen hielt.
2. Der Tag, an dem Mike Alago, A&R von Elektra Records, nach Phoenix kam um uns zu sehen und uns einen Deal anzubieten.
3. Unsere erste Show auf der Tour mit MEGADETH im Ritz, New York City. Ausverkauft!
4. Unsere erste Show in London/Europa, wieder mit MEGADETH zusammen. Für die Jungs war es auch das erste Mal in Europa. Wir spielten im ausverkauften Hammersmith Odeon. Da waren ein paar Fans, die extra aus Irland kamen um uns zu sehen. Sie verbrachten die Nacht vor dem Odeon und attackierten uns förmlich mit Begeisterung. Es war fantastisch.
5. Die Geburt meines Sohnes im Jahr 1991.
6. Auf dem Aardshock Festival zu spielen, 1988 und 1989. Einmal mit MEGADETH und TESTAMENT und einmal mit QUEENSRYCHE.
7. Es gibt so viel, was ich hier noch aufzählen könnte…
Nicht nur „Doomsday For The Deceiver“ war ein Meilenstein in der Geschichte von FLOTSAM & JETSAM. Auch Alben wie „No Place For Disgrace“ (ein geiles Album übrigens) oder „When The Storm Comes Down“ sind grandios. Aber was ist deiner Meinung nach der Grund dafür, dass FLOTSAM & JETSAM nie den Erfolg für sich erringen konnten, den Bands wie ANTHRAX, MEGADETH oder METALLICA erreichten?
Das ist auf jeden Fall ein sehr komplexes Problem und auch eine komplexe Antwort. Wenn du dir den Status der eben genannten Bands anschaust, dann wird es klar, warum wir dort nicht anknüpfen konnten. Als Band FLOTSAM & JETSAM waren wir zwar dafür buchstäblich geeignet. Doch wir hatten immer diese Probleme mit Plattenfirmen, Managern und Bassisten. Wir konnten erst gar nicht lange genug bei einem Label bleiben, um richtig was zu reißen. Die längste Tour die wir spielten, dauerte gerade einmal vier Monate. Wir mussten durch drei Plattenfirmen, vier Bassisten und drei Manager. Es ist sehr schwer weiterzukommen, wenn man von solch einem Chaos umgeben ist. Wenn wir etwas wieder anpackten, wurden uns die nächsten Steine in den Weg geworfen.
Und Plattenfirmen werden sehr nervös, wenn ein Bandmitglied oder ein Manager die Band verlässt. Aus diesem Grund war unsere Konsistenz gleich Null!
Ich denke mal, dass sich viele Leute fragen, was der Name FLOTSAM & JETSAM eigentlich bedeutet. Wessen Idee war dieser Name?
Der Name kommt aus einem Kapitel der „Herr der Ringe“-Trilogie von J.R. Tolkien. Wir schrieben einen Song namens „Flotsam & Jetsam“ bevor wir uns FLOTSAM & JETAM nannten. Jason schrieb damals die Texte und daher kommt der Name. Wir hießen ursprünglich THE DOGZ, entschieden uns jedoch 1983 für FLOTSAM & JETSAM.
In einem früheren Interview sagtest du, dass du, als Mitte der 80er der Speedmetal aufkam, trotzdem hauptsächlich Bands wie IRON MAIDEN oder JUDAS PRIEST hörtest. Des weiteren meintest du, dass du mit Bands wie RUSH aufgewachsen bist und diese auch Inspiration für dich waren. War es für dich nun besonders schwer, schnellere Drumparts für FLOTSAM & JETSAM auszuführen?
Ich kann für mich sagen, dass ich eine Menge ausgehalten habe. Aus der Sicht eines Schlagzeugers ist es nicht besonders toll, sich auf Geschwindigkeit zu limitieren. Wenn du dir Bands wie RUSH, IRON MAIDEN oder JUDAS PRIEST anhörst, stellst du fest, dass jedes einzelne Instrument heraussticht. Es geht um das Gefühl, die Dynamik und die Qualität des Spiels. Zu der Zeit sah ich persönlich einfach keinen Grund, so schnell zu spielen. Später jedoch änderte ich meine Sicht der Dinge und lernte die Musik, die mich umgab, anzunehmen. Dann schaute ich mir Musiker wie Dave Lombardo (u.a. SLAYER), Charlie Benante (ANTHRAX, S.O.D.) oder Terry Bozzio (FRANK ZAPPA) an. Eben Schlagzeuger, die Geschwindigkeit UND Stil hatten. Heutzutage bewundere ich den Schlagzeuger von SLIPKNOT. Es gibt niemanden, der auch nur an seine Fähigkeiten herankommt. He fuckin kills!
“Metal Shock” ist einer dieser Songs, bei dem ich anfing, die Speed Metal Tracks, die Mike Gilbert schrieb, anzunehmen und meinem Spiel anzupassen. Oder auch bei „I Live You Die“ und „Desecrator“.
Wenn du zurückschaust, bist du sauer, dass Jason Newsted 1986 FLOTSAM & JETSAM verließ?
Nein, darüber war ich nie sauer. Wir alle hätten das selbe gemacht, wenn uns jemand angeboten hätte, bei dem größten Namen der Metalszene einzusteigen. Ich sage das, weil du wahrscheinlich eine ehrliche Antwort von mir willst. Wir sind nur schwer enttäuscht darüber, dass er uns nie in irgendeiner Weise geholfen hat, unseren Erfolg auszubauen. Wir wissen nicht warum, wir haben ihn immer respektiert.
Also sah er in METALLICA mehr Potential als in FLOTSAM & JETSAM?
Keine Frage, ja!
Wie war das Gefühl, nach 20 Jahren die Neuauflage von „Doomsday For The Deceiver“ zu hören?
Nun, ich war wirklich den Tränen nah. Ich schaute zurück auf diese Ära und diese Verbundenheit der Band. Wir waren alle so talentierte Musiker und unserem Handwerk so verfallen. Wir probten damals nahezu jeden Tag für zwei bis drei Stunden, um unsere Songs so gut zu spielen wie eine gut geölte Maschine. Ich bin immer noch sehr stolz auf unsere Bemühungen.
Erinnerst du dich an diese Zeit ausschließlich mit einem guten Gefühl?
Ja. Wir waren eine wirkliche Familie für die meiste Zeit. Und ich denke, dass daher meine Enttäuschung auf Jason herkommt. Wir sind zusammen durch die Hölle gegangen, wir waren wie Brüder die alles teilten und ständig die Zeit zusammen verbrachten.
Mit den meisten Bandmitgliedern habe ich auch noch aktiven Kontakt, fast jede Woche.
Ich muss sagen, dass mir der Sound des Re-Releases von „Doomsday For The Deceiver“ wesentlich besser gefällt als das Original. Denkst du, dass es ein Re-Release von „No Place For Disgrace“ im Jahr 2008 geben wird?
Hmm, ich bin mir nicht sicher, ob das möglich sein wird. Aber ich werde mal sehen, was sich machen lässt.
Mir gefällt das Konzept von „High“ bis heute noch sehr gut. Die Idee mit den Schriftzügen und der Zigarettenschachtel ist klasse. Die Musik auf „High“ ist hingegen etwas experimenteller als auf anderen FLOTSAM & JETSAM Alben. Stimmst du dem zu?
Danke! Genau das ist es, was ich an FLOTSAM & JETSAM liebte: Experimental! Wir haben immer versucht, wir selbst zu sein und möglicherweise war das unser Untergang. Ich war immer derjenige, der es dem Songschreiber wissen ließ, wenn der Song nach einer anderen Band klang. Wir versuchten immer, niemanden zu kopieren. Wir hatten einen wirklich großen musikalischen Background und keine Angst davor, alles mögliche auszuprobieren. Wir mochten die verschiedenen Variationen und die „Farben“ beim Schreiben der Songs. Eben wie z.B. RUSH oder auch QUEEN bei ihren dramatischen Epilogen. Auch Emotionen waren bei der Musik immer involviert. Hätten wir bei der Musik nichts gefühlt, hätten wir nicht weitergemacht.
Und was war der Grund, warum du 1997 ausgestiegen bist?
Ich verließ die Band nachdem ich meine Parts für „High“ fertiggestellt hatte. Ich ließ es die Jungs wissen, bevor die Scheibe fertig war. Mit „Drift“ brachten wir unsere besten Bemühungen mit ein. Bei dieser Scheibe gaben wir wirklich alles. Aber jetzt hatten wir keinen Deal mehr und gingen zurück zu Metal Blade Records. Und das bedeutete keine Unterstützung für eine Tour, Videos usw. Außerdem war Metal zu dieser Zeit in den Staaten in einem totalen Loch. Durch meine Scheidung hatte ich auch noch meine Familie verloren, saß mit 22.000 $ in der Kreide und lebte bei meinem Vater. Ich hatte einfach nichts mehr und musste mich zusätzlich noch um meinen Sohn kümmern. Es war einfach an der Zeit, Verantwortung für mich und meinen Sohn zu übernehmen und ein Leben zu führen, welches uns unterstützen würde.
Wie ich schon sagte, zu diesem Zeitpunkt gab es mehr Tiefs als Hochs und es sah so aus, als ob wir mit der Band am Ende wären. Ich wollte die Jungs damals nicht demotivieren und unterstütze sie bis heute noch so gut es geht.
Hey, man muss einfach das tun, was man tun muss! Und wer bin ich schon, dass ich einem sagen kann, was er zu machen hat. Ich stecke nicht in deren Schuhen.
Hast du dir jemals die Alben angehört, die nach deinem Ausstieg entstanden sind? Ich denke da an Alben wie „Unnatural Selection“ oder „My God“
Ich habe ein paar Sachen gehört, nicht viel. Natürlich wollte ich wissen, was bei FLOTSAM & JETSAM so los ist. Ob ich es mochte? Hmm, die Produktion hätte sicherlich etwas besser sein können, aber ich kann auch sagen, dass ich mir niemals eines dieser Alben kaufen würde. Ich habe den Song „My God“ im Radio gehört und dieser gefällt mir.
Es ist es zwar immer noch der gleiche Name, aber die Luft ist schon lange aus dem Reifen raus. Es sind nur noch zwei Musiker der Erstbesetzung an Bord, und in deren Essenz ist es nicht mehr FLOTSAM & JETSAM. Ich habe kein Problem mit einem der Musiker, neu oder alt, es ist einfach meine Meinung zu dem Thema. Mein Augenmerk liegt lediglich auf dem Zeitraum, bei dem ich involviert war. Seitdem ich die Band verlassen habe, schaue ich nur noch, was als nächstes passieren wird. Doch wenn es das ist, was sie machen wollen, dann sollen sie es auch so machen.
Ist es nicht an der Zeit, über eine Reunion mit dem Line Up von 1986 nachzudenken? Okay, viele Bands versuchen es, verpassen jedoch ihren alten Spirit. In eurem Fall würde es aber mehr Sinn machen!
Danke für das Kompliment. Gerade gestern habe ich auch darüber nachgedacht. Und das ist es, was mich auf den Boden der Tatsachen zurückkommen lässt. Falscher Ort, falsche Zeit…
Und das sind die ehrlichen Gründe dafür: Jason ist nicht in der Lage, diese Songs noch einmal zu spielen oder auf Tour zu gehen. Über all die Jahre, aus welchen Gründen auch immer, hat er seine Schulter so verschlissen, dass er eine Operation bräuchte um seine Wunden heilen zu können. Seit ungefähr neun Monaten kann er keinen Bass mehr spielen. Aus diesem Grund ist eine Reunion undenkbar. Es macht mich traurig, da ich mir schon ausgemalt habe, wie toll so eine Sache wäre. Es würde mir aber auch nichts ausmachen mit Jason Ward zu spielen, mit dem ich außerdem noch eine Ecke besser auskomme.
Welche sind deine Lieblingsstücke von FLOTSAM & JETSAM?
„Never To Reveal“, „Secret Square“, „Hard On You“, „N.E. Terror“, „Smoked Out“, „Drift“ ganz besonders. Dann noch “Hammerhead”, “I Live You Die”…ich liebe sie alle. Sie sind ein Teil von mir, bis ich sterbe.
Und gibt es neue bzw. aktuelle Bands die du magst?
SLIPKNOT, SYSTEM OF A DOWN, TRIVIUM, ein wenig Death Metal. Dann noch SLAYER, NINE INCH NAILS, PEEPING TOM.
Was machst du heute um deinen Kühlschrank zu füllen?
Zu viel, ha ha. Spaß beiseite, ich bin technischer Support für die U.S.-Army-Ingenieure.
Gibt es noch irgendetwas, was du sagen möchtest, aber bis heute noch nicht gesagt hast?
Ich möchte einfach nur allen meinen Dank aussprechen, die immer an FLOTSAM & JETSAM geglaubt hat. Ihr seid bzw. wart es, die meine Welt sich drehen ließ. Ich weiß es zu schätzen, dass ich die Möglichkeit hatte, an eurem Leben teilzuhaben, besonders, wenn es um die Musik ging. Ohne dies würde ich sterben. Es war nicht einfach für mich, diese Band zu verlassen. Ich fühlte jedoch, dass ich alles gegeben habe, was ich konnte.
Denkt immer daran: Wenn es in euren Herzen ist, dann müsst ihr es machen, was immer es ist.
Das war ein mehr als gutes Schlusswort, Kelly. Vielen Dank für das Interview! You´re the man!
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Stile | Old School Thrash Metal |
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