Fleshgod Apocalypse
über Gift für Körper und Geist.

Interview

Mit „Veleno“ haben FLESHGOD APOCALYPSE gerade ihr fünftes Studioalbum veröffentlicht. Das Album folgt auf eine Zäsur, denn 2017, ein Jahr nach Veröffentlichung des letzten Albums „King“, verließen mit Cristiano Trionfera und Tommaso Riccardi zwei langjährige Mitglieder die Band. Francesco Paoli verließ daraufhin seinen Posten als Drummer, um seinen ursprünglichen Platz am Mikro wieder einzunehmen. Änderungen gab es aber nicht nur im Line-up, sondern auch beim Schreiben des Albums. Mehr erzählen uns die beiden „Franceschi“ Francesco Paoli und Francesco Ferrini im Interview.

Hallo ihr beiden! Erst einmal danke, dass ihr euch die Zeit nehmt. Beim Schreiben von „Veleno“ seid ihr angeblich anders, spontaner als sonst, vorgegangen. Könnt ihr uns den Prozess ein wenig näher beschreiben?

F. Paoli: Ja, absolut. Bei unseren früheren Alben haben wir immer lange Pausen von Touren und Konzerten genommen, um uns nur auf das Komponieren zu konzentrieren. Durch diese Herangehensweise konnten wir quasi in Vollzeit an den Alben arbeiten, aber auf der anderen Seite hat das den Inspirationsfluss eingeschränkt. Manchmal schaut man ohne jede Inspiration auf ein leeres Blatt und kann sich selbst nicht dazu bringen, brauchbares Material zu schreiben. Deshalb haben wir uns dieses Mal dazu entschlossen, über den Zeitraum von drei Jahren ausschließlich von unserer Kreativität geleitet zu arbeiten, und uns dabei keine Gedanken um unseren Tourplan und Deadlines zu machen.

So haben wir immer dann geschrieben, wenn wir uns inspiriert gefühlt haben, auf Tour oder zuhause. Außerdem haben wir uns selbst mehr experimentieren lassen und dabei komplett neue Genres ausprobiert, die wir lieben und die Teil unseres musikalischen Backgrounds sind. Wir haben alle unsere Ideen und Entwürfe in vollkommener Freiheit gesammelt. Deshalb ist „Veleno“ unser wahrscheinlich unvorhersehbarstes Album; fast wie ein Lebewesen mit einem Eigenleben.

„Veleno“-Albumcover

Bei all den Spuren, die FLESHGOD APOCALYPSE verwenden – Gitarren, Orchester, Chöre, Piano, andere Instrumente – wie wisst ihr da, wann ein Song wirklich fertig ist? Ihr könntet sicher ewig weiter daran feilen.

F. Ferrini: Das ist eine sehr gute Frage. Wie viel Augenmerk wir auf jedes einzelne Detail legen, grenzt in der Tat schon an Wahnsinn. Das trifft auf alle Hauptmelodien und -riffs zu, aber auch auf alle anderen Elemente in den Arrangements, die sehr dicht sein können. Du hast recht, es ist manchmal schon etwas schwer für uns, zu sagen, „OK, der Song ist fertig“. Wenn man seine Musik aufnimmt und dann jemand anderem zum Mixen und Mastern weitergibt, ist es fast, als würde man sein Kind das erste Mal aus dem Haus gehen sehen.

Wir feilen bis zur letzten Minute an Details, aber wir stecken unheimlich viel Zeit in die Pre-Production, also sind die Songs größtenteils fertig, wenn wir ins Studio gehen. Die Leidenschaft, die wir in unsere Musik stecken, ist gleichzeitig das, was verhindert, dass wir unvorbereitet ins Studio gehen können. Unsere Songs können nicht einfach aus einer Jamsession bei einer Bandprobe heraus entstehen. Wir wollen die volle Kontrolle darüber haben, was passiert. Und wir wollen schon im Voraus wissen, wie die Musik klingen wird. Änderungen in letzter Minute sind wie erwähnt aber auch keine Seltenheit.

FLESHGOD APOCALYPSE haben vor diesem Album mit Cristiano Trionfera und Tommaso Riccardi zwei langjährige Mitglieder verloren. Wie hat dies das Ergebnis beeinflusst?

F. Paoli: Ich werde jetzt nicht sagen, dass das nicht verdammt hart für uns war, denn das war es. Ihr Ausstieg hat uns schwer getroffen, weil wir so viel geteilt haben und enge Freunde sind. Auf der anderen Seite haben sie aber nie aktiv am kreativen Prozess teilgenommen. Ihre Meinungen und Gedanken waren uns wichtig, und auf der Bühne haben sie viel zur Band beigetragen, aber Francesco und ich haben immer die künstlerischen Entscheidungen getroffen. Tommaso und Cristiano haben sich um andere Aspekte gekümmert und sich mehr auf das Management konzentriert. Das ist natürlich eine wichtige Aufgabe, aber nichts, was sich wirklich in der Musik niederschlägt.

Die Trennung hat uns wahrscheinlich auf eine tiefere, menschliche Art beeinflusst. Und das hat auf jeden Fall Einfluss auf das Material genommen, das wir in dieser Zeit geschrieben haben. Wenig später haben wir aber begonnen, uns nur auf eins zu konzentrieren: Wieder auf die Füße zu kommen und alles in die neue Platte zu stecken.

Galerie mit 15 Bildern: Fleshgod Apocalypse - Rockharz Open Air 2016

Könnt ihr uns das lyrische Konzept auf „Veleno“ näher erläutern?

F. Paoli: Während „King“ ein richtiges Konzeptalbum ist, wo jeder Song ein Kapitel der Geschichte erzählt, beschäftigt sich „Veleno“ auf verschiedenen Ebenen mit vielen unterschiedlichen Themen, buchstäblich und auf metaphorisch Weise. Im Opener „Fury“ geht es zum Beispiel um Ignoranz und Aberglaube, „Absinthe“ beschäftigt sich mit Alkoholmissbrauch, „Sugar“ mit Drogen, und so weiter. Während wir an den Texten gearbeitet haben, haben wir gemerkt, dass es einen gemeinsamen Faden, einen „fil rouge“ gibt, der die Songs verbindet, und zwar die Idee von „Vergiftung“. Dahinter können sich viele verschiedene Bedeutungen verbergen, und es ist auch ein starkes Symbol.

Alle Songs beschäftigen sich auf eine Art damit, basierend auf der Analyse der Beziehung des Menschen zur Natur, bezogen auf das natürliche Umfeld und die sogenannte Natur des Menschen. Die Vergiftung kann unseren Körper, unseren Verstand, unsere Kultur oder unsere Umwelt betreffen – sie ist der Generalschlüssel, der all die verschiedenen Themen auf diesem Album verbindet. Deshalb haben wir es auch „Veleno“ genannt, was auf Italienisch „Gift“ bedeutet.

Laut des Infoblatts zum Album gibt es darauf ein paar weitere kulturelle Verbindungen zu euer Heimat Italien.

F. Ferrini: Naja, es gibt ein unzerbrechliches Band, das uns mit unserer Kultur verbindet. Das ist etwas, dass tief in unserer Musik und Ästhetik verwurzelt ist. Wir sind – unvermeidbarer Weise – ein Produkt unseres kulturellen, musikalischen und historischen Hintergrunds. Als Künstler und als Menschen. Auf diesem Album ist die Verbindung noch stärker als zuvor. Das fängt schon beim Titel „Veleno“ an. Es ist das erste Mal, dass wir für einen Titel unsere Muttersprache Italienisch verwenden. Wir haben das getan, weil die Bedeutung des Wortes sehr vielschichtig, sogar undurchsichtig, ist und weil es zugleich zart und bedrohlich klingt.

Es gibt auch reichlich Anspielungen auf dem Album selbst, musikalisch und lyrisch. „The Day We’ll Be Gone“ kann man beispielsweise als Homage an ein Genre sehen, für das Italien berühmt ist: die Oper. Unsere Musik ist stark von italienischen Meistern wie Verdi, Puccini, Rossini und vielen anderen geprägt. Außerdem wird einer der bedeutendsten italienischen Dichter, Giacomo Leopardi, in einem der Stücke zitiert. Ich könnte ewig so weitermachen, aber ich lasse unsere Hörer die anderen Punkte entdecken, oder gar selbst neue finden!

Ich wollte gerade schon sagen, dass mich „The Day We’ll Be Gone“ an Sarah Brightmans Todesszene im Film „Repo! The Genetic Opera“ erinnert. Ihr Song „Chromaggia“ ist auf Italienisch. Eine Homage daran ist er aber nicht, oder? Habt ihr den Film gesehen?

F. Ferrini: Siehst du? Hier haben wir eine neue, unerwartete Verbindung zu Italien. Ich habe den Film tatsächlich nicht gesehen, aber es überrascht, wie jeder, dich inbegriffen, neue Verbindungen entdecken kann, an die wir gar nicht gedacht haben. Musik kann wie jede andere Kunstform fließend, unvorhersehbar und für jede Interpretation offen sein.

Fleshgod Apocalypse Autogrammstunde

Ich muss die Frage einfach stellen. Im Video zu „Sugar“ sieht man euch buntes Wasser „erbrechen“. Kann es sein, dass die Inspiration dazu von dem berühmt-berüchtigten Vorfall auf einer FLESHGOD APOCALYPSE-Tour stammt, bei dem euer Drummer krank war und sich auf der Bühne übergeben musste? Er ist ein ziemlich krasser Typ und hat einfach weitergespielt.

F. Ferrini: Ja, das war ziemlich extrem! Die Geschichte zeigt ziemlich gut, wie entschlossen und engagiert David ist. Sagen wir einfach, dass uns die Verbindung zwischen dieser speziellen Erfahrung und dem Konzept hinter „Sugar“ in den Sinn gekommen ist. Das haben natürlich auch schon viele Leute angesprochen. Es ist aber nicht der Grund, wieso wir uns im Video so darstellen. Der eigentliche Grund ist bedeutungsvoller und stark mit dem Hauptthema des Songs – Drogensucht – verbunden. Und damit, wie das Thema metaphorisch behandelt wird.

Wir wollen zum Ausdruck bringen, dass Drogen im Grunde Gift für unseren Körper und unsere Seele sind, und das bringt uns zurück zum Album an sich. So ist die Band, die in der Spritze spielt, während diese sich mit Flüssigkeit füllt, Teil des Gifts, das durch das bunte Erbrochene visualisiert wird. Wir wollen die positive Message rüberbringen, dass man den Kampf gegen diese schreckliche Sucht nicht aufgeben soll. Aber manchmal müssen starke Messages genug schocken, um anzukommen. Deshalb dreht einem das Video so den Magen um.

Damit wären wir am Ende. Ihr habt aber natürlich wie immer das letzte Wort.

F. Paoli: Zuerst mal vielen Dank für dieses coole Interview, und an alle Leser dafür, dass ihr reingeschaut habt! Wir sind gerade mit einer langen, erfolgreichen Tour durch Nord-, Mittel- und Südamerika fertig und stehen kurz vor dem Release zu „Veleno“. Die neuen Singles haben wir schon live gespielt und das Feedback war unglaublich. Wir können es aber kaum erwarten, das komplette Album mit euch zu teilen und eine weltweite Tour zu starten, größer und mit neuer Setlist. Zuerst kommen aber die europäischen Sommerfestivals. Wir sehen uns dort!

Danke euch beiden für das Interview!

Quelle: Francesco Paoli und Francesco Ferrini, Fleshgod Apocalypse
25.05.2019

headbanging herbivore with a camera

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