Fallen Yggdrasil
Fallen Yggdrasil
Interview
Ein Gespräch mit Fallen Yggdrasil-Frontmann Simon Kratzer hat immer etwas für sich. Man kann sich schon vorher sicher sein, daß man keine Angst haben muß, mit kurzen, lustlosen Antworten abgespeist zu werden. Doch das Beste: Auch abseits vom neuen Album und vom Metal an sich, fördert der ex-Student immer wieder Lesenswertes und Nachdenkliches zutage.
Hi Simon! Steht dein Lebensbaum Yggdrasil weiterhin richtig in der Blüte oder ist er, wie euer Bandname aussagt, gefällt?
Noch nicht ganz, aber ein paar tiefe Kerben hat man ihm schon geschlagen…
Wie ist Dein Verhältnis zu den Nornen, die unter Yggdrasil das Schicksal eines jeden Menschen weben?
Also manchmal fühle ich mich echt ungerecht behandelt, von diesen Tussen, haha. Sie haben noch immer nicht dafür gesorgt, dass ich Millionär bin und überhaupt scheinen die die meiste Zeit über ziemlich besoffen zu sein. Oder wie kann es sonst sein, dass immer die Leute am meisten Glück zu haben scheinen, die es am wenigsten verdienen?
Über diese Frage kann ewig diskutieren, ohne zu einer plausiblen Erklärung zu kommen. Befassen wir uns lieber mit eurer neuen Platte „Building Up A Ruin To Come“. Auf selbiger baut ihr eine zukünftige Ruine? Glaubt ihr, es gibt keine Langlebigkeit und Beständigkeit mehr?
Das mit der Langlebigkeit und Beständigkeit ist so eine Sache. Wenn sich die Dinge nicht ändern würden, wäre es irgendwann ganz schön langweilig hier. Außerdem können sich Dinge ja auch zum Besseren verändern, wogegen wohl niemand etwas haben dürfte. Das Problem ist viel eher, daß die Menschen sich nie so ganz einig sind, was denn nun eine positive und was eine negative Veränderung ist. Außerdem kann eine zunächst positive Veränderung auch schnell ins Negative umschlagen. Nehmen wir mal ein Beispiel: In den 60er und 70ern gab es durch die Hippies und 68er die sexuelle Revolution. Die hat uns gegen den Widerstand der damals älteren Generation, die darin mehrheitlich eine Gefahr sah, von der Verklemmtheit der Nachkriegszeit befreit. Aber sie ist langfristig gesehen auch die Ursache dafür, dass man zuweilen im Nachmittagsprogramm das Gefühl hat, man sei auf einem Pornokanal gelandet. Also wenn du mich direkt fragst: Es gibt Dinge, die meiner Meinung nach verdienen, auf immer und ewig zu besehen, andere nicht. Das Dumme ist nur: Wir werden uns darin vermutlich nicht einig werden. Das wäre in der Tat ein gutes Thema für einen Text. In „Building Up A Ruin To Come“ geht es aber eher darum, dass man manchmal Dinge beginnt, von denen von Anfang an schon klar ist, dass sie scheitern müssen. Und das eigentlich Interessante daran ist: Oftmals weiß man das, aber man tut es trotzdem.
Ist deswegen der Titel so gewählt, daß seine Aussage auf alles bezogen werden kann? Angefangen bei der Musikbranche bis hin zur heutigen Gesellschaft?
Der Titel bzw. Text ist absichtlich sehr offen gehalten, damit man ihn in der Tat auf alles mögliche beziehen kann. Es wird eigentlich nur beschrieben, wie ein Haus gebaut wird, allerdings mit ganz gehörigen Baufehlern und Baumaterialien, die nicht unbedingt geeignet sind, etwas Dauerhaftes zu erschaffen.
Inwieweit sind die Massenmedien an dieser nun schon öfters zitierten Kurzlebigkeit schuld? Auf eurem letzten Werk haben sie ebenfalls schon ihr Fett wegbekommen.
Bezogen auf Deine These von der fehlenden Langlebigkeit spielen die Medien natürlich eine große Rolle. Zum einen, weil sie aus Rücksicht auf ihre Einschaltquoten dem Publikum immer Neues präsentieren müssen, oder zumindest bei dem Zuschauer das Gefühl erwecken müssen, es gäbe immer Neuigkeiten. Außerdem konkurrieren sie dabei untereinander nach dem Prinzip „höher, weiter, schneller“, was dazu führt, dass in den Medien ein Tabu nach dem anderen fällt, womit ich zunächst mal gar keine Wertung verbinden möchte. Das ist ein Prozess, der sich wechselseitig bestärkt. Die Medien reagieren einerseits auf die gesellschaftliche Entwicklung und die damit verbundenen Zuschauererwartungen. Auf der anderen Seite treiben sie diese aber auch voran, weil sie, um in dem Medienkonkurrenzkampf bestehen zu können, immer noch einen draufsetzen. Da kann man wieder als Beispiel die oben genannte Sache mit den sexuellen Tabus nehmen, wo dieses Prinzip des „Immer-Weiter-Gehens“ ziemlich augenscheinlich ist. Auf der anderen Seite sind das natürlich schleichende Prozesse, die einem gar nicht immer auffallen. Ich habe einige Jahre lang kaum ferngesehen, in letzter Zeit schaue ich wieder mehr. Mit diesem Abstand fällt mir umso eindrücklicher auf, wie rapide sich die Medienlandschaft verändert hat.
Bei „Building Up A Ruin To Come“ war ein Zusammenhang mit den Medien aber nicht intendiert. Wenn Du aber so direkt fragst, dann lässt er sich natürlich schon herstellen. Die Medien wecken bei uns Wünsche. In vielen Soapoperas wird zum Beispiel eine Welt präsentiert, die zwar den Anspruch erhebt, „aus dem Leben gegriffen“ zu sein, die aber gleichzeitig total realitätsfern ist. Da leben Teenager in tollen Villen und kleiden sich ausschließlich in Designerklamotten, die sich im echten Leben kaum jemand leisten kann. Gleichzeitig wird uns aber dauernd suggeriert, dass das alles auch für uns möglich ist: Schönheit, Reichtum, permanent guten Sex und so weiter, und so weiter. Obwohl wir natürlich ganz genau wissen, dass das alles nur eine Filmwelt ist, glaube ich doch, dass es uns unter Druck setzt. Alles ist möglich, alles machbar. Und wenn es ausgerechnet bei Dir nicht klappt, dann machst DU etwas falsch und bist ein Versager! Vielleicht ist das ja auch mit ein Grund, warum im Moment so viele Leute Lotto spielen, dass der Jackpot permanent neue Rekordzahlen erreicht. Die Leute rennen unter diesem Druck einem Traum nach, den aber nur die wenigsten je erfüllen werden. Der Rest „is building up a ruin to come“.
Dem Plattentitel nach zu urteilen seid ihr keine Menschen, die schnelllebigen Trends hinterher laufen. Deswegen meine Frage: Liegt Metal gerade im Trend, wenn sogar gecastete Acts wie Nu Pagadi einen auf Pseudo-Düster-Goth machen?
Ich denke, dass man das tatsächlich nicht von uns behaupten kann. Wobei man schon sagen muss, und das ist mir wichtig: Nicht jeder Trend ist böse und gemein! Sich von neuen Strömungen – um ein anderes Wort zu benutzen – abzuschotten, nur weil sie neu sind, ist kindisch. Es geht doch vielmehr darum, sich zu überlegen, ob man den neuen Trend gut findet oder nicht. Dann kann man frei entscheiden, ob man ihn mitmacht oder nicht. Man sollte dabei versuchen, sich möglichst wenig von den Medien oder anderen Faktoren beeinflussen zu lassen, soweit das überhaupt noch geht.
Was Nu Pagadi angeht: Ich weiß nicht, ob ich mich da täusche, aber mir persönlich kommt es eher so vor, als sei diese Nu Pagadi–Sache ordentlich gefloppt. Zumindest habe ich das Lied noch nicht einmal im Radio gehört, ich kenne es nur von der Klingeltonwerbung und weil ich es einmal auf MTV gesehen habe. Das spricht nun nicht unbedingt dafür, dass es großartig eingeschlagen hat, oder? Im Übrigen muss man ganz objektiv feststellen, dass dieses Lied absoluter Müll ist. Der Refrain mag ja noch durchgehen. Gut von HIM abgekupfert, aber der Rest grenzt schon an Peinlichkeit. Ich bin mir nicht so ganz sicher, welche Zielgruppe man damit verfolgt. Will man die Subkultur der Düsterrocker knacken, oder will man irgendwelche 13-jährigen Kids zu Düsterrockern machen? Ich denke, dass man sich an der Subkultur die Zähne ausbeißen wird, denn das Prinzip der Vermarktung, das hier zum Tragen kommt, widerspricht ja gerade dem Selbstverständnis der Subkultur. Außerdem ist in diesem Fall das Lied auch musikalisch viel zu belanglos. Jeder gestandene Goth hat mindestens hundert Platten im Schrank, die besser sind, als Nu Pagadi je sein werden. Deswegen wird er sich die Platte wohl kaum kaufen. In Anbetracht dessen zielt die Sache also wohl doch auf die breite Masse derer ab, die mit Gothic bisher noch nichts am Hut hatten. Man muss nun also den Kids erstmal durch mediale Kopfwäsche klar machen, dass sie ja eigentlich total düster drauf zu sein haben. Mal sehen, ob’s klappt.
Aber um auf deine Eingangsfrage zurückzukommen: Ich denke, Gitarrenmusik liegt insgesamt wieder im Trend, seit Britpop und Alternative die Kids wieder an Gitarren gewöhnt haben. In den 90ern gab es eine Zeitlang in den Medien ja fast nur noch Hip Hop und Dancefloor im Radio. Das hat sich dank der Rückkehr der E–Gitarre zum Glück geändert. Der Metal verdankt dieser allgemeinen Trendwende seine momentane kommerzielle Stärke. Das kann sich aber schon sehr bald wieder ändern.
Darüber hinaus sind auch brachialere Formen wie der Death Metal am Erstarken und eine Band wie Amon Amarth tummelt sich in den Charts. Auch ein Trend?
Ja, schon. Wobei auch der Death Metal von der allgemein gestiegenen Akzeptanz der Gitarrenmusik profitiert. Es ist glaube ich ganz einfach: Im Radio kommen wieder vermehrt Lieder mit E- Gitarren, zum Teil sogar relativ heftigen E–Gitarren. Deswegen steigt bei den Kunden die Akzeptanz für härtere Musik. Deswegen steigt auch wieder der Anteil derer, die Metal hören. Und wenn viele Leute Metal hören, gibt es auch wieder viele potentielle Death Metal–Fans. So einfach ist das: Die ganze Konsumgesellschaft hat sich in Richtung Gitarre verschoben. Das ist wie Politik: Wenn die gesamte Gesellschaft einen Rechtsruck mitmacht, dann stehen plötzlich auch wieder mehr Leute jenseits der Grenze zum äußersten rechten Rand. Und plötzlich erreicht eine Dreckspartei wie die NPD bei Landtagswahlen neun Prozent. Wobei ich hier keine Verbindung zwischen Metal und Naziparteien anstellen will, es geht nur um die Verdeutlichung des Prinzips!
Um auf Amon Amarth zurück zu kommen: Die Jungs profitieren zunächst natürlich auch von der oben beschriebenen generellen Verschiebung hin in Richtung Gitarre. Aber in die Charts kommen sie nur deswegen, weil sie es geschafft haben, die gesamte Metalszene, also nicht nur die Death Metaller, sondern auch Thrasher, Black Metaller und wohl auch den einen oder anderen weniger extremen Metalfan, relativ geschlossen hinter sich zu bringen. Das reicht aus, sie zumindest kurzfristig in die Charts zu bringen, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie außerhalb der Metalszene nach wie vor ein Niemand sind. Das wird sich vielleicht noch ändern, aber im Moment handelt es sich bei Amon Amarth nur um einen szeneinternen Trend.
Ihr konntet in der Zwischenzeit einen Deal beim deutschen Undergroundlabel Supreme Chaos Records einsacken? Läuft es gut oder kann man euren Plattentitel bald auch auf diese Zusammenarbeit beziehen?
Was die weitere Zusammenarbeit anbetrifft, lege ich mich natürlich nicht fest. Nicht, weil wir schon planen, in Zukunft nicht mehr mit SCR zusammen zu arbeiten, sondern weil wir uns damit zu früh und zu sehr festlegen würden. Tatsache ist, dass der Vertrag nur befristet ist und daß wir mit der nächsten Platte zunächst wieder von allen vertraglichen Bindung befreit sind. Wir werden dann zu gegebener Zeit schauen, was wir machen. Supreme Chaos ist ein kleines Label, seine Möglichkeiten begrenzt, das war von Anfang an klar. Wunderdinge kann man nicht erwarten. Das tun wir auch nicht, aber wir erwarten natürlich, daß im Rahmen der Möglichkeiten das Beste getan wird.
Wieviel Platten setzt ihr als Undergroundband eigentlich ab bzw. habt ihr euch als Ziel gesetzt?
Wenn eine kleinere Death Metal-Band, also jetzt nicht gerade Cannibal Corpse oder so, in Deutschland ein paar tausend Platten verkauft – und mit „ein paar tausend“ meine ich sehr, sehr deutlich unter zehntausend – ist sie schon gut dabei. Das hat meiner Meinung nach nichts damit zu tun, dass es wenige Fans gäbe oder damit, dass diese wenige CDs kaufen. Aber der Markt ist so voll, daß der Kuchen unter unglaublich vielen Bands aufgeteilt werden muß. Bei Demobands sind es natürlich entsprechend viel weniger verkaufte Tonträger. Als wir damals von der in Eigenverantwortung erschienen Erstauflage von „In No Sense Innocence“ tausend innerhalb relativ kurzer Zeit eintausend CDs verkauft haben, wollte uns das immer niemand glauben. Erst, wenn wir ihm die Presswerkquittungen unter die Nase gehalten haben, haha. Bei „Building…“ ist natürlich das Ziel, dies deutlich zu steigern. Im Moment haben wir aber das große Problem, dass die Platte ziemlich untergegangen zu sein scheint. Aus irgendwelchen Gründen, die noch genau analysiert werden müssen, hat es sich von Juli ’04 bis Februar ’05 hingezogen, bis endlich mal die Reviews erschienen sind. Das ist natürlich viel zu lang gewesen. Die Kritiken müssen geballt innerhalb möglichst kurzer Zeit erscheinen, damit die Leute überhaupt die Chance haben, Notiz davon zu nehmen. Das hat hier überhaupt nicht geklappt. Die Reviews sind tröpfchenweise über den Zeitraum von fast einem halben Jahr – der Metal Hammer hat zum Beispiel geschlagene 5 oder 6 Monate gebraucht, bis das Review erschienen ist – eingetroffen. Das dürfte auch damit zu tun haben, dass wir als kleine Band bei einem kleinen Label speziell bei den großen Magazinen erstmal nach hinten geschoben werden. Die Folge von dem allem ist, daß viele Leute offenbar gar nicht gemerkt haben, dass wir überhaupt eine neue Platte raus haben. Daß das nicht gerade gut ist für die Verkäufe, dürfte einleuchten. So erklärt es sich, daß wir im Moment zwar nach wie vor sehr gut auf Konzerten und über die Homepage verkaufen, die Verkäufe über den offiziellen Vertriebsweg dem aber hinterherhinken. Die versandete Promotion muß irgendwie nachgeholt werden.
Weiter geht’s im Bandbusiness. Ihr hattet Probleme mit dem Line-up. Ist jetzt alles wieder im Lot?
Wie man’s nimmt. Dennis (Reith, Gitarre, Anm. d. Verf.) ist nicht mehr dabei. Ein Ersatzmann ist noch nicht definitiv gefunden. Wir werden vorerst also mit nur einer Gitarre weitermachen, das funktioniert live relativ gut. Wir müssen unsere Setlist etwas umstellen und ein paar Lieder, die mit nur einer Gitarre zu lasch klingen, rausschmeißen. Wir werden uns mit der Auswahl des Nachfolgers Zeit lassen.
Am meisten Kritik mußte eure neue Platte für den Gesang einstecken. Wie gehst du als Hauptverantwortlicher damit um?
Ich lauere jedem Journalisten nachts in einer dunklen Gasse zusammen mit meinen Kumpels auf und verprügle ihn nach Strich und Faden, haha. Nein, alles Quatsch. Der Gesang ist tatsächlich zum Zünglein an der Waage bei vielen Reviews geworden: Er wurde entweder gelobt oder bemängelt. Das ist für mich als Death Metal-Sänger natürlich zunächst mal überraschend, denn gerade im Death Metal-Bereich wird den Sängern ja meist relativ wenig Aufmerksamkeit zuteil. Im seltensten Fall werden sie überhaupt erwähnt. Und wenn, dann spielt sich das Ganze im Bereich irgendwelcher Phrasen ab: brutaler Geang, tiefer Gesang, etc. Das läßt wenig Individualität erkennen. Insofern ist es für mich schon cool, dass man in unserem Fall den Gesang überhaupt als solchen wahrnimmt und beurteilt. Die Kritik finde ich dabei zum Teil nachvollziehbar, zum Teil kann ich aber die Aufregung nicht verstehen. Nachvollziehbar finde ich, dass mancher Hörer, der den im Moment eben typischen Death Metal-Gesang erwartet hat, zunächst etwas irritiert ist, weil wir bei „Building…“ kaum Wert darauf gelegt haben, brutal zu klingen, sondern eher auf Authentizität, Intensität und Emotion gesetzt haben. Deswegen haben wir das ganze genau so rotzig und trocken gelassen, wie es eben klingt, wenn ein Simon unter der Dusche rumgröhlen würde. Bei einigen Stellen ist das Ganze tiefer und rauher Gesang, der mit Death Metal-Growling gar nicht viel zu tun hat. Wir wussten schon im Vorfeld, daß das die Leute irritieren wird. Vagelis, der Studioleiter hat mich bei einigen Passagen auch vorgewarnt: „He Alter, die verreißen Euch! Das ist kein Death Metal, was Du hier machst.“ Wir fanden es aber cool und haben es deswegen so gelassen und keine Effekte draufgemacht. Was ich nicht nachvollziehen kann, ist, wie sich manche Deiner Kollegen daran aufgehängt haben. Vor allem der Vorwurf, ich könnte nicht anders singen, hat mich genervt. Denn von diesen Kollegen ist kaum einer auf die Idee gekommen, dass der Gesang genau so klingt, wie er klingen sollte. Wenn wir gewollt hätten, dass es anders klingt, dann würde er jetzt auch anders klingen. Aber wir sind nicht der xte Corpse-Verschnitt. Also muß ich auch nicht so klingen, oder? Im Übrigen, das nur zur Beruhigung all jener, die dieses Interview lesen: Ich finde, der Gesang ist weit davon entfernt, lasch zu klingen. Er ist eher manchmal etwas verwandt mit den Death Metal-Bands aus der Zeit, bevor es ein ungeschriebenes Gesetz gab, wie Death Metal-Sänger zu klingen haben. Das war damals, als man Bands noch nach 10 Sekunden am Gesang erkennen konnte. Und das war beileibe keine schlechte Zeit für den Death Metal!
Im Kleingedruckten eures Booklets kritisierst du Wanna-be-Rockstars, die nur hohle Phrasen klopfen, sehr scharf und hast ihnen sogar den Song „For Those Masters Of The Undone“ gewidmet? Gibt es so viele davon in der Szene?
Die gibt es überall, bevorzugt unter Musikern und auch in der Metalszene. Das sind Spongos, die in der Regel nichts drauf haben, aber sich aufspielen wie die Könige. Die Dir irgendwelche Heldengeschichten auftischen von Konzerten, die nie stattgefunden haben, und Plattenfirmenangeboten, von denen die betreffende Plattenfirma selbst nichts weiß. Typen, die einen ganzen Abend damit verbringen, dir zu erzählen, wie super sie sich selbst finden. Es ist so verdammt nervig! Solche Leute können Dir einen ganzen Konzertabend versauen, weil sie einfach nicht kapieren, dass Du a) Dich gar nicht für ihre Geschichten interessierst, dass Du b) diese Geschichten nicht glaubst und dass Du c) selbst wenn Du sie glauben würdest, nicht beeindruckt wärst. Am besten sind die, die auf Konzerten anderer Bands aufkreuzen, sich in den Backstageraum setzen, den Bands das Bier wegsaufen und dabei so einen Scheiß erzählen. Wir sind ja normalerweise eine pflegeleichte Band, aber letztlich hat einer den Bogen echt überspannt, so dass Christoph (Albrecht, Drums – Anm. d. Verf.) ihn kurzerhand mittels eines scharfen Kommandos vor die Tür gesetzt hat.
Kann es sein, daß dir Selbstüberschätzung ein sehr großer Dorn im Auge ist? Ich erinnere nur an den Song „Crown Of All Creatures“ von der letzten Platte?
Ja, da könntest Du Recht haben. Wobei Selbstüberschätzung zunächst mal noch jedermanns eigene Sache ist, denn es kann mir persönlich ja egal sein, wenn sich irgendein Musikerkollege in seinem stillen Kämmerlein für Gott hält. Aber Selbstüberschätzung hängt oft mit anderen Dingen zusammen, beziehungsweise geht fließend dazu über: Überheblichkeit gegenüber anderen, mangelnder Respekt, mangelnde Demut und das daraus resultierende rücksichtslose Verhalten. Wobei dieses Beispiel des großkotzigen Musikers ja noch harmlos ist. Die Selbstüberschätzung des Menschen als solchem führt zu der Anmaßung, er dürfe uneingeschränkt, quasi wie ein kleiner Gott, über alle Dinge nach Gutdünken verfügen, ohne Respekt gegenüber anderen Lebewesen und der Welt generell. Es mag sich etwas alttestamentarisch anhören, aber ich glaube, dass mangelnde Demut gegenüber den Mitmenschen, der Welt und vielem anderen die Wurzel vieler Probleme ist.
Ihr wart kürzlich mit Dismember für ein paar wenige Gigs unterwegs. Das Tourleben ist nicht jedermanns Sache. Was waren für euch die positiven und negativen Seiten, die Vor- und Nachteile gegenüber vielen Einzelgigs?
Zur Beantwortung dieser Frage muss ich auf die früheren Tourerfahrungen zurückgreifen, denn die Geschichte mit Dismember war dafür nicht wirklich repräsentativ. Für mich überwiegen die Vorteile bei weitem: Erstens macht es einfach Spaß, mit den Jungs längere Zeit durch die Gegend zu gondeln, weil wir eine gute Truppe sind und uns sehr gut verstehen. Zweitens kann man auf diese Art in relativ kurzer Zeit einen Haufen Gigs abziehen, was nicht nur aufgrund des Promotioneffekts eine gute Sache ist, sondern vor allem auch deswegen, weil live spielen cool ist. Auf einer Tour macht es sogar noch mehr Spaß, weil man sich nach spätestens zwei Abenden richtig aufeinander eingegroovt hat. Nachteile fallen mir eigentlich nur zwei ein: Erstens die Tatsache, dass es auf Dauer ganz schon öde sein kann, jeden Abend dieselben Zeitabläufe durchzumachen. Fahren, Warten, Aufbauen, Warten, Soundcheck, Warten, erst dann irgendwann Spielen. Zumal die Wartezeiten zu kurz sind, um irgend etwas Vernünftiges mit ihnen anzufangen oder sich wenigstens mal die Stadt richtig anzuschauen. Man hängt halt rum. Der zweite Nachteil ist die Sache mit der Hygiene, haha. Also erstens entwickelt sich nach einiger Zeit ein atemberaubendes Klima im Bandbus, weil ja die ganzen verschwitzen Bühnenklamotten – insbesondere die Schlagzeugspielschuhe von Christoph – da rumliegen. Außerdem gibt es oft tagelang keine vernünftige Waschgelegenheit, es sei denn man hat mal die Zeit, irgendein städtisches Schwimmbad aufzusuchen, oder irgendwo privat unterzukommen.
Wenn ihr jetzt das Angebot eines namhaften, großen Labels bekämt, würdet ihr zuschlagen? Oder ist es euch lieber, in einem kleinen Stall das größere Pferd zu sein und mehr Aufmerksamkeit der Mitarbeiter abzubekommen?
Kommt drauf an. Ich würde ein Angebot nicht aus Prinzip abschlagen, nur weil es von einem großen Label kommt. Das würde übrigens niemand tun. Auch die Bands, die sich auf die Fahne geschrieben haben, sie wollten gar keinen großen Deal, sagen das in der Regel, weil sie aus der Not eine Tugend gemacht haben. Wir würden das auf jeden Fall von den konkreten Konditionen abhängig machen. Es ist aber in der Tat so, dass ich mir nur wenig Frustrierenderes vorstellen kann, als bei einem potenten Label zu sein, dass richtig was los machen könnte für Dich, aber die Leute dort tun es nicht! Da fühlt es sich bestimmt besser an, bei einem kleineren Label zu sein, dass vielleicht nicht so viele Möglichkeiten hat, diese aber voll ausschöpft. Aber wie gesagt: Das müsste man von den konkreten Angeboten abhängig machen.
Seht ihr es als Vorteil an, im Underground eher unabhängig vom großen Business zu sein? Oder erstrecken sich dessen Regeln und Zwänge auch schon auf ein kleines Label wie SCR?
Hm, gute Frage. Wir stehen in mancherlei Hinsicht schon mit mehr als einem Fuß im Business, einfach dadurch, dass wir verschiedene vertragliche Bindungen eingegangen sind. Zum Beispiel mit einer Bookingagentur oder mit Supreme Chaos Records. Und jeder Vertrag bringt natürlich auch Verpflichtungen mit sich, deren Erfüllung für uns Ehrensache ist. Trotzdem haben wir bei all dem sehr kleinlich darauf geachtet, nicht zuviel Kontrolle aus der Hand zu geben. Speziell bei SCR haben wir, denke ich, einen ganz guten Vertrag, bei dem wir selbst noch die meisten Fäden selbst in der Hand haben. Das war uns auch wichtig. Es wäre dennoch denkbar, diese Fäden in Zukunft auch bis zu einem gewissen Grad aus der Hand zu geben, wenn alles drumherum paßt.
Wohin führt der Weg von FY?
Tja, das wüßte ich auch gern. Ich glaube bei uns ist im Moment alles offen. Zunächst gilt es, die verkorkste Promotion für „Building…“ irgendwie auszubügeln, dann werden wir die neue Scheibe vorbereiten. Es heißt ja immer, die dritte Platte sei die „Make it or break it“–Platte. Wenn man die MCD „In No Sense…“ mitzählt, dann wären wir jetzt bei eben jener Alles-oder-Nichts-Platte. Ich würde mich für „Alles“ entscheiden.
Gibt es eine Frage, die du schon immer einmal beantworten wolltest, aber noch nie gestellt bekommen hast?
Hm, interessant wäre die Frage: „Warum macht Ihr das überhaupt?“ Objektiv gesehen haben wir ja nun nichts von unserem Engagement: Finanziell haben wir schon mehr reingesteckt, als wir jemals rausbekommen werden. Der soziale Prestigegewinn hält sich stärk in Grenzen, zumal wir auch nicht unbedingt zu den Leuten gehören, die darauf großen Wert legen oder davon zu profitieren versuchen. Trotzdem wird bei uns sehr vieles der Band untergeordnet. Das hat mit kreativer Verwirklichung und dem Spaß an der Musik und dem Drumherum zu tun. Aber ich glaube, da steckt noch mehr dahinter, irgendwie hat diese Band eine Eigendynamik entwickelt, bei der gewisse Dinge einfach selbstverständlich geworden sind, weil „die Band“ es fordert. Vielleicht erklären sich so auch die vielen Besetzungswechsel. Bei vielen Dingen wird keine Rücksicht darauf genommen, ob jeder in der Band Lust darauf hat. Es wird einfach getan, weil „die Band“ das eben will. Ich muss da noch etwas genauer drüber nachdenken, aber irgendwie hat „die Band“ schon fast ein Eigenleben entwickelt. Das wirkt sich vor allem auf die Planung der Freizeit aus, die sich zum absolut größten Teil ohne Rücksicht auf Verluste nach der Band richtet. Wenn wir zum Beispiel einen Konzerttermin reinbekommen, dann gibt es nicht die Frage: „Habe ich da irgendetwas vor?“ Es heißt vielmehr: „Habe ich da irgendetwas vor, das so wichtig ist, dass ich es wirklich nicht ausfallen lassen kann?“ Und da akzeptiert „die Band“ nicht gerade vieles als Absagegrund. Wer damit Probleme hat, macht das nicht lange mit bei uns, haha.
Ok, zum Abschluß beschieße ich dich noch mit ein paar Stichwörtern! Los geht es mit: 5 Millionen Arbeistlose.
Tja, in der Tat ein großes Problem. Nur weiß ich nicht, wie man das beheben könnte. Deswegen hüte ich mich auch davor, auf unserer Regierung rumzuprügeln. Dazu hat nur der ein Recht, der weiß, wie man es besser machen könnte. Ich bezweifle aber, dass die Opposition das weiß. Von Krüppelparteien wie der NPD ganz zu schweigen.
Vergleich Online/Print-Magazine
Hat beides was für sich. Online-Zines sind aktueller, Print-Zines sind angenehmer zu lesen. Außerdem kann man sie überall hin mitschleppen und seinen Kumpels ausleihen. Letzten Endes zählt sowieso, was die Schreiber draus machen.
Tsunami
Es ist eigentlich angesichts der Opfer zu flapsig, das so zu sagen: Aber da hat uns Mutter Natur mal wieder gezeigt, wo der Hammer hängt! Die Spendenbereitschaft war offenbar überwältigend. Ich frage mich so ein bisschen, warum gerade diese Katastrophe soviel Hilfsbereitschaft hervorgerufen hat. Das hängt neben dem großen Ausmaß bestimmt auch damit zusammen, dass sich das um die Weihnachtszeit ereignet hat. Vielleicht ahnen wir aber auch, dass solche Naturkatastrophen – jetzt vielleicht nicht unbedingt eine Flutwelle – jeden treffen könnten, auch uns.
Studiengebühren
Mich betrifft das ja nicht mehr. Aber was ich für Langzeitstudierende befürworte, halte ich als generelle Studiengebühr für gefährlich. Also: Dagegen! Ich sehe natürlich, dass die Hochschulen Geld brauchen. Aber ich glaube nicht, dass das Problem dadurch gelöst wird, dass die Studenten Gebühren bezahlen, von denen man gar nicht weiß, wo sie hinkommen und wie sie, falls sie an die Hochschulen kommen, verteilt werden. So oder so finde ich Gebühren von 500 Euro pro Semester, wie sie im Moment in Baden–Württemberg geplant, sind zu hoch. Ganz abgesehen davon, dass es dabei nicht bleiben wird, sondern dass man da vermutlich alle paar Semester noch ordentlich was drauflegt. Letzen Endes ist es so: Für den einzelnen Studenten kann das ein riesiges Problem werden. Die staatlichen Finanzprobleme wird es aber kaum lösen, weil die durch Gebühren eingetriebenen Gelder nur ein Tropfen auf dem heißen Stein bleiben werden. Ich kenne viele Leute, die damit finanziell überfordert wären, gerade in einer Stadt wie Heidelberg, wo Du schon für ein WG-Zimmer mit 10 Quadratmetern mindestens 200 Euro Miete abdrücken musst. Und die Finanzierungsmodelle mit Darlehen, die im Moment diskutiert werden, halte ich für nicht überzeugend. Dann kommen die Leute, die auch noch Bafög erhalten haben, aus dem Studium und stehen erstmal vor einem Schuldenberg, der sich aus Bafög– und Studiengebührendarlehen zusammensetzt. Da wird sich so mancher, der vielleicht auch finanziell bescheideneren Verhältnissen kommt, zweimal überlegen, ob er studieren soll oder überhaupt kann. Und wenn er nicht studieren kann, dann braucht er auch kein Abitur machen. Dann werden nur noch die Wohlhabenden ihre Kinder aufs Gymnasium und auf die Uni schicken. Und davor kann man doch nur warnen. Die reichsten Leute sind nicht immer auch die klügsten! Das sieht man an G. W. Bush, der wohl kaum aufgrund seines Intellekts, sondern nur dank seines reichen Papas an einer renommierten Uni seinen Abschluss machen konnte.
Schnappi
Das ist komplett an mir vorbeigegangen! Ich hab das vor einigen Wochen überhaupt zum ersten Mal bewußt gehört. Interessanter als dieses Lied oder die Tatsache, dass es ein Hit geworden ist, ist eher, wie es dazu kam. Ein Song kursiert zunächst ziemlich lange als heimlicher Hit im Internet und wird erst danach offiziell veröffentlicht. Ich könnte mir vorstellen, dass irgendwelche klugen Köpfe in den Plattenfirmen das Modell zu kopieren versuchen werden.
Bier
Es gab eine Zeit, da habe ich Bier getrunken, weil ich dem Gruppenzwang nichts entgegenzusetzen hatte. Geschmeckt hat es mir aber nicht. Dann gab es eine Zeit, in der es mir besser geschmeckt hat, als so manches Mal gut für mich war, haha. Und seit einiger Zeit lebe ich weitgehend abstinent. Ich habe so gut wie nie Alkohol im Haus und trinke auch sonst nur sehr selten. Aber wenn, dann kann’s schon auch mal etwas mehr werden, haha. Das kommt aber fast nur noch vor, wenn ich mit der Band unterwegs bin. Irgendwie haben die Jungs einen schlechten Einfluss auf mich.
Redakteure, die zu viele Fragen stellen
Gibt es eigentlich nicht, denn es ist ihr Job, soviel zu fragen, wie nötig ist.
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