Existent
Wir sitzen voll in der Scheiße
Interview
EXISTENT lassen das „Kartenhaus“ in Flammen stehen. Mit klarer Kante und Meinung zu aktuellen Themen treten die Hamburger auf das Gaspedal und bringen mit ihrem neuesten Release in modernem Rock verpackt einiges auf den Tisch, was nicht unter den Teppich gekehrt werden darf.
Die Band aus dem Norden verschärft damit nach ihrem Debüt deutlich die Tonlage. Lauter, deutlicher, härter, rauer. Rock trifft auf moderne Metalelemente und wir treffen auf Basser Jonas. Warum diese Härte notwendig war, warum das Thema der Platte richtig und wichtig ist, klären wir im Gespräch inklusive der Tatsache, dass die Band eigentlich aus einem Haufen lustiger Jungs besteht, die aber eben manchmal musikalisch gehörig austeilen wollen und müssen. Am Ende halten wir noch eine kleine Verlosung für euch parat, damit ihr euch selbst ein Bild vom „Kartenhaus“ machen könnt.
Mit der EP „Kartenhaus“ meldet ihr euch wieder zurück. Diesmal etwas düsterer und fast schon verbittert. Wie ist die Idee zu „Kartenhaus“ entstanden? Was gab euch den Schub für diese EP?
Hmm, ich denke, dass da eine Art Verbitterung schon dazu beigetragen hat, dass wir diese EP so gemacht haben, wie sie am Ende geworden ist. Diese Verbitterung tritt wahrscheinlich bei vielen Menschen mehr oder weniger ausgeprägt auf, wenn man erwachsen wird.
Die Richtung war also zunächst keine bewusste Entscheidung, sondern hat sich ein bisschen vor sich hin entwickelt. Aber uns wurde dann bewusst, dass unsere Songs thematisch ernster wurden und auch dementsprechend musikalisch anders klangen, haben wir dann geschaut, dass wir daraus ein gutes Paket an Themen schnüren, die uns beschäftigen, um da eine EP draus zu machen. Die Metapher des einstürzenden Kartenhauses lässt sich ja auch gut auf die Inhalte der anderes Songs übertragen – sei es, dass das eigene persönliche Kartenhaus aufgrund von Überlastung wie bei “Tick Tack” in sich zusammen fällt, das Kartenhaus aus “Panik” eingetreten wird oder alles aufgrund von politischen Umständen (“Im Freien Fall”) oder persönlichen Schicksalsschlägen (“Das Haus Am Ende Dieser Straße”) ins Wanken gebracht wird.
„… Eine Art Verbitterung hat dazu beigetragen…“
Man könnte sagen, ihr habt in den letzten Jahren in einer Art „Findungsphase“ gesteckt. Was waren bisher die schwierigsten Stolpersteine, die es aus dem Weg zu räumen galt?
Zum einen ist da natürlich Zeit ein krasser Stolperstein geworden. Als wir gestartet sind, waren wir noch Schüler, später dann Studenten. Da hatten wir mehr Zeit für Musik und konnten uns diese auch recht flexibel einteilen. Jetzt arbeiten wir alle, haben Haushalte zu führen, Freundinnen etc.. Zum anderen ist die Stilfindung eine sehr langwierige Angelegenheit gewesen, da sich der individuelle Musikgeschmack von jedem natürlich auch verändert hat und das so im Durchschnitt bei uns schon eher weg von der Musik, die wir auf dem ersten Album gemacht haben. Dass sich Julian zwischendurch ein Jahr ins Ausland verabschiedet hat und die Trommler bei uns bisher nicht so beständig waren, hat den ganzen Prozess natürlich noch deutlich verzögert.
Eure Texte sind ernster und sprechen sehr aktuelle Themen an: Vom Klimawandel bis hin zum Faschismus in Deutschland. Habt ihr das Gefühl, es wird nach wie vor noch zu wenig getan? Noch zu wenig Stellung bezogen und Meinung gesagt?
Es wird zu viel gesagt und zu wenig gemacht bzw. nicht das richtige gemacht. Beim Klimawandel stecke ich da jetzt mehr drin als in der systematischen Bekämpfung von Rechtsextremismus, aber im Endeffekt kann für beides gesagt werden, dass zu viel Symbolpolitik gemacht wird, damit sich die Leute wohlfühlen etwas getan zu haben. Den wenigsten ist klar, was notwendig ist – sowohl gesellschaftlich als auch individuell – um zum Beispiel den Klimawandel in den Griff zu kriegen, weil in der Politik für die Wähler und ihren Wohlstand jetzt gearbeitet wird und nicht für die Zukunft.
„…Es wird zu viel gesagt und zu wenig gemacht…“
Und wir als junge Leute sitzen da jetzt voll in der Scheiße – also nicht nur umwelttechnisch, sondern auch was die Gesellschaft in Sachen Rechtsruck, Migration, Rente usw. angeht. Da hätte häufig schon weit vor unserer Geburt gehandelt werden müssen und es hätte häufig auch gehandelt werden können. Es wurde aus Kurzsichtigkeit nur unzureichend gehandelt. Es ist immer noch quasi die gleiche Suppe an der Macht und es haben Gruppen großen Einfluss, die auf ihren eigenen kurzfristigen Vorteil schauen, die eine vernünftige Aufarbeitung und Reflexion der Vergangenheit unterbinden. Das Zögern in der Vergangenheit führt heute dazu, dass die Lösungen immer schwerer, radikaler oder konsequenter sein müssen, was die Gesellschaft spaltet.
Warum habt ihr inhaltlich für euch diesen Weg gewählt? Texte über die Gesellschaft z.B. anstatt Texte über die letzte Liebe?
Es stört uns einfach ziemlich viel ziemlich doll. Das muss raus. Nicht nur in Gesprächen unter Freunden, sondern auch in Form von Musik. Damit geben wir ja auch anderen die Möglichkeit durch das Hören der Musik ihren Ärger über diese Themen rauszulassen oder noch besser, Menschen überhaupt auf die Themen aufmerksam zu machen und zum Nachdenken zu bringen. Es wird auch weiterhin Songs über Liebe, gekühlte Getränke und so weiter geben – diese Sachen sind ja weiterhin ein Teil unseres Lebens und aus dem Leben ziehen wir die Inspiration für unsere Musik. Aber das wird einen deutlich kleineren Teil der Songs ausmachen und ein Sauflied hätte auf die EP auch nicht so richtig drauf gepasst.
„…Ein Sauflied hätte nicht auf die EP gepasst…“
Wenn ihr eine Machtposition inne hättet, was würdet ihr ändern oder bevorzugt verbessern?
Also ein Maßnahmenkatalog würde an dieser Stelle wohl den Rahmen sprengen, aber kurz zusammengefasst wären es Maßnahmen, Akzeptanz für notwendige Veränderungen zu schaffen, die aktuell häufig nicht gegeben ist. Die Leute müssen abgeholt und mitgenommen werden. Sonst schafft man es zwar möglicherweise die richtigen Schritte einzuleiten, diese werden aber später wieder Rückgängig gemacht oder man treibt die Spaltung der Gesellschaft weiter voran, was einen zukünftigen Konsens unmöglich macht. Jemand auf dem Land mag vielleicht verstehen, dass das Autofahren reduziert werden muss, da auch E-Autos keine dauerhafte Lösung sind, hat ja aber wenig Anreize sich dafür einzusetzen, wenn es keine vernünftige Alternative gibt, um weiterhin am öffentlichen Leben teilzunehmen. Dann schafft man es auch die Symbolpolitik zu überwinden und im weiteren wirklich wirksame Maßnahmen umzusetzen.
„…Die Leute müssen abgeholt und mitgenommen werden…“
Deutsch-Rock, Modern Metal, Punk? Wie würdet ihr euren Stil und eure EP beschreiben. Welche Worte passen am besten zu euch?
Das ist jetzt tatsächlich die schwerste Frage bisher, denn so eindeutig hört man das ja jetzt nicht bei den Songs bzw. ist ja teilweise auch von Song zu Song sehr unterschiedlich. Deutsch-Rock machen wir ja allein schon dadurch, dass wir Rockmusik machen und auf deutsch singen – ob man den Begriff und was andere damit teilweise assoziieren gut findet oder nicht. Punk-Einflüsse kommen da natürlich auch immer Mal wieder zum Vorschein. Neu ist bei den Songs jetzt vor allem der moderne Metal-Einfluss, der auf der Platte so das prägendste ist. Bei Metal oder dem Begriff Modern Metal ist halt aber das Problem, dass es da kaum deutschsprachige Bands gibt, sodass das auch nicht so richtig passt.
Es wäre zwar einfacher, wenn es einen präzisen Genre-Begriff gäbe, der super passt, aber den gibt es zum jetzigen Zeitpunkt wohl nicht.
Wer euch noch nicht kennt, und dem ein oder anderen wird es so gehen: Was muss man über EXISTENT wissen?
Das ist natürliche erstmal ein riesiger Skandal, wenn man uns noch nicht kennt, aber okay…Auch wenn das Interview aufgrund der angesprochenen Themen jetzt nicht sooooooo fröhlich ist, sind wir an sich schon ganz lustige Typen, mit denen man am Merchstand oder wo auch immer uns antrifft auch Mal ein Bier trinken kann (der Vorteil, wenn einen noch nicht so viele Leute kennen). Ansonsten hört gerne bei YouTube oder Spotify in unsere neue EP “Kartenhaus” rein und dann sehen wir uns hoffentlich zeitnah beim nächsten Konzert oder Festival. Da sind uns alle weltoffenen Menschen willkommen.
„…Wir sind schon ganz lustige Typen…“
Habt ihr noch letzte Worte an die metal.de-Leser:innen?
In Hamburg sagt man “Tschüß”. Das Interview hat sehr viel Spaß gemacht, was in erster Linie der tollen Redakteurin zu verdanken ist. Diese könnte ihre Arbeit aber nicht so gut machen, wenn sie nicht eine tolle Community hinter sich hätte.
Jetzt gibt es noch etwas zu gewinnen:
Damit du dir jetzt selbst einen Eindruck von EXISTENT machen kannst, möchten wir dir die Möglichkeit geben eines von insgesamt zwei Exemplaren der aktuellen EP „Kartenhaus“ zu gewinnen.
Um deinen Namen in den Lostopf zu werfen, musst du nichts weiter tun, als die Felder unter diesem Artikel auszufüllen.
Der Gewinner wird am Freitag, den 30. Juli ausgelost und schnellstmöglich auf dem Postweg beglückt.
Vergiss bitte auf keinen Fall, deine Email-Adresse anzugeben und diese auch zu bestätigen. Der Rechtsweg ist wie immer ausgeschlossen.
Bitte beachte: Nach Absenden des Formulars erhälst du von uns eine Email. Den enthaltenen Link musst du anklicken, um deine Email-Adresse zu bestätigen. Erfolgt dies nicht, können wir deine Beteiligung am Gewinnspiel aus rechtlichen Gründen nicht berücksichtigen!
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