Evergrey
"Es ist einfach, Scheiße mit einer Menge Schokolade zu kaschieren, aber dann ist darunter immer noch Scheiße."

Interview

Normalerweise klingen EVERGREY auf der einen Seite super melodisch, auf der anderen Seite benutzt Ihr diese rauen, tief gestimmten Riffs, die mich teilweise sogar an moderneren Groove Metal erinnern. Ist das Dein Einfluss oder der von Tom?

Naja, tatsächlich bin ich sogar derjenige, der die sieben Saiten bei EVERGREY eingeführt hat, obwohl ich heutzutage stattdessen eine normale Gitarre mit Pedal spiele, da mir der Siebensaiter nicht mehr so wirklich gefällt. Trotzdem möchte ich heutzutage viele normal gestimmte Riffs spielen, um danach auch noch den Siebensaiter den wir haben hinzuzufügen, da er einfach so ein wichtiger Teil des EVERGREY-Sounds ist. Ich kombiniere also mein normales Tuning, damit ich während der Riffs ein bisschen mehr shredden kann und danach fügen wir sowohl Toms stark herunter gestimmte Gitarre als auch mein Pedal in den Refrains hinzu. So schaffen wir es, ein nochmal anderes Riffing zurückzubekommen, da ich auch bereits seit vier oder fünf Jahren wirklich täglich übe und spiele. Im Moment macht es auch richtig Spaß, da Tom und ich gerade die neuen Riffs zusammen lernen, wir haben uns sogar heute schon getroffen. Wir werden definitiv ein paar Ärsche treten, wenn wir losziehen. Wir möchten, dass unsere Fans stolz auf uns sind. Vor allem müssen wir natürlich auf uns selbst stolz sein. Deshalb haben wir dieses Mal sehr früh angefangen uns vorzubereiten. Wir werden also wirklich sehr gut vorbereitet sein, wenn es los geht.

Was mir beispielsweise extrem gut gefallen hat ist, dass Ihr in „Say“ ein Prog-Rock bzw. Rock’n’Roll-Riff, Twin-Leads und sogar eine Hammond-Orgel verwendet und trotzdem klingt der Song 100% nach EVERGREY. Ich vermute mal, dass es Euch wichtig war, nicht bloß einen einfachen Rock Song daraus zu machen, aber wollt Ihr Euch künftig weiter in diese Richtung bewegen?

Ich würde diese Songs nicht „simpel“ nennen, ich würde sagen, sie sind „direkt“. Mir ist klar, dass ich in hohem Maße dafür verantwortlich bin, dass EVERGREY über die Jahre viele progressive Biegungen und Wendungen vollführt hat. Daran ist auch nichts falsch. Jetzt möchte ich einfach von A nach B kommen, was aber natürlich immer noch großartig sein muss. Ich persönlich spiele sehr gerne Songs wie „Call Out The Dark“, also diese etwas poppigeren, positiven Songs. Gleichzeitig bin ich aber auch ein Metalhead. Der Grund warum ich mir damals einen Siebensaiter zugelegt habe ist, dass ich MESHUGGAH, STEVE VAI, KORN und FEAR FACTORY liebe. Lass uns also nicht vergessen, dass ich auch ein Metalhead bin, auch wenn der Rock-Typ in mir immer sichtbarer wird, je älter ich werde, denke ich. Scheidungen, Kinder, neue Ehefrauen, all diese Dinge im Leben lassen dich natürlich anders spielen. Dieses emotionale Ding ist für mich mittlerweile sehr wichtig, aber ich liebe es auch zu shredden. Es ist immer wichtig zu shredden (lacht).

In der Liste von Bands, die Du gerade erwähnt hast, könnten auch PERIPHERY fehlen, da Ihr für das Mischen dieses Mal mit Adam „Nolly“ Getgood (ex-PERIPHERY) zusammengearbeitet habt. Habt Ihr Euch speziell gewünscht mit ihm zu arbeiten, oder wie kam es dazu?

Ich wusste, dass er für einige Jahre bei PERIPHERY gespielt hat, allerdings ist mein Wissen zu PERIPHERY ziemlich limitiert. Ich denke vieles von dem, was sie gemacht haben ist ziemlich cool, aber Nolly hat einfach ein großes Wissen. Er half uns sehr beim Feintuning von all dem Zeug, dabei den Sound auf ein neues Level zu heben. Ich habe ihn an zwei Tagen getroffen, er war sehr nett, ein Nerd, genau wie ich. Er ist ein sehr begabter Musiker und ein höllisch guter Gitarrenspieler. Wir fühlen uns geehrt, dass er mit uns arbeiten wollte und das war ein wirklich cooles Projekt.

Konzertfoto von Evergrey - European Tour 2022

Henrik Danhage in seinem Element.

Lass uns ein wenig über Soli sprechen. Soli haben immer eine wichtige Rolle bei EVERGREY gespielt, vielleicht ein bisschen weniger auf dem neuen Album. Wie entscheidet Ihr eigentlich wer welches Solo in welchem Teil eines Songs spielt?

Dieses Mal habe ich das Tom und Jonas entscheiden lassen. Weil wir uns schon so lange kennen, kennen wir auch unsere Schwächen. Es ist einfach, den Überblick zu verlieren über das, was man gerade macht. Vielleicht ist es es nicht wert, zwei oder drei Tage an einem Keyboard Sound oder einem bestimmten Songteil zu arbeiten, denn je mehr Du daran arbeitest, desto mehr bist Du absolut sicher, dass dies jetzt genau der richtige Sound oder Songteil sein muss. Wenn ich also von außerhalb dazu komme, kann das öfters bedeuten, dass ich das Arschloch sein muss das sagt, dass dieser Teil tatsächlich einfach nicht gut ist. Das hat mir auch gezeigt, dass es wichtig ist, dass ich während der Aufnahmen häufiger dabei bin, einfach auch aus Respekt für die anderen Jungs. Es ist immer frustrierend jemandem sowas zu sagen, aber offensichtlich noch frustrierender, das von jemandem zu hören, der nicht dabei war, nicht all diese Stunden in einen Chor oder so gesteckt hat. Wir müssen uns also gegenseitig vertrauen und verstehen, dass jeder in der Band die Band voranbringen möchte und das tun möchte, was für die Band am besten ist. Ganz besonders wenn wir nicht einer Meinung sind, muss man sich das ins Gedächtnis rufen. Selbst das blödeste, was aus dem Mund eines anderen Bandmitglieds kommen mag ist etwas, von dem er glaubt, dass es die Band besser macht, denn keiner von uns ist dumm. Es ist immer einfach zu sagen, dass man sich nur für das Endresultat interessiert, denn wenn Du von etwas angepisst bist und Dein Ego durch kommt, ist das plötzlich nicht mehr so klar. Erst dann weißt Du wirklich, inwieweit Du Dein Ego im Griff hast.

Aber, wenn Du ein Solo beisteuerst, schreibst Du das individuell für einen fast fertigen Song oder nutzt Du eher Ideen, die Du vorher bereits hattest?

Dieses Mal hatte ich das Gefühl, dass ich alle Soli zusammen mit Jonas einspielen möchte. Wir haben immer so viel Spaß dabei, er genießt es und ich auch. Für dieses Album nahmen wir also die Soli zusammen auf, während ich sie auf den beiden vorigen alleine in meinem eigenen Studio aufgenommen habe, abgesehen von „Save Us“ von „A Heartless Portrait“, was wir bereits zusammen gemacht hatten. Normalerweise komme ich frisch ins Studio und wir fangen an herumzubasteln, vielleicht habe ich mir den Part vorher schon ein paar Mal angehört. Heutzutage versuche ich, sehr aufmerksam auf einprägsame Hooks in dem Teil zu achten, den ich respektloserweise die „Hintergrundmusik“ nenne. Das ist deshalb so wichtig, weil man, wenn man sich dazu entscheidet ein Solo hinzuzufügen, sich auch auf das Solo fokussieren sollte, selbst wenn das bedeutet, dass man einige Noten der „Hintergrundmusik“ ändern muss, damit es passt. Manchmal spielst Du auch einfach das Solo ein und baust hinterher den kompletten Part darum auf. In vielen großen Soli war es auch sicher kein Glück, dass sie so den Nagel auf den Kopf getroffen haben.

Heutzutage höre ich mir in der Regel die „Hintergrundmusik“ ein paar Mal an, so dass ein paar Ideen in meinem Kopf herum schwirren, statt mir einfach irgendwelche Noten aus dem Ärmel zu schütteln. Ich denke es ist besser, vorher rein zu hören und zu wissen in welcher Tonart ich bin, damit ich zum Beispiel überlegen kann, ob ich leere Saiten benutze, oder so etwas in der Art. Wenn es beispielsweise e-Moll ist, dann sehe ich schon vor meinem inneren Auge alle Griffe, die ich verwenden könnte. Wenn ich ins Studio komme, habe ich also schon so eine Art Idee, habe die Idee aber noch nicht umgesetzt und es wird schnell klar, ob die Idee gut oder schlecht ist. Das ist schon cool, das mittlerweile so machen zu können, praktisch eine Art Pre-Production im eigenen Kopf, statt der Noten aus dem Ärmel. Live spiele ich Soli auch immer nur so ähnlich wie die aufgenommene Version – ich würde mich niemals hinsetzen und denken, dass das genau die Art ist, wie ich es jetzt jeden Abend machen muss, das würde mir den ganzen Spaß an der Sache nehmen. Wenn jemand es Note für Note genau so lernen möchte, wie es auf dem Album ist, fühl Dich frei das zu machen und hab Spaß dabei, aber das ist nicht was ich machen möchte.

Ich kann mich noch ziemlich gut an einen Deiner Live-Solo-Parts erinnern, das war auf der Tour zum „The Atlantic“-Album, in einem Laden der „Logo“ heißt, in Hamburg. Dieser Abend war einer von nur sehr wenigen, wenn nicht sogar der einzige, an dem ich dort eine Band mit wirklich gutem Sound gesehen habe. Ich nehme also an, Ihr habt Eure eigenen Sound-Leute dabei?

Ja, immer. Das ist so offensichtlich, wenn man genau hinhört, aber wenn man sich darüber als Band keine Gedanken macht, hat man wirklich ein Problem. Das ist etwas, was mir Björn Gelotte von IN FLAMES, der ein guter Freund ist, schon sehr früh klar gemacht hat, als sie bereits viele Menschen angezogen haben und eine größere Crew hatten, wir aber noch nicht: „Das wichtigste ist, den Soundmann zu bezahlen.“ Wir hatten das zu diesem Zeitpunkt noch nicht richtig verstanden, aber natürlich musst Du direkt von Beginn an einen geilen Sound haben, alles andere ist zweitrangig. Er hatte damit komplett Recht und das ist auch ein Grund dafür, warum sie so erfolgreich sind. Deshalb gehen wir immer sicher, dass wir „unsere Jungs“ bei den Shows mit dabei haben und sie glücklich sind. Es fühlt sich einfach gut an, immer dieselben Leute um sich herum zu haben, dann können wir uns entspannen, weil sich darum gekümmert wird und uns darauf konzentrieren, wofür wir da sind, nämlich eine tolle Show zu spielen.

Ein Lob also an Eure Soundleute, sie machen einen tollen Job. Vielen Dank für Deine Zeit, Henrik. Es hat echt Spaß gemacht, mit Dir zu quatschen.

Ja, das hat Spaß gemacht, vielen Dank!

Titelbild: Patric Ullaeus

Galerie mit 17 Bildern: Evergrey - European Tour 2022

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Quelle: Interview mit Henrik Danhage / Evergrey
06.06.2024

"Time doesn't heal - it only makes you forget." (Ghost Brigade)

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