Evanescence
Digitale Zusammenkunft

Interview

EVANESCENCE laden zur digitalen Pressekonferenz zum neuen Album „The Bitter Truth“, welches kürzlich das Licht der Welt erblickte und die erste neue Musik der Band seit gut zehn Jahren darstellt. Aufgrund der hohen Teilnehmerzahl aus aller Welt, übernimmt die britische Musikjournalistin Sophie K. die Moderation und das Interview.

Das Interview gliedert sich in drei Teile. Zuerst wird Amy Lee zu den Hintergründen des Albums befragt, dann kommt Gitarrist Troy McLawhorn hinzu und spricht ein wenig über die Produktion des Albums. Anschließend dürfen wir einer exklusiven Performance des neuen EVANESCENCE-Hits „Use My Voice“ lauschen, bevor es zu einem Q&A-Teil übergeht, in welchem Sophie K. zuvor eingesandte Fragen der Teilnehmer*innen an Amy stellt. Leider ist unsere Frage nicht mit dabei, aber trotzdem erfahren wir viel über das neue Album.

EVANESCENCE – Interview mit Amy Lee

Nach einem kleinen Intro legen Sophie und Amy direkt los, beide sind sehr gut aufgelegt und gerade Amy merkt man an, dass sie sehr aufgeregt ist, den Fans das neue Album zu präsentieren. „Wir brauchen immer eine lange Zeit, um unsere Musik herauszubringen“, erläutert sie. „Auch wenn wir natürlich keine zehn Jahre an dem Album geschrieben haben, ist eine Menge Zeit vergangen und wir fingen schon vor zehn Jahren an, einige der Songs zu schreiben, die wir jetzt fertiggestellt haben.“

Natürlich erläutert Amy auch, dass es seltsam für die Band ist, das Album nicht mit einer Tour zu promoten, aber sie findet es spannend, wie die Leute kreativ werden, um trotzdem in Kontakt zu bleiben. Mit einem Grinsen im Gesicht verrät sie, dass sie sich gerade um Album-Releases herum gerne in Social Media herumtreibt, um zu lesen, was die Fans von dem neuen Werk denken. Sie bezeichnet sich als „kleiner, stummer, seltsamer Troll, der die Meinungen anderer Leute verfolgt“.

„Ich bin nicht immer die Person, die ständig in die Abgründe meines Herzens hinabsteigt“

„The Bitter Truth“ ist ein sehr persönliches Album geworden und es war nicht immer einfach für Amy, sich an die Orte zu begeben, an denen sie Inspiration für das Schreiben findet. Als die Pandemie dazu kam, war das Schreiben am Album ein heilender Prozess für sie. „Ich glaube, wenn ich nicht dieses Album zu schreiben gehabt hätte, wäre ich verrückt geworden“, reflektiert sie das Jahr 2020.

Amy ist sich bewusst, dass die Musik von EVANESCENCE auch vielen Fans Halt gibt und sie zeigt sich sehr dankbar dafür, dass die Fans der Band nach all den Jahren noch die Treue halten. Sie teilt eine ihrer Lieblingsanekdoten über den Kontakt mit den Fans. „Als wir noch nicht lange dabei waren und alles so schnell ging, spielten wir in Athen ein Open Air in einer Art Krater. Wir spielten ‚My Immortal‘ und ich hatte meine Augen geschlossen. Als ich sie öffnete, sah ich in ein Lichtermeer aus Feuerzeugen, zum einen von den Fans vor der Bühne, aber auch von Fans, die kein Ticket mehr für die Show bekamen. Die sind auf die umliegenden Felsen geklettert, um die Show zu verfolgen. Es war Wahnsinn, ein Meer aus Lichtern.“

„BODY COUNT waren nicht gerade auf meiner Liste der Leute, mit denen ich ein Feature aufnehmen wollte“

„Ich bin sehr offen, was Zusammenarbeiten angeht. BODY COUNT waren definitiv nicht auf meiner Wunschliste, aber als ich das Thema des Songs hörte, dachte ich: ‚Das ist eins meiner Themen!‘ und es hat mir sofort gefallen.“ reflektiert Amy die Zusammenarbeit mit der Band um Ice-T auf deren aktuellen Album „Carnivore“.

Troy McLawhorn spricht über die Produktion von „The Bitter Truth“

„Für die Fans zu Hause ist es sicherlich ein Geschenk, neue Musik ihrer Lieblingsbands zu hören“, stellt Moderatorin Sophie K. fest und fragt den dazugestoßenen Troy McLawhorn, ob die härteren Momente des Albums von der Pandemie beeinflusst wurden. Troy ist mit der Frage allerdings etwas überfordert und meint „Puh, das ist eine schwere Frage, vielleicht kann Amy das beantworten.“

Diese holt etwas weiter aus und erklärt, das sie nach dem Orchesterprojekt „Synthesis“ definitiv wieder bereit waren, richtig rockige Tracks zu schreiben. Troy ergänzt, dass die Pandemie das Ganze etwas verkompliziert hat, da sie alle sich regelmäßigen Tests unterziehen mussten, sie an verschiedenen Orten leben und die Treffen genauestens planen mussten. Zudem konnte Gitarristin Jen Majura bei den Aufnahmen kaum dabei sein, da sie in Deutschland lebt.

Die Pandemie hat das Album zu einer Art Familienprojekt gemacht. So mussten die Bandmitglieder für bestimmte Teile der Produktion Partner*in und Kinder einspannen, beispielsweise um Videos zu produzieren. In „Use My Voice“ sind Familienmitglieder von EVANESCENCE im Refrain zu hören.

„‚The Bitter Truth‘ hört sich an wie ein Album voller Singles“

„Wir haben noch viele Fragmente aus dem Albumprozess übrig, aber wir haben nur die Essenz der besten Songs auf das Album gepackt“, rekapituliert Amy. Es sind nach der Entstehung des Albums keine kompletten Songs übrig geblieben, weswegen sich das Album laut ihr wirklich wie eine Aneinanderreihung von potentiellen Singles anhört.

Über die Einflüsse, die die Band während der Zeit hatte, spricht Amy, dass sie immer noch ein Fan des Album-Formats ist. Einer ihrer Favoriten ist das aktuelle Album von BILLIE EILISH, an welchem sie die Düsternis so schätzt. Wie EVANESCENCE im Allgemeinen wurde „The Bitter Truth“ aber auch vom Alternative Rock und Grunge der Neunziger Jahre beeinflusst. Außerdem spricht sie in hohen Tönen von BRING ME THE HORIZON, von welchen sie ein großer Fan geworden ist, seitdem sie sich für das Feature intensiver mit der Band beschäftigt hat.

Die Q&A-Session

Nach einer Bandperformance von „Use My Voice“, die die einzelnen Mitglieder getrennt voneinander zu Hause aufgenommen haben, geht Amy Lee zum Beantworten der Fragen der Zuschauer*innen über.

Auf die Frage, wie der Livestream letztes Jahr im September lief, reflektiert Amy, dass es natürlich auch das erste Mal war, dass die Band so etwas versucht hat. „Es war cool, einen Weg zu finden, eine richtige Liveperformance abzuliefern.“ erzählt sie. „Es fühlte sich so an, als wären wir wirklich zusammen.“

„Far From Heaven“ war ein Song, für den Schreibprozess nicht ohne Schwierigkeiten ablief. Amy erinnert sich, dass es hart für sie war, das Stück zu schreiben, die Worte des Textes auf Papier zu bringen. „Die Kraft, aus etwas Schlechtem etwas Gutes zu schaffen, gibt dir einen Sinn im Leben und es fühlt sich an wie Hoffnung auf eine bessere Zeit als die, in der du gerade lebst.“

„Mutter zu werden, öffnet Seiten von dir, von denen du nicht wusstest, dass sie existieren“

Die Inspirationsquellen zum Schreiben von „The Bitter Truth“ seien zu vielfältig gewesen, um sie alle zu benennen, aber einen großen Einfluss hatte die Geburt von Amys Sohn Jack. „Vielleicht existierten diese Seiten von dir schon immer, wurden durch das Mutter werden auf ein neues Level gehoben“, meint Amy über die Geburt ihres Sohnes und die damit verbundene Veränderung in ihrem Leben.

Die Zusammenarbeit mit Sharon Den Adel (WITHIN TEMPTATION), Taylor Momsen und Lizzy Hale fühlte sich für Amy an, wie ein Zusammentreffen von Schwestern, die zusammen etwas Großes schaffen. Die Botschaft sollte sein, dass man zusammen stärker ist als alleine.

Angesprochen auf die Frage, was für Tipps sie für Frauen im Rockbusiness hat, antwortet sie, dass man einfach wirklich man selber sein sollte. „Die Welt besteht aus mehr als weißen Männern und auch Hard Rock kann mehr sein als Kerle mit vielen Tattoos. Veränderung braucht Zeit.“ Sie sieht aber eine Veränderung in der Szene und je mehr unterschiedliche Persönlichkeiten es gibt, desto mehr werden davon in Zukunft existieren und die Szene bunter und diverser machen.

„Singles sollen normalerweise Leute erreichen, die nicht unbedingt unsere Fans sind“

Die Band hatte für „The Bitter Truth“ eine andere Herangehensweise für die Veröffentlichung von Singles aus dem Album. „Normalerweise ist es in der Musikindustrie so, dass du überlegst, welcher Song das richtige Tempo hat, den richtigen Stil, um die Leute mitzureißen. Welches Lied passt, um auch Nicht-Fans auf uns aufmerksam zu machen. Eigentlich sollte nicht ‚Wasted On You‘ die erste Single des Albums werden, sondern ‚Use My Voice‘. Aber als die Pandemie uns alle traf, passte die Message des Songs nicht, also änderten wir es.“ Die Singles des Albums wurden dieses Mal danach ausgewählt, welche Botschaft die Lieder rüberbringen sollten. Doch auch ohne Pandemie wäre das Album vermutlich nicht allzu anders geworden. Die Pandemie hat aber ein Feuer innerhalb der Band entfacht, die das Projekt für sie zu etwas noch Wichtigerem gemacht haben als es ohnehin schon war.

Zum Abschluss wurde Amy noch gefragt, wie sie ihre Stimme nach all den Jahren immer noch so gut schützt, dass sie sich nicht verändert. „Ich finde schon, dass sie sich verändert hat. Wenn ich heute ‚Fallen‘ höre, finde ich, dass sich meine Stimme anhört, als wäre sie auf Helium. Ich mag meine Stimme heute viel lieber als damals. Gebt einfach euer Bestes und mit der Zeit wird eure Stimme sich entwickeln.“

Quelle: Evanescence Press Event für "The Bitter Truth"
28.03.2021

Redakteur für alle Genres, außer Grindcore, und zuständig für das Premieren-Ressort.

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