Esoteric
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Interview
Seit 1992 bringen die Briten ESOTERIC ein Hammeralbum nach dem anderen auf den Markt und scheuen auch nicht davor zurück, auf einem Album die 100-Minuten-Marke zu durchbrechen. Auch das neue Album, “The Maniacal Vale“ stellt eine wahre Offenbarung für alle Doom-Fans da, und so ließ ich mir ein Interview mit Alphatierchen Greg Chandler natürlich nicht entgehen. Fast kryptisch wirken seine Antworten und man merkt, dass dieser Mann sehr überzeugt von seiner Kunst und seinen Mitstreitern ist.
Hallo Greg! Viele Journalisten gratulieren euch vermutlich zu eurem überlebensgroßen neuen Album. Ich tu’s nicht. Statt dessen danke ich euch für dieses gewaltige Stück Kunst, das “The Maniacal Vale“ darstellt, da es mir ein ganzes Universum aus Gedanken, Klängen und Emotionen enthüllt. War dies genau das Ziel, das ihr damit erreichen wolltet?
Danke, Johannes. Naja, es gibt bei uns kein spezielles Ziel, außer Musik zu machen, die wir mögen, die unserem Willen und unserem Wunsch entspricht, etwas zu erschaffen, das sehr persönlich und einzigartig ist, ohne musikalisch ausgetrampelten Pfaden oder Formeln zu folgen. Statt dessen versuchen wir, Emotionen, Stimmungen, Klanglandschaften und Erfahrungen unserer Seele einzufangen. Wir versuchen ständig, etwas ganz Besonderes für uns selbst zu erreichen mit unserer Musik und wenn es unsere innersten Gefühle berührt, haben wir das Ziel erreicht.
Fangen wir mit dem ersten Lied an, “Circle”. Um ehrlich zu sein, stand für mich die Wertung des Albums fest, nachdem ich die ersten zwei Minuten dieses Songs gehört hatte. “Circle“ ist einer der atmosphärischsten, abwechslungsreichsten und dynamischsten Songs auf dem Album und der perfekte Opener. Kannst du uns ein wenig mehr über die Entstehungsgeschichte und den Text dieses Stücks sagen?
Der Text von “Circle” handelt über den Teufelskreis der Depression und den Erfahrungen, die man in diesem Zustand macht oder machen kann. Es ist auch eine Reise in sich selbst, aber von einem externen Blickwinkel aus beschrieben. Im Wesentlichen bedeutet er, alles zu hinterfragen, sogar das Dasein an sich. Diese Konzepte vermischen sich in wandernden Gedanken.
Dieser Text erlaubt es mir auch, Bilder von Gedanken zu machen, und davon, wie stark Körper und Geist miteinander verknüpft sind und sich gegenseitig beeinflussen!
Und er erlaubt mir auch, diese Reise durch die verschiedenen Bewusstseinslagen zu beschreiben: der ruhelose Geist, die Schlacht zwischen Ambition und Selbstzerstörung,
aber auch, loszulassen. Der Song beschreibt darüber hinaus eine brennende Leidenschaft, verstört, aber fest entschlossen.
Was bedeutet der Titel “The Maniacal Vale” eigentlich und wofür steht er?
Ich habe lange darüber nachgedacht, welchen Titel ich für das Album nehme, bevor ich mich auf “The Maniacal Vale” festgelegt habe. Es war nicht leicht, etwas zu finden, das als generelle und umfassende Beschreibung passt. Das Wort “Maniacal“ (wahnsinnig) habe ich genommen, weil es dem Gefühl entspricht, das ziemlich oft in der Musik und den Texten auftaucht – eine manische Intensität, die dem Ganzen innewohnt. Und “Vale“ stammt von einem mittelenglischen Wort, das soviel bedeutet wie “eine lange, tiefe Furche in der Landschaft“, was ich als metaphorischen Ausdruck passend fand. Die moderne Bedeutung ist einfach “Ein Tal“ oder “Die Welt“ im Sinne von “sterbliches, irdisches Dasein“. Indem ich die beiden Wörter kombiniert habe, ergibt das einige Möglichkeiten der Interpretation, die eigentlich alle auf das Album passen.
Eine eher technische Frage: Die Songs sind generell sehr komplex. Wie viele Zusatzspuren benutzt ihr dazu und wie lange braucht ihr, um einen Song zu schreiben? Ich weiß, dass das schwer zu sagen ist, da einige Sachen ziemlich schnell gehen, wohingegen andere viel Zeit zum Wachsen und Reifen brauchen, aber wie viel Zeit und Herzblut steckt zum Beispiel in “Circle“?
Der kreative Prozess ist wirklich sehr unterschiedlich. Manche Songs sind eine Gemeinschaftsleistung, aber öfter kommt es vor, dass ein einzelnes Bandmitglied einen Song schreibt, der dann von den anderen Musikern verschönert und ergänzt wird mit den jeweiligen Instrumenten. Manchmal werden die Songs vom Schreiber als komplette Arrangements für jedes einzelne Instrument geschrieben, ein Andermal schreibt jemand nur die Stimmen für sein eigenes Instrument und jeder fügt dann seinen Teil hinzu. Es wechselt einfach von Song zu Song. In den Proben spielen wir die Songs und experimentieren mit ihnen eigentlich ziemlich lange, bevor wir dann ins Studio gehen und die endgültige Version aufnehmen.
Bei “Circle“ war es, glaube ich, so, dass Gordon das grobe Gerüst des Songs in ein paar Tagen aufgestellt hat, als er gerade in der Stimmung dazu war. Dann wurde der Song dem Rest der Band vorgestellt. Er wurde eingeübt und reifte im Probenraum mit der Zeit, sprich, die Feinabstimmungen der Sounds und der Atmosphäre wurde vorgenommen. Dieser Prozess ist bei jedem Song anders. Wir haben den Song drei Jahre lang gespielt, bevor wir ihn aufgenommen haben, also ich denke, da war ziemlich viel Feinabstimmung drin, und dennoch wurde das ursprüngliche Gefühl ziemlich gut beibehalten – auch auf dem gesamten Album.
Andere Lieder können natürlich noch länger brauchen. Das hängt wirklich immer von anderen Sachen ab. Aber alles in allem stecken wir große Mengen an Zeit in den kreativen Prozess und in das Experimentieren mit den Sounds und verschiedenen Ideen. Für die Atmosphäre nehmen wir dann zusätzlich viele Improvisationen über die Hauptthemen hinein. Größere Variationen bringen dabei die Komplexität. In jedem Abschnitt gibt es viele Modulationen innerhalb der Themen. Die Anzahl der Overdubs variiert auch, aber die Songs werden grundsätzlich für bis zu sieben, acht Instrumente geschrieben. Live können wir das gut reproduzieren, da wir drei Gitarren, Bass, Keyboards, Schlagzeug, Gesang und Sampler zur Verfügung haben. Die Menge an Spuren pro Song ist auch sehr unterschiedlich. Manche Abschnitte haben sehr viel Raum, andere wiederum sind sehr klaustrophobisch gehalten.
“Beneath This Face” beginnt sehr langsam und entwickelt sich dann in eine Black/Death-Metal-Apokalypse. Ihr benutzt dieses konstante Accelerando als Stilmittel einige Male auf diesem Album und anscheinend hat Black Metal auch einen ziemlichen Einfluss auf euch. ESOTERIC besteht seit 1992, also schon seit der Zeit, in der der extreme Metal einen Aufschwung hatte. Seid ihr irgendwie mit der skandinavischen Metal-Szene verbunden?
Wir haben diese Abschnitte, in denen wir konstant schneller werden, auf einigen früheren Alben auch verwendet. Ich glaube nicht, dass wir überhaupt zu irgendeiner bestimmten Szene gehören. Wir mögen viele Formen der Musik, die meisten Spielarten des Metal natürlich auch, inklusive Black Metal. Jeder in der Band hat seinen Geschmack, aber was uns allen gleich ist, ist die Vorliebe für experimentelle und abwechslungsreiche Musik. Wir finden eher in unseren Gedanken und Geisteszuständen die Inspiration für Musik, als in dem Wunsch, einem gewissen Stil zu folgen. Aber man kann immer gewisse Elemente vergleichen, wenn man will. Es ist das Gesamtgefühl, das eine Band einzigartig macht!
Ihr wart auf Tour mit REVEREND BIZARRE in den Jahren 2004 und 2005 – Nun ist der Reverend tot und hat uns das Album “III – So Long, Suckers!” hinterlassen. Was haltet ihr von diesem Album (nachdem es ja auch ein 10/10 Punkte-Album auf metal.de ist) und wie gut kennt ihr die Jungs von REVEREND BIZARRE?
Um ehrlich zu sein, habe ich das Album noch nicht gehört, also kann ich mich dazu auch nicht äußern. Aber ich habe immer ihre Liveshows gemocht. Wir haben uns sehr oft die Bühne geteilt über die Jahre. Es sind feine Kerle und live sehr gut anzusehen.
Da eure Songs ziemlich lang sind und Zeit zur Entfaltung ihrer vollen Kraft brauchen, habt ihr euch für ein 2-CD-Album entschieden. Warum seid ihr diesmal nicht den einfacheren Weg gegangen und habt eine der CDs jetzt veröffentlicht und die andere ein Jahr später, wie andere Bands/Labels das schon praktiziert haben?
Wir wollten diesmal einfach ein Doppelalbum machen. Wir bevorzugen das Format. Es fühlt sich viel kompletter an! Drei oder vier Lieder auf einem Album sind nicht immer genug, um die Vielseitigkeit unserer Musik zu repräsentieren.
Beeinflusst euch klassische Musik in eurem Schaffen oder in eurem Leben? Korrigier’ mich, wenn ich falsch liege, aber bei manchen Songs habe ich das Gefühl, die Strukturen, oder manchmal sogar Melodien, stammen von Sergiusz Rachmaninov.
Ich habe noch nie von diesem Komponisten gehört. Aber sicher, einige von uns hören gern klassische Musik. Wir haben nie Strukturen unserer Musik auf Stücken aufgebaut, die andere Komponisten geschrieben haben, egal aus welcher Musik.
Wo wir von Einflüssen sprechen – bevor wir zu den Texten kommen, kannst du uns sagen, welche Philosophen den größten Einfluss auf euch/dich haben und warum?
Ich habe keinen speziellen Philosophen intensiv genug studiert, um zu fühlen, dass er einen großen Einfluss auf mich hatte. Es gibt viele, die ich sehr hoch schätze, wie Nietzsche und Hume. Aber ich versuche, meinen eigenen Weg zu gehen und meine eigene Ethik zu machen. Ich lese Philosophen eher aus Neugierde, um auch mal andere Perspektiven zu hören, als aus dem Grund, zu sehen wie sie mich beeinflussen könnten. Die Worte von anderen können uns inspirieren, aber sie sind nicht da, um uns zu leiten.
Eure Texte sind ein sehr wichtiger Bestandteil eurer Kunst. Die Texte sind hauptsächlich aus deiner Feder, aber “Caucus Of Mind“ und “Ignotus Per Ignotius“ sind von Gordon bzw. Mark und die Songs an sich unterscheiden sich auch ein wenig von den anderen Songs des Albums. Speziell “Caucus Of Mind“ kommt sehr Death-Metal-lastig rüber, verglichen mit der fast schon meditativen Atmosphäre auf dem Rest der ersten CD. Gemeinsam mit anderen Hinweisen führt das – zumindest für mich – zu dem Schluss, dass das Album ein wenig wie ein Drama aufgebaut ist, ein umfassendes Konzept haben könnte und mehr als nur die Summe seiner Einzelteile ist. Wenn dem so ist, kannst du uns über das Konzept aufklären?
Es gibt kein spezielles, ganzheitliches Konzept in den Texten oder der Musik. Wenn man Texte schreibt, versucht man eigentlich immer auszudrücken, was in einem vorgeht, und zwar auf eine Weise, die Gefühle ansprechen soll. Entweder, um Gedanken, Philosophien, vergangene und aktuelle Erfahrungen, Emotionen, Depressionen und Wahnsinn auszudrücken oder alle Ebenen des Bewusstseins zu beschreiben. Manche Texte handeln vom inneren Selbst, sind ein Blick in sich hinein, über die Grundsätze von Leben, Tod und allen Dingen, die den Geist dazu bringen, etwas erschaffen zu wollen. Sie beinhalten auch einen Blick auf die Menschheit, den Makrokosmos, den Drang nach Wissen und alles, was unsere Psyche anregt. Es ist wirklich nur Zufall, wenn da etwas ist, das das Ganze so scheinen lässt, als gehörte es zusammen. Vielleicht ist da ja wirklich etwas, verborgen im Gesamtgefühl, aber sicherlich ist da kein durchdachtes Konzept dahinter. Es ist mehr eine natürliche Sammlung von Stimmungen.
Eure Musik ist sehr monolithisch, tiefgreifend, düster, manchmal sogar bedrohlich – was für Persönlichkeiten verbergen sich hinter den Musikern? Seid ihr so düster wie eure Musik oder seid ihr in Wirklichkeit ganz anders?
Natürlich, diese Bestandteile der Musik sind Dinge, die in Teilen unserer Persönlichkeit vorhanden sind, aber man muss im Leben immer eine Balance halten. Indem wir diese destruktiven und starken Gefühle in der Musik rauslassen, haben wir ein gutes Ventil dafür gefunden, das viel Druck von uns nimmt. Unsere Stimmungen schwanken, wie bei jedem Menschen, aber wir sind von Natur aus ziemlich düstere Typen und dies spiegelt sich auch in unserer Musik wider. Aber das heißt nicht, dass wir nicht wissen, wie man leben und lachen kann oder dass wir kein Charisma hätten. Auf der anderen Seite werden wir einfach inspiriert von dem, was wir fühlen. Das Leben kann eine Achterbahn sein! Wir sind einfach nur wir selbst und wir sind auch die vielen Launen, die wir durchmachen.
Wie viel Zeit habt ihr insgesamt im Studio verbracht, um “The Maniacal Vale” aufzunehmen, zu mischen und fertigzustellen?
Das ist schwierig zu sagen, da die Arbeit sich über einen Zeitraum von neun Monaten hingezogen hat. In manchen Monaten haben wir aber auch nur einen oder zwei Tage im Studio verbracht, die Zeit der Unterbrechungen haben wir anderweitig genutzt. Kein sehr effizienter Weg, eine Platte aufzunehmen, wenn man das die ganze Zeit macht, aber immerhin viel preiswerter, als das Studio blockweise zu buchen und dabei Schulden zu machen.
Hörst du dir das Album immer noch von Zeit zu Zeit an oder brauchst du momentan einen gewissen Abstand davon?
Ich höre mir das Album von Zeit zu Zeit an, ja. Ich muss es mir nicht allzu oft anhören, da wir ja sehr viel Zeit damit verbracht haben, die Songs aufzunehmen und zu proben.
Eine Frage, die du vielleicht auch schon öfters gehört hast: was wird folgen? Ich hoffe, ihr löst euch nicht einfach auf und verschwindet?
Im Moment fangen wir gerade an, neues Material für unser sechstes Album zu schreiben und wir proben gerade für das Brutal Assault Festival in Tschechien im August und unsere anstehenden Auftritte in England im September.
Eine sehr wichtige Frage für die Fans hierzulande: Kommt ihr in näherer Zukunft auch nach Deutschland auf Tour?
Wir haben momentan keine Pläne, in näherer Zukunft nach Deutschland zu kommen, da wir im Mai dieses Jahres schon drei Gigs in Hamburg, Rostock und Berlin gespielt haben. Aber ich glaube, es wird nicht allzu lange dauern, bis wir wieder kommen!
Das war’s von meiner Seite, noch einmal Danke für eure Musik und deine Zeit! Die letzten Worte gehören dir!
Danke für das Interview, Johannes. Deine Unterstützung wird sehr geschätzt!
Grüße
Greg
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