Eradicator
"Mir ist wichtig, dass wir als Gesellschaft vom Schwarz-Weiß-Denken wegkommen."
Interview
Mit ihrem sechsten, bockstarken Album, „The Paradox“, feiern ERADICATOR dieser Tag ihren 20. Bandgeburtstag. Grund genug also, den Thrashern auf den Zahn zu fühlen. Gitarrist und Sänger Sebastian Stöber gibt breitwillig Auskunft über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Band.
Stetige Weiterentwicklung bei ERADICATOR
Hey Seba, Glückwunsch zum neuen Album „The Paradox“! Vorab habt ihr einige Singles zur Platte veröffentlicht. Wie waren die Reaktionen auf die neuen Songs?
Hi Dominik, vielen Dank für die Glückwünsche, wir sind auch wirklich glücklich mit der Scheibe! Wir haben uns ja bewusst dazu entschieden, Songs zu veröffentlichen, die das Album in seiner Breite repräsentieren. Das Feedback war bisher fast durchweg positiv. Die Stimmen aus unserem Fan-Lager loben die Entwicklung und die Vielseitigkeit der bisherigen Songs. Der Plan ist also voll aufgegangen!
„The Paradox“ fühlt sich beim Hören nochmal deutlich abwechslungsreicher und ausgereifter als eure bisherigen Alben an. Wie seid ihr das Songwriting angegangen?
Schön, dass du das auch so siehst, wir sind der gleichen Auffassung. Wir haben bei der Platte wirklich alles in den Ring geworfen. Haben lange an den Details gearbeitet. Jeder hat an sich gearbeitet. Wir wollten zu unserem 20. Jubiläum ein besonderes Album liefern. Haben uns aber auch nicht zu sehr unter Druck gesetzt, das kann ja auch mal hemmen. Eigentlich haben wir kontinuierlich ca. 2 Jahre lang Songs geschrieben. Das ist die beste Auswahl, die wir bieten können! Klar, wir sind eine Thrash-Metal-Band, aber wir lassen auch durchaus Einflüsse und Inspirationen aus mehr oder weniger verwandten Genres zu, um unserem Sound und dem Album die nötige Frische zu verleihen. Da gehen wir auch gerne mal ins Risiko. Mal groovig, mal High Speed aber auch clean oder im Death-Metal-Gefilde wildernd! Das macht mir noch immer Spaß zu hören und live hast du letzte Woche ja schon erlebt, wie viel Bock es uns bereitet, die neuen Nummer darzubieten!
„Mir ist dabei wichtig, dass wir als Gesellschaft von diesem erbitterten Schwarz-Weiß-Denken wegkommen.“
Du sagst, es sei eines eurer Ziele, mit euren Texten einen Diskurs über die gesellschaftlichen wie politischen Probleme unserer Gegenwart anzuregen. Inwieweit glaubst du, haben Bands heutzutage wirklich noch die Möglichkeit dazu, Menschen zum Nachdenken anzuregen? Gefühlt verliert Musik von Jahr zu Jahr immer mehr an gesellschaftlichem Wert, wenn es nicht gerade um TAYLOR SWIFT geht.
Die Chance dazu besteht immer. Gerade in Genres, die nicht dem Mainstream entsprechen. Unsere Fans, Freunde und Zuhörer beschäftigen sich mit der Musik. Zumindest ist es mein Eindruck. Musik kann so viele Emotionen auslösen – darüber sind wir uns sicher einig – und sie kann auch zum Nachdenken anregen. Mir ist dabei wichtig, dass wir als Gesellschaft von diesem erbitterten Schwarz-Weiß-Denken wegkommen. Wir möchten jedoch nicht als Moralapostel dastehen, wir machen ja selbst genug verkehrt. Dafür steht zum Beispiel das übergeordnete Thema von „The Paradox“, wir sagen oftmals das eine und tun das andere. Wenn wir uns als Gesellschaft weiterentwickeln möchten, dann ist der erste Schritt die Selbstreflexion. Sind wir uns unseres Handelns bewusst? Können wir guten Gewissens so weitermachen und dabei die Zukunft und die nachfolgenden Generationen nicht gefährden? Vernunft und Mäßigung sind schöne Stichpunkte, die ich gerne promote.
Neben regulären CD- und Vinyl-Versionen erscheint „The Paradox“ auch in einem Boxset. Worauf habt ihr bei der Zusammenstellung des Boxsets besonderes Augenmerk gelegt?
Wir haben lange drüber nachgedacht, was wir bieten können, das nicht schon jede zweite Band im Angebot hat. Die Freundin unseres Bassisten hatte die geniale Idee mit dem Waschbeckenabflussstöpsel. Das ist witzig und etwas Besonderes, dazu sieht man es noch jeden Tag direkt nach dem Aufstehen. Das erinnert hoffentlich an die tägliche Dosis ERADICATOR.
Die Live-CD war eine weitere richtig coole Idee. Wir haben unsere Show in Koblenz im letzten Jahr aufgenommen und die Performance war so gut, dass wir die gerne veröffentlichen wollten.
Patch und Autogrammkarte sind natürlich obligatorisch und die Bierdeckel mit den verschiedenen Artworks von Album und Singles und der Flaschenöffner sind auch ziemlich cool! Bisher kommt das Teil sehr gut an und die Leute hatten die Dinger noch gar nicht in den Händen. Ich freue mich auf die Reaktionen.
„Wir haben dann alle bei der Probe versucht zu singen und bei mir hat es am besten geklappt.“
Mit „The Paradox“ feiert ihr auch euer 20jähriges Bandjubiläum. Am Anfang sang bei euch noch Tobias Grewe, auf der „Back To The Roots“-Demo war Lars Schlabach am Mikro zu hören, bevor du ab dem ersten Album „The Atomic Blast“ den Gesang selbst übernommen hast. Wie kam es zu diesen Sängerwechseln in den frühen Jahren?
Das geht ja weit zurück in die „Anfangstage“ der Band. Das waren ganz natürliche Entscheidungen im jugendlichen Leichtsinn, wie alle anderen Entscheidungen auch, die wir damals in Bezug auf die Band getroffen haben, haha. Aber ich würde keine der Entscheidungen zurückdrehen wollen! Wir sind jetzt die beste Version der Band, die existieren kann und das bereits seit über 14 Jahren in derselben Besetzung. Hätte uns damals mit 14 oder 15 jemand gesagt, dass wir das in 2024 noch immer machen und das mit so einem Erfolg, dann wäre das schwer zu glauben gewesen!
Hast du in den Jahren seit „The Atomic Blast“ jemals darüber nachgedacht, den Gesangs- oder Gitarrenposten an jemand anderes abzugeben, um dich voll und ganz auf einen der beiden Punkte konzentrieren zu können?
Da du ja sicherlich auf das Review im Deaf Forever anspielst, dem sei eine klare Absage erteilt. Ich respektiere natürlich, wenn jemand meinen Gesang nicht mag, aber einen Sängerwechsel vorzuschlagen, find ich schon ziemlich anmaßend – das trifft so zu sagen auf taube Ohren! Nachdem wir damals Lars rausgeworfen hatten, haben wir tatsächlich aktiv nach Ersatz gesucht. Das hat aber nicht funktioniert. Wir haben dann alle bei der Probe versucht zu singen und bei mir hat es am besten geklappt. Inzwischen sind ja viele Jahre ins Land gezogen und ich bin ohne Zweifel der Sänger und Frontmann von ERADICATOR.
In der aktuellen Besetzung seid ihr seit 2010 unterwegs. Wie schafft ihr es, das Line-up so stabil zu halten? Bei einer Menge Bands ziehen sich regelmäßige Besetzungswechsel ja quasi durch die gesamte Karriere.
Zoppe [Sebastian Zoppe, Bass], Pitti [Stöber, Schlagzeug] und ich waren schon Freunde, bevor wir die Band gegründet haben. Ich bin überzeugt, dass das ein wichtiger Punkt ist. Wir sind keine Zweckgemeinschaft, sondern machen das alles sehr sehr gerne zusammen. In dieses Gefüge passt Robert [Wied, Gitarre] – wie man jetzt seit 14 Jahren sieht – perfekt rein. Klar, wir streiten uns auch, aber wir können auch verzeihen und sind nicht nachtragend. Da gibt es schon klare Rollen. Pitti und Zoppe sind gerne impulsiv, ich bin eher planend im Hintergrund und Robb ist der Ruhepol, dem es gelingt die Wogen zu glätten, wenn mal was schief läuft. Wir gehen so gemeinsam durch viele Abenteuer, das macht einfach Laune. Die Konzerte sind eine wahnsinnig geile Belohnung für die Arbeit, die wir gemeinsam in unsere Musik stecken.
ERADICATOR bleiben sich treu
Im Laufe der Zeit habt ihr euch als Musiker spürbar weiterentwickelt. Wie gestaltet sich das Songwriting bei ERADICATOR heute im Vergleich zu euren Anfangstagen?
Eigentlich hat sich oberflächlich betrachtet nicht viel geändert. Wir haben in der Bandgeschichte vielleicht zwei oder drei Songs teilweise im Proberaum geschrieben. Alles andere ist im stillen Kämmerlein entstanden. Zoppe und ich schreiben ja bekanntlich fast alle Songs. Meistens jeder für sich, bis zu einem gewissen Punkt. Dann lassen wir die Kollegen dran teilhaben und diskutieren die Ideen. Wenn ich einen neuen Song schreibe, beginne ich meistens mit mehreren Riff-Ideen und recorde direkt ein Demo, programmiere Drums und ordne die Parts, damit eine Struktur und ein Spannungsbogen entsteht. In den Anfangstagen war das zwar etwas ungeordneter, ich bzw. wir hatten aber den gleichen Anspruch wie heute. Durch unsere Erfahrung als Musiker und im Songwriting ist das Ergebnis heute oft einfach ausgereifter, zumindest für mein Empfinden.
Einige Bands, wie zum Beispiel LOST SOCIETY, haben sich im Laufe ihrer Karriere stark von ihren musikalische Anfängen distanziert. Wie ist das bei euch? Spielt ihr Songs der früheren Alben immer noch so gerne wie damals? Oder fühlt ihr euch mit eurem aktuellen Material wohler?
Wir haben für das Jubiläumsjahr jetzt zum zweiten Mal die Setlist komplett umgestellt, um eine möglichst große Bandbreite der Bandgeschichte wiederzugeben. Uns macht es auch sehr viel Spaß, die alten Songs zu spielen. Das weckt Erinnerungen! Doch man fühlt sich schon mal etwas alt, wenn man einen Song spielt, den man mit 16 geschrieben hat und sich dran erinnert, in welcher Situation man ihn geschrieben hat. Insgesamt haben wir jetzt knapp 70 Songs. Da ist es nicht leicht, ein einstündiges Programm auszuwählen. Wir diskutieren ziemlich hitzig. Zumindest im Rahmen der eben beschriebenen Charaktereigenschaften, haha. Wir haben uns ja auch stetig weiterentwickelt. Das ist wichtig. Wir wollen ja nicht immer und immer wieder das gleiche Album veröffentlichen. Das hat aber für uns gewisse Grenzen. Was man von uns bekommt, ist Authentizität und wir werden uns sicher nicht verbiegen oder gar verleugnen für kommerziellen Erfolg. Davon sind wir nicht abhängig.
Ohne Ende Thrash
Im November feiert ihr euer Jubiläum mit dem Evil Twisted Metal Feast in Siegen. Auf was können sich Fans bei der Show freuen?
Zunächst einmal freut euch auf eine handerlesene Auswahl an Bands der Szene, mit denen wir uns verbunden fühlen und deren Musik und Freundschaft wir auch sehr genießen. PRIPJAT, GODSLAVE, STEELPREACHER, FABULOUS DESASTER, TASKFORCE TOXICATOR und wir, ERADICATOR! Wir selbst spielen als vorletztes, 60 Minuten! Danach wird gefeiert. Ich werde jetzt aber nicht die Specials unserer Show spoilern. Holt euch ’ne Karte und kommt vorbei, es wird sich mit Sicherheit lohnen! Ich habe mir sagen lassen, Pitti hat dich auch schon eingeladen, haha.
Und habt ihr noch die ein oder andere Jubiläumsüberraschung in petto? Oder denkt ihr lieber schon an das nächste Album?
Ab jetzt geht es erstmal live rund bei uns. Bis zum Jahresende touren wir noch quer durch die Nation und verbreiten die frohe Kunde des Thrash Metals! Das wird ein großer Spaß und wir sind mega heiß drauf, die Bühnen zu entern und abzureißen! Wir waren noch nie so gut in Form wie aktuell und die neuen Songs sind eine absolute Bereicherung in unserem Set. Die Tourdates findet man natürlich, wie alles andere auch, ganz oldschool auf unserer Homepage. Wenn wir mit der ersten Etappe durch sind und wieder etwas Ruhe einkehrt, werden wir uns sicherlich an die Arbeit machen und an neuen Songs basteln. Aber bis dahin und darüber hinaus sei allen, die auf Thrash und Metal stehen, unser neues Album „The Paradox“ wärmstens ans Herz gelegt. Danke dir, Dominik, für deinen Support und die Möglichkeit alles bequatschen zu können! Wir sehen uns!