Enslaved
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Interview

ENSLAVED stehen mit "Vertebrae" vor der Tür. Im Rahmen der Listening-Session auf dem Wacken Open Air haben wir mit Grutle über Viking Metal und die Produktion von "Vertebrae" gesprochen.

Einige von euch haben ja bei TRINACRIA mitgearbeitet. Hatte dieses Projekt Auswirkungen auf das Songwriting eures neuen Albums?

Nein.

Wirklich nicht?

Nein. (lacht) Ich weiß nicht, wie ich dir das erklären soll, aber TRINACRIA ist eher so eine Art Studioprojekt und vollkommen anders als ENSLAVED. Es könnte da ein paar Einflüsse auf meinen Gesang geben, den ich dieses Mal anders gemacht habe, aber ansonsten…

Ok. Ihr habt mit Joe Barresi, Produzent von TOOL, QUEENS OF THE STONE AGE und ähnlichen Bands zusammengearbeitet. Wie seid ihr mit ihm in Kontakt gekommen?

Das passierte 2004, als Joe Barresi „No Hay Banda“ mit AUDREY HORNE abmischte. Ein paar Mitglieder von AUDREY HORNE spielen ja bei ENSLAVED. Die haben sich über ENSLAVED unterhalten. Joe wusste Bescheid über ENSLAVED und mochte schon immer ihre Konzerte, also sagte er zu uns: „Ihr seid live großartig, aber auf euren Alben ist der Sound scheiße!“ Wir entgegneten, wie es wäre, wenn er auf dem nächsten Album das Abmischen übernähme und er war einverstanden. Das war’s eigentlich und es wurde tatsächlich auch sehr interessant, am Klang herumzufeilen.

Mal etwas allgemeinere Dinge: Im Lauf der Alben hast du den Gesang ja immer mehr vom Norwegischen ins Englische verlagert, auf dem neuen Album – das Titelstück ist auf Norwegisch, oder?

Ja, ist es.

Wieso habt ihr das denn so verändert?

Es war eigentlich nicht so drastisch, wir haben das eine ganze Zeit lang diskutiert. Ich denke, dass die norwegische Sprache einfach nicht zu schönen und progressiven Passagen in der Musik passt, dafür ist sie zu rau. Die einzigen Sprachen, die zu progressiver Musik richtig gut passen, sind meines Erachtens eben Englisch und Italienisch und weil ich nicht Italienisch spreche, ist es dann ja klar… Englisch ist eine eher fließende Sprache, viel weicher. Norwegisch ist besser für harschen Gesang, Geschrei und sowas, aber nicht für harmonische Passagen und sich im Norwegischen richtig auszudrücken ist sehr schwer. Vielleicht liege ich da auch falsch… jedenfalls war es unsere Entscheidung, keine drastische Veränderung.

Keine drastische Veränderung, aber eine Entwicklung im Lauf der Alben. Das ist es, was ich bemerkt habe und warum ich fragte. Du fühlst dich also ebenso wohl dabei, auf Englisch zu schreiben?

Nein, ja, Englisch ist einfach, weil man damit mehr produziert… und Norwegisch passt eben nur zu bestimmten Sorten Musik, aber ganz bestimmt nicht mehr zu dem, was ENSLAVED heute machen.

Wenn wir schon über den Gesang reden: Als wir die neuen Lieder hörten, war es ziemlich offensichtlich, dass es mehr Klargesang gibt als früher. War das eine bewusste Entscheidung und wie kam es dazu?

Das richtet sich alles nach der Musik. Herbrand, unser Keyboarder, und ich machen zusammen alle Gesangsarrangements und es dauert dann irgendwas um die sechs Monate, das alles fertig zu bekommen. Wir diskutieren andauernd darüber, ob das jetzt besser zu harschem oder zu Klargesang passt, es gibt da also keine kommerziellen… Es muss einfach zueinander passen. Wir hören uns die Lieder ein ums andere Mal an, nur um uns zu entscheiden, welche Sorte Gesang am besten dazu passt.

Das hier ist jetzt eine Frage, die eigentlich Ivar gestellt werden sollte, weil es um ein Zitat von ihm geht. Er nannte die Stücke auf „Ruun“ am stärksten, differenziertesten, aber trotzdem sehr traditionell. Wenn man das im Hinterkopf behält, wie würdest du das neue mit dem alten Album vergleichen?

Ich denke, dass wir dieses Mal produktionstechnisch sehr viel mehr erreicht haben als mit „Ruun“. Wir haben die Klanglandschaft geöffnet und versucht, den typischen Metalsound zu vermeiden, um allen Instrumenten mehr Raum zu geben. Was wir weiterentwickelt haben, ist der Klang jedes einzelnen Instruments. Vielleicht waren auf „Ruun“ die Gitarren ein bisschen trocken, die Basstrommel nicht so tief, der Snare-Sound zu geschlossen. Wie gesagt, alles bekam mehr Platz. Wir führten das fort, was wir auf „Ruun“ gemacht haben, aber mit Joe Baressi hatten wir einen fähigeren Mischer.

Du bist schon ziemlich lange im Geschäft. Was ist der erinnerungswürdigste Moment aus 17 Jahren Enslaved?

Vielleicht, als ich das erste Mal die „Hordanes Land“-MLP in meiner Hand hielt, das Vinyl. Ja, das muss es sein, nichts schlägt das. Nichts. Nichts. Nicht mal annähernd.

Wenn wir schon über das Album sprechen: In Bitterfeld habt ihr „Allfadr Odhinn“ als Zugabe gespielt. Habt ihr das dieses Jahr regelmäßig gemacht oder war das bloß eine Ausnahme? Und gibt es die Chance, dass andere seltene Lieder im Set sein werden?

Es waren eher die Lieder, die wir das ganze Jahr schon gespielt habte. Wir mögen alte Stücke und neue Stücke, nicht so sehr das aus der Zwischenzeit. Wir spielen manchmal auch Stücke von „Vikingligr Veldi“.

Ich hoffe es. (beide lachen) Du sprachst in der Pressekonferenz über eure Einflüsse, also von Oldschool-Black-Metal wie CELTIC FROST bis hin zu progressiven Bands wie RUSH. Das war ja aus der Sicht der Band, aber wo nimmst du persönlich deine Einflüsse her, wenn überhaupt?

Heutzutage höre ich eigentlich nur noch alte italienische Progressive-Rock-Bands, es gibt da eine Menge…

Okay. Welche CD war die letzte, die du heute gehört hast, vielleicht sogar heute?

Ich glaube, das war MARILLION – „Misplaced Childhood“.

Und gibt es ein aktuelles Album von 2008, das du magst?

Ja, das neue Album von EARTH: „The Bees Made Honey in the Lion’s Skull“. Mein Liebling in diesem Jahr, irrsinnig gut.

Ich habe sie letztes Jahr gesehen.
Mit „Frost“ habt ihr ja sozusagen den Begriff „Viking Metal“ geprägt. Habt ihr noch irgendetwas damit zu tun, was heutzutage „Viking“ oder „Pagan Metal“ genannt wird? ENSLAVED spielen natürlich irgendwie in einer komplett anderen Liga, aber wie denkst du darüber, wie es heute ist?

Wir haben vollkommen aufgehört, uns irgendwie zu nennen. Egal, was man tut, die Leute werden einem Etiketten verpassen. Obwohl wir selbst uns nicht mehr „Viking Metal“ nennen, tun die Leute das immer. Ich denke also, dass wir das bis zu einem gewissen Grad sind. Und die Leute erzählen mir immer, dass wir die komplette Pagan-/Viking-Metal-Bewegung inspiriert haben und dass wir Idole oder sowas wären. Wir respektieren das, obwohl wir uns nicht mehr selbst irgendeine Etikette geben. Wenn die Leute von uns inspiriert wurden und uns „Viking Metal“ nennen, müssen wir das wohl ganz gelassen als Ehrung auffassen. Genau, wie wir es damals mit CELTIC FROST, BATHORY und diesen Bands getan haben.

Okay, das…

Wir können ihre Wertschätzung auch nicht einfach ignorieren, wenn wir für sie Viking Metal sind, dann ist das schon in Ordnung.

Okay, aber würdest du mir zustimmen, wenn ich sage, dass ihr nicht mehr viel damit gemein habt, was heutzutage Viking Metal genannt wird?

Ja, da stimme ich zu. Wir haben uns niemals von mittelalterlicher Volksmusik inspirieren lassen, für manche ist das Viking-Musik, während Viking-Musik eher mit Chören und ein wenig Schlagwerk zu tun hat, also mit Volksmusik eigentlich nicht viel gemeinsam hat. Aber wenn man uns dem Viking Metal zurechnet, ist das in Ordnung. Ich werde eben alt…

Aber du verstehst doch meinen Standpunkt?

Ja, natürlich… (lacht)

In der Pressekonferenz wurden euch die gleichen Fragen immer und immer wieder gestellt…

Es war eine ehrliche Sache, aber nicht ernst. Wacken soll vor allen Dingen Spaß machen, die Leute trinken Bier und so weiter… so ist das eben.

Ja, aber was ich meinte: Hast du manchmal Kram wie diesen hier satt?

Hm… ich war ja damals dabei, als die Kirchen brannten, der „Black Circle“, blablabla, ich hasse Fragen zu diesem Thema. Kanntest du Euronymous? – Ja. Kanntest du Vikernes? – Ja. Und ja, er tötete einen meiner besten Freunde, ich mag es nicht, darüber zu sprechen.

Ich verstehe das vollkommen.

Aber das sind hauptsächlich Südamerikaner und Osteuropäer. Ich möchte sie nicht deswegen beschuldigen, das nicht. Aber es ist langweilig, weil ich verdammt nochmal über ENSLAVED reden möchte, über die Gegenwart.

Okay, noch eine Frage. Die hätte man dir auch in der Pressekonferenz stellen können. Die Presse bekommt ja normalerweise Promo-CDs ohne Texte, aber kümmert es dich, dass die Leute sich nur um die Musik und nicht um die Texte kümmern? Immerhin bedeuten die auch Aufwand für dich, und ich mag es normalerweise, mir die Texte durchzulesen, wenn ich mir das Album das erste Mal anhöre…

Dazu lass mich sagen: Der europäische Metalfan kümmert sich mehr um die Texte als die eigentliche Musik und die Amerikaner konzentrieren sich sehr auf die Musik. Das heißt also: Amerikanische Presse – Musik, europäische Presse – Texte.

Bevorzugst du dann also die europäische Herangehensweise?

Ich mag beides, ja, ich mag beides. Beide haben ihre Vorteile…

(Das Interview führte Maike Pöhler. Übersetzung von Achim.)

20.09.2008
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