Enforced
"Der Krieg wird nicht verschwinden."
Interview
Dieser Tage erscheint mit „War Remains“ das dritte Album der Death-Thrash-Truppe ENFORCED. Wir trafen uns virtuell mit Sänger Knox in einem sonnigen Garten, redeten aber über dunklere, ernste Themen wie Krieg und Gewalt. Platz für Bier, Metal und Videospiele fand sich aber ebenso.
Knox, lass uns zu Beginn von diesem sonnigen Tag zurück in die Vergangenheit blicken. Was hat sich bei ENFORCED seit dem Release von „Kill Grid“ getan?
Nun, wir sind natürlich durch eine ganze Pandemie mit all ihren Auswirkungen gegangen. Wir waren trotzdem auf Tour, erst mit EXHUMED, BEWITCHER and CREEPING DEATH, dann mit OBITUARY, GATECREEPER, MUNICPAL WASTE und SPIRITWORLD.
Dann waren wir in Europa auf dem Hellfest und gemeinsam mit AT THE GATE unterwegs. Schließlich waren wir noch mit 200 STAB WOUNDS, UNDEATH und PHOBOPHILIC auf Tour. Danach haben wir uns an das neue Album gesetzt.
Das hört sich nach einer geschäftigen Reise an.
Oh ja, das war sie!
Und eure Reise ist noch nicht vorbei. „War Remains“ kommt bald heraus. Habt ihr was Besonderes zum Release geplant?
Es wird eine Release-Show in Richmond geben, die hoffentlich eine einzige große Party wird. Passend dazu werden wir mit einer lokalen Brauerei ein eigenes Bier rausbringen. Danach gehen wir auf Tour mit VENOM INC., ACID WITCH und wieder mit EXHUMED.
Als Deutscher muss ich natürlich nachfragen, was für ein Bier das sein wird.
Ein dunkles Kölsch! Ich habe es vor einigen Tagen probiert und es ist ziemlich gut.
Interessante Wahl. Das müsste ich mal probieren.
Ja, ich denke, dass man es online bestellen kann. Aber es ist limitiert, also müsst ihr euch beeilen, wenn ihr was abhaben wollt. Es kommt auch am 28. April raus.
Dann packe ich einen Link zur Bestellung ins Interview, damit möglichst viel davon in Europa landet.
Mach das (lacht). Es wird sicher schnell ausverkauft sein.
(Anm. der Red.: Die Brauerei versendet leider nur innerhalb einiger US-Staaten)
Okay, reden wir Musik, neben Bier eines der anderen schönen Themen im Leben. Was ist deiner Ansicht nach der größte Unterschied zwischen „War Remains“ und eurem letzten Album „Kill Grid“?
Die Songs sind viel kürzer (lacht). Die Produktion ist anders. Überhaupt sind wir im Ganzen völlig anders an das Album heran gegangen. Wir haben den Dingen eher ihren Lauf gelassen. Bei „Kill Grid“ waren wir so begeistert darüber, dass es überhaupt rauskommt, dass wir uns vielen Details gewidmet haben.
„Wir haben einfach alles rausgelassen.“
Alles musste perfekt sein und dabei waren wir manchmal auch etwas kleinlich. Jetzt bei „War Remains“ waren wir viel entspannter und selbstsicherer. Wir wussten, wie es ablaufen wird, was zu tun ist und haben nicht alles hinterfragt. Wir haben einfach alles rausgelassen.
Da du es gerade ansprichst: Wie läuft denn generell das Songwriting bei ENFORCED ab?
Üblicherweise treffen sich Will, Zach und Alex jeden Donnerstag, um gemeinsam Songs zu schreiben und einzuspielen. Dann schicken sie mir Rohaufnahmen der Songs. Während ich sie mir anhöre, denke ich über den Gesang nach und mache mir auch schon Notizen für Lyrics. So wurde auch „War Remains“ geschrieben. Simpel und effektiv.
Bleiben wir mal bei deinen Lyrics. Wo bekommst du deine Inspiration dafür her? Momentan scheint sich ja die ganze Welt in Aufruhr zu befinden, also könnte man denken, dass du dafür einfach nur die Nachrichten einzuschalten brauchst.
Ha, nein. Lass mich zuerst auf die lyrischen Unterschiede zwischen „Kill Grid“ und „War Remains“ eingehen. Letztes Mal habe ich ziemlich viel von John Milton gelesen, auch von Joseph Campbell und generell geschichtswissenschaftliche Bücher, aber auch viel Poesie.
Dieses Mal habe ich Werke über Psychologie gelesen. C. G. Jung, James Hillman und, na ja, auch wieder Joseph Campbell. Oh, Science-Fiction-Autor Harlan Ellison darf ich nicht vergessen. Von ihm steckt ziemlich viel in „War Remains“.
Inwiefern? Kannst du das etwas genauer erklären und dabei auch auf das Konzept des Albums erklären?
Klar! Wesentlichen Einfluss hatte James Hillman mit seinem Buch „A Terrible Love of War“ (dt. „Die erschreckende Liebe zum Krieg“). Normalerweise lehnen wir Menschen Krieg ab, verdrängen ihn. Wir wollen ihn nicht verstehen, sondern ihn überstehen. Dass manche eine gewisse Faszination zum Krieg empfinden, scheint nicht nachvollziehbar.
„Der Krieg wird nicht verschwinden. ‚War Remains.'“
Hillman nähert sich dem Thema ganz anders. Er will dieses Phänomen begreifen. Das macht er natürlich auch um zu verstehen, wie Kriege abgewendet werden könnten. Dabei realisiert Hillman, dass Krieg ein tief verwurzelter Teil der Menschheit ist. Dass die Freude an Explosionen, am Kampf miteinander derart fest in uns sitzt, dass wir sie nicht loslassen können.
Es wird immer Konflikte geben und neue Kämpfe werden immer wieder ausbrechen. Der Krieg wird nicht verschwinden. „War Remains“.
Das ist eine interessante Erkenntnis. Aber auch sehr frustrierend, oder?
Ja, klar. Darauf geht Hillman auch in seinem Buch ein. Er nennt Beispiele aus der gesamten Geschichte, um seinen Punkt zu erklären. Das geht so weit, dass Texte aus dem alten Ägypten Ähnlichkeiten zu Berichten aus dem Zweiten Weltkrieg haben. In beiden stecken die gleichen Erfahrungen und sie drücken ähnliche Ansichten zum Krieg aus.
Ironischerweise verbindet der Krieg also als gemeinsames Element die gesamte Menschheit in Vergangenheit und Gegenwart.
Ist es das, was den Typen im Musikvideo zu „Starved“ so fertig macht? Er bekommt ja die ganze Zeit Bilder von Gewalt und Krieg gezeigt.
Nicht ganz. Das Ding ist, dass das Musikvideo eine andere Geschichte erzählt, als es das Lied tut. Und das miteinander zu verbinden ist uns, um ehrlich zu sein, nicht so gut gelungen. Der Typ im Video versucht jedenfalls alles, was er sieht, miteinander zu vereinbaren, um die Welt zu verstehen in der er lebt. Dadurch verliert er irgendwann den Verstand und verhungert.
„Der gesellschaftliche Brunnen der westlichen Welt trocknet aus.“
Der Text dreht sich aber eher um jemanden wie zum Beispiel einen Bauern, der merkt, wie sein Land immer schlechter und schlechter wird. Dadurch arbeitet er noch härter, beutet sich selbst aus bis er verhungert. Das kann man buchstäblich so sehen oder metaphorisch, als tatsächlichen Überlebenskampf oder auch als kulturelles Aushungern. In dem Sinne, dass der gesellschaftliche Brunnen der westlichen Welt austrocknet.
Danke für die Erklärung. Was hoffentlich nicht austrocknet, sorry für die schlechte Überleitung, ist eure Karriere. „War Remains“ ist euer drittes Album, das zweite bei Century Media. Fühlt es sich für euch inzwischen so an, als wärt ihr im Metal Business angekommen?
Das möchte ich zumindest gerne glauben. Die Dinge laufen einfacher ab als noch vor drei bis vier Jahren. Wir können leichter auf Tour gehen und Alben aufnehmen. Das ist eine große Ehre, die uns auch demütig werden lässt. Wir sind bereit, hart zu arbeiten und bereit für jede weitere Herausforderung.
Vor drei Jahren steckten wir mitten in den Anfängen der Pandemie, die du eingangs erwähnt hast. Seid ihr damals in Kontakt mit Century Media gekommen?
Nein, das war noch kurz davor. Jemand beim Label hat einen Artikel über uns bei Bandcamp gelesen. Sie haben uns eine Mail geschickt, die wir zuerst für Fake hielten und ignoriert haben. Zum Glück haben wir dann realisiert, dass es eine echte Anfrage ist (lacht). Wir haben die Gelegenheit dann beim Schopf ergriffen.
Das war so im Oktober oder November 2019. „Kill Grid“ haben wir dann im Februar 2020 aufgenommen und wegen der Pandemie bis zum März 2021 drauf gesessen.
Gut Ding will Weile haben. Zum Abschluss habe ich aber noch ein paar fröhlichere Themen auf dem Zettel. Wenn „War Remains“ oder einer der Songs des Albums als Opener im Kino laufen würde, welchen Film würde es eröffnen?
Du meinst als Soundtrack?
Nein, zur Einstimmung. Zum Beispiel läuft „Hanged by my Hand“ und dann kommt „The Hangover“.
(lacht) Okay, gute Frage. „Nation of Fear“ ist sicher unser most catchy Song, um Stimmung zu machen. Welcher Film danach laufen würde, ist aber echt eine knifflige Frage. Wahrscheinlich würde ein moderner Kriegsfilm passen, auch wenn mir etwas intellektuelleres lieber wäre.
Wie wäre es mit der neuen Verfilmung von „Im Westen nichts neues“?
Ja, den habe ich gesehen. Guter Film. Klingt nach Spaß (lacht).
Okay, dann habe ich noch eine spaßige Frage für dich. Du wirst für metal.de einen Gastartikel schreiben. Falls du es noch nicht wusstest, weißt du es jetzt.
(lacht) Doch, das wusste ich schon.
Dabei wird es um Videospiele gehen. Also vorab schon einmal die Frage: Was ist für dich der perfekte Song, den du beim Zocken immer wieder und wieder hören kannst?
Dazu habe ich eine passende Anekdote. „Shadow of the Colossus“ kennst du, oder? Ich liebe dieses Game, auch wenn ich es ewig nicht mehr gespielt habe. Der Soundtrack ist jedenfalls nur okay. Also, er macht seinen Job, aber ist nicht überragend. Als mein Bruder und ich in der High School „Shadow of the Colossus“ gespielt haben, haben wir stattdessen also etwas anderes angemacht.
Der Soundtrack von „Requiem for a Dream“ passt sehr gut dazu! Wir zockten Stunde um Stunde und das Album lief in Endlosschleife. Irgendwie hat es die Musik geschafft, sich in das Spiel perfekt einzufügen, egal wann wir es gestartet haben. Das war ein großer Spaß!
Ich werde es bei Gelegenheit ausprobieren! Nachdem wir mit einem kleinen Rückblick begonnen haben, wollen wir einen Blick in die Zukunft wagen. Was steht bei euch dieses Jahr noch an?
Wir werden so viel zu „War Remains“ touren, wie es nur geht. Dieses Jahr sind wir schon ziemlich ausgebucht, was gut ist. Wir planen also schon 2024. Dann können wir hoffentlich mal wieder nach Europa.
„2024 können ENFORCED hoffentlich mal wieder nach Europa.“
Aber auch in Südamerika würden wir gerne auf Tour gehen. Aus Australien und Neuseeland haben uns ebenfalls schon Angebote erreicht, aber das ist alles bei weitem nicht spruchreif. Solange wir es finanziell stemmen können, werden wir überall hinfahren.
Die Pandemie ist jetzt ja auch weitestgehend überstanden.
Ja und das Publikum war überall fantastisch. Als hätten die Leute nur darauf gewartet, dass es wieder mit Konzerten losgeht. Alle scheinen jetzt noch eifriger Shows zu besuchen und glücklich darüber zu sein, dass es wieder geht. Mit Festivals und großen Hallen sollte es jetzt auch wieder besser klappen als noch vor einem Jahr.
Vor allem in der südlichen Hemisphäre wird man euch bestimmt lieben. In Australien und Südamerika steht man ja ziemlich auf Musik wie ihr sie spielt.
Das denke ich auch. Fast jedes Interview, in dem ich in der letzten Zeit mit Menschen aus Südamerika gesprochen habe, begann mit der gleichen Frage: „Wann kommt ihr zu uns?“ Aber ich muss mich leider immer entschuldigen, dass ich das noch nicht weiß. (lacht).
Dann soll das meine letzte Frage sein: Wann kommt ihr mal nach Deutschland?
Wahrscheinlich in 2024. Dieses Jahr spielen wir drei Touren in den USA. Nächstes Jahr können wir dann aber auch mal, na ja, woanders hin? (lacht).
Darauf freuen sich bestimmt auch unsere Leserinnen und Leser. Knox, ich danke dir für deine Zeit und das Gespräch.
Gerne! Es war mir eine Freude.
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