Emigrate
Es ist wichtig, dass ich einen Weg gefunden habe um mich auch innerhalb der Band RAMMSTEIN wieder wohlzufühlen
Interview
Am Donnerstag, dem 30.08.2007, pünktlich zur vereinbarten Uhrzeit, rief mich Motor Music in Bukarest an, um mich mit Richard Z. Kruspe zu verbinden, der mit Fragen zum Debüt-Album seines Projekts EMIGRATE gelöchert werden sollte. Leider standen mir hierfür nur zwanzig Minuten zur Verfügung, aber soviel vorab: Herr Kruspe parierte auf höchst sympathische Art und Weise selbst kritische Fragen und bewies gleichzeitig überdeutlich, dass er sich mit EMIGRATE nicht nur von RAMMSTEIN emanzipiert hat, sondern dass er nach wie vor auch die treibende Kraft der Truppe zu sein scheint. Ein sehr interessantes und auch aufschlussreiches Gespräch, das mir sehr viel Spass gemacht hat.
Hi Richard! Wie fühlt man sich denn, wenn ein neues Album unterwegs ist, wenn man die ersten Rezensionen gelesen hat – wie zum Beispiel das eher negative von mir, das du gerade vor ein paar Minuten gelesen hast, aber sicherlich gibt es auch einige positive – und generell der ganze Rummel mit den Interviews usw. anfängt?
Ich erlebe das alles erstmal als extrem befreiend. Ich habe fast fünf Jahre an diesem Album gearbeitet, angefangen mit dem Songwriting, mit Überlegungen, was ich jetzt wirklich machen möchte, dem ganzen weiteren Werdegang usw. Es hat lange gedauert bis alle Leute an Bord waren. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich am Anfang auch die Befürchtung hatte, dass „Emigrate“ so eine Art Kritikeralbum werden könnte, weil die Kritiken bisher alle ziemlich positiv waren. Insofern ist es gut, wenn andere Leute auch ganz anderer Meinung sind!
Ja, ich denke schon, dass sich hier die Meinungen spalten werden. Das ist so ähnlich wie bei RAMMSTEIN, die einen finden’s gut und die anderen überhaupt nicht, etwas dazwischen gibt es wohl kaum…
Nicht wirklich, es polarisiert sehr. Ich finde diese Reaktionen sind auch eine ganz gesunde Mischung. Wenn die überwiegende Reaktion wäre „ja, ist schon ganz ok“, hätte ich eher ein Problem. Unabhängig davon habe ich das Album nicht gemacht, um den Leuten zu gefallen, sondern weil ich es für mich machen wollte. Das Bedürfnis steckte schon lange in mir, mir nach vierzehn bzw. fünfzehn Jahren in einer sehr erfolgreichen Band wie RAMMSTEIN wieder eine neue Herausforderung zu suchen. Das war im Prinzip auch das Ziel meines Weggangs aus Deutschland nach New York, das Verarbeiten meiner Eindrücke und Empfindungen in den ersten Jahren in New York. Wenn man zum Beispiel ein Bild malt, dann ist das im Grunde immer etwas sehr egoistisches, und das ist auch OK so. Insofern bin ich extrem froh, dass es endlich zu dieser Geburt kommt, ängstlich, das Tagesblick zu erblicken, und alles Weitere wird man sehen. Wie gesagt, für mich ist das Projekt EMIGRATE keine Eintagsfliege. Es ist wichtig, dass ich einen Weg gefunden habe – oder eine Balance in meinem Leben – um mich auch innerhalb der Band RAMMSTEIN wieder wohlzufühlen und da ganz normal mitarbeiten zu können.
Und hinter diesem Begriff EMIGRATE, welche emotionale Bedeutung steckt denn dahinter? Wir wissen ja, dass du diesen Namen gewählt hast, weil du nach New York gegangen bist, aber…?
Ich bin jemand, der extrem unabhängig sein möchte. Dieses Projekt ist für mich daher eine emotionale Befreiung. Man wird in seinem Leben ständig mit Ängsten konfrontiert, und ich glaube, dass eine bestimmte Person in mir wartete, die auch mal ein eigenes Projekt leiten wollte, singen wollte – im Grunde genommen einfach im Mittelpunkt stehen wollte. Das am Ende auch wirklich zu tun, oder es nicht zu tun, es machen zu müssen, sich mit der Öffentlichkeit auseinanderzusetzen usw., das hat sicherlich auch etwas mit Angst zu tun. Die Leute reden immer viel, verwirklichen ihre Ideen aber oft nicht, weil sie einfach befürchten, am Ende nicht bestehen zu können. Ich bin froh, dass ich es getan habe.
War denn der Name EMIGRATE von Anfang an dein bevorzugter Begriff oder hattest du auch andere Namensideen?
Ich glaube das Namen irgendwann zu dir kommen. Suchen hilft da nicht viel. Ich habe in New York irgendwann auf der Strasse einen Zettel gefunden, auf dem „EMIGRATE“ geschrieben stand. Irgendwie dachte ich, dieses Wort beschreibt im Prinzip meinen jetzigen Zustand, nicht nur physisch sondern auch mental. Das Emigrieren aus meiner Heimat, das Emigrieren aus der Band RAMMSTEIN…es machte irgendwie alles Sinn.
Würdest du EMIGRATE denn als Solo-Projekt bezeichnen oder eher als vollständige Band mit Gastmusikern?
Genau, es ist eine vollständige Band, d.h. es gibt ein „Team“, das Mitstreiter hat, die ständig dabei sind, aber auch Mitglieder, die nicht ständig dabei sein können. Momentan ist die Zeit nicht da, dieses Projekt jeden Tag aufrechtzuerhalten. Wenn die Band zusammenkommt, haben alle Mitglieder die Möglichkeit sich kreativ zu entfalten. Insofern ist EMIGRATE für mich ein Team.
Aber du hast doch das gesamte Material selbst geschrieben, richtig? Du hast also niemandem die Chance gegeben, sag‘ ich jetzt einfach mal so, kreativ mitzuwirken…
Ich habe alle Songs selbst geschrieben, aber bevor wir ins Studio gegangen sind, haben wir im Proberaum die Songs einige Male mit der Band gespielt, und es gab natürlich auch noch Änderungen. Ich bin jemand, der, wenn es der Musik dient oder den Songs, überhaupt kein Problem mit Ideen anderer hat. Für mich ist in erste Linie die Musik der König – alles andere muss sich dem unterordnen. Mir ist wichtig, dass ich bei EMIGRATE das letzte Wort habe, wenn ich denke oder der Meinung bin, etwas geht in die falsche Richtung. Ich beschäftige mich nunmal am meisten mit dem Projekt.
Ja, OK…und wer ist jetzt alles im „Team“? Denn du hast ja gesagt, dass das Team flexibel ist, was die Besetzung angeht. Ich weiss aber, dass auch jemand von CLAWFINGER mit dabei ist… Bleibt die Band denn erstmal bestehen oder ändert sich etwas in Kürze?
Ich habe der Band gesagt, dass es sich für mich bei EMIGRATE um ein offenes Projekt handelt. Im Moment bin ich mit dem Set-Up, das ich habe, sehr froh, und es hat bisher extrem viel Spass gemacht. Leider ist meine Planung aufgrund von RAMMSTEIN so kompliziert, dass ich nicht noch auf vier oder fünf weitere Terminpläne Rücksicht nehmen könnte. Es gibt bestimmte Zeiträume, wo Dinge entstehen können, und wenn die Leute Zeit haben, sind sie natürlich willkommen mitzuarbeiten. RAMMSTEIN hat für mich oberste Priorität. Wenn EMIGRATE ein Album macht, und die Leute dann Zeit haben, sind sie eingeladen mit dabei zu sein.
Also verstehe ich das jetzt richtig, dass EMIGRATE nur ein reines Studio-Projekt ist und deshalb auch nicht auf Tour gehen wird?
EMIGRATE wird auf Tour gehen, aber es gibt momentan noch keinen zeitlichen Rahmen dafür. Ich habe immer gesagt, dass wenn RAMMSTEIN aktiv ist – und im Moment ist RAMMSTEIN aktiv, denn wir schreiben am neuen Album – ich mich voll auf RAMMSTEIN konzentrieren werde. Das ist der Grund, warum im Moment noch keine Tour-Zeiträume für EMIGRATE diskutiert werden können.
Bei EMIGRATE singst du ja nun auch selbst… Hast du eigentlich Gesangsstunden gehabt?
Ja, ich habe einige Gesangsstunden in New York genommen. Als ich angefangen habe, war ich ganz schön frustriert, weil ich eine bestimmte Idee hatte, diese aber zunächst nicht richtig umsetzen konnte. Als Songschreiber weiss ich wo ich hin will und bin erfahren. Ich hatte eine bestimmte Vorstellung, wie der Gesang klingen sollte, aber ich war extrem frustriert, weil ich das Werkzeug dafür noch nicht gefunden hatte. Gut, irgendwann kann man dann die richtigen Töne treffen usw., aber ich denke, dass das alles einfach auch ein psychologisches Problem ist, das man durchbrechen muss. Man muss in die Seele eines Sängers hineinwachsen. Wenn man etwas zu sagen hat oder irgendetwas singen möchte, dann singt man es…es ist dann auch völlig egal, welche Stimme man hat. Am Anfang habe ich auch überlegt, ob ich nicht noch einen zweiten Sänger zu EMIGRATE hole, aber die Band hat mich davon abgehalten – alle sagten: „Richard, die Songs hast du geschrieben und die musst du nun auch singen! Es gibt keinen anderen, der es machen kann.“ Jetzt bin ich sehr froh, dass ich das getan habe.
Gehen wir kurz nochmal zu RAMMSTEIN. Mit etwas zeitlichem Abstand zu allen Alben von RAMMSTEIN und auch selbstkritisch gesehen, welches eurer Alben ist für dich das schlechteste…oder mit welchem der Alben kannst du dich am wenigsten identifizieren…und welches gefällt dir am besten?
Na, ganz klar: Am besten finde ich „Mutter“.
Warum gerade dieses Album?
Die Entstehungsphase von „Mutter“ war eine extrem starke Leidensstation innerhalb der Band, und das hört man auch in der Musik. Ich mag die Dramen, ich mag die Schmerzen, die man auf dem Album hört.
Cool. Ich sehe gerade, dass die Zeit leider etwas knapp wird… Aber ich möchte dir noch eine eher persönliche Frage stellen. Ich bin ja auch ausgewandert und wohne schon seit über einem Jahr in Bukarest, Rumänien, ich kann also insofern auch einige der Emotionen von EMIGRATE nachvollziehen. Jedenfalls ist hier deutsche Rockmusik unheimlich angesagt. Die Kids stehen total auf TOKIO HOTEL, die etwas älteren auf RAMMSTEIN und man sieht in den Strassen ziemlich viele Leute mit RAMMSTEIN T-Shirts. Sind dir irgendwelche Gründe bekannt, warum RAMMSTEIN bisher noch niemals nach Rumänien gekommen sind? Ich mein, es kommen soviele grosse Bands hierher und zuletzt haben die ROLLING STONES ganz schön abgeräumt…
Wir haben schon fast überall, auch in Ost-Europa, gespielt – Rumänien hat sich irgendwie bis jetzt nicht ergeben.
Verstehe ich…dann will ich mal hoffen, dass das in Zukunft klappt!
Ich weiss, dass es im Gespräch ist, generell auch in anderen Städten in Ost-Europa zu touren. Bisher gab es aber immer irgendwelche Probleme, die richtige Halle zu finden, Vorschriften u.s.w.
Naja, aber ein Stadion füllt ihr ja sicherlich auch ganz locker…
Ja, das wäre der nächste Streich!
Dann vielen Dank für das sehr interessante Interview!
Sehr gerne. Vielleicht hast du ja jetzt im Nachhinein, wenn du die Songs von EMIGRATE nochmal hörst, einen ganz anderen Eindruck… Grüss mir die Fans in Bukarest!
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Stile | Alternative Rock, Industrial Rock |
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