Elend
Elend

Interview

Als konsequenter Schritt konnte der vor fünf Jahren vollzogene Schlussstrich unter das Projekt Elend betrachtet werden. Die Vertonung des "Office des ténèbres" in Form einer Trilogie legte das Konzept fest und dieses war mit Erscheinen des dritten Teils "The Umbersun" im Jahr 1998 abgeschlossen. Doch nichts ist endgültig. Elend sind wieder zurück. An einem Abend hatte ich die Gelegenheit mit Renaud Tschirner zu sprechen.

ElendHinter Elend stecke ein Konzept, welches eigentlich mit dem letzten Album abgeschlossen war und gleichzeitig das Ende für Elend darstellte. Nun erscheint ein neues Elend Album und dies stellt doch eigentlich einen konzeptionellen Bruch dar. Wieso der Neuanfang?

Zu der Zeit als „The Umbersun“ erschien (1998) haben wir in Interviews gesagt, dass falls die Komponisten gemeinsam weitermachen wollen, dass dies unter einem anderen Namen sein sollte, weil Elend an das beendete Konzept gebunden war. Wir haben also wie geplant unter einem anderen Namen weitergemacht und dieses Projekt läuft immer noch. Dies hat genau die Änderungen gebracht, die wir damals immer schon geplant hatten. Das bedeutet, dass die Instrumentierung nicht mehr so streng an der westlichen, symphonischen Tradition orientiert sein sollte und das wir uns mehr in Richtung zeitgenössischer E-Musik bewegen wollten und letztendlich gegangen sind. Das bedeutet E-Musik / zeitgenössische Klangforschung – also etwas relativ avantgardistisches, wenn man das so sagen darf. Was auch sehr schwierig ist, sowohl für den Hörer als auch für den Komponisten. Das ist für uns auch mit einem Lernprozess verbunden, denn wir arbeiten schon ziemlich lange an diesem Projekt und es sollten davon mehre Alben erscheinen. Um noch einmal darauf zu kommen, was in den letzten Jahren passiert ist – da kann man ungefähr 1998 ansetzen und fast zum letzten Jahr gehen: während dieser gemeinsamen Komposition an dem Elend Nachfolgeprojekt sind immer wieder Stücke herausgekommen, die da nicht reingepasst haben. Die waren zu sehr an der populären Musik orientiert, an einfache Strukturen gebunden und auch von der Instrumentierung weniger Avantgardistisch. Insgesamt einfacher zugänglich. Diese Stücke oder Fragmente von Stücken hatten einfach keinen Platz in diesem Projekt und da hat sich mit der Zeit auch ziemlich viel angesammelt. Zudem ist in diesen eine gemeinsame Linie erkennbar geworden, so dass plötzlich die Frage im Raum stand, ob wir dies nicht wieder unter Elend veröffentlichen könnten. Denn einerseits besteht eine Kontinuität zu den vorherigen Alben und zwar eine Kontinuität die es in dem eigentlichen Elend Nachfolgeprojekt nicht gibt. Da ist der Bruch sicher viel größer. Das war ungefähr der Hauptgedanke, warum wir überhaupt wieder etwas unter dem Namen Elend veröffentlicht haben. Als diese Entscheidung dann gefallen war, schritt die Arbeit auch sehr viel schneller voran als beim eigentlichen Nachfolgeprojekt. Wir haben uns dann zügig auf eine Instrumentierung geeignet. Es sind sehr viele Stücke entstanden, von denen viele verworfen wurden – das funktioniert bei uns eben nicht anders und daraus resultiert ein großer Verschleiß. Ein textliches Konzept bestand nicht und so sind einige Stücke unabhängig vom Text entstanden. Mit der Zeit ist allerdings klar geworden, welchen Text wir mit den Stücken kombinieren wollten. Es war aber eben nicht so wie früher bei Elend, als der Text maßgebend war und sich die Musik dem Text unterordnen musste. Der Text hat während der drei vorrausgegangenen Alben immer die Struktur vorgegeben.

Du hast die ganze Zeit von einem Elend Nachfolgeprojekt gesprochen. Was kann ich mir darunter vorstellen? Etwas von Elend ganz losgelöstes?

Dieses Projekt beruht auf einem Konzept, dessen Ursprung schon weit zurückliegt. Noch bevor die damalige Trilogie beendet war, gab es schon Ideen und damals war es noch nicht sicher, ob wir dies unter dem Namen Elend weiterführen oder dies mit einem Bruch markieren. Jedenfalls war damals schon der thematische und musikalische Bruch klar. Der Name von diesem Projekt ist ein französischer Name und lautet ensemble orphique, ein orphisches Ensemble. Dies ist auch der Name unserer Webpage, die allerdings noch in Arbeit ist. Man findet unter www.ensemble-orphique.com eine Seite, die unsere gemeinsamen Projekte beherbergen soll und auf der natürlich auch Elend vertreten ist. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, was man sich darunter vorstellen kann. Krzysztof Penderecki sagt vielen Leuten etwas. Das ist ein polnischer Komponist, der in den 60er Jahren ziemlich viel Aufsehen erregt hat und in dieser Zeit auch seine kreativste Phase hatte. Stücke von ihm sind in gewisser Weise atonal, das sind Streicher-Cluster, extrem gewaltig. Sein bekanntestes Stück ist „Threnos“ für die Opfer von Hiroshima. Es gibt auch noch andere Komponisten, die sich nicht um Tonalitäten und Rhythmik scheren. Man muss sich das wie einen Fluss vorstellen. Das sind Sachen, die sich auch nicht einfach auf Papier notieren lassen, weil jede Interpretation und jeder Auftritt auch wirklich vom Dirigenten und der Improvisation der Musiker abhängt. Es handelt sich dabei natürlich nicht um ein komplettes Chaos, sondern dem liegen gewisse Prinzipien zugrunde, die von diesen Leuten entwickelt worden sind. Man muss sich das wirklich nicht tonal vorstellen, aber auch nicht als bloßen Lärm. Es ist irgendwie schwer zu beschreiben. Jedenfalls kann man solche Musik nicht ohne professionelle Musiker machen. Das zurückgreifen auf Synthesizer, wie wir es früher immer gemacht haben, ist bei solchen Sachen eben nicht möglich. Wirklich unmöglich, es würde nicht nur schlecht klingen, so wie die alten Elend Alben, sondern es wäre auch unmöglich das auch irgendwie aufzuführen. Das gestaltet sich eben sehr aufwendig, da wir genügend Raum und Zeit brauchen, um mit genügend Leuten gleichzeitig aufnehmen zu können. Darum zieht sich das alles etwas hin und somit ist noch nichts erschienen. Zudem wissen wir nun auch gar nicht worauf wir uns einlassen würden. Denn wenn wir dieses Projekt einer Plattenfirma vorstellen würden, dann nimmt das niemand unter Vertrag. Es ist deshalb auch eine Möglichkeit durch Elend zu testen, ob überhaupt noch bedarf an einer Musik besteht, die nicht auf binären Beats, Elektronik, Schlagzeug, Gitarren und 4/4 Takt-Standards basiert.

Allerdings wird zum Beispiel auch John Cages generationenumfassendes Stück „Organ²/ASLSP“ aufgeführt. Es scheint also doch Interesse an „experimenteller“ Musik zu geben.

Natürlich. Nur man darf nicht vergessen, dass Elend primär in einer Musikszene relativ bekannt ist. Der Szene, die sich mit Metal und Gothic oder düsterer Musik befasst. Außerhalb hat Elend keinen Namen. Es war für uns auch nicht sicher, ob die Leute innerhalb dieser Szene nach fünf Jahren noch Interesse zeigen. Die Szene hat sich extrem verändert. Das merke ich momentan in dieser Promotion-Phase. Es gibt sehr viel neues und das alte ist eben sehr schnell alt. Alles ist sehr kurzlebig geworden. Noch mehr als früher.

Wodurch macht sich das genau bemerkbar. Ist das Interesse an Elend so gering?

Nein, es sind extrem viele Interviews, aber ich merke immer wieder, dass Journalisten der zwar Name bekannt ist, aber das Ganze nicht einordnen können. Dieses Interesse war aber nicht vorherzusehen, denn vor knapp einem Jahr haben wir Plattenfirmen bemustert und da waren wir uns nicht klar darüber, ob wir überhaupt auf Gegeninteresse stoßen. Inzwischen sind wir wieder drin und die Situation ist nicht so schlecht, wie sie ausgesehen haben könnte. Das jetzt nur, um die fünf Jahre bzw. das Ausbleiben des Elend Nachfolgeprojektes zu erklären.

Im Pressetext wird die Musique concrète als musikalische Referenz zitiert. Damit verbinde ich nun zum einen eine technische Entwicklung im Zusammenschneiden und -kleben von Tonbändern, als auch das Einfließen von alltäglichen Geräuschen. Wo besteht nun der Bezug zur Musique concrète? Ist es das Einfließen von Alltäglichem, wie den Maschinengeräuschen, oder habt Ihr Euch auch dieser Technik bedient?

Diese Pressetexte stammen nun nicht von mir. Das klingt nun eher nach Fragmenten meiner Erklärungen während der Prophecy Listening Session. Dort wurden recht präzise Fragen hinsichtlich unserer Einflüsse gestellt, auf die ich eingegangen bin. Dies scheint nun allerdings etwas aus dem Kontext gegriffen. Es ist natürlich nicht die Technik und Alltagsgeräusche in ihrem wörtlichen Sinn auch nicht. Es gibt allerdings in den zentralen drei oder vier Stücken diese Industriegeräusche. Das sind Geräusche, die ich selber aufgenommen habe. Es sind keine Geräusche, denen man auf der Straße begegnet. Ich habe sie an zwei Tagen in einer Fabrik aufgenommen. Der Bezug rührt wohl eher daher, dass mache Journalisten musikalische Parallelen gezogen haben – insbesondere zu Cold Meat Industy Produktionen. Ich kenne zwar einige Gruppen aus diesem Bereich, aber das sind keine wirklichen Einflüsse.

Ich denke nun auch nicht, dass ihr mit Sachen von Cold Meat Industries vergleichbar seid.

Anscheinend finden dass einige Journalisten schon. Sobald es eben nicht mehr tonal ist, es sich um ein Geräusch mit einer unregelmäßigen Schwingung handelt, gilt es gleich als Industrial. So viel kennen die Leute eben auch nicht. Natürlich sind die Produktionen von Cold Meat Industries eine legitime Referenz, für jemanden der sonst nichts kennt. Bei uns speziell ist Pierre Henry eine zentrale Figur, einer der Väter der Musique concrète, der wirklich mit Bändern gearbeitet hat. Vor allem seine neueren Kompositionen sind sehr interessant. Der baut wirklich mit Geräuschen und das klingt stellenweise auch wie Industrial, der ja auch aus der Musique concrète hervorgegangen ist. Jedenfalls sind die neuen Kompositionen Geräuschpyramiden. Das muss man sich wirklich sehr architektonisch vorstellen. Diesen Bezug hatte ich mit Musique concrète eigentlich gemeint. Das heißt, es werden bei uns sehr sehr viele Loops überlagert, wie bei „Away from barren stars“ oder „Under war-broken trees“. Den Bezug zur zeitgenössischen Musik gibt es ganz besonders im Titelstück „Winds devouring men“. Man muss sich das Elend Nachfolgeprojekt auch ungefähr so vorstellen, nur schwieriger. Wie gesagt, die Geräusche sind von uns überarbeitet worden, durch Filter, zerschnitten, mit anderen zusammengehaftet, verzerrt, so dass etwas ganz neues entstanden ist. Das passiert nun eben auf einer digitalen Ebene, nicht auf einer analogen wie früher. Aber der Ansatz ist ein ähnlicher.

Ihr Interessiert Euch also auch sehr stark für die musikalische Entwicklungsgeschichte. Was haltet Ihr vom Bruitismus und den Intonarumori von Luigi Russolo oder Oskar Sala mit seinem (Mix)Trautonium, die versucht haben ganz eigene Geräusche zu erzeugen.

Im Bereich der Klangerzeugung kann man natürlich sehr viel machen. Man sehe sich nur die Einstürzenden Neubauten an. Wir sind in dem Sinn keine Techniker, dass wir neue Methoden zur Klangerzeugung entwickeln könnten, sondern Komponisten. Der einzige, den man als Techniker bezeichnen könnte, ist Sebastian Roland, der Mischer und Soundingenieur ist. Er hat auch schon auf dem ersten Album mit uns gearbeitet. Man kann auf dieser Ebene nicht wirklich innovativ sein, höchstens in der Kombination. Bei Russolo und den Futuristen ist es ja wirklich darum gegangen Musik zu erschaffen, die einer modernen Welt gerecht wird. Natürlich gibt es auch neuere Entwicklungen, wie der Begriff der Anti-Musik. Lärm, Geräusch oder wirklich unerträgliches Kratzen, Knirschen und Kreischen. Das ist vom Ansatz etwas ganz anderes. […] Die Überlegungen dahinter sind natürlich sehr interessant und teilweise auch die Resultate. Für Elend haben wir einen relativ konservativen Begriff von Musik und können Anti-Musik sehr wohl interessant finden, sobald sie als klangliches Element in eine musikalische Struktur integriert wird. Auch das Avantgarde Projekt Ensemble Orphique ist noch Musik, auch wenn es teilweise ziemlich anstrengend zu hören ist. Es ist aber nicht als Anti-Musik gedacht. Ich persönlich kann mir auch den ganzen Tag Geräusche anhören, Industrial ist für mich kein Problem. Ich unterscheide nicht wirklich zwischen Ton und Geräusch. Das funktioniert auf gleicher Ebene bei mir. Der Ansatz ist wie gesagt ein anderer als bei der Anti-Musik. Wir machen Musik, keinen Lärm, wobei ich nichts dagegen hätte. Selbst bei Ensemble Orphique machen wir keinen Lärm, obwohl es teilweise danach klingen mag. Es gibt ein Projekt namens Statues, von dem aber noch nichts erschienen ist und sich auch aus den Elend Leuten zusammensetzt, und dieses ist extrem brutal und lärmig: Noise terror. Das sind so ungefähr die drei Hauptprojekte, um die sich alles dreht. Mit diesen wird unser gemeinsamer Output abgedeckt. Wir arbeiten zudem noch unabhängig voneinander.

„Wind devouring men“ ist der Titel des Albums. Was verbindet ihr mit dem Titel?

Da sollte ich wohl näher auf den Text eingehen. Dem Album liegt ein Konzept zugrunde, welches sich über dieses und die nächsten zwei erstrecken wird. Das kennt man irgendwoher [lacht]. Allerdings ist das ganze nicht mehr so linear konstruiert wie bei der letzten Trilogie. Ich will jetzt nicht näher auf die größere Struktur, die die nächsten beiden Alben einbindet, eingehen, weil der Reiz der Struktur erst nach und nach erkennbar wird. Die Basis ist ein Gedicht von meinem Kollegen Hasnawi, der auch bei den alten Alben beteiligt war. Dieses Gedicht ist bereits 1998 entstanden, noch vor der Veröffentlichung von „The Umbersun“. Es ist wirklich als sehr sehr langes Gedicht konzipiert, fast schon als Epos. Da geht es um sehr vieles: um die Vermengung von persönlichen Themen mit Bezügen zur Literatur, Lyrik und Philosophie. Dieses Gedicht soll allerdings nicht vertont werden. Wir haben gewisse Fragmente daraus genommen und in gewisser Weise neu zusammengestellt. Dies war die Basis. In diesem Album ist eine Art innere Odyssee erkennbar. Also eine Art Heimfahrt aber auch eine Irrfahrt. Das ist also nicht als reales Geschehen zu deuten. Das ganze spielt sich in einer imaginären Welt ab mit sehr konkreten Bezügen zu homerischen Odyssee, aber auch zur Ilias. Da sein noch besonders auf das Stück „Die Perser“ verwiesen. Das Meer spielt bei den Griechen eine zentrale Rolle, aber auch in unserem Gedicht. Deshalb auch der Bezug zu den Winden. Die Winde kann man je nach Textstelle, sei es eine erzählerische oder eine allegorische, deuten als die kinetische Kraft, die den Seemann vorwärtsbringt. Also auch eine Kraft auf die man warten muss. Man kann sie aber auch weiter deuten als eine Kraft, die Fruchtbarkeit bringt, indem sie Samen über das Meer treibt. Natürlich können sie auch als eine Kraft der Zerstörung angesehen werden, die zu Erosion führt, die die Zivilisation und den Menschen zerstören kann. Das sind so im groben die Punkte, die ich zum Text erläutern könnte und bei denen ich mir sicher bin, dass ich nicht falsch liege. Konkretere Fragen zu beantworten wird schwierig, viel schwieriger als bei der Trilogie damals, da dort der Rahmen dem durchschnittlichen Europäer bekannt war, da dort mit Symbolen gespielt wurde, die jeder kennt. Die Bibel und die abweichenden Interpretationen der Figur von Luzifer in der Philosophie. Damit fällt es einfacher umzugehen, als mit dem jetzigen Text, der zwar äußerlich Bezüge aufweist, aber trotzdem etwas sehr persönliches beinhaltet, von dem ich auch nicht jedes Detail erschließen kann. Der Text steht auch als ganzes im Booklet der CD und ist nicht nach Stücken eingeteilt. Man muss sich das wirklich als durchgehenden Zyklus vorstellen, von dem wir auch nicht jede Zeile singen. Es gibt aber auch Zeilen, die immer wieder vorkommen. Es wird zudem auffallen, egal ob man die Bezüge zur Literatur namentlich kennt, dass viele Zitate aus Werken vorkommen. Sei es aus der Odyssee oder aus Werken die sich damit befasst haben, wie beispielsweise Ezra Pound, Samuel Coleridge oder Autoren, die das Bild des Seemanns oder des Meeres aufgreifen. Man muss sich den Text als eine persönliche Aufarbeitung von der Idee der Irrfahrt vorstellen, die konkrete Bezüge zur Literatur beinhaltet. Manchmal sind die Hinweise nicht sehr deutlich, aber dennoch vorhanden. Und so ähnlich wie die Stücke in Bezug auf den Text funktionieren, so ähnlich sollte man sich auch die Gruppe der drei Alben vorstellen. Auf den nächsten Alben werden ziemlich sicher auch Textstellen vorkommen, die hier schon verwendet wurden.

Was macht das Motiv der Odyssee für Euch so interessant? Ist es die Tatsache, dass diese Texte bereits schon so viel enthalten oder das Bild der Irrfahrt an sich?

Die Irrfahrt kann natürlich sehr symbolisch sein. Zudem wird in der Odyssee schon so ziemlich alles gesagt. Die Faszination meines Kollegen für die Odyssee hängt wahrscheinlich auch sehr stark mit seinem Interesse für die antiken Griechen zusammen. Um aber noch einmal auf die vorherige Frage zurückzukommen, bei der ich mir nicht sicher bin, ob ich sie ausreichend beantwortet habe. Wenn man die Winde als eine Kraft sehen kann, als eine Kraft die die Landschaft über Jahrhunderte verändern kann, dann kann man sie auch sehen als eine Kraft, die die Zivilisation zerstören kann. Das Bild der Winde, die den Menschen verschlingen, stammt natürlich aus dem sehr billigen Bild der Winde, die die Landschaft verändern, nur konkreter gefasst – zu Fleisch gemacht. Der Bezug zum eigentlichen Stück, welches den Titel trägt, ist auch vorhanden. Das Gefühl, dass ich dabei habe ist kein verschlingen, eher ein zersetzen. Das Stück soll so klingen- ein langsames zerfallen oder zersetzen. Das sind nun aber nur private Überlegungen. […]

Ein Stück trägt den Titel „Vision is all that matters“. Welche Vision habt Ihr?

„Vision“ heißt ja nicht unbedingt Vision, sondern auch sehen. Man kann Vision auch auf das traumhafte beziehen und dies wird wahrscheinlich auch dem Gedanken des Autors entgegen kommen. Aber ich glaube man darf die andere Ebene nicht vergessen. Coleridge’s Gedicht „The rhyme of the ancient mariner“, ein sehr bekanntes und langes Romantikgedicht, dass von einem Seemann handelt, der sich auf hoher See befindet. Dort herrscht allerdings Windstille, so dass es kein vorankommen gibt. Dort erscheint irgendwann der Vogel des guten Omens, der Albatros. Dann geht es ihnen auch besser, aber irgendwann erschießt er diesen und ab da geht es bergab. Dies kann man also so deuten, dass man sich nicht gegen die Natur auflehnen darf. Jedenfalls beinhaltet das Gedicht sehr viele Stellen, zumindest meiner Meinung nach, sehr viele Stellen des „Sehens“. Man muss sich das vorstellen: ein Schiff und rundherum nur Meer, kein Land in Sicht. Die Winde sind in diesem Zusammenhang sehr wichtig, aber die stehen außerhalb der Macht des Seemanns. Die Vision, egal ob es ein erträumtes oder faktisches Sehen ist, ist etwas das vom Individuum selbst kommt.

Zum Abschluss noch die Frage nach Eueren zukünftigen Plänen.

Es ist geplant, dass nun wirklich jedes Jahr eine Elend CD herauskommt. Das ist dadurch möglich, das wir wieder mit kleinen Plattenfirmen zusammenarbeiten. Prophecy Productions macht einen Grossteil von Europa, Holy Records macht Frankreich. Das sind alles kleine Firmen, die die Musik mögen und nicht tausende wichtigere Künstler zu betreuen haben. Darum ist es einfacher möglich, sich an eine regelmäßigere Veröffentlichung zu halten. Was auch eine große Rolle spielt, ist die Tatsache, dass wir unsere eigenen Studios haben. Es ist ja alles zu Hause produziert worden. Das ist wahrscheinlich auch einer der Gründe, warum wir sonst so lange gebraucht haben, um neues rauzubringen. „The Umbersun“ war ein ziemlicher Erfolg auf der „kritischen“ Ebene. Ich glaube wir waren sogar Platte des Monats im Orkus und haben so viele Interviews wie noch nie vorher bekommen. Music For Nation hat dann aber irgendwie geblockt und die CD war nicht erhältlich. Auch in Deutschland nicht so sehr, wie sie es vielleicht hätte sein sollen. Der Vertrieb in Deutschland hat nicht gewusst, wie man so etwas vermarkten sollte. Solche Probleme gab es. Leute die nicht wissen, wie mit der Musik umzugehen ist und dass dabei eben auch Potential verloren ging. Das Problem haben wir nun nicht mehr. Vor allem sind wir durch das Studio nicht mehr auf große Plattenfirmen angewiesen, die notwendig waren. Es war keine Unzufriedenheit mit Holy Records die uns damals gezwungen hat woanders hin zu gehen, sondern die Tatsache mehr Budget für die Aufnahmen zur Verfügung zu haben. Der Vertrag mit Holy Records war zu Ende und da haben wir uns eben umgesehen. Es gab viele Angebote, aber das Interessanteste kam von Music For Nations. Ansonsten hätten wir das damals nie aufnehmen können. In solchen Situationen ist man natürlich sehr abhängig von einer Plattenfirma. Das waren Produktionsverträge, bei denen die Produktion die Plattenfirma zahlt. Das ist nun nicht mehr der Fall. Wir lizenzieren unsere eigenen Produktionen, die wir eben selber mit geringem Aufwand produzieren können, weil wir mit professionellen Instrumentalisten zusammenarbeiten können. Des weiteren können wir uns die Zeit auch so einteilen, wie es uns am besten passt. Früher haben wir immer für Wochen mehr oder weniger zusammenziehen müssen, um die Vorproduktion fertig stellen zu können und danach noch in ein externes Studio zu gehen. Inzwischen kann jeder in seiner Stadt bleiben, wobei wir uns ein zwei mal getroffen haben. Man kann sehr unabhängig von allen Sachzwängen arbeiten. Man weis heute einerseits, dass man sich auf die Plattenfirma verlassen kann und das man arbeiten kann, wann es einem passt. Denn die Ausrüstung da ist, die wir uns wirklich hart erarbeitet haben. Dadurch können wir regelmäßig Elend Alben rausbringen – zumindest die nächsten beiden. Und hoffentlich nebenbei die anderen zwei Projekte, an denen alle wichtigen Elend Leute beteiligt sind. Eventuell auch weitere Nebenprojekte. Kollege Hasnawi hat ein sehr gutes Solo Trip-Hop Projekt namens „A poisoned tree“, bei dem ich singe. […] Die Zukunft wird also sehr sehr interessant. […]

13.04.2003

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