Dream Theater
Ab ins neue Hauptquartier!

Interview

Das neue DREAM THEATER-Album „A View From The Top Of The World“ steht in den Startlöchern. Nachdem „Distance Over Time“ eine Rückkehr zur härteren Gangart markierte nach dem doch etwas weichgespülten Rockoper-Ausflug „The Astonishing“, bietet das neue Album der New Yorker wieder Prog Metal, wie er im Buche steht und wie man ihn vom Traumtheater auch am liebsten hat – zumindest wenn man nicht zu den notorischen Hassern gehört. Wir haben die Möglichkeit genutzt, Gründungsmitglied John Myung zur neuen Platte auf den Zahn zu fühlen und dazu ein bisschen zu seinem Gear, den Aufnahmen und den allmächtigen RUSH auszuhorchen.

Das Cover zum neuen DREAM THEATER-Album

Hallo John, wie geht es dir?

Mir geht es gut. Ich bereite mich darauf vor, bald wieder auf Tour zu gehen, um das neue DREAM THEATER-Album „A View From The Top Of The World“ live zu präsentieren. Und ich freue mich, darüber mit Leuten sprechen zu können.

„A View From The Top Of The World“ ist schon ein ziemlich selbstbewusst gewählter Titel für ein DREAM THEATER-Album, oder?

Naja, John [Petrucci, Anm. d. Red.] hatte da tatsächlich ein konkretes Bild im Sinn. Er dachte bei der Titelfindung mehr an Menschen, die enorme Herausforderungen angehen und evtl. bewältigen. Dazu gehört unter anderem auch Bergsteigen. Und allein der Wille, sich in diese gefährlichen Situationen zu begeben, hat die Titelfindung beeinflusst. Es geht schlicht um gewaltige Herausforderungen, denen man sich stellen kann, und wie es sich anfühlt, wenn man diese gemeistert hat.

Würdest du sagen, dass das in gewisser Weise auch selbstreflektiv für DREAM THEATER ist?

Könnte sein. Einige mögen einen Zusammenhang darin sehen. Aber eigentlich steckt hauptsächlich der Spirit des Abenteuers hierhinter, was meiner Meinung nach ein wichtiger Aspekt im Leben ist. Justin Campbell sagte einst u. a., dass das wichtigste im Leben das pure Gefühl, am leben zu sein, ist. Danach suchen wir ja alle und finden dieses Gefühl in verschiedenen Dingen. Ich denke darauf kann sich das eher beziehen.

Was fiel euch bei den Aufnahmen zu „A View From The Top Of The World“ am schwersten?

Puh, der schwerste Teil der Aufnahmen … Wenn ich so drüber nachdenke fiel uns eigentlich gar nicht mal so viel schwer daran. Wir haben uns zusammengefunden, uns im Studio verschanzt, Leute haben uns dabei aufgenommen, während sich Jimmy T und Matty um unser Wohlbefinden gekümmert haben. Im Grunde kam schnell eine Routine herein. Der Teil hat sich also ziemlich normal angefühlt. Wenn es etwas gab, was für uns am schwersten daran war, dann war es sicher der tägliche Blick auf die Nachrichten. Wir waren uns dessen also bewusst, haben aber dennoch einfach unser Ding durchgezogen.

Die Presseinfo zum Vorgänger „Distance Over Time“ sprach von Aufnahmen bei brüderlichem Beisammensein mit Grillabenden und dergleichen mehr. Inwiefern waren die hiesigen Aufnahmen anders?

Es hat sich diesmal definitiv nicht wie ein Downgrade angefühlt. Es war einfach ein anderes Setting. „Distance Over Time“ wurde im Frühjahr aufgenommen, während „A View From The Top Of The World“ im Herbst aufgenommen worden ist. Das hat einen Unterschied auch bei unserer Herangehensweise gemacht. Erstgenanntes wurde in einer echt großartigen Scheune aufgenommen, die ein Studio umgewandelt worden ist. Wenn ich mir selbst jemals ein Studio zusammenstellen könnte, würde es defintiv wieder in einer Scheune sein. Es ist einfach ein wunderbarer Ort, um eine Band unterzubringen, um deren Ausrüstung zu parken, weil einfach so viel Platz da herrscht. Es war eine tolle Erfahrung.

Dieses Mal waren wir in einem regulären Gebäude in einem Studio, das wir eingerichtet haben. Das war auch cool, aber es war schon anders. Wir vier [Myung, Petrucci, Jordan Ruddess, Mike Mangini, Anm. d. Red.] haben uns im Live-Bereich breit gemacht und hatten James [LaBrie, Anm. d. Red.] live via Zoom über einen TV-Monitor zugeschaltet. Das war auch gut, zumal wir alle eh immer Kopfhörer tragen. Wir waren imstande, zusammenzuarbeiten. Es hat sich praktisch so angefühlt, als wären wir vollzählig im Raum.

Ich denke mal das ist das „DREAM THEATER HQ“, von dem in der Presseinfo die Rede ist, richtig?

Ja. Und für uns war „A View From The Top Of The World“ auch das erste Album, was wir als Band dort aufgenommen haben. Aber es war nicht das erste Album, das überhaupt dort entstanden ist. Es war in jedem Falle wichtig für uns, einen Ort zum Proben zu haben. Ein Wort ergab das andere und eh wir uns versahen, hatten wir unsere Aufnahmegeräte dort angeschlossen. Wir stellten dann erst fest, dass es sich hierbei um eine gute Aufnahmelocation handelte. Und klar, Jordan und John hatten hier bereits für andere Projekte aufgenommen, aber für DREAM THEATER war es sozusagen der Jungfernflug im neuen Hauptquartier.

Wie hat es sich angefühlt, ein Album ohne eure Signatur-Balladen aufzunehmen?

Ja, es ist eine ziemlich treibende Scheibe geworden, beginnend mit „The Alien“, das auch der erste Track überhaupt war, den wir für die neue Platte geschrieben haben. Ich denke dass das Songwriting einen ganz guten Flow hat, was mit der Reihenfolge zu tun haben kann, in der wir die Songs geschrieben haben, nicht notwendigerweise mit deren Reihenfolge innerhalb der Trackliste.

Es begann mit „The Alien“, ging weiter mit „The Sleeping Giant“, dann „Transcending Time“, „Answering The Call“, der Titeltrack, „Invisible Monster“, damit hatten wir sechs Songs und dachten, dass wir eigentlich genug für ein Album hatten. Bevor die Overdubs im Januar begonnen, nahmen wir schließlich noch einen Track mit Johns achtsaitiger Gitarre auf. Und das war schließlich „Awaken The Master“.

Und ich bin ziemlich stolz auf das, was wir aufgenommen haben. Es war das erste Album, bei dem ich meine neuen Ernie Ball Signature J. M. Bongo Six-String-Bass einsetzen konnte. Das Ding kam tatsächlich etwa letztes Jahr um diese Zeit raus. Er ist also zu diesem Zeitpunkt bereits ein Jahr alt und ich feiere mit dem Album in gewisser Weise sein erstes Jubiläum. Er wird demnächst auch in einer neuen Farbe erscheinen.

Ich wollte auch andere, coole Dinge machen in Zusammenarbeit mit einer Firma namens Ashdown Engineering. Die stellen die Bass-Amps her, die ich benutze. Die habe ich zuvor auf bislang zwei Alben einsetzen können. Das erste war tatsächlich schon „Train Of Thought“. Und das zweite Album war „Distance Over Time“. Und ich wollte sie wieder nutzen auf „A View From The Top Of The World“. Aber dafür hätten wir mein Setup aufwändig umstöpseln müssen, und weil wir ein bisschen in Zeitnot geraten sind und das Album fertig haben wollte vor Neujahr da Jimmy Ts Frau ihr erstes Kind bekommen würde, haben wir uns eben darauf konzentriert, die Aufnahmen schnellstmöglich zu beenden. Daher kam ich hier leider nicht dazu, meinen Ashdown-Amp zu verwenden, und verwendete stattdessen Direct Source Signals, die zumindest für den Moment ausreichten.

Also mir ist das nicht aufgefallen, aber ich muss auch dazu sagen, dass ich mich selbst eher als passionierter Laie bezeichne. Ich mag den Sound des Albums.

Cool. (lacht)

Wo wir gerade über Bass sprechen: Üblicherweise vergleicht man euch ja gerne u. a. mit RUSH. Und ich finde, das speziell „Transcending Time“ einen dicken RUSH-Stempel aufgedrückt bekommen hat. War das Absicht?

Interessant, dass du von „Transcending Time“ so starke RUSH-Vibes bekommst.

Wenn ich’s genauer beschreiben müsste, würde ich sagen, dass der Track so ein bisschen in die „Permanent Waves“-Richtung geht.

RUSH sind definitiv eine der Bands, die mich persönlich sehr stark beeinflusst haben. Sie sind natürlich auch prominenter Bestandteil unserer DNA als Band. (lacht) Sie werden wohl auch immer die Band sein, die ich selbst in meiner Freizeit höre. Aber ich tendiere persönlich ja ohnehin dazu, meine Hörgewohnheiten bei den Bands zu halten, die mich überhaupt zur Musik gebracht haben. Mir fällt es ein bisschen schwer, mich mit neueren Entwicklungen auseinanderzusetzen, da unser Kreativprozess einfach schon so viel Platz in meinem Bewusstsein einnimmt.

Ich stecke da einfach in meiner ganz eigenen Welt drin, im Guten wie im Schlechten. Aber das hilft mir ungemein, meinen Fokus zu bewahren. Indem ich meine Inspiration immer nah bei mir halte, versuche ich, den Sinn meiner Arbeit nicht aus dem Blick zu verlieren. Und was „Transcending Time“ angeht, da kommt deine Assoziation vielleicht von den stark eingesetzten Dur-Akkorden, eine Sache, die RUSH eigentlich immer vorbildlich hingekriegt haben. Sie haben oft Songs in Dur geschrieben, die immer etwas Erbauliches an sich hatten, sie haben es aber nicht dahingehend übertrieben, dass es cheesy geworden ist.

Wir haben einfach ein bisschen mit Dur-Akkorden gespielt und ich denke, dass uns das gelungen ist. Wir haben etwas in Dur geschrieben, haben aber versucht, es trotzdem cool klingen zu lassen. Und ich denke das ist das, was du in „Transcending Time“ gehört hast. Und es hat durchaus etwas RUSH-artiges.

Ich denke aber auch, dass Dur-Akkorde in modernem Rock und Metal ziemlich unterbewertet sind.

Ja, richtig. Alle wollen immer düster und grimm spielen. (lacht)

Am 27. September 2021 habt ihr ja über Social Media verkündet, dass ihr eure Headliner-Tour verschieben werdet. Wie hat sich das angefühlt?

Es war definitiv keine leichte Entscheidung. Es gab positive Aspekte in der Situation, z. B. wie sich die Dinge langsam aber sicher wieder öffneten, jetzt, da es ein hinreichend zugängliches Vakzin gibt. Aber durch die Verschiebung um drei Monate hoffen wir, dass sich die Situation bis dahin noch weiter entspannt haben wird. Und irgendwie ist es auch sicher cool für unsere Fans, erst einmal ausreichend Zeit zu haben, das Album in Ruhe zu genießen, bevor sie auf unser Konzert gehen. Wenn eine Band ein Album veröffentlicht, will man ja definitiv erst einmal in das Songmaterial hinein finden, bevor man sich zu einem Konzert begibt. Das denke ich zumindest. Mir würde es jedenfalls so gehen. Es war reine Abwägungssache und wir haben die Entscheidung lange hinaus gezögert.

Dann danke ich dir vielmals, dass du dir die Zeit genommen hast. Ich wünsche euch eine erfolgreiche Veröffentlichung und alles Gute.

Danke dir, gleichfalls alles Gute.

Quelle: John Myung, Foto: Rayon Richards
22.10.2021

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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