Dream Theater
Dream Theater
Interview
Wenn sie ihm beim Spielen auf die Finger gucken, schwanken viele Gitarristen zwischen ungläubigem Staunen und blankem Neid. Völlig zu recht gilt DREAM THEATERs John Petrucci als einer der technisch brilliantesten Gitarristen der Metal-Szene. Und dennoch ist der New Yorker ein extrem freundlicher und unaufdringlicher Gesprächspartner, als ich ihn vor dem "Progressive Nation"-Konzert in der Ludwigsburger Arena zum Interview treffe. Mit seiner tiefen inneren Ruhe und seinem subtilen Sinn für Humor bildet er eine Art Gegenpol zu seinem hyperaktiven Bandkollegen und Drum-Oktopus Mike Portnoy. Infolgedessen geraten seine Antworten zwar nicht ganz so ausführlich, wirken dafür aber sehr sachlich, durchdacht und absolut ehrlich.
Hallo John. Eigentlich sollte das Interview im Hotel stattfinden, aber ich habe gehört, es gab ein Problem mit deinen Gitarren?
Nein, kein Problem, aber ich bin ein Gitarrist. Ich habe das ewige Bedürfnis, ständig an meinen Knöpfchen zu drehen, um den Sound noch besser hinzukriegen als am Vorabend. Dabei war mir nicht bewusst, wie weit das Hotel von der Konzerthalle entfernt ist.
Für eure Shows hier in Deutschland habt ihr euch nicht gerade das beste Wetter ausgesucht. Habt ihr schon mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen?
Nein, aber ich bin dieses Wetter bereits gewohnt. In New York ist es gerade auch nicht anders. Ich bin letzte Woche vier Tage zu Hause gewesen und insofern war das keine große Umstellung für mich. Vermutlich haben die Jungs aus Kalifornien (BIGELF stammen aus Los Angeles – Anm. d. Red.) da größere Probleme.
Also noch keine Probleme mit der Schweinegrippe?
Nein. Aber das ist auch in Amerika gerade ein großes Thema. Die Ärzte empfehlen in diesem Jahr auch Grippeimpfungen für alle Kinder.
Ihr tourt nun schon seit vier Wochen mit der „Progressive Nation Tour“ durch Europa. Wie läuft es bisher?
Gut. Wir haben diese Tour jetzt zum ersten Mal nach Europa gebracht. In Amerika haben wir das schon zweimal gemacht und es war dort sehr erfolgreich. Und auch hier läuft es großartig.
Was ist für euch der Unterschied zu einer normalen Tour?
Der Hauptunterschied liegt darin, dass wir normalerweise entweder unsere „An Evening With Dream Theater“-Shows alleine spielen oder mit einer einzigen Vorband auftreten. Auf dieser Tour haben wir drei Bands, die vor uns auftreten. Dadurch ist die Show insgesamt viel länger, aber wir selbst spielen nicht ganz so lange. Das macht die Sache für uns viel entspannter. Manche Leute mögen das nicht so gerne, weil sie uns lieber länger spielen sehen würden.
Das Problem ist auch, dass ihr in einem anderthalbstündigen Set kaum mehr als eine Handvoll eurer Songs unterbringen könnt. Deswegen finde ich die „An Evening With…“-Shows klasse, wo ihr immer zwei komplette Sets plus Zugaben spielt. Nach solchen Abenden müsst ihr aber ziemlich erschöpft sein, oder?
Es geht so. Die „An Evening With…“-Shows haben ihre guten und ihre schlechten Seiten. Es ist cool, weil wir viele Songs von all unseren Alben spielen können. Aber manchmal, wenn ich dann auf der Bühne stehe und in die Menge schaue, kriege ich den Eindruck, dass die Leute irgendwann müde werden und die Shows vielleicht doch zu lang werden.
Bei der komplexen Art von Musik, die ihr spielt, kann dieser Eindruck aber auch täuschen. Ich selbst erwische mich auch immer wieder dabei, wie ich mit offenem Mund vor der Bühne stehe und nur noch ungläubig staunen kann.
Das hängt auch vom jeweiligen Publikum ab. Manchmal flippen die Leute regelrecht aus, manchmal stehen sie aber wirklich nur da und schauen uns genau auf die Finger. Das ist auch abhängig von dem jeweiligen Land, in dem wir gerade auftreten. Es sind aber immer viele dabei, die ebenfalls in stiller Bewunderung dastehen. Besonders in Südamerika, beispielsweise in Brasilien, Venezuela oder Chile drehen die Leute total durch.
Wie ist der Kontakt zu den anderen Bands? Sitzt ihr abends zusammen und trinkt ein Bier?
Nein, das tun wir nicht. Aber wir reden viel miteinander, wenn wir gemeinsam mit Damon von BIGELF zu Mittag essen oder wir uns in den Katakomben begegnen. Manchmal spielen wir ein wenig zusammen oder sitzen einfach ein paar Minuten zusammen und reden miteinander. Aber wir hängen nicht unbedingt miteinander rum und machen gemeinsam die Stadt unsicher oder sowas. Jede Band hat da einen unterschiedlichen Zeitplan. Die Busse fahren nicht zur selben Zeit ab, wir übernachten nicht im selbsen Hotel, manchmal fahren die anderen Bands mit dem Bus, während wir fliegen…
Aber da euer Drummer Mike Portnoy alle Bands selbst ausgesucht hat, müsst ihr mit ihnen doch auch gut klarkommen und sie auch persönlich mögen, oder?
Ja, alle sind supernett zueinander. Und das ist auch wichtig. Alle Leute, mit denen DREAM THEATER zusammenarbeiten, sind nette Menschen, was eine positive Grundstimmung zur Folge hat. Die anderen Bands merken das und das macht es auch ihnen leicht, einander genauso zu respektieren wie die Crew und gemeinsam an einem Strang zu ziehen.
Lass uns mal über die musikalischen Qualitäten eurer drei Vorgruppen sprechen. Kannst du uns in wenigen Worten beschreiben, was du an ihnen magst?
UNEXPECT habe ich mir bisher erst einmal angesehen und sie haben eine Menge zu bieten, das man erst einmal verarbeiten muss. Sie sind total wild und absolut einzigartig. BIGELF sind cool, weil sie eine Menge Feuer haben. Es ist verrückt, dass sie total nach den Siebzigern klingen, dabei aber total modern sind. Sie ziehen ihr Ding mit großer Leidenschaft durch. OPETH liebe ich total. Ich könnte sie mir jeden Tag anhören. Ich mag die Akkorde, die sie benutzen, die Gitarrenharmonien, die Gesamtkompositionen und einfach alles an ihnen.
Euer neues Album „Black Clouds & Silver Linings“ habt ihr vor vier Monaten veröffentlicht. Wie beurteilst du das Album heute?
Ich höre mir das Album immer mal wieder an. Wenn ich mir auf meinem Ipod einen LAMB OF GOD-Song anhöre, die neue MEGADETH oder andere Metal-Bands anhöre und dann wieder zu unserem eigenen Album zurück komme, achte ich darauf, wie es im direkten Vergleich dazu klingt. Und ich finde, dass es großartig klingt. Ich bin absolut zufrieden mit der Produktion und der Klangqualität. Es hat einen sehr vollen und klaren Klang.
Ich mag eure überlangen Stücke sehr, in denen musikalisch so unglaublich viel passiert. Insofern mag ich das neue Album auch sehr.
Ja, diesmal haben wir viele Longtracks gemacht. Die Stücke kommen auch live prima an. Wenn wir „The Count Of Tuscany“ spielen, fährt das Publikum total darauf ab – und dass, obwohl das Stück noch so neu ist.
Habt ihr euch schon Gedanken über euer nächstes Album gemacht?
Ja und nein. Wir haben schon ein wenig darüber gesprochen, aber wir haben noch nicht mit konkreten Planungen begonnen.
In Interviews habt ihr immer mal wieder angekündigt, euch eine längere Auszeit gönnen zu wollen, was ihr aber nie durchgezogen habt.
Wir arbeiten seit etwa zehn Jahren nach demselben Muster. Das funktioniert soweit ganz gut. Nach einer Tour machen wir immer einige Monate Urlaub zuhause, bevor wir wieder unruhig werden und eine neue Scheibe machen wollen. Das ist immerhin auch unser Job, davon leben wir und das wollen wir am Laufen halten.
Du kannst uns also noch nicht verraten, was ihr auf dem nächsten Album anders machen wollt?
Nein, dafür ist es noch viel zu früh. Ich will auch keine Spekulationen in dieser Richtung schüren.
In den letzten Jahren habt ihr praktisch nach jedem Album/Tour-Zyklus auch eine Live-DVD veröffentlicht. Normalerweise wird es schnell langweilig, wenn eine Band das tut, aber bei euch ist dies nicht der Fall, weil sich die einzelnen DVDs sehr deutlich voneinander unterscheiden.
Dafür kannst du dich bei Mike (Portnoy – Anm. d. Red.) bedanken, weil er Wiederholungen hasst. Jede DVD geht ganz gezielt in eine bestimmte Richtung, es ist nicht alle zwei Jahre dasselbe, was wir veröffentlichen, mit der selben Setlist und so weiter. Es sind ganz unterschiedliche Aufnahmen und man kann dadurch einen sehr genauen Einblick in die Band erhalten. Man weiß dadurch auch nie genau, was einen auf einer neuen DVD von uns erwartet, dadurch bleibt die Sache spannend.
Wird es auch nach dieser Tour wieder eine Live-DVD geben?
Vielleicht. Wir sind uns da noch nicht sicher.
Wenn man einen Blick auf eure Texte wirft, gibt es große Unterschiede zwischen den von dir geschriebenen und denen, die euer Drummer Mike Portnoy oder euer Sänger James LaBrie geschrieben hat.
Meine sind die besten! (lacht)
Zumindest haben deine Texte immer eine besonders poetische Qualität und emotionale Tiefe. Fällt es dir nicht schwer, den Fans einen so tiefen Einblick in deine persönlichen Gefühlswelt zu gewähren?
Das ist sogar sehr schwierig. Texte zu schreiben ist immer eine große Herausforderung, die einen ganz anderen kreativen Teil der eigenen Persönlichkeit ans Licht bringt. Ich nehme das sehr ernst und mache es auch sehr gerne. Aber für mich ist das Songwriting allgemein eine sehr persönliche Angelegenheit, egal ob es um die Texte oder um die Musik geht. Wenn man ein neues Stück schreibt, fließt es einfach aus einem heraus, während man Gitarre oder Klavier oder sonst ein Instrument spielt. In dem Moment ist das immer eine extrem persönliche Erfahrung. Da ist es immer ein merkwürdiges Gefühl, den fertigen Song mit der Allgemeinheit zu teilen.
Ihr habt in der Vergangenheit zwar eine Menge Songs geschrieben, die es verdient hätten, im Radio gespielt zu werden. Trotzdem hat es nur „Pull Me Under“ zum Radio-Hit gebracht. Ist das nicht ziemlich frustrierend für euch?
Absolut. Wir hatten auf jedem Album mindestens ein radiotaugliches Stück. Trotzdem werden diese Songs nie im Radio gespielt. Wir haben da wohl einfach kein Glück. Auf dem neuen Album wäre das wohl „Wither“. Wir haben das Stück auf das Album gepackt, weil wir dachten, dass wir bei all diesen langen Stücken etwas brauchten, um den Fluss des Albums ein wenig aufzubrechen und eine Art Pause zwischen den übrigen Stücken zu bieten. Der Song entwickelte sich dann in eine poppige Richtung und wir dachten, das wäre eine coole Single. Ein großer Hit ist es bislang allerdings wieder nicht geworden und wird es wahrscheinlich auch nicht mehr.
Hast du eine Erklärung dafür, warum es bei „Pull Me Under“ geklappt hat und danach nie wieder?
Als wir „Pull Me Under“ auf dem „Images And Words“-Album veröffentlicht haben, waren wir noch eine neue Band, von der bis dahin noch niemand gehört hatte. Die Leute haben das dann im Radio gehört und sich gedacht: „Wer ist das? Ich will mehr davon hören!“ Als wir dann einen größeren Bekanntheitsgrad erreichten, kannte uns jeder schon und wir hinterließen nicht mehr einen so großen Eindruck, wie es eine neue Band tut. Selbst wenn die Songs also toll sind, funktioniert es nicht mehr so gut wie bei einer Newcomer-Band.
Gibt es noch etwas, was du euren Fans in Deutschland mitteilen möchtest?
Wir sind vom Beginn unserer Karriere an in Deutschland auf Tour gewesen. Schon auf unserer ersten Europa-Tour haben wir hier Shows gespielt, so dass uns Deutschland sehr am Herzen liegt. Eine Menge Leute, mit denen wir hier zusammenarbeiten, Promoter beispielsweise, kennen wir schon sehr lange. Und ich mag auch das deutsche Essen. Besonders das bayerische, „Schbetschels“, „Schbezzels“ oder wie das heißt.
Das heißt „Spätzle“ und ist nicht bayerisch, sondern schwäbisch!
Wirklich? Ich dachte die wären bayerisch. Aber lecker sind sie trotzdem. Und auch die verschiedenen Würste und Fleischsorten mag ich sehr.
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