Dornenreich
Vorab-Interview zu "Freiheit"
Interview
„Freiheit“ lautet der programmatisch betitelte Name des achten Studioalbums von DORNENREICH, welche dieses am 25. Januar einer kleinen Anzahl an Pressevertretern in der Klangschmiede Studio E in Mellrichstadt in Form einer Listening-Session vorspielten. Das Album wurde von Markus Stock produziert und wird am 02. Mai veröffentlicht. Meine ersten Höreindruck von „Freiheit“ findet ihr im Bericht über die Listening-Session. Anschließend stellten sich die Bandmitglieder Eviga, Inve sowie Produzent Markus Stock den ersten Fragen der Pressevertreter. Ein weiteres Interview mit DORNENREICH haben wir geplant, in welchem wir versuchen werden, die Hintergründe des Werkes und des Schaffens weiter und tiefer zu ergründen.
Offensichtliche erste Frage – Was steht hinter der Aussage, dass „Freiheit“ das für längere Zeit letzte Studioalbum DORNENREICHs bleiben wird?
Eviga: Es ist sehr bewusst so formuliert, und letztendlich sehr offen gehalten. Auf mehreren Ebenen, und vor allem in der Musik selbst, im gesamten Konzept, fühlt es sich wie ein gewisser Abschnitt an, wie ein Abschied, wie eine Zäsur. Was das musikalische als auch das konzeptionelle anbelangt, ist jetzt für uns ein Punkt erreicht, an welchem man innehält, und das Ganze neu ausrichtet und nach neuen Möglichkeiten sucht, alles zu erforschen. Wenn man DORNENREICH schon länger kennt, ist es doch unser Wesen, dass alles eine riesige Suche ist, eine Reise. Die Formulierung wurde bewusst genau so getroffen. Mit dem geringen Abstand, welchen wir jetzt zu unserem neuen Album „Freiheit“ haben, könnte man keine endgültige Aussage treffen. Aber es fühlt sich schon so an, und zwar nicht nur subjektiv, sondern auch, was das Album ausstrahlt.
Fiel die Entscheidung, nachdem ihr „Freiheit“ aufgenommen hattet oder vorher schon?
Eviga: Nein, es ist schon lange klar, dass wir uns in den kommenden Jahren auf besondere, ganz spezielle Konzerte konzentrieren werden. Ich denke, DORNENREICH vermittelt in der Basis einen sehr zeitlosen Ausdruck, welcher in einem ganz speziellen Rahmen funktioniert und das rüberbringt. Aber wie gesagt, die Aussage ist bewusst so wage gehalten, länger kann vieles bedeuten. Wichtig ist in diesem Zusammenhang einfach, dass uns Dreien in DORNENREICH der künstlerische Ausdruck immens viel bedeutet. Wir sind eine Band, welche es sich selbst nicht leicht macht, ein Album zu machen. Wir folgen sehr stark unserer Intention, und in Zeiten wie diesen mit all den Dingen, welche in die Musikwelt einspielen, ist es für uns ganz wichtig, diesen Punkt zu setzen, eine Zäsur. Vielleicht auch im Geiste des Albums „Freiheit“, um uns von allem freier zu machen. Wir wollen mehr in etwas übergehen, wo wir freier experimentieren können und schauen, was sich richtig anfühlt, wohin der Weg führt. Man darf nicht vergessen, dass es DORNENREICH seit 18 Jahren gibt, und dies ist nun unser achtes Studioalbum. Wir sind immer bestrebt, Alben zu veröffentlichen, welche viel Substanz haben, und wir investieren immer wahnsinnig viel in die Musik. Man wird es sehen. Das Leben wird es zeigen. DORNENREICH ist immer dem Leben verpflichtet, aber im Moment fühlt es sich einfach so an. Und ich finde, es ist es auch wert, das so zu kommunizieren. Denn mittlerweile ist die Musikwelt zu solch einer Maschinerie geworden, was vielleicht auch so sein muss, wo immer alles immer weiter läuft. Aber tatsächlich steckt im Grunde genommen doch mehr dahinter. Ohne großes Drama oder viel Pathos, es ist ja keine völlige Abkehr, denn für uns ist Kunst und Musik extrem wichtig. Gerade deswegen setzen wir so ein kleines Zeichen.
Inve: Wenn es in einem Jahr wieder etwas zu sagen gäbe, wäre das für uns selbst eine Überraschung. Das ist jetzt mal der aktuelle Stand, jetzt führen wir das Leben weiter und schauen, was es uns bringt.
Eviga: So waren wir im Grunde schon immer. Es kommt aus der Intuition, denn ein durch und durch kalkuliertes Album, würde nach der „Flammentriebe“ sicherlich komplett anders klingen, als es jetzt „Freiheit“ tut. Es war schon öfters in unserem Werdegang so, und uns ist es einfach wichtig das auch mal zu kommunizieren, dass es einfach immer weitergeht. Das entspricht auch dem Geist des neuen Albums, sich frei zu machen. Es fühlt sich an wie ein Abschied.
Wo seht ihr das Album stilistisch? Zu Anfang klingt es nach einer Fortsetzung von „In Luft geritzt“, in der Mitte hört es sich nach „Flammentriebe“ an, und gegen Ende wirkt es total neu, wenn die Akustikinstrumente zusammenkommen mit Flamenco-Elementen. Habt ihr euch erst einmal selbst in der Vergangenheit abgeholt, um dann in neuen Gefilden weiterzumachen?
Eviga: „Freiheit“ vereint viel in sich von dem, was uns seit vielen Jahren ausmacht, und aber eben auch neue Wege, neue Ebenen für uns eröffnet. Das letzte Stück des Albums „Blume der Stille“, die Basis dieses Stücks habe ich schon 1997 gespielt. Das Lied begleitet mich schon sehr lange. Dadurch, dass wir erst heute das Mastering abgeschlossen haben, ist es noch schwer, das Album selbst zu beurteilen, dafür stecken wir noch zu sehr drin.
Könnte man sagen, dass „Freiheit“ wie eine erwachsene Version von „Her von welken Nächten“ klingt? Das war auch ein Konzeptalbum, in welchem es um Menschwerdung, Erweckung und Erleuchtung ging, und jetzt schein es dasselbe zu sein, 13 Jahre später. Hängt „Freiheit“ damit irgendwie zusammen? Kann man es als eine Art Aufarbeitung sehen?
Eviga: Ja, das finde ich schon. Es ist ein Konzeptalbum, wobei „Flammentriebe“ in gewisser Weise auch ein Konzept hatte. Bei diesem Album wird es so sein, dass im Booklet der Premium-Edition wieder Liner-Notes von mir sein werden, eine Sache, die wir sonst nur damals bei der „Her von welken Nächten“ hatten. In diesen werde ich in die Texte einführen und diese erläutern. Dem Eindruck, dass die beiden Werke konzeptionell stark miteinander verknüpft sind, kann ich viel abgewinnen.
Ist es für dich schwierig, den Texten, dem Gesamtkonzept diese Liner-Notes hinzuzufügen? Oder ist das von der Plattenfirma bewirkt? Das Konzept des Albums erscheint doch recht offensichtlich.
Eviga: Nein, also es ist ja von der Plattenfirma eine reine Tugend. Wenn man bei Prophecy Productions veröffentlicht, genießt man ja völlige künstlerische Freiheit. Das Konzept ist nicht schwierig angelegt. Es ist schon seltsam, diese Liner-Notes den eigentlichen Texten hinzuzufügen. Aber dadurch hat sich auch mir selbst vieles neu eröffnet. Man kann mit einer sachlicheren Herangehensweise einfach viel herausarbeiten. In meinen Texten ist es mir immer sehr wichtig, wahnsinnig viel anzudeuten. Dabei bleibt vieles sehr vage, meine Texte sind sehr tendenzenhaft, manche Phrasen stehen für sich und bleiben hängen. Im Großen und Ganzen ergeben sie auch einen Sinn, und das ist mir sehr wichtig. Sie sind metaphorisch, symbolisch, das ist klar, und das bietet natürlich viele Angriffspunkte. Aber das tut dem keinen Abbruch. Ich finde die Liner-Notes eine schöne Ergänzung, aber im Grunde können die Texte auch für sich alleine stehen.
Betrachtet man die Texte, wirken die ersten 5 Stücke wie bis zur „Her von welken Nächten“, das sechste Stück „Im Fluss die Flammen“ deutet „In Luft geritzt“ an, während das siebte Stück „Traumestraum“ auch von der Artikulation „Hexenwind“ andeutet. Würdest du sagen, dass „Freiheit“ zumindest textlich eine Zusammenfassung des bisherigen DORNENREICH Wirkens ist?
Eviga: Textlich in jeder Hinsicht, auf jeden Fall. Das war im Grunde auch die Vorgabe für solch einen großen Titel wie „Freiheit“. Es muss nicht immer alles die überhöhte Kunst sein, aber es hat uns eingefordert in dem Rahmen, in welchem DORNENREICH stehen oder stehen wollen. So fügt sich das für uns alles zusammen und macht auch Sinn, um das mal so im Raum stehen lassen zu wollen. Es ist vielleicht für längere Zeit unser letztes Studioalbum. Für uns ist DORNENREICH etwas sehr lebendiges, und natürlich sind da Konzerte etwas sehr lebendiges. Es ist ja nicht so, dass wir uns jetzt verabschieden. Aber das steckt auch in der Formulierung klar drin.
Bei den Akustikkonzerten hattet ihr schon einige der Songs von „Freiheit“ ohne Gesang gespielt. An welchem Punkt der Entstehung des Albums kam es zu dem Konzept dahinter. Stand dieses von Anfang an fest, oder kam es erst dazu, als das Grundgerüst der Songs musikalisch schon stand?
Eviga: Das Konzept entstand nach der Musik. Das hatte ich auch schon bei den letzten Alben versucht, so zu handhaben. Es ist für mich ein Prozess, der das alles sehr spannend hält. Die Musik entsteht bei uns sehr intuitiv, und ich versuche dann die Texte danach zu schreiben, was die Musik in mir auslöst. Gestus der Musik, die Bilder, die alle schon angelegt sind, auch in der Bewegung, die Rhythmik, die Dynamik, natürlich auch Melodie und Harmonik. Es ist viel Zeit vergangen seit der „Flammentriebe“, man macht viele Erfahrungen, man ist Mensch. Das spielt dann alles mit hinein. Natürlich lasse ich mich nicht ausschließlich von der Musik leiten, ich bin nicht nur das Medium der Musik, es ist letztendlich eine Mischung aus Intuition und bewusster Entscheidung für diesen oder jenen Inhalt.
Wie entsteht eine Entwicklung in dem Song bei so einem Konzeptalbum? Die Geschichte baut ja aufeinander auf?
Eviga: Das ist eine schwierige Frage, dafür bin ich vielleicht noch zu nah dran. Das ist eine wechselseitige Beziehung, da die Musik als auch die Texte sehr viel mit mir zu tun haben. Das ist schwer für mich zu trennen. Wir haben im November die Musik abgeschlossen und schon einen sehr guten Rohmix in der Albumreihenfolge. Sicher steckten zu diesem Zeitpunkt schon gewisse textliche Konzeptionen dahinter, um die Reihenfolge dann überhaupt so festzulegen. Es ist immer sehr wechselseitig, aber im Grunde geht schon wahnsinnig viel von der Musik aus, obwohl ich schon immer in den Albumtiteln versuche zu vermitteln, worum es geht. Textlich, atmosphärisch, auch in den einzelnen Songtiteln, da ist immer schon viel drin von dem, wofür das Stück steht.
Wie sind die einzelnen Arrangements der Songs letztendlich entstanden, habt ihr mehr geschrieben, und letztendlich den Song reduziert, oder wurde eher im Prozess mehr hinzugefügt? Auch die Entscheidung, rein akustisch zu bleiben, oder in einen Bereich wie eine Rockballade reinzugehen? Oder auch die Erblasten des Heavy Metals, sind das Lasten die übrig geblieben sind oder bewusste Entscheidungen, das im jeweiligen Stück aufzurüsten?
Inve: Das ist ein Wechselspiel zwischen auf- und abrüsten. Die Strukturen und die Rhythmik machen vieles evident, und oft baut man etwas zurück, von intensiv zu intim. Da läuft vieles hin und her bei uns. Wir haben schon eine ganze Produktion von einem Stück gemacht, das ursprünglich größer war, das haben wir dann zurückgebaut in ein kleineres Setting.
Eviga: Das vom Klang härteste Stück des Albums ist „Das Licht vertraut der Nacht“ mit seinem dramatischen Bruch. Dieses ist ursprünglich auf der Akustikgitarre entstanden und hat sich dann immer weiterentwickelt. Wir werden bei der Premium-Edition eine Bonus-EP dabeihaben, die das Ganze sehr stark auf den Punkt bringt. Darauf wird das Stück „Jagd“ sein, in der Version wie wir es Live spielen, im Gegensatz zur ursprünglichen Fassung auf unserem Akustik-Album „In Luft geritzt“. Umgekehrt haben wir jetzt rein akustisch das Lied „Reime faucht der Märchensarg“ darauf mit Thomas Helm als Gastsänger, welches auf unserem zweiten Album „Bitter ist’s dem Tod zu dienen“ in Metalversion war.
Aber wie kommt es zu der künstlerischen Entscheidung, wie kommt das Album in dieser Fassung zustande?
Inve: Das ist ein fließender Prozess.
Eviga: Wir lassen das zuerst bewusst offen. Es ist eine wichtige Sache. Um im Studio lange Zeit emotional dabeizubleiben, ist es wichtig, solche grundlegenden Entscheidungen erst dort zu treffen, wie es sich besser anfühlt, wie es sich entwickelt. Man will ja vorher nicht alles planen. Es ist immer eine schmale Gradwanderung, zwischen gut vorbereitet sein und zu wissen, was man will, und andererseits offen zu bleiben für die Möglichkeiten, die sich im Studio, im Moment der Aufnahme, ergeben. Das gilt auch, wenn man Stücke schon jahrelang eingeprobt hat, schon Live gespielt hat.
Inve: Die einfachste, klarste Entscheidung waren teilweise die Stücke, welche wir akustisch gespielt haben, und die sich schon bei Live-Konzerten in der Kirche bewährt haben, die wir selber schon stark spürten, da hat man eine Gewissheit. Diese Stücke sind dann eher so geblieben, während diejenigen, welche noch nicht viel gespielt wurden, sind wesentlich plastischer. In diesen bewegt man sich in Sachen Intensität noch mehr vor und zurück.
Eviga: Man muss an dieser Stelle noch dazu sagen, dass die ersten drei Stücke Live eingespielt wurden, ohne Klick-Track und damit ohne Rhythmusorientierung, während die anderen Stücke mit einem rhythmischen Fundament und damit mit einer klaren Orientierung aufgenommen wurden. Da geht man natürlich anders, freier ran. Man reagiert im Moment der Aufnahme anders aufeinander, das macht viel von der Binnendynamik zwischen Gitarre und Geige aus.
Inve: Die ersten drei Stücke sind tatsächlich ein Live-Ereignis, einfach das Mikrofon davor platziert, das hat genau so stattgefunden. Das hat etwas Kammermusikalisches, das ist etwas ganz anderes. Dadurch ist natürlich eine freiere Interpretation möglich, im Gegensatz zum anderen festgelegten, mit fixem Timing, das eher einer klassischen Produktion entspricht. Wir haben viel Produktionen, die eher Retro sind, als ob kein Computer existiert. Wir spielen das wirklich einfach so ins Mikrofon rein, als wäre es nur ein momentanes Ereignis, ungeachtet, dass es sich gerade um eine Albumproduktion handelt.
Was waren die ersten Sachen, die aufgenommen wurden?
Eviga: Aus Produktionsgründen war es klassischerweise das Schlagzeug. Bei den Stücken hatten wir Klick-Track und Pilotgitarren, so dass man festlegen konnte, wann das Schlagzeug einsetzt.
Inve: Danach kamen die durchkomponierten Songs, die wir Live aufnehmen wollten. Und zum Schluss der Gesang.
Eviga: Wir haben dieses Mal sehr viel Musik aufgenommen. Gerade in Hinblick auf die Bonus-EP. Das wäre ein exklusives Stück, welches es so noch nie gegeben hat. Dann die beiden neuen Versionen von älteren Songs. Insgesamt haben wir weit über 65 Minuten Musik aufgenommen, was sehr viel ist, vor allem wenn man so unterschiedliche Gewichtungen in den Instrumentierungen hat. Das ist ein sehr lebendiger Prozess, das entwickelt sich. Hätte man mich vor drei Jahren gefragt, wie das Album werden würde, hätte ich sicherlich etwas anderes gedacht.
Markus Stock: Diese Live-Aufnahmen sind auch etwas ganz anderes bei diesen akustischen Stücken, wie eine klassische Overdub-Produktion. Es geht dabei um so viel mehr als Perfektion, es geht unglaublich viel um das Gefühl, was in einem Take für ein Gefühl drin war. Ich finde, diese Live-Aufnahmen der akustischen Stücke repräsentieren DORNENREICH total.
Was war der Grund, dass „Freiheit“ eure bisher längste Studiosession war? War es mit den 65 Minuten Musik die schiere Masse, oder lag es eher an den Live-Aufnahmen?
Eviga: Das hatte viele Gründe. Es lag zum einen natürlich an der schieren Menge, auch das Ausloten der verschiedenen Herangehensweisen. Es lag auch daran, dass wir mit Markus schon viel gemacht haben. Auf der einen Seite erleichtert das natürlich vieles, macht vieles schneller, man kennt sich, es macht Spaß. Andererseits durch die wahnsinnig viele Erfahrung von Markus, aber auch von uns, will man auf vielen Ebenen der Produktion gerecht werden, auch klangtechnisch. Das benötigt viel Zeit. Auch dass man verschiedene Tests macht, Sachen ausprobiert, Dinge wieder verabschiedet. Auch wenn man eine klare Vision von dem hat, was man machen will, ist es wichtig, einen Versuch zu starten, wie es anders sein könnte. Das ist Teil der Freude, das ist etwas Lebendiges. Da spielt vieles rein, auch dass wir mittlerweile vielschichtiger und mehr auf verschiedenen Ebenen hinhören, bei einer Produktion, vieles im Auge haben. Das benötigt einige Zeit, um es einzufangen. Unsere Musik ist schon diffiziler, weshalb wir gewisse zeitliche Resourcen brauchen. Es war jetzt nicht viel länger als viele unserer bisherigen Produktionen.
Wie ist die Rolle von Gilvan, da er nur auf einem Drittel der Songs zu hören ist? Seid ihr beide der Kern von DORNENREICH, und er kommt dazu als zusätzliches Element, oder ist er wie ihr Teil der Band und ihr macht da keinen Unterschied?
Eviga: Er ist sicher Teil der Band. Er ist schon seit 1997 dabei. Zwar nicht auf allen Alben, aber seit 8/9 Jahren ist er wieder fix dabei. Das ist ein großer Glücksfall in unserer Band, dass jeder, der involviert ist, einen klaren Aufgabenbereich hat. Gilvan ist nicht derjenige, der die ganzen Songs vorgibt. Er ist in erster Linie unser Booker und Manager, der vieles nach außen trägt und vieles uns möglich macht. Es war lange nicht klar, auf wie vielen Stücken er überhaupt zu hören sein wird. Wir haben auf diesem Album sehr viel von perkussiver Seite aus probiert. Auf jeden Fall ist er ganz klar Bestandteil der Band, und für uns ist es eine gute Sache, dass jeder einen recht klaren Aufgabenbereich hat.
Da gibt es keine Ego-Probleme, wenn er nur so selten zu hören ist?
Eviga: Nein.
Inve: Der Gilvan hat keine, der Eviga hat keine, und ich habe keine.
Eviga: Gilvan ist gerne dabei. Aber wenn er merkt, dass Sachen kein Schlagzeug brauchen, ist das kein Problem. Man darf nicht vergessen, das ist inzwischen unser achtes Studioalbum. Wenn man an Live-Umsetzungen denkt, wir haben so viele Stücke, die manche Leute gerne hören würden oder man selbst gerne spielen möchte, spielen solche Dinge keine Rolle mehr. Die extreme Dynamik der ersten drei Stücke von „Freiheit“ kommt auch daher, weil wir beide sehr viel proben, sehr viel miteinander spielen, und viel Reaktion aufeinander ist, sehr viel Binnendynamik. Das kommt auch erst, wenn man länger spielt. Wenn man jetzt das Schlagzeug dazu nimmt, oder anders gesprochen, mit jeder zusätzlichen Person wird das alles mit viel mehr Aufwand verbunden, das so einzustudieren, dass man in so einem dynamischen Bereich so aufeinander reagiert. Es haben eben nicht alle Stücke nach einem Schlagzeug gefordert. Da gehen wir dann auch dementsprechend ran, uns ist die Musik ansich, der Ausdruck, sehr wichtig.
Die Songstruktur ist auf das erste nicht offensichtlich, sie folgt keinen bestimmten Regeln. Wie macht ihr das beim Komponieren, lasst ihr euch innerhalb des Songs treiben?
Eviga: Das ist eine gute Frage, und dafür bräuchte man selbst wohl mehr Abstand, haha.
Inve: Das wie diese Stücke entstehen ist uns selbst ein Rätsel, haha.
Das Album ähnelt vielen Strukturen, die es schon auf „Hexenwind“ gab. Das betrifft auch die Texte, viele Phrasen, die weiter hinten wieder aufgegriffen werden.
Inve: Wir sind uns darüber bewusst, wenn man Dinge wiederholt, was anderes anfügt, und wieder wiederholt, also wir sind uns der Abnützungen bewusst. Und wenn ein neuer Teil stattfindet, ist das wie frische Luft. Wir haben selber die Songs sehr gerne, die einen völlig neuen Teil in sich haben, das interessiert uns selbst immer. Wir sind hellhörig darauf, dass es organisch wirkt. Diese typischen Wechsel von A-Teil und B-Teil empfinden wir als nicht so organisch. Durch die vielfältigere Struktur wirkt es organischer.
Eviga: Wir experimentieren viel mit verschiedenen Parts und Tempi. Die Basis bleibt gleich, und es ändert sich auf höheren Ebenen etwas.
Inve: Es ist einfach schon ein Unterschied, ob ein Song nur 2 Minuten dauert, und dann der nächste kommt, oder ob der Song für sich betrachtet länger stattfindet und in sich selbst vollständig wirkt. Das sind zwei ganz unterschiedliche Herangehensweisen.
Eviga: Die Struktur entwickelt sich. Die grobe Basis kommt von mir mit der Gitarre, und dann im Wechselspiel, über die lange Zeit, in welcher wir Stücke entwickeln, geht es dann doch Reliefartig weiter, es gibt ein stärkeres Profil, jedes Stück ist eine Reise für sich. Es kommen dann oft noch Einleitungen dazu, welche jetzt mittlerweile typisch für uns sind.
Gerade die akustischen Stücke folgen einer eigenen Logik, diese extreme Rhythmik und Dynamik, mit teilweise unterschiedlichen Motiven von Gitarre und Geige. Werden diese nach einer Art Baukastensystematik zusammengefügt? Schreibt ihr Sachen unabhängig davon, für welchen Song sie gedacht sind und verwendet dann das je nachdem, was jetzt zu welchem Stück passt? Oder wird jedes Stück einzeln betrachtet, und wenn die Struktur steht, wird dieses aufgenommen und dann am nächsten gearbeitet?
Eviga: Beides! Als Beispiel nehmen wir mal das dritte Stück, die Ballade „Des Meeres atmen“. Wir hatten für die „Flammentriebe“ einen Bonussong fix und fertig im Studio aufgenommen, mit dem tragenden Motiv von „Des Meeres atmen“, aber ganz anders gewichtet, mit E-Gitarren, ganz anderes Tempo. Wir haben aber dann damals gesagt, dass das so nicht für uns funktioniert. Wir haben es jetzt viele Jahre später in einem ganz anderen Rahmen verwirklicht. Was das abgehackte anbelangt, wir schauen viel auf den Fluss der Sachen, dass wir ein Tempo durchgehend haben, die Sachen ineinander fließen, bis in die gesetzten Pausen dazwischen.
Inve: Der Ausgangspunkt ist so, dass ich tatsächlich auf Dinge von Eviga reagiere, wodurch sich wieder Wendungen ergeben. Das hat tatsächlich Jazzcharakter. Jazz bedeutet oft, bewusste Harmonien und Töne auszuwählen, die Gefühl vermitteln. Bestimmte Töne entfalten gewisse Wirkungen, die wählen wir bewusst, die führen zum nächsten. In der Entstehung ist es oft so, dass das Stück eigentlich fertig ist, mit Gitarre und Gesang funktionieren würde, dann aber durch die Hinzunahme von Melodie und Harmonie, oder durch das bewusste Weglassen, sich wieder ändert, und gerade diese unkonventionelle Herangehensweise interessiert uns auch selbst. Eine gute Definition der DORNENREICH Kompositionen ist, dass wir das Material machen, das uns selbst interessiert, und nicht einfach Mittel zum Zweck. Fertig wäre es in 5 Minuten, irgendwas einfach zusammenfügen, das wäre keine Kunst. Es soll aber so gestaltet sein, dass es für uns interessant ist, wir wollen es gerne Live aufführen, und es soll für uns dann auch spannend sein.
Markus Stock: Ich habe noch nie eine Band produziert und kenne auch sonst keine Band, bei der Dynamik solch eine ausschlaggebende Rolle spielt wie bei DORNENREICH. DORNENREICH lebt extrem von Dynamik. Der Effekt ist unfassbar stark, was das Spiel, die Performance, die Dynamik die im Spiel ist, was die erzeugt in der Musik. Das ist auch etwas, was man bei der Produktion extrem erhalten muss. Der Dynamiksprung ist bei allem extrem groß. Und das ist der Ausdruck von DORNENREICH.
Während ihr komponiert, wo ist euer Grad zwischen Musiktheorie und Gefühl? Überlegt ihr musiktheoretisch die Sachen, die ihr spielt, oder lasst ihr euch vollends vom Gefühl leiten?
Eviga: Ich glaube, wir ergänzen uns da extrem gut. Ich hatte zwar auch eine klassische Ausbildung an der Gitarre, auch mit Harmonielehre usw., aber ich bin derjenige, der immer extrem intuitiv an alles herangeht. Dadurch dass Inve Musiklehrer ist und studierter Geiger, hat er natürlich ein enormes Wissen von Musik, das aber mir sicher nicht in die Quere kommt. Manchmal ist es sehr spannend, wenn er mir erklären kann, was wir da gerade eigentlich machen, auf einer musiktheoretischen Ebene.
Inve: Das sind nur immer kurze Ausflüge, das ist dann auch genug. Die Stunden verbringen wir mit dem Ausdruck. Vor allem im Jazz hat man Töne im Ohr, die eher abseits liegen. Ich habe davor immer viel gestaunt über Musik, habe mich gewundert, was das überhaupt für Material ist, das ist ja keine einfache C-Dur. Durch das Wissen des Jazz hat man mehr Töne im Ohr, und plötzlich kommen die einem, wenn es trifft, denkt man intuitiv, dass man dies oder jenes dazu hören möchte. Dadurch ist man natürlich schneller am Ziel, anstatt dass man jahrelang sucht ob man auf einen Ton kommt oder auch nicht, weil man vielleicht schon vom Material über Jahre gelangweilt ist. Man kommt frisch auf ein Ergebnis, das man vorher nicht kennt, aber man hat mehr Farben zur Verfügung, wenn man abseits vom Gewöhnlichen hört. Abseits von Dur ist sehr viel möglich.
Eviga: Ich bin derjenige, der oft das Fundament intuitiv auf der Gitarre bringt, und dann kommst du dazu, dann auch intuitiv, aber auch theoretisch.
Inve: Man hat so eine Farbpalette. Hätte ich als Farbmalkasten nur Moll und Dur zur Verfügung, wäre es dem Ausgangsmaterial gegenüber sehr schade, das würde diesem nicht gerecht werden und nicht reichen. Ohne Dissonanzen, ohne reibende Harmonien ist DORNENREICH nicht denkbar. Wenn man Intensität zeigt, ist es harmonisch auch intensiver, außerhalb von reibungslosem Dur und Moll Geschehen. Man kann sich harmonisch betrachtet auch auf einer ganzen CD austoben, ohne dass man darin irgendwelche Informationen findet, das ist oft so. Bei DORNENREICH hingegen findet man in dieser Richtung schon Informationen. Es ist viel spontan, jazzig, hat einen sehr organischen Charakter. Es treffen nicht nur zwei Dinge aufeinander sondern mehrere.
Eviga: Es finden sich darin in gewisser Weise auch paradoxe Momente, sowohl musikalisch als auch textlich.
Inve: Andere Momente sind jetzt bewusst entschieden glasklar Dur, also es gibt ja auch ganz simple Momente. Die gehören auch genau so, die sind so gedacht.
Eviga: Man muss hier auch sagen, das ist ein Mut zur Schönheit, auch in dem Album. Ich denke mir manchmal, laut und lässig sein geht recht flott, aber sich in der Muttersprache bewegen mit emotionalen Gedanken und Dingen zu hantieren ist ein schmaler Grad. Und musikalisch natürlich auch. Aber das war uns wichtig auf „Freiheit“, auch diese schlichten Momente. Man merkt in der zweiten Hälfte, dass die Stimme wesentlich stärker in den Hintergrund tritt, als in den ersten vier Stücken. Das war sehr wichtig, da die Kompositionen so angelegt sind, dass sehr viele solistische und melodische Momente sind, an welchen die führenden Instrumente den vokalen Anteil auch stark übernehmen.
Das Artwork zeigt dieses Mal ein Foto?
Eviga: Das „Hexenwind“ Cover war auch ein Foto. Es war sehr urig, in analogen Zeiten abfotografiert von einem Standbild, also die Kombination VHS-Videorekorder und Röhrenfernseher. Ich wollte „Freiheit“ zuerst wieder von meinem Vater malen lassen, aber durch den Gedanken der Schwellen und Übergänge, und auch die Thematik „Freiheit“ ist ein recht großer Titel, verlangte nach einem großen Motiv. Für mich transportiert dieses Cover wahnsinnig viel, es ist nicht einfach nur ein Sonnenuntergang am Meer, es ist eigentlich gar nicht klar, ob es ein Sonnenuntergang oder ein Sonnenaufgang ist, es ist genau die Schwelle zwischen Tag und Nacht. Das ist wahnsinnig wichtig für das Album in vielerlei Hinsicht. Auch die Meeresthematik ist sehr schlüssig. Und von einfachen, flächigen Gestaltung passt es sehr gut in unsere Reihe von minimalistischen Covern. Das Motiv hat einfach sehr gut gepasst.
Denkt ihr, dass sich eure Hörer genauso mit dem Album auseinandersetzen, wie ihr jetzt im Interview ausführlich die Unterschiede herausgearbeitet habt? Es könnte ja schon sein, dass sich mancher Fan das Album anhört, Parallelen zu einem der letzten vier entdeckt und empfindet, dass er das schon gehört hat und beiseite legt.
Eviga: Ja, aber darauf kann man keine Rücksicht nehmen. Wir sind nachwievor keine Band, die in erster Linie an die Rezensionen denkt. Klar, die Art und Weise wie wir das jetzt ausufernd verbalisiert haben, kann man nicht voraussetzen. Aber ich bin manchmal sehr überrascht. Dadurch dass wir eine Band sind, die sich bei Live-Konzerten sehr stark auch mit den Leuten unterhält, bekommt man da auch überraschendes zu hören. Es ist erstaunlich, wie viel im Detail und in der Tiefe sich mit DORNENREICH auseinandersetzen. Es gibt schon genügend Leute, die da mehr drin sehen und entdecken.
Durch die Aufteilung in einen akustischen Teil und einen Metal-Teil wird das Album wahrscheinlich nie komplett Live aufgeführt?
Eviga: Man soll ja keine absoluten Aussagen treffen, aber das ist eher unwahrscheinlich. Auch in Anbetracht von unserer Dreier-Besetzung.
Textlich geht es ja wieder sehr um Selbstfindung. Hast du da bestimmte Bücher, Filme oder Philosophien, die dich da stark beeinflusst haben?
Eviga: Also dieses Mal eigentlich nicht. Aufgrund der Thematik und aufgrund dessen, dass das Menschsein wieder eine größere Rolle spielt als den vorherigen Alben, habe ich mich von äußeren Einflüssen frei gemacht. In der Zeit, als ich die Texte geschrieben habe, was hauptsächlich im Sommer letzten Jahres war, habe ich versucht, aus dem ganzen Innenleben was jeder von uns hat und in sich trägt, das herauszufiltern, was vielleicht auch andeutungsweise das ist, was stark und authentisch das widerspiegelt, was ich transportieren möchte.
Spiegelt sich da auch ein gewisses Weltbild in den Texten?
Eviga: Würde ich so krass nicht sagen wollen. Es stecken sicherlich Gewichtungen drin. Es ist schon so, dass ich mich mit verschiedensten Philosophien und spiritueller Literatur auseinandergesetzt habe, aber ich würde das jetzt nicht als Weltbild umschreiben. Das neue Album knüpft schon inhaltlich da an, wo „Flammentriebe“ aufgehört hat. Es geht im Grunde um die Klärung des Individuums, wie es entsteht, wie es der Welt begegnet, wie es sich selbst setzt, als Ich. Das Selbst, das Ich. Wie das kleine Wesen steht zur Welt, in der es sich bewegt. Aber auch wenn es viel um das Ich dreht, soll es nicht egozentrisch sein. Eben genau nicht. Deshalb wird der Anteil der Texte im Verlauf des Albums immer weniger. „Blume der Stille“ als letzter Song sagt sowieso wahnsinnig viel aus – im Titel, und dass das Stück ohne Text bleibt. DORNENREICH war oft so, dass die Worte benutzt werden, um über die Worte hinauszukommen. Sprache ist wichtig, um zu kommunizieren, sie ist ein wichtiges Mittel, aber es ist auch toll, wenn man mit der Sprache einen Bereich deuten kann, der über das alles hinausgeht. Das ist in unserer Musik sehr stark angelegt.
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