Dornenreich
Interview mit Eviga zum zwanzigjährigen Bestehen (Teil III von III)
Interview
2016 feiern DORNENREICH ihr 20jähriges Bestehen und werden auf ihrer kommenden Tour daher eine spezielle History-Setlist spielen. Wir nutzen die Gelegenheit, um mit Eviga ein dreiteiliges History-Interview zu führen. Teil I erschien am 12. Februar, Teil II am 28. Februar, hier nun der dritte und damit letzte Teil des Interviews.
Wenn ihr neue Musik schreibt, ist alles reine Intuition, lasst ihr euch treiben, oder gibt es auch mal eine Art Leitfaden, einen Plan?
Bis hin zu „Freiheit“ war der Beginn jedes Stückes reine Intuition, reines Sich-Treiben-Lassen, Sich-Seinem-Fühlen-Hingeben, reines intuitives Vorantasten am Instrument aus Emotion heraus, ja. An gewissen Punkten kam dann kompositorische Ratio mit dazu, oft im Zuge der Ausarbeitung der tatsächlichen Instrumentierung oder angesichts erster textlicher Ideen und inhaltlicher Visualisierungen. Hier ist daran zu denken, dass ja die meisten DORNENREICH-Alben auf einem inhaltlichen Konzept basieren, das in groben Zügen bisher bereits vor Beginn des musikalischen Prozesses klar umrissen bzw. atmosphärisch skizziert war.
DORNENREICHs Wesen ist eine große Suche, eine Reise. Gibt es ein großes Ziel, das ihr erreichen möchtet? Kannst du sagen, wohin diese Reise führt?
Die so häufig bemühte Sentenz „Der-Weg-ist-das-Ziel“ wesenhaft zu erfahren, zu verinnerlichen, mit Leben erfüllen zu können, dahin führt die Reise, – hinein in ihr eigenes Inneres also in gewissem Sinne. Nach wie vor geht es mir folglich darum, die kleinen und großen Zusammenhänge und Zyklen des Seins zu erleben und dadurch die Tiefe, Schönheit und das alles bergende Geheimnis des Seins möglichst bewusst zu feiern. Und dieses Bewusstsein gebraucht Ratio nur als Mittel zum Herzenszweck. Das Gefühl in der Stille ist das Zentrum, von dem ich mehr und mehr ausgehe, das zeitlose Zentrum, das Seelenvolle, das ein Menschwesen mit allem verbindet und das bleibt – in allem Wandel des Außen.
Würdest du mir beipflichten, dass Mut zur Veränderung eines der wichtigsten Merkmale DORNENREICHs ist?
Ja. Wille zu authentisch-intensivem Ausdruck und Mut zu Veränderung bzw.Entwicklung sind wesentliche Züge meiner Herangehensweise an DORNENREICH. Für mich persönlich meint die Tiefe des menschlichen Lebens die Entdeckung des unwandelbaren Seinszentrums in allem und tief in uns selbst, vor dem Hintergrund von äußerem Wandel, der stattfindet, ob man will oder nicht, und für mich als Mensch ist das – und das damit einhergehende Loslassen – ein riesiges Thema, wie könnte es auch anders sein.
Wie bereits in der vorhergehenden Antwort angedeutet, fühle ich, dass dieses Unwandelbare im Zentrum mich als Mensch mit allem verbindet. Und mit dem Gefühl dieser tiefen Verbindung wird auch das Mitgefühl mit allem Sein stärker. Jedenfalls empfinde ich das so.
Dornenreich 2007
Was bedeutet es für dich, Künstler zu sein?
Die hier angeführte Antwort habe ich kürzlich auch auf eine „Fan-Frage“ gegeben. Sie ist also sehr aktuell und ich möchte sie in diesem Rahmen wiederholen. Es folgen einige weitschweifige Sätze rund um etwas, das letzten Endes auf etwas durchaus Einfaches hinausläuft, nämlich, sich als Teil des Seinsganzen zu begreifen, zu erleben und zu verhalten. Nicht umsonst habe ich in den vergangenen Jahren immer wieder betont, dass es mir in den Texten DORNENREICHs darum geht, mittels Sprache über die Sprache hinaus zu deuten und vielleicht hinaus zu gelangen. Eine gewisse Grundwidersprüchlichkeit des menschlichen Lebens, die hier mitschwingt, ist meiner Erfahrung nach unumgänglich. Wichtig scheint mir dabei, wie man damit umgeht.
Also: Künstlerisch tätig zu sein, meint für mich als Menschwesen im Moment, durch einen Zugang von weit außen und von ganz tief drinnen Wesentliches anzudeuten und es ästhetisiert erfahrbar bzw. nachvollziehbar zu machen. Es geht mir um eine vielschichtige Ausgestaltung von Entwicklungen, Zyklen und um ein Durchleben von Momenten, die Wesentliches berühren und Bewusstsein fördern.
Es geht mir also um einen tiefen – letztlich nonverbalen – Dialog zwischen Seiendem. Und in gewissem Sinne geht es mir auch um eine Wiederverzauberung der erstarrten (westlichen) Menschenwelt, und zwar in vollem Bewusstsein, präziser noch: intuitiv – und bar eines eskapistischen oder naiven Kerns; denn wir (West-)Menschen verkennen das Seinsganze auf beschämende Weise in unserem starrsinnig eindimensionalen und qualvoll anmaßenden Anthropozentrismus. Die viel bemühten und im Grunde so wichtigen Worte „ganzheitlich“ und „nachhaltig“ scheinen mir dabei fast ausschließlich als Beschreibung der Verheerung innerhalb der und durch die (westliche) Menschenwelt treffend.
Als Künstler scheint es mir dieser Tage dementsprechend wesentlich, diese zerstörerische Rolle, die wir (West-)Menschen uns selbst zudachten, zunächst symbolisch und atmosphärisch zu überwinden, zumal eben in einem Feld, das allzu oft beherrscht scheint von menschlicher Selbstüberhöhung – dem Feld der Kunst nämlich. Erhebend im nährenden Sinne ist Kunst in meiner Wahrnehmung nur, solange und insofern sie letztlich dabei behilflich ist, ein Gefühl für das große Ganze Raum greifen zu lassen. Und um dieses Gefühl geht es mir primär mit DORNENREICH.
Was ist für dich die Essenz von DORNENREICH?
In meiner Wahrnehmung ist diese gewisse existenzielle Wahrhaftigkeit, diese tief reichende Dringlichkeit, die in DORNENREICH schwingt, die Essenz unseres Ausdrucks. Die lebendige Verbindung so vieler scheinbarer Gegensatzpaare ist für mich das, was DORNENREICH einen magischen Hauch von Wahrhaftigkeit verleiht, der letztlich über alle einzelnen Worte und Töne hinausweist und mehr einer Ahnung gleichkommt, wie das vermeintlich Einzelne, Getrennte im Ganzen geborgen ist. In unserem Ausdruck ist viel Schmerz, doch das ist auch viel Freude, darin liegt viel rohe Kraft aber auch viel Zartes, Sanftes, viel Lautes und viel Stilles – und im Ganzen evoziert das eine verwandelnde Ahnung, es transzendiert letztlich alle Trennungslinien. Die Quelle DORNENREICHs ist also die Grundintensität des nackten Lebens. Und was hier so esoterisch verklärt klingt, ist für mich am Ende tatsächlich schlicht die spirituelle Tiefendimension von Sex, Drugs and Rock’n’Roll (lacht).
Würden DORNENREICH genau so klingen, wenn eure Heimat nicht Tirol, sondern beispielsweise Florida wäre? Oder anders gefragt, inwiefern hat eure direkte Umgebung, Natur, Einfluss auf euer Schaffen?
Sehr gute Frage. In ihren Grundzügen wäre der Ausdruck im Falle DORNENREICHs wohl ähnlich, gingen wir hier spekulativ so weit, dass meine soziale Konstellation, meine Familie, Freunde etc. auf wundersame Weise auch in Florida so beschaffen gewesen wären, wie sie das hier waren und sind, was freilich kaum so sein würde, weil eben alles wechselseitig aufeinander einwirkt, – also etwa eine Landschaft auf die in ihr lebenden Menschen. Vielleicht kann ich es so in Worten umreißen: Zwar halte ich die besonders eindringlich vor Augen bzw. an alle Sinne herantretende Massivität, Kraft und Schönheit der Natur, in der sie mir hier in Tirol – in allen Bergen und Wäldern – begegnet, für einen bedeutsamen Einfluss auf die naturmystische Ausprägung DORNENREICHs, doch die ureigene soziale Konstellation, in die ich hineingeboren und hineingewachsen bin, scheint mir persönlich mindestens genauso wichtig für die Entwicklung die DORNENREICH in den letzten 20 Jahren genommen hat.
Deine symbolhafte als auch poetische Sprache lässt immer zahlreiche Interpretationen zu. Wie viel deiner Persönlichkeit steckt in den Texten? Gibst du dem Hörer mit den Metaphern bewusst Freiräume für eigene Interpretationen?
In meinen Texten stehe ich im Dialog mit der Welt, insbesondere natürlich auch mit meiner Innenwelt, die – in Worten fixiert – bis zu einem gewissen Grad überhaupt auch erst wirklich Kontur gewinnt. Und freilich ist Eviga bis zu einem gewissen Grad eine Idealisierung, der Jochen in so manchen Momenten sicher nicht gerecht wird (lacht). Doch ich würde schon sagen – und empfinde das auch tatsächlich so –, dass Jochen im Kern Eviga ist. Jedenfalls schadet es Jochen nicht, sich hin und wieder auf Eviga zu besinnen, der ja aus seiner Tiefe ans Licht kam. Aber bevor ich jetzt noch länger von mir und meinen Projektionen in der dritten Person spreche, gehe ich lieber noch auf den zweiten Teil deiner Frage ein (lacht). Wie bereits angesprochen, ist Sprache für mich im Speziellen deswegen kostbar, weil sich mit ihrer Hilfe, vorzüglich auf ihre eigenen Limitierungen und damit auch auf die Grenzen des menschlichen Verstandes bzw. Denkens hinweisen lässt, weil man vermöge der Sprache wunderbar bis zu dem Punkt kommt, an dem man schließlich bewusst über sie hinausgehen bzw. hinausgelangen kann. Nicht zuletzt deshalb habe ich – wie ja ebenfalls schon erwähnt – bereits zu „Hexenwind“-Zeiten mit einer Fantasie- bzw. Kunstsprache experimentiert, die sich nur noch am Wesen der reinen Klanglichkeit von Sprache orientiert, im Besonderen am klanglich-emotionalen Gestus von Sprache. Und, ja, natürlich möchten meine Texte etwa in ihrer Kombination von archaischen Worten mit ausgeprägter Metaphorik und Symbolik Räume öffnen, die geneigten HörerInnen dahin führen, wo sie in ihrem Geiste eigene Räume erkunden, sie zu sich führen. Wieder möchte ich hier auf „Hexenwind“ verweisen. Hört man etwa die letzten Minuten von „Der Hexe flammend‘ Blick“, so wird ganz deutlich, wie sehr wir dieses Evozieren des individuellen Hier-und-Jetzt schon damals betonten, denn das minimalistische Refrain-Thema wiederholt sich immer fort und enthält ein gesungenes Kunstwort, das am Ende auch noch auf seine Kernsilbe herunter gebrochen wird und so tatsächlich an ein Mantra gemahnt, das die geneigte Hörerschaft entweder schlicht langweilt oder eben – und das war freilich unsere Intention – schließlich zu sich selbst führt, zur eigenen Fantasie, zum ureigenen Fühlen, das eben so viel mehr ist, als das, wodurch dieses Fühlen zunächst getriggert wird.
Eviga 2001
Gibt es für dich eigentlich neben deiner Band DORNENREICH auch so etwas wie ein davon „unabhängiges“ Leben? Oder verfolgen dich deine musikalischen und textlichen Ideen sozusagen immer?
Hin und wieder sollte ich mich vor mir selbst schützen (lacht) und mir gewisse Grenzen setzen, ja … doch durch die existenzielle und persönliche Ausrichtung DORNENREICHs finden in meinem Geiste – manchmal ganz deutlich meist wohl unterbewusst – immer und überall Erfahrungen, Wahrnehmungen, Gedanken und Gefühle zueinander, die sich am Ende einer gewissen Zeitspanne in bestimmte Klänge kleiden, sich mittels bestimmter Worte Gehör verschaffen und so ein weiteres DORNENREICH-Stück oder ein neues Album bilden. Es besteht für mich also kaum ein Zweifel daran, dass DORNENREICH gerade wegen seiner hier skizzierten Verfasstheit immer wieder eine stark kathartische Wirkung in mir entfaltet.
Das Verwundete, Unausgeglichene, Getriebene – all das sind nicht selten wesentliche Züge der steppenwölfischen Künstlerpsyche, worin einerseits die große Chance auf einen bewusste und intensive Entwicklung liegt, doch eine solches – nennen wir es – inneres Gestimmtsein kann auch zu einer labyrinthischen und tragischen Verstrickung führen, keine Frage. Aus diesem Grund nimmt die Kunst in meinem Leben zwar bis heute einen großen Platz ein, jedoch ist das Erfahren des Seinsganzen auf vielen verschiedenen Ebenen für mich über die Jahre ins Zentrum gerückt, und die Kunst hat darin ihren Platz, einen sehr wichtigen, nicht zuletzt rituell-zeremoniellen Platz zwar, doch einen Platz neben anderem Lebensspendendem, neben Lebenskunst, wenn man so will.
Ihr werdet nun anlässlich eures Jubiläums Konzerte mit einer History-Setlist spielen. Dabei werdet ihr sowohl akustisch als auch metallisch zu Werke gehen, richtig? Auf was dürfen wir uns freuen?
Ja, gerade angesichts unserer Jubiläums werden wir DORNENREICH akustisch wie auch metallisch zelebrieren. Wir werden versuchen, Stücke von allen unseren Alben zu spielen. Ganz sicher wird die Setlist Stücke unserer gesamten Diskografie im Rahmen unserer sechs Headliner-Club-Konzerten enthalten, also in Stuttgart, Frankfurt, Hamburg, Bochum, Erfurt und Wien. Doch auch bei den übrigen vier Konzerten dieser „20 Jahre DORNENREICH – Gänsehaut statt Gänsemarsch“-Tour wird unsere Geschichte in der Setlist präsent sein, wenn auch nicht in ihrer Gesamtheit, denn im Rahmen dieser übrigen vier Konzerte wird unsere Spielzeit aufgrund der höheren Zahl teilnehmender Bands gewiss weniger umfangreich sein als in den erwähnten Städten.
Die Proben sind sehr, sehr intensiv. Viel Energie strömt hier und für mich persönlich kann ich sagen, dass mein gesamter Körper bis in die Haarspitzen aktiviert ist, was auch daran liegt, dass ich dieses Mal im Zuge dieses Programms unsere gesamte Entwicklung verdichtet durchlebe – und das macht freilich etwas mit mir. Es gibt keine Trennung mehr, ich werde zur Schwingung der Stücke, keine Gedanken, nur Hingabe an die Energie der Stücke ist präsent. Und ich hoffe, dass das ansteckend sein wird, denn DORNENREICH-Konzerte sollen Erfahrungen sein – für uns und für das Publikum.
Begleitet werdet ihr von AETHERNAEUM und VELNIAS. Nach welchen Gesichtspunkten habt ihr diese ausgewählt?
Die naturmystische Komponente und die atmosphärische Weite der Musik sind in meiner Wahrnehmung verbindende Züge. Zudem kennen und schätzen wir die Menschen, die in diesen Bands aktiv sind, seit Jahren und gehen daher davon aus, dass dieses Gesamtpaket nicht nur für das Publikum stimmig sein wird, sondern dass wir auch abseits der Bühne eine inspirierte und inspirierende Zeit verbringen werden.
Auf welche Auftritte freust du dich besonders?
Schlicht und ergreifend auf alle Stationen dieser Tour, denn nach zwanzig Jahren ist es ja so, dass sich über diesen langen Zeitraum hinweg, allerorts Freundschaften und Kontakte ergeben haben – sowohl hinter den Kulissen als auch im lokalen Publikum. Es ist einfach eine wunderbare Gelegenheit, so viele jahrelange Weggefährten und Weggefährtinnen wiederzusehen. Und lasst es mich nun am Ende ganz klar sagen: Es nicht nur so, dass es für uns und viele andere, die uns schon lange begleiten, durchaus eine emotionale Erfahrung werden wird, anhand dieser Setlist bewusst auf so viele Jahre zurückzublicken, sondern es ist natürlich auch so, dass wir alle nicht wissen, wie oft wir noch die Möglichkeit haben werden, eine solche Tour zu spielen. Denn ich muss an dieser Stelle nochmals betonen, dass eine Tour ein äußerst forderndes Abenteuer ist und hohe Kosten verursacht. Seid also mit uns! Wir setzen – wie in all den vergangenen Jahren – auf eure Loyalität und Leidenschaft!
Vielen Dank für das Interview! Die letzten Worte gehören dir!
Ich danke dir für deine interessierten Fragen, die mir selbst die Geschichte DORNENREICHs so ausführlich vor Augen geführt und in Erinnerung gerufen haben. Wir sehen uns auf Tour, die wir für all die Unbezähmbaren, Wachen, Fühlenden da draußen spielen!
1. Foto © www.zwielichtsammler.com
2. Foto DORNENREICH 2007 © www.photopit.com
Hier geht es zu Teil I und Teil II des Interviews.
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