Dornenreich
Interview mit Eviga zum zwanzigjährigen Bestehen (Teil I von III)
Interview
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DORNENREICH feiern 2016 ihr 20jähriges Bestehen. Um diesen Anlass gebührend zu feiern, spielt die Band auf ihrer kommenden Tour eine spezielle History-Setlist akustisch wie metallisch unter Beweis stellen wird, warum DORNENREICH-Konzerte auch nach 20 Jahren als Inbegriff leidenschaftlicher und mitreißender Darbietung gelten. Wir nutzten die Gelegenheit, um mit Eviga ein dreiteiliges History-Interview zu führen. Hier lest ihr nun den ersten Teil, die weiteren werden in den kommenden Wochen folgen.
20 Jahre DORNENREICH – herzlichen Glückwunsch zu eurem Jubiläum! Was kommt dir als Erstes in den Sinn, wenn du an 20 Jahre DORNENREICH denkst?
Danke. Es erscheint mir als langer und zugleich kurzer Zeitraum. Lang erscheinen mir diese zwanzig Jahre insbesondere dann, wenn ich an den fünfzehnjährigen Heranwachsenden zurückdenke, der ich in den Anfangstagen war. Damals erschien mir das Lebensalter von 35 Jahren als Ehrfurcht einflößendes, ja fast schon greises Alter für Rock- und Metal (lacht) … Auch kommt mir unser haarsträubend kultiges Video-Interview – freilich inklusive Corpse-Paint – in den Sinn, das wir quasi unserem zukünftigen Selbst 1996 gaben. Als unseren größten Traum gaben wir damals an, vielleicht eines fernen Tages tatsächlich ein Album aufnehmen zu können, in einem guten Tonstudio wohlgemerkt, es war ja durchaus noch die Prä-Full-Homerecording-Ära und mein 4-Spur-Aufnahmegerät brachte es auf weit über 10 Kilogramm.
Als kurz empfinde ich die Spanne von zwanzig Jahren, weil ich nun im Rückblick ein konkretes Gefühl für einen solchen Zeitraum habe, und mir die durchschnittliche Lebenszeit eines Menschen dadurch doch sehr kurz scheint – jedenfalls weit kürzer, als ich mir das mit fünfzehn Jahren so ausgemalt hatte.
Und über allem schwebt das Gefühl einer großen, tiefen Dankbarkeit für all das, was diese zwanzig Jahre DORNENREICH nicht nur für mich als Künstler, sondern im Speziellen auch für meine Entwicklung als Mensch bedeuten. Es waren so eindrucksreiche und, – was mir erst jetzt in der Rückschau so richtig bewusst wird – ungemein lehrreiche Jahre.
Lass uns zunächst zurückblicken, in die Geschichte von DORNENREICH. Kannst du dich noch an eure Anfänge erinnern? Wie kam der Name DORNENREICH zustande und was waren eure damaligen Beweggründe, eine Band zu gründen?
Die Anfänge von DORNENREICH sind für mich ganz deutlich mit einer konkreten Erinnerung verknüpft. 1996 stand ich mit einem SODOM-Shirt in einem Buchladen und schaute zum obersten Buchregal hinauf, wo all die schwarzen, vermeintlich okkulten Bücher einsortiert waren, und plötzlich bemerkte ich neben mir jemanden. Ich blickte nach unten, und nahm zuerst nur die MAYHEM-Jam war, die der Kerl anhatte. Die Situation und ein wesentliches gemeinsames Interesse war dadurch unausgesprochenermaßen so offenkundig, dass wir beide verschämt schmunzeln mussten – und ins Gespräch kamen.
Der Knabe neben mir war ebenfalls fünfzehn Jahre jung, er war ein guter Freund von Valnes, den ich wenige Tage später kennenlernen sollte, und er war bis Ende 1996 der Bassist – und anfangs auch Texter! – von DORNENREICH. Auf ihn geht überdies der Name DORNENREICH zurück. Das ließ ich mir erst vor wenigen Monaten im Laufe eines langen Treffens von ihm bestätigen. Mit Philipp bzw. Surtur, so sein damaliges Pseudonym, bin ich bis heute befreundet und ich schätze ihn als schonungslos aufrichtigen und tiefgründigen Gesprächspartner.
Wenn ich zurückdenke, ja zurückfühle, dann würde ich heute sagen, dass sich die tiefe Atmosphäre, die wir in den Alben und in der Aura von Bands wie EMPEROR, ABIGOR, SATYRICON oder IN THE WOODS empfanden, mit unserer jugendlichen Energie und der mystischen Wirkung, die unsere Tiroler Bergwelt auf uns hatte, verband. Und freilich war es auch das durchaus elitär angehauchte – ich nenne es hier mal salopp – Steppenwolf-Syndrom, also ein Welt- und Bürgerlichkeitsekel, dass uns in unserer nicht gerade wenig ausgeprägten spätpubertären Schüchternheit eine grandiose Tarnung bot, insbesondere wohl auch vor so mancher schmerzlichen Selbsterkenntnis (lacht). Wir teilten eine besondere Erkenntnis, eine geheimnisvolle Kraft, die uns den herkömmlichen Hürden des Heranwachsens enthob, so dachte ich mir das damals zurecht… An Wochenenden gingen wir nicht nur aus, nein, wir gingen sogar weit hinaus – hinein in die Wälder unserer Heimat, dort konnte uns niemand noch weiter verunsichern… (lacht). Und doch, im Kern war es tatsächlich etwas Spirituelles, das uns aufgegangen war und dem wir künstlerisch nachspüren wollten, und das habe ich mir – tief drin – bis heute bewahrt und auch das erfüllt mich mit tiefer Dankbarkeit, denn angesichts der Heftigkeit meines damaligen Wesens hätten mich einige der klassischen pubertären Grenzauslotungsoptionen gewiss auf weit weniger konstruktive und nährende Pfade geführt, als es diese so spezielle Musik tat.
Was waren damals die wichtigsten musikalischen wie auch außermusikalischen Einflüsse?
Den stärksten musikalischen Eindruck machten in den Anfangstagen gewiss ABIGOR, EMPEROR, SUMMONING und EMPYRIUM auf uns, was an einigen unserer frühen Stücke, die auf „Mein Flügelschlag“ und „Nicht um zu sterben“ zu hören sind, klar erkennbar ist. Und über unsere Vorliebe für SUMMONING kamen wir damals auch zu ausgedehnten Reisen in Tolkiens Welten, in meinem Fall nicht nur im Felde der Bücher, die heute so berühmten Peter-Jackson-Verfilmungen gab es ja noch nicht, sondern zudem mittels der aufwendigen Hörspielproduktion des deutschen Rundfunks aus den frühen 90er-Jahren.
Mein bis heute prägendster sprachlicher bzw. sprachästhetischer Einfluss lag und liegt in literarischen Werken der deutschen Romantik wie auch des Impressionismus und im Besonderen des Expressionismus.
Wie war dein musikalischer Werdegang vor DORNENREICH?
Die Gitarre entdeckte ich vor etwa 25 Jahren für mich. Gut kann ich mich an die Magie des Moments erinnern, als ich der Akustikgitarre meiner Mutter damals die ersten Töne entlockte. Für mich war das eines der tiefgreifendsten Erlebnisse meines Lebens. Plötzlich konnte ich mich und insbesondere mein Innenleben im Reich musikalischer Klänge mitteilen. Was für ein Geschenk das für meine weitere Entwicklung war, kann ich freilich erst heute ermessen.
Schon kurze Zeit nach diesem Schlüsselerlebnis bekam ich meiner erste E-Gitarre von meiner Mutter, die mir heute noch erzählt, dass ich damals auf dem Heimweg vom Musikladen zu ihr meinte, sie würde diese Investition nicht bereuen.
Es folgten sechs Jahre Unterricht sowohl an der klassischen als auch an der E-Gitarre und erste Banderfahrungen mit Schulfreunden, von denen aber leider keiner einen meinem verwandten Willen zur Entwicklung musikalischer Ziele hatte. So wurde DORNENREICH am Ende tatsächlich meine erste richtige und eigenverantwortete Band – und sie blieb es über all die Jahre, abgesehen von meinen Beteiligungen an ANGIZIA und EMPYRIUM.
Euer erstes musikalisches Lebenszeichen war das Demo „Mein Flügelschlag“. Bitte beschreibe uns, wie eure Persönlichkeiten damals waren, wie es war, ein Demo aufzunehmen!
Ja, bereits wenige Wochen nachdem Gilvan am Schlagzeug zu uns gestoßen war, nahmen wir unser erstes und einziges Demo-Tape namens „Mein Flügelschlag“ auf. Dass das so rasch möglich war, liegt sowohl an Gilvans schon damals ausgeprägten Fähigkeiten am Schlagzeug als auch daran, dass er über einen Proberaum verfügte und mit einem gewissen Christof Niederwieser befreundet war, mit dem er in der bekannten Tiroler Band KOROVA (später KOROVAKILL) spielte. Im Rückblick kann ich Christof, der einige Jahre älter ist und den Valnes und ich als die jungen Hüpfer, die wir damals waren, nicht zuletzt deswegen bewunderten, weil KOROVA bereits ein Album via Napalm Records veröffentlicht hatten, kaum genug für seine Unterstützung danken, war er es doch, der als Produzent bzw. Aufnahmeleiter des Demo-Tapes fungierte und auch während der kommenden Jahre die Vorproduktionen unserer ersten beiden Alben mit uns durchführte bzw. technisch ermöglichte. Valnes und ich waren zwar die kreativen Köpfe der Band, doch zu dieser Zeit waren wir beide in jeder Hinsicht mehr als grün hinter den Ohren und so war Christof ohne jeden Zweifel die zentrale Figur hinter den Kulissen, der wir viel zu verdanken haben und der DORNENREICH, gepaart mit Gilvans vielen Szene-Kontakten und organisatorischen Talenten, raus aus den Kinderzimmern und auf große Fahrt brachte.
Die Aufnahmen zu „Mein Flügelschlag“ waren sehr aufregend für Valnes und mich. Ich selbst war dabei besonders nervös, weil ich hier zum ersten Mal so richtig aus mir herausgehen musste, und zwar bei den Gesangsaufnahmen. Ein durchaus nervenaufreibendes Vorhaben für den im Grunde schüchternen Teenager, der ich in jenen Tagen war. Die in deutscher Sprache verfassten Texte verschärften die angespannte Atmosphäre noch, die lediglich dadurch etwas entkrampft wurde, dass wir meine Stimme schlussendlich leicht verzerrten. Manchmal konnte sich Christof ein Lachen ob der bizarren Gesamtsituation jedoch einfach nicht verkneifen und so waren die Aufnahmen für mich doch recht strapaziös (lacht). Wie heißt es so treffend: aller Anfang ist schwer – auch und insbesondere für junge, bitterernste Black Metaller (lacht)
Euer Debütalbum „Nicht um zu sterben“ wurde 1997 über CCP Records veröffentlicht. Wie kam der Plattenvertrag damals zustande und wie empfindest du euer Debütalbum heute? Was war das für ein Gefühl, ein eigenes Album zu haben?
Wir verschickten viele Promo-Pakete nach der Fertigstellung des Demo-Tapes an Plattenfirmen und Vertriebe und es waren schließlich CCP-Records, die uns rasch einen Plattenvertrag anboten. Und wir, in unserem jugendlichen Eifer, konnten ihn, wie könnte es anders sein, gar nicht schnell genug unterzeichnen, was uns in späteren Jahren noch einige Probleme bescheren sollte. Genau genommen waren es sogar unsere Eltern, die den Vertrag stellvertretend für uns (mit-)unterschreiben mussten, waren wir doch zum damaligen Zeitpunkt noch gar nicht volljährig. Wie auch immer: Für uns war nur ein Aspekt relevant: wir würden in ein professionelles Studio gehen können, um in der im Rückblick irrwitzigen Zeitspanne von nur vier (!!!) Tagen die gesamte Albumproduktion durchziehen. Claus Prellinger erwies sich im Verlaufe dieses Prozesses als sehr kompetenter Tonmeister und trug mit seiner Professionalität gewiss dazu bei, dass wir das Album trotz unserer Unerfahrenheit und trotz des äußerst knapp bemessenen Zeitrahmens in der vorliegenden Art und Weise aufnehmen konnten. Und was lässt sich anderes über den Tag sagen, an dem ich das fertige Album in Händen hielt, als: WAHNSINN!!! Ich weiß noch, dass ich am folgenden Tag mit gefühlten 2,5-Metern Körpergröße ins Klassenzimmer einmarschierte, mich auf meinen Platz setzte, das Latein-Vokabelheft aufschlug und, ja, in gewisser Hinsicht wieder zu dem Schüler schrumpfte, der ich damals ja noch war (lacht) … und doch war ich verändert, und das nicht nur zum Guten.
1999 folgte euer zweites Album „Bitter ist’s, dem Tod zu dienen“. Wie beurteilst du eure Entwicklung damals? Was hattet ihr an der Herangehensweise an dieses Album im Vergleich zum Debüt verändert?
In den Jahren des Heranwachsens kommt es ja nicht selten zu regelrechten Entwicklungsschüben binnen weniger Monate und so überrascht es mich im Rückblick kaum, dass unser zweites Album so viel gereifter und facettenreicher ausfiel als das Vorgängeralbum. Darüber hinaus meine ich mit dem Abstand vieler Jahre und Lebensabschnitte allerdings noch etwas Entscheidendes zu erkennen, nämlich das, dass die Tatsache, dass wir nun ja eine Band mit Plattenvertrag und Veröffentlichung waren, mag die quantitative Resonanz und Reichweite auch noch so gering gewesen sein, uns großes, ja unschätzbar wichtiges Selbstvertrauen für die weiteren Schritte beschert hatte.
All das hört man „Bitter ist’s, dem Tod zu dienen“ an, meine ich. Der zentrale Zugewinn war im Zuge dessen auch der, dass wir es ganz selbstverständlich wagten, uns hoch emotional, ja gar zerbrechlich zu zeigen, was weder angesichts unserer Jugend, Valnes und ich waren zum Zeitpunkt der Aufnahmen achtzehn Jahre jung, noch in Anbetracht der Szene, in der wir uns bewegten, zu erwarten gewesen wäre. Mich persönlich erfreut aber gerade das, dass wir Stücke wie „Federstrich in Grabesnähe“, „Leben lechzend’‘ Herzgeflüster“ oder „Woran erkennt mich deine Sehnsucht morgen?“ im zarten Alter von siebzehn Jahren ersannen und mit achtzehn Jahren aufnahmen. Die emotionale und gedankliche Tiefe, die musikalische Verspieltheit und Dynamik, der wir uns damals so natürlich und vertrauend öffneten, schuf das zeitlose Fundament, auf dem DORNENREICH in den Folgejahren zu dem radikalen, mystischen und intensiven Ausdruck werden konnte, für den es heute steht.
Danach folgte der Wechsel zu Prophecy Productions. Wie lief die Zusammenarbeit mit CCP Records und wie kam es zum Wechsel zu Prophecy? Es gab Probleme, eure ersten Alben neu aufzulegen, richtig?
Im Rückblick bin ich CCP-Records schlicht dankbar dafür, dass sie uns die Chance gaben, so früh wichtige Erfahrungen zu sammeln. Zwar waren wir damals in all unserem jugendlichen Eifer frustriert davon, dass CCP selbst doch äußerst pragmatisch an alles herangingen und etwa lediglich achtseitige Booklets bewilligten und nur wenig Zeit für die Aufnahmen zur Verfügung stellten, doch wie gesagt mit dem Abstand der Jahre überragt für mich die Tatsache, dass sie uns als einziges (!) kontaktiertes Label einen Vertrag anboten, alle anderen Aspekte der Kooperation, selbst die anstrengenden Phasen der Rechtsstreitigkeiten rund um die Wiederveröffentlichung unserer ersten beiden Alben durch Prophecy vor mehr als zehn Jahren. Heute ist es sogar so, dass wir kürzlich einige Vereinbarungen mit CCP-Records treffen konnten, um wohl noch im Laufe dieses Jubiläumsjahres ein interessantes Projekt verwirklichen zu können.
Seit ich im Jahre 1997 durch meine Begeisterung für EMPYRIUM auf Prophecy Productions aufmerksam geworden war, stand für mich fest, dass wir alles daran setzen würden, möglichst schnell zu eben dieser Firma zu wechseln, die so viel mehr Hingabe an den Tag zu legen schien und auch hinsichtlich der generellen Ästhetik bzw. Kunstauffassung genau zu DORNENREICH passte.
Der konkrete Kontakt zwischen Prophecy und mir ist dabei meiner guten alten Freundin Petra Schurer, seit vielen Jahren Metal Hammer-Redakteurin, zu verdanken, die 1999 unsere ersten beiden Alben mit einer Empfehlung an Prophecy-Kopf Martin Koller schickte. Und so kam es, dass mich Martin Ende 1999 zur ersten Prophecy-Konzertnacht einlud, die zu einer der wichtigsten Nächte in der Geschichte DORNENREICHs werden sollte. An diesem Abend lernte ich nämlich nicht nur Martin Koller kennen, sondern auch weitere wichtige Weggefährten kommender Jahre wie etwa Markus Stock, Tobias Schönemann und Thomas Helm. Nach dieser Reise und den damit verknüpften Begegnungen stand die Zusammenarbeit mit Prophecy fest.
Wie beurteilst du die Zusammenarbeit mit Prophecy Productions?
Mit viel Respekt bzw. gegenseitiger Wertschätzung und wechselseitigem Verständnis wurden wir einander zu wichtigen Partnern und Freunden. Gerade die Tatsache, dass die Menschen hinter Prophecy DORNENREICH wirklich schätzten, beflügelte uns und wirkte sich äußerst positiv auf DORNENREICH aus und ich denke nach einer gemeinsamen Geschichte von gut fünfzehn Jahren lässt sich auch mit Fug und Recht behaupten, dass DORNENREICH auch wesentlich an der Profilschärfung der Firma mitwirkte und eine bedeutsame Rolle in der Label-Geschichte spielte und spielt.
Die prinzipiell gute Zusammenarbeit schloss aber nicht aus, dass Martin Koller und ich uns hin und wieder hitzige Wortgefechte lieferten, ja uns manchmal regelrecht zusammenstreiten mussten. Mein rigoroser künstlerischer Fanatismus ließ mich zuweilen und gerade in krisenhaften Situationen, die es durchaus gab und auf die ich noch zu sprechen kommen werde doch recht heftig werden. Ich würde zwar nicht so weit gehen, mich mit Klaus Kinski und Martin mit Werner Herzog vergleichen zu wollen (lacht), aber ohne Zweifel trifft die Umschreibung des „Sich-Zusammenstreitens“ hier durchaus ins Schwarze, denn nicht immer war eine sofortige harmonische Einigung zwischen künstlerischer Vision und firmenbezogener Gesamtausrichtung bzw. zwischen Künstler-Ego und Firmenchef-Ego zu erzielen (lacht). Aber bekanntlich arbeiten wir immer noch zusammen, und das finde ich schön und das sagt am Ende alles Wesentliche über alle Beteiligten aus. Wir sind an einander gewachsen, würde ich sagen.
Meiner Meinung nach gipfelte eure ich will mal sagen „erste Phase“ mit dem Werk „Her von welken Nächten“, die diesen avantgardistischen, progressiven Black Metal wenn man so nennen mag in Perfektion zeigte. Wie ordnest du das Album in eurem Schaffen ein und was bedeutet es dir selbst?
Nun, wenn zwischen unseren ersten beiden Alben ein Entwicklungsschub lag, fand zwischen dem zweiten Album und „Her von welken Nächten“ ein veritabler Entwicklungssprung statt, keine Frage. Viele Faktoren spielten dabei eine Rolle. Valnes und ich hatten unser Abitur gemacht, wir traten also auch als Privatmenschen in eine neue, freiere Phase ein und „Bitter ist’s, dem Tod zu dienen“ hatte uns viele großartige Kritiken und viel Aufmerksamkeit gebracht und hatte unser Selbstvertrauen noch weiter gestärkt. Zudem waren wir schlicht fähigere Instrumentalisten und Freunde geworden, wir harmonierten besser und dazu kam noch die Euphorie seitens Prophecy und die Möglichkeit, dass wir „Her von welken Nächten“ mit dem von uns so hoch geschätzten Markus Stock, dem Mastermind hinter EMPYRIUM, aufnehmen konnten und viel mehr Studiozeit zur Verfügung hatten als früher. Insgesamt war da also immens viel Energie und Leidenschaft am Werk und ich kann verstehen, warum für viele Hörer und Wegbegleiter gerade dieses Album DORNENREICH ausmacht.
Alles passte zusammen. Alle drei waren wir damals extrem fokussiert, man könnte auch sagen: besessen. Wir probten nahezu jeden zweiten Tag zu dritt, und gerade ich und Valnes, die wir uns während des Zivildienstes gedanklich rein auf DORNENREICH konzentrierten, feuerten all die Kapazitäten, die nach der aufwendigen Abitur-Zeit frei geworden waren, in die Band. Unsere Kreativität kannte kaum Grenzen – wie auch unsere Egos (lacht)… und das wurde uns auch schon bald zum Verhängnis.
Die Aufnahmezeit war unsagbar intensiv und dabei auch unsagbar anstrengend. Davon weiß wohl am besten Markus Stock ein Lied zu singen und ich werde es nicht vergessen, als er uns kürzlich während eines langen gemeinsam verlebten Abends davon erzählte, dass Thomas Helm damals eines Abends anrief und fragte, wie es laufen würde, und Markus meinte: „Die Platte wird genial, aber die Jungs treiben mich in den Wahnsinn. Die stehen um 08.00 Uhr auf der Matte – und gehen abends freiwillig nicht mehr…“ – (lacht). Und, ja, Valnes und ich waren wirklich besessen, Kunst-Berserker, ohne jeden Zweifel. Ich kann mich noch an den Mix- und Master-Prozess erinnern, den wir wahnwitzigerweise direkt vor die große Presse-Listening-Session gelegt hatten. Wir mussten also fertig werden. Das ging dann in den letzten Tagen so weit, dass wir bis zu 20 Stunden im Regieraum waren, um uns dann eine Kampfration Schlaf zu verabreichen und dann sofort wieder weiterarbeiteten. Am Ende lagen die Nerven so blank, dass Markus sich innerlich dazu entschlossen hatte, nie wieder mit mir ein Album aufzunehmen, wie er mir vor einiger Zeit sagte und ich kann es ihm nicht verübeln (lacht).
Und jetzt, im Jahre 2016, so viele Jahre nach den Aufnahmen bin durchaus stolz darauf, wie sehr dieses Album vor Ideen und Leidenschaftlichkeit sprüht, ja, und darauf, wie vielschichtig es ist, und wie sehr es sowohl Stille als auch klanglichen Exzess zelebriert. Es markiert für mich den Höhepunkt meiner jugendlichen Sturm-und-Drang-Zeit. In Hinblick auf DORNENREICH würde ich meinen, dass es das Ende der anthropozentrischen Phase DORNENREICHs bildet. Bis zu diesem Punkt ging es vorrangig um die Auseinandersetzung des menschlichen Geistes mit seiner Beschaffenheit, will meinen, mit Würde und Bürde seiner selbst. Ab „Hexenwind“ ging es mehr und mehr um eine – in gewissem Sinne atmosphärische – Aussöhnung zwischen menschlichem Individuum und Welt, um das Überwinden der menschlichen Entfremdung.
Eine bleibende Erinnerung aus dieser Zeit betrifft den Abend, an dem ich mir das fertige Album schließlich zum ersten Mal daheim – ganz alleine – anhörte und ich am Ende in Tränen ausbrach, und zwar nicht unbedingt vor lauter narzisstischer Ergriffenheit ob des eigenen Werkes, sondern eher wegen der immensen Erleichterung, dieses Album endlich aufgenommen zu haben, und es jetzt loslassen zu können. Das war ein wirklicher Moment der Katharsis, nicht zuletzt wegen des ambitionierten existenziellen Konzepts, das dem Album zu Grunde liegt.
Das Album war also in der Welt, aber der Schaffensprozess war durchaus an die Substanz gegangen, – und wie sehr, das zeigte sich schon wenige Monate später an Gilvans Ausstieg, der sich in gewisser Hinsicht und im Rückblick ohne Zweifel schon während der aufreibenden Aufnahmen zu „Her von welken Nächten“ abzuzeichnen begonnen hatte…
Hier geht es zu Teil II und Teil III des Interviews.
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