Dornenreich
Die Ungeheuerlichkeit und Schönheit des Lebens!
Interview
Sieben lange Jahre sind verstrichen, ehe mit dem Konzeptalbum „Du wilde Liebe sei“ DORNENREICH den Nachfolger von „Freiheit“ veröffentlichen, dass sich inhaltlich mit dem Mysterium der Liebe beschäftigt. Musikalisch ist „Du wilde Liebe sei“ der stets wandelnden und entwickelnden Österreicher auch wieder ein Fortschritt, ein Album mit eigener Identität, ohne aber das charakteristische Klangbild von DORNENREICH zu verlassen. Wir führten das Interview mit Frontmann Eviga.
Man könnte sagen, dass Ihr Wort gehalten habt! „Freiheit“ wurde damals als vorerst letztes Studioalbum für lange Zeit angekündigt. Seither sind jetzt sieben Jahre verstrichen, ehe nun mit „Du wilde Liebe sei“ euer neues Album veröffentlicht wird. Was waren damals eure Beweggründe, erst einmal Abstand von weiteren neuen Albumaufnahmen zu nehmen? Wie war diese Zeit jetzt für euch und warum ist jetzt der richtige Zeitpunkt für ein neues Album?
2014 hatten wir bereits achtzehn Jahre Bandgeschichte hinter uns – gefüllt mit etlichen Studioproduktionen, sehr vielen Konzerten und Tourneen quer durch Europa. In diesen achtzehn Jahren haben wir sehr, sehr viel erlebt und hatten auch einige äußerst fordernde Phasen durchzustehen.
Nach der Tour zu „Freiheit“ wollten wir uns ganz bewusst neu mit dem verbinden, warum wir so viele Jahre zuvor damit begonnen hatten, uns hingebungsvoll und mit so großer Begeisterung künstlerisch auszudrücken. Deswegen kommunizierten wir auch in aller Öffentlichkeit, dass „Freiheit“ wohl für längere Zeit das letzte Studioalbum DORNENREICHs bleiben würde. Wir wollten dadurch und in der Folge genau beobachten können, welchen Stellenwert Musik und künstlerischer Ausdruck für uns in dieser losgelösten Sphäre hatte. Und wir mussten nicht lange warten und es entstanden – ganz natürlich und intuitiv – neue Stücke und Konzeptideen. Das war für mich persönlich eine sehr bewegende und bedeutsame Erfahrung, denn sie führte mir ganz deutlich vor Augen, wie sehr künstlerischer Ausdruck in meinem Fall damit zusammenfiel, wie ich mein Hiersein als Mensch verarbeite. Es gehört existenziell zu mir, künstlerisch aktiv zu werden oder jedenfalls am Instrument zu träumen, wie ich das oft nenne.
2014 hatte ich ja außerdem klar gesagt, dass wir weiterhin Konzerte geben würden, was wir dann auch taten. Diese Konzertabenteuer haben wir in diesen Jahren der Neuausrichtung auch ganz bewusst gesucht, um das Gefühl für einander und für das Abenteuer, das eine Band immer bleibt, am Leben zu erhalten.
Das Album ist ja über viele Jahre hinweg entstanden und die tatsächliche Veröffentlichung wurde pandemiebedingt vom September 2020 auf Juni 2021 verschoben, insofern ist dieser Juni-Termin das Einzige, was wir wirklich bewusst gesteuert haben, da wir den so organischen und reichen Klangcharakter dieses Albums immer mit der im Sommer in voller Blüte stehenden Natur assoziierten und das Album deswegen bewusst im Sommer veröffentlichen wollten. Jetzt also faktisch Frühsommer, ursprünglich wäre Spätsommer angedacht gewesen.
Inhaltlich beschäftigt ihr euch mit „Du wilde Liebe sei“ mit dem Mysterium der Liebe. Das ist natürlich ein sehr breitgefächertes Thema, das jetzt aber im Metal vergleichsweise eher weniger aufgegriffen wird. Wie reifte der Gedanke, euch der Liebe zu widmen?
Meine Texte drehen sich ja schon seit den Gründungstagen um existenzielle Grunderfahrungen des Menschseins – wie etwa um Vergänglichkeit, Alleinsein/Einsamkeit, Naturzyklen und Natur als Spiegel des Menschseins, um Mut, Angst und zuletzt um Freiheit. Gerade diese Freiheitsthematik führte mich dann auf direktem Weg zum großen Thema Liebe, denn in der zwischenmenschlichen Ausformung von Liebe wird für die beteiligten Individuen ja oft und ganz zentral eine Zerrissenheit zwischen dem Verlangen nach Verbindung, Zugehörigkeit und Hingabe und Selbstbehauptungs- bzw. Befreiungstendenzen spürbar. Insbesondere in den Stücken fünf „Der Freiheit Verlangen nach goldenen Ketten“ und sechs „Sie machen Mangel zum Geschenk“.
Als Konzept und im Feld der Sprache ist Liebe ja Teil unseres Alltags. Man liebt dies, man liebt das, man liebt diesen Menschen, man liebt jenen Menschen (nicht) – nur, was hat das in der Tiefe zu bedeuten? Und diese Tiefe gibt es hier sehr wohl. Denn das Thema Liebe durchdringt alle Bereiche unseres Lebens und oft bringen die Enttäuschungen und Missverständnisse, die damit häufig zusammenhängen, großen Schmerz, Leid und Gewalt (z.B. Morde aus Eifersucht, Suizide Verlassener). Außerdem schien es mir persönlich in diesem Zusammenhang wichtig zu sein, als Basis der zwischenmenschlichen bzw. partnerschaftlichen Liebe und der viel bemühten Konzepte und Vorstellungen rund um die romantische Liebe bewusst das Verständnis und Erleben von Liebe als Seinsqualität des Einzelnen zu thematisieren, in den Stücken sieben bis zehn.
Die Liebe bewegt sich in einem ständigen Spannungsfeld aus Freiheit und Bindung, lauter Wildheit und leiser Intimität, komplex und reduziert, harmonisch und dramatisch, dynamisch. So könnte man auch die Musik von DORNENREICH umschreiben… Welche Themen seid ihr auf „Du wilde Liebe sei“ konkret angegangen? Und wie wichtig ist für dich die Spannung in der Liebe – und letztendlich auch in DORNENREICH?
Thematisch lässt es sich herunterbrechen auf das Grundszenario eines kosmischen Sehnens, das sich durch zyklische bzw. unaufhörliche Abfolge von Verbindung und Loslösung vollzieht, in dessen Spannungsfeld letztlich auch der einzelne Mensch steht, der sich meist in vermeintliche Liebesbeziehungen mit anderen Menschen verstrickt, eher er zu sich selbst – und zum Leben an und für sich – eine Beziehung, ja, eine Liebesbeziehung aufgebaut hat. Dabei geht es freilich nicht um Narzissmus, der etwa im vierten Stück des Albums thematisiert wird, sondern vielmehr um eine bewusste und Zentrierung des Einzelnen in sich selbst und damit letztlich auch eine Verortung des Einzelnen im großen Seinsmysterium; im Rahmen des Albums nutze ich hierfür zum Beispiel das Bild einer „unversiegbaren Quelle“.
Persönlich denke ich, dass der Mensch und damit letztlich auch DORNENREICH eine Grundspannung braucht bzw. dieser Grundspannung in dieser Existenzform jedenfalls nicht entkommt. Doch damit sich diese Spannung nicht gewaltvoll und letztlich ohnmächtig entlädt, ist ein Bewusstsein über all das und über die kleinen und großen Zusammenhänge des Seins ebenso bedeutsam wie diese Spannung selbst, würde ich sagen.
Gerade durch die Coronavirus-Pandemie erleben wir eine Zeit der Isolation, Distanz, Entfremdung. Insbesondere kleine Kinder, alte Senioren, Singles litten und leiden unter den auferlegten Kontaktbeschränkungen. Wie hat sich die Pandemie auf euch ausgewirkt und welchen Einfluss hatte sie auf „Du wilde Liebe sei“?
Nicht wenige Menschen dürften diese Pandemie als gesundheitliche und/oder materiell-existenzielle Bedrohung erlebt haben und noch erleben, ja, und ich denke, dass sich die tatsächlichen Auswirkungen erst noch zeigen werden. Und ich selbst habe das zeitweise „Daheim-Bleiben-Müssen“ – wie wohl viele andere auch – dann doch auch ganz anders und zuweilen alles andere als lustvoll erlebt. Allerdings muss ich hier noch hinzufügen, dass ich generell ein vergleichsweise zurückgezogenes Leben führe, weswegen mich die pandemiebedingten Einschränkungen wohl weniger in meiner Lebensführung eingeschränkt haben, als das bei vielen anderen Menschen vielleicht der Fall gewesen ist.
Auf die Fertigstellung des Albums haben sich etwa die Phasen strikter Lockdowns jedenfalls nicht negativ ausgewirkt; abgesehen davon, dass wir den Termin für Mix und Mastering des Albums vom April 2020 auf August 2020 verschieben mussten und freilich einige Konzerte abgesagt bzw. verschoben wurden. Wir sind allerdings letztes Jahr einigermaßen glimpflich davongekommen, da wir 2020 nicht als konzertintensives Jahr geplant hatten. So konnten wir das neue Album während der Hochphase der Pandemie im Grunde mit besonders viel Fokus bzw. Konzentration fertigstellen.
Nun schreiben wir ja aber bereits das Jahr 2021 und mittlerweile wirkt sich die Pandemie freilich auch immer mehr auf DORNENREICH aus, zumal wir uns unser Jubiläumsjahr und das Jahr der Veröffentlichung des neuen Albums natürlich schon anders vorgestellt hätten, was Konzerte betrifft. Aber klar ist: wir hatten als Band – im Vergleich mit vielen anderen und insbesondere im Vergleich mit alle jenen, die all ihr Wirken und Talent auf die Realisierung von Veranstaltungen einsetzen und sofern man in diesem Zusammenhang überhaupt von „Glück“ sprechen kann – Glück um Unglück.
Beständiger musikalischer Wandel ist und bleibt die ewige Konstante in DORNENREICH. „Du wilde Liebe sei“ ist charakteristisch ganz klar DORNENREICH, ist vertraut und dennoch wieder anders. Wie ordnest du selbst euer neues Werk in der musikalischen Entwicklung von DORNENREICH ein?
Es ist für mich persönlich das folgerichtige und in seiner Erscheinungsweise zugleich überraschende und erfrischende nächste Kapitel in der langen Geschichte unseres Bewusstwerdungsprozesses als Menschen wie auch als Künstler.
Darüber hinaus würde ich eigentlich nur noch anfügen wollen, dass es ja an und für sich alles Wesentliche über unser Haltung und über unsere Herangehensweise aussagt, nach sieben Jahren ein Album zu veröffentlichen, das eindeutig nach DORNENREICH klingt und doch schon in den ersten Sekunden klarmacht, dass wir uns wieder ganz neu herausgefordert und mit jahrelanger Hingabe an etwas gearbeitet haben, das in der Summe seiner Klanglichkeit, seiner Ideen- und Stimmungsvielfalt wohl letztlich mit nichts zu vergleichen ist, was gerade in der Musikwelt stattfindet: wir sind hier aus Überzeugung, aus wirklicher Leidenschaft, aus purer Begeisterung für herz- und handgemachte Musik und sehr bewusst gesetzte Texte.
Ihr benutzt jetzt für diese Stilistik die Bezeichnung Black Arcane Rock – bitte beschreibe, was ihr damit meint!
Verwurzelt in der Atmosphäre, der Ästhetik und in der existenziellen Tiefe von Black Metal, eingewoben in das arkane Mysterium des Seinsganzen und auf handgemachte Weise kraftvoll und organisch wie klassische (Folk-) Rockmusik – das ist der Hintergrund dieser selbstgewählten Bezeichnung.
DORNENREICH wurzeln im Black Metal, im Lauf der Jahre wandelte sich die Musik, Neo Folk und auch Klassik haben Einzug in eure Klangwelten gehalten. Wie kam es zu dieser Entwicklung?
Für mich ist das eine regelrechte Entfaltung, zumal wir alle drei immer schon von unterschiedlichster Musik geprägt und inspiriert worden sind. Zudem empfinde ich es so, dass alles, was uns in der Auseinandersetzung mit Kunst und Musik im Speziellen und mit verschiedenen Themen im Allgemeinen bewegt und beschäftigt, auf spielerische und natürliche Weise Eingang in unseren ureigenen Ausdruck findet. Die Wurzel all unserer Musik ist Intuition, ist Inspiration und ist nie rationale Entscheidung. Und darin pulsiert für mich persönlich auch die spezielle Magie DORNENREICHs.
2021 markiert ein besonderes Jahr für euch – 25 Jahre DORNENREICH! Du warst 16 Jahre alt, als du zusammen mit Valnes die Band gegründet hast. Wie fühlt sich das jetzt für dich an? In welcher Stimmung wart ihr damals, als es losging? Hast du eigentlich noch Kontakt zu Valnes? Und habt ihr was geplant zu eurem Jubiläum?
Im Rückblick finde ich es persönlich von Jahr zu Jahr erstaunlicher, wie sehr sich der rote Faden hinsichtlich der existenziellen Themen der Texte, hinsichtlich der Intensität der Musik und auch hinsichtlich der minimalistischen Ästhetik von unserem Debüt bis zum aktuell neunten Album durchzieht und wie unmittelbar ich DORNENREICH als Ganzes dadurch erlebe und wie jung mich diese Verbindung, diese leidenschaftliche Kontinuität in jeder Hinsicht hält.
Die Wochen im Frühsommer 1996, in denen ich gemeinsam mit Valnes und einem weiteren Freund, der in den ersten Monaten unser Bassist war, DORNENREICH gründete, gehören zu den schönsten und aufregendsten Zeiten meines Lebens, an die ich mich gerne erinnere.
Ich denke, es war auch wirklich eines der bedeutsamsten Ereignisse meines Lebens, an diesem so fragilen Punkt meiner Entwicklung als Jungspund, das Glück gehabt zu haben, auf Menschen zu treffen, die eine ähnliche Begeisterung, ja Begeisterungsfähigkeit für Musik mitbrachten. Heute laufe ich Valnes nur ab und an zufällig über den Weg und wir sprechen dann hin und wieder miteinander, unseren damaligen Bassisten sehe und höre ich hingegen noch recht regelmäßig. Es gibt jedenfalls generell kein böses Blut zwischen uns.
Für unser diesjähriges Jubiläum hatten wir freilich so einige Pläne, ja, und wir werden nun aller Voraussicht nach versuchen, einiges davon im kommenden Jahr nachzuholen.
Was hält das Feuer in dir am Brennen?
Mein nacktes Menschsein. Die Ungeheuerlichkeit und Schönheit des Lebens.
Vor 20 Jahren erschien auch „Her von welken Nächten“ – was kommt dir in den Sinn, wenn du an die damalige Zeit zurückdenkst?
Wenn ich im Speziellen an „Her von welken Nächten“ denke, bin ich dankbar dafür, wie viele Fügungen, Umstände und Kontakte damals zusammengespielt haben, dass wir unsere jugendliche Kreativität und Energie dermaßen frei und mit voller Wucht in diese Aufnahmen übersetzen könnten. Dieses Album war der Befreiungsschlag von jungen Erwachsenen, der den Grundstein für alles Weitere legte und uns durch all das, was dieses Album repräsentiert, noch viele Jahre später über viele schwierige Phasen – sei es als Menschen oder als Künstler – hinweghalf. Das sehe ich jedenfalls aus heutiger Sicht so – mit dem Abstand von gut zwanzig Jahren.
Ihr habt wieder viel Zeit und Aufwand in geschmackvolle Naturfotografien gesteckt für die Gestaltung des Artworks. Was kannst du uns darüber erzählen?
Ja, zunächst haben wir mit unserem alten Freund und Weggefährten Markus Stock, der ja auch für das finale Klanggewand mit verantwortlich zeichnet, nun noch einen weiteren Bereich entdeckt, in dem wir zusammenarbeiten können, und ich bin sehr glücklich über Markus‘ Fotografie, die nun das Front-Cover des neuen Albums bildet.
Das Front-Cover steht dabei in seiner Symbolik in direktem Zusammenhang mit dem Back-Cover, das von einem weiteren alten Freund namens Peter Griesser stammt, der mittlerweile als Fotograf arbeitet. Mit ihm begab ich mich im vergangenen Herbst auch auf eine mehrtägige Wanderschaft, die uns an spezielle Kraftorte in der Tiroler Natur führte, die in der Geschichte DORNENREICHs eine wichtige Rolle spielen. In der Folge entstand für die 72-seitige Artbook-Edition von „Du wilde Liebe sei“ eine einzigartige und umfangreiche Illustration zentraler Themen des Albums, die hier im Spiegel der Natur erscheinen, denn die Zuordnung jedes Bildes erfolgte anhand spezifischer bzw. symbolischer Bildmerkmale ganz bewusst – Text für Text.
Es ist daher insgesamt besonders beglückend, unserer loyalen DORNENREICH-Hörerschaft nach sieben langen Jahren ein auf allen Ebenen so persönliches Album anvertrauen zu können, auf dem es in jeder Hinsicht viel zu entdecken gibt.
Vielen Dank für das Interview! Die letzten Worte gehören dir!
Ich danke für die facettenreichen Fragen und möchte „Du wilde Liebe sei“ all jenen empfehlen, die herz- und handgemachte Musik schätzen und die auf der Suche nach einer unverbrauchten, vielschichtig kraftvollen und atmosphärischen Klanglichkeit sind, die mit jedem Hördurchlauf intensiver erfahren werden kann, da sich das Zusammenwirken von Text und Musik nach und nach in seiner ganzen Tiefe und Tragweite offenbart. Das liest sich jetzt vielleicht etwas esoterisch – verhält sich aber als Erfahrung tatsächlich so, wie ich es hier beschreibe (lacht). Testet es einfach selbst…
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